Archiv der Kategorie: Johannes von Nepomuk

Bechyně 1835

Lange war Bechyně einfach eine schöne alte Stadt in einer äußerst malerischen Lage auf einem Felsplateau hoch über dem engen Tal der Lužnice.

Sein großer Platz, der sanft abfällt und dabei schmaler wird, also fast ein Dreieck bildet, ist eines der spektakulärsten historischen Ensembles mindestens Südböhmens. Es ist dafür nicht wichtig, daß nur wenige der ihn begrenzenden Häuser ihre Fassaden aus Renaissance oder Barock behielten und manche über die üblichen beiden Geschosse hinauswuchsen. Es schadet nicht, daß weite Teile von Parkplätzen und Straßen eingenommen sind, da Durchgangsverkehr ob der Lage ohnehin unmöglich ist. Es ist eher von Vorteil, daß unten große Linden den Blick auf das Schloß, auf das er zuläuft, verbergen. So gehört der Platz ganz der Kirche, die sich etwas oberhalb der Mitte von rechts in ihn hineinschiebt.

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Die Kostel svatého Matěje (Matthäuskirche) ist wie die Stadt im Kleinen: Die Grundlage schuf die Gotik.

Die Renaissance fügte einen äußerst dicken quadratischen Turm mit säulengetragenem rundbögigen Umgang, dessen Geländer jeweils zwei runde Pfosten beidseits einer quadratischen Reliefplatte hat, hinzu. Doch ihre heutige Gestalt prägt ganz der Barock.

Er tut das nicht vor allem durch die hohen, fast nur aufgemalten Pilaster neben den Ecken des Turms oder durch dessen gedrungene und schwere schwarze Haube, sondern durch den zum Platz zeigenden Chor. In den seitlichen beiden Flächen seiner Trapezform durften sogar spitzbögige Fenster verbleiben, doch die vier Strebepfeiler wurden oben geschwungen abgerundet, was sie völlig verändert. Darüber beginnt der Giebel an den Seiten mit Voluten, die mehr noch als andere vielfach aufgerollte Spiralen sind und auf denen von je vier Kugeln getragen Obelisken stehen. Von ihnen steigt sein Rand geschwungen an, was auch die schräge Fläche geschwungen wirken läßt, bevor sie an zwei ionische Säulen in der Fortsetzung der mittleren Strebepfeiler anschließt. Nach einem Sims beginnt mit schräg gesetzten kleinen Voluten der obere Teil des Giebels, dessen Seiten nach innen geschwungen sind und der nurmehr eine freistehende Wand ohne Bezug zum Dach ist.

All das ist kaum halb so hoch wie der rechts daneben stehende Turm und deutlich schmaler. Überhaupt ist es, als wolle der Barock der Kirche ihr menschliches Maß geben, sie kleiner, zierlicher wirken lassen. Die Haube drückt den Turm hinab. Die Pilaster leiten genau bis zum Anfang des Giebels hinab. Und im Giebel selbst steigt die religiöse Symbolik hinab von dem strahlenumkränzten Dreieck mit Auge im vertikal ovalen Fenster des oberen Teils zum großen Matthäus in der Nische zwischen den Säulen.

Mit dem unten auf einem Sockel stehenden, untypischerweise unterlebensgroßen Johannes von Nepomuk aus bemalter Keramik, dem die öffnungslose mittlere Wandfläche des Giebels eine Leinwand bildet, hat die Religion den Bereich der Menschen erreicht und die Kirche, so unwahrscheinlich das ob ihrer Bauvolumen ist, ein menschliches Maß bekommen. Statt eines fremdartigen Klotzes ist sie beinahe nur ein, selbstverständlich besonders prachtvolles, Haus unter den Häusern des Platzes. Das ist das Werk des Barock und war es noch, als der Nepomuk erst im frühen 20. Jahrhundert an seine Stelle versetzt wurde, denn die Architektur der Kirche verlangte ihn, wies ihm die Stelle zu.

Es gibt weitere Kirchen in Bechyně, recht symmetrisch verteilt, von denen aber keine die Bedeutung der Kostel svatého Matěje am Markt erreicht. Die Klosterkirche steht sogar direkt in einer Linie mit ihr, aber hinter den Häusern an der linken Seite des Platzes in einer Parallelstraße, so daß, da sie keinen Turm hat, nur ein steinernes Kreuz auf der Spitze ihrer Giebelseite und ein Dachreiter schüchtern herüberschauen.

Von Nahem ist sie ein gotischer Bau, mit dessen Vertikalität ein achteckiger barocker Anbau noch zu konkurrieren wollen scheint.

Erst von außerhalb, wo die hohen Felsen über der Lužnice sich gleichsam in den Strebepfeilern und Spitzbögen ihres Chors fortsetzen, wird sie zum wichtigen Teil des Stadtpanoramas, wichtiger vielleicht sogar als der Turm der Matthäuskirche, dessen plumpe Haube von hier nicht zu verstehen ist.

Die Friedhofskirche steht etwas außerhalb der Altstadt, aber genau in der Achse der Straße in der rechten oberen Ecke des Platzes, wobei sie nie bis zu ihr führt. Sie ist ein barocker Bau mit hoher weißer Pilasterfassade, die in zwei kleinen Türmchen endet, und fast ebensohohem achteckigem Saal mit oben angeordneten halbkreisförmigen Fenstern. Ihre interessanteste Idee ist die offene Laterne in der Mitte des geschwungen ansteigenden Dachs, zu der von allen Seiten quergesetzte Voluten führen.

Ein wenig ähnelt sie dem Anbau des Klosters, während beide mit dem menschlichen Maß der Chorgestaltung der Kirchen am Markt nichts gemein haben.

Schließlich ragt aus dem Schloßareal, also weit hinter der unteren Seite des Platzes, noch ein quadratischer Turm mit der typischsten barocken Haube der Stadt auf, aber der gehört nicht zu einer Kirche, obwohl das Schloß gewiß eine Kapelle hat.

Doch das ist fern, denn das Schloßareal, das aus einem Bau hinter der unteren Seite des Platzes, einem Park, nach einer Brücke dem eigentlichen Renaissanceschloß und komplizierten Festungsmauern- und türmen besteht, ist noch einmal so groß wie die Altstadt, eine Stadt für sich, ein zweites Bechyně. Wiewohl die Stadt einst als Anhängsel des Schlosses entstand, wirkt es heute eher andersherum. Mit dem Platz und der Kirche hätte Bechyně auch ohne Schloß mehr als genug.

Lange war das alles, eine schöne abgelegene Kleinstadt, ob gerade 1735, 1835 oder 1901 war, bedeutete kaum einen Unterschied, doch dann kam die Welt nach Bechyně.

 

Heilige in Cádiz

Wenn man sucht, welches der vielen Heiligenbildnisse in Cádiz am charakteristischsten für diese Stadt ist, am intimsten mit dem, was sie ausmacht, verbunden, dann findet man es nicht bei oder an einer der vielen Kirchen, sondern auf einer Säule am nordöstlichen Ufer. Die gesamte Länge der Calle Isabel la Católica (Isabella-die-Katholische-Straße) entlang, einer der typischen engen Gassen, sieht man nur das Weiß der Säule, das rahmende Blau des Wassers und das Grün eines Baums.

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Und nicht zur Stadt, sondern hinaus auf die Bucht von Cádiz, die sich hier zum Atlantik öffnet, blickt die hoch oben stehende Skulptur des heiligen Franz Xaver, Francisco Xavier.

Die ionische Säule mit quaderförmigem Sockel steht heute in der Mitte eines kleinen Kreisverkehrs der um die Insel herumführenden Straße, zwischen der offenen Uferpromenade und den Altstadtgassen, unübersehbar, aber fast von den Zeiten vergessen.

Auf dem Sockel ist vorne ein Relief des Stadtwappens und an beiden Seiten die fast identische Inschrift:

„Auf Wahl dieser Stadt Cádiz wurde diese Säule und Statue für Franz Xaver, Apostel der Indien, als einen ihrer Patrone errichtet/Jahr 1735“

Es muß so sein, kein anderer als der weitgereiste Franz Xaver, Mitbegründer des Jesuitenordens, „Apostel der Indien“, womit Westindien so sehr wie Ostindien gemeint ist, obwohl er nur in letzterem war, wo er, zuvor als einer der ersten Europäer in Japan, vor der chinesischen Küste starb, konnte der angemessene Patron für die Hafenstadt Cádiz, die ein Tor zu Amerika, wenn nicht schon dessen europäischer Vorposten war, sein. Wie die Stadt selbst ist er ganz dem Meer zugewandt. Durch unzählige Verbindungen in fernste Länder, wo andere Bildnisse von ihm stehen, ist er mehr als nur eine Skulptur auf einer Säule, wie Cádiz mehr als nur eine kleine Insel vor der spanischen Atlantikküste ist. Während der Jesuitenorden aber überall wirkte, wäre Cádiz ohne das Meer nichts.

Wenn man sucht, welches Heiligenbildnis in Cádiz am fremdesten, am wenigsten mit ihm verbunden ist, dann findet man es nicht an der Kirche Divina Pastora (Göttliche Schäferin) in der Calle Sagasta (Sagasta-Straße), aber eine Spur von ihm. Die Kirche steht inmitten der Häuser der engen Gasse, als wäre sie ihrer vielgeschmückten weißen Barockfassade zum Trotz einfach eines von ihnen, wobei der links aufgesetzte Turm, der im eigentlich zwei über Eck gestellte Giebel mit offenen Bögen für die Glocken ist, andeutet, daß sie zu dieser Seite einst mehr Platz hatte, vielleicht nur über ein niedrigeres Eckhaus hinweg.

Sie ist damit völlig typisch für Cádiz, wo nur wenige Kirchen zu Plätzen zeigen und viele in den Gassen verstreut sind. Rechts auf ihrem Dach erahnt man einen kleinen runden Aufbau mit Kuppeldach, der sowohl den Wachhäuschen der Festungsmauer als auch entsprechenden Aufbauten auf den Türmen, die auch einige normale Häuser, als wollten sie den Unterschied zwischen Haus und Kirche verschwimmen lassen, haben, gleicht. Und in der Dachmitte erahnt man eine große Kuppel, die in einer komplizierten, erst runden, dann als Vieleck geschwungenen Form und blauer Keramikverkleidung mindestens an arabische, wenn nicht an fernöstliche Architektur erinnert und von nirgendwo gut zu sehen ist.

Oder vielmehr: von nirgendwo in der Stadt. Vom Meer aus wird die Kuppel im Gegenteil zum wichtigen Bestandteil der Stadtsilhouette. Das ist nicht ganz anders als in anderen mittelalterlichen Städten, wo sich Türme und Kuppeln weniger an deren Gassen als an das Umland richteten, bloß ist das Umland in Cádiz eben das Meer.

Rechts in der vorgewölbten Seite des von einer Maria mit Schaf, der namensgebenden Göttlichen Schäferin, in einer tiefen Nische abgeschlossenen Kirchenportals nun ist in einer weit kleineren Nische kein Bildnis des heiligen Johannes von Nepomuk, aber unter ihr sein Name „S Juan Nepomuceno“.

Weit entfernt, in katholischen Teilen des Ostens von Europa, ist Johannes von Nepomuk an jeder Ecke, bei jeder Brücke zu finden, in Cádiz aber ist er fremd. Er ist ein im wahrsten Sinne nebensächlicher Heiliger und einer unter vielen, da über ihm neben dem Portal zwei weitere Nischen und auch links drei entsprechende Nischen sind.

Von allen, die hier einen Platz am Rande hatten, blieben nur die Namen, aber selbst die sind ob der Abkürzungen nicht ganz einfach zu identifizieren, während die Skulpturen, vielleicht aus Holz gefertigt, lange verschwunden sind und niemandem einfiele, sie zu ersetzen. Johannes von Nepomuk ist fremd hier und daher zugleich exotisch, denn Prag ist weiter von Cádiz entfernt als alle Indien.

Johannes von Nepomuk im Stahl

An einer großen Straße und Kreuzung im oberschlesischen Siemianowice, die aber auf der einen Seite von drei Wohnhochhäusern und auf der anderen vo einem Park aufgelockert wird, steht Johannes von Nepomuk.

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Er ist von 1802, wie auf dem hohen Sockel, der an den Seiten Voluten hat, steht, postbarock. Er steht gerade, die eine Hand rechts neben dem Körper, die andere erhoben mit einem Kruzifix, zu dem er blickt.

Er stand dort schon, bevor es irgendetwas von dem, worauf er nun blickt, gab, vielleicht hatte er sogar eine Brücke. Doch das Kruzifix, das er heute in der Hand hält, ist aus Stahl, da Siemianowice ein Stahlwerk war, lange bevor es Stadt wurde. Nepomuk ist hier fremd, wie sehr, das zeigt das kleine Schild auf der Sockelrückseite, das erläutert, wer er ist. Der Park hinter ihm mag so alt sein wie er, ein weißes klassizistisches Schloß zeigt zu ihm.

Es ist am besten dort, wo es zwei Geschosse unter einem Walmdach hat, deren Abfolge in der Mitte für einen Saal mit durchgehenden rundbögigen Fenstern und einen Tempelgiebel unterbrochen ist, schwächer am seitlichen dreiflügelig umbauten Hof mit Kapelle.

Das Stahlwerk ist leider Geschichte, die Adelsfamilie, die sich das Schloß baute, zum Glück, der Park ist so wertvoll wie eh und Johannes von Nepomuk wird weiter dort stehen.

Barocke Natur

Das ist der Barock: im Teich vor der namensgebenden Burg in Liptovský Hrádok, einem Ort vor der Tatra im Herzen der Slowakei, steht ein Fels mit schroffen Kanten, auf dem Gräser und Moose wachsen, ein Überbleibsel geologischer Prozesse der fernen Vergangenheit, und auf ihm steht eine schlichte weiße Kapelle mit abgerundeter Rückseite, in der ein sandsteinerner Johannes von Nepomuk nach rechts gewandt kniet, das Kruzifix wie ein Baby im Arm wiegend, den fünfsternigen Heiligenschein auf dem geneigten Kopf.

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Es ist eine Kapelle, wie sie überall stehen könnte, aber der Barock begriff die Landschaft und stellt sie an einen Ort, wo sie so unübersehbar wie unerreichbar ist. Die Wirkung ist geradezu surreal, aber auch das gehört zum Barock.

Fast ist es um den Nepomukfelsen zu voll, da sind die Burg, die umgebende Grünanlage und in der Nähe eine schroffe Felsklippe, die auch als Aussichtspunkt gestaltet ist, aber doch zu weit entfernt ist, als daß der Felsen wie aus ihr herausgebrochen wirkte. Zwischen beiden Felsen, am nächsten an der Kreuzung  der aus dem Ort heraus- und an ihm vorbeiführenden Straßen, ragt wie ein dritter Felsen ein Denkmal in der Form eines abgerundeten dreiseitigen Obelisken aus grauen Steinblöcken auf.

In den Ecken stehen auf geschwungen ansteigenden Sockeln Sandsteinskulpturen von Soldaten verschiedener Waffengattungen und an den Seiten sind Tafeln mit den Namen der Toten beider Weltkriege aus verschiedenen Orten der Umgebung.

Die eigenartige Form des Denkmal läßt sich kaum einordnen, vermutlich aber ist es im Kern älter als die bronzenen Wappen der ČSSR, der sozialistischen Tschechoslowakei, die oben vor im Stein kaum zu erkennenden hellen Schwertern, andeuten könnten.

Zwischen Natur und barock genutzter Natur ist das Denkmal leider etwas verloren. Mit der Steinverkleidung scheint es die Natur nachahmen zu wollen, aber es ist eine billige Nachahmung. Es hätte vom  Nepomukfelsen lernen können, der gezeigt hatte, daß man der Natur durch den Kontrast näher kommt und sie dadurch, ohne sie auch nur antasten zu müssen, zugleich verwandelt. Der Barock gewinnt.

Bensheim und seine Heiligen

In Bensheim geht man vom Bahnhof geradeaus nach Osten zur querverlaufenden Hauptstraße in der Altstadt, wobei man in einer äußerst wertvollen Unterführung die Bundestraße 3 unterquert und dann den Grünstreifen an der ehemaligen Stadtmauer kreuzt. Nur etwas rechts der Einmündung der Bahnhofstraße in die Hauptstraße öffnet sich von dieser ein breiter aufsteigender Platzbereich, der von einer bizarren, irgendwie neoromanisch wirkenden Kirche aus den Fünfzigern, die tatsächlich der Wiederaufbau einer nicht minder bizarren klassizistischen Kirche aus dem frühen 19. Jahrhundert ist, abgeschlossen wird.

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Die nie ganz gerade Hauptstraße führt etwa ebensoweit nach links, also nach Norden, wo dann der Rodensteiner Hof und Villenviertel folgen, wie nach rechts, also nach Süden, was samt den Nebengassen einen ganz typischen, halbwegs runden Stadtgrundriß ergibt.

Es erstaunt daher, daß die Hauptstraße im Süden nach einer kleinen Brücke über die Lauter noch recht lange bis zu einer kleinen Hospitalkirche weitergeht. Ein geradezu miniaturhaft niedliches gotisches Türmchen an der Seite deutet an, daß die alte Stadtmauer entlang der Lauter verlief und alles weitere eine Stadterweiterung, die sogenannte Vorstadt, ist.

Die Straße ist nun auch breiter und gerade, die Fachwerkhäuser sind aus dem 17. Jahrhundert oder neuer, wie Aufschriften, die auch die über die Jahrhunderte wechselnden Nutzungen nennen, zeigen.

Da Bensheim eine katholische Stadt ist, stehen in der Mitte beider Seiten der nur kurzen Brücke Heiligenskulpturen.

Links ist es Franz Xaver, der ein links neben ihm knieendes vage nichteuropäisches Kind im federgeschmückten Rock tauft, schlank, bloßhäuptig, aber mit im Nacken hängenden breitkrempigen Hut. Obwohl der von ihm gegründete Jesuitenorden so viel Wert auf das Erlernen einheimischer Sprachen legte, ist die Inschrift auf Latein und hat ein äußerst kompliziertes Chronogramm, das 1747 ergibt.

Rechts ist es Johannes von Nepomuk, neben dessen nach hinten angewinkeltem linken Bein, wie als Ersatz für einen Heiligenschein, eine von Engelchen gehaltene Kugel mit fünf Sternen auf einem Band liegt. Die Inschrift ist auf Deutsch und enthält zwei Chronogramme mit dem Jahr 1731, wohl das eines Hochwassers, und dem Jahr 1737, wohl das der Errichtung der Skulptur.

Deutlicher als in diesem Gegenüber könnte kaum werden, wer auch in Bensheim der volkstümlichere Heilige war. Mit jeweils nach hinten geschwungenem Sockel sind die beiden Skulpturen aber klar als Ensemble angelegt. Sie bilden ein Tor von der älteren, verwinkelteren Neustadt in die neuere, klarer strukturierte Vorstadt und sind zugleich das Scharnier, das sie zusammenhält.

Die vielleicht schönste Heiligenskulptur Bensheims jedoch ist in der Altstadt an einer für die Stadt typischeren Stelle: sie hängt an der Ecke im Obergeschoß eines Hauses an der rechts des Platzes abzweigenden Hauptstraße und zeigt Josef.

Bereits das Fachwerkobergeschoß ragt über das steinerne Erdgeschoß hinaus, Josef ragt auf einem schrägen kleinen Sockel noch weiter hinaus und der kleine Jesus in seiner ausgestreckten Hand scheint zu schweben.

Ausnahmsweise wirkt die Skulptur so nicht, als sei sie dem Haus angeheftet, weil die Stadt eben katholisch ist, sondern als wachse sie aus ihm heraus. Genauso ist es mit der Stadtstruktur: so weit und frei die Vorstadt aus der Altstadt herausragt, so organisch wirkt die Verbindung doch. Daß auch die Verbindung zwischen Altstadt und Bahnhof gelungen ist, verdankt Bensheim schon Menschen, die keine Heiligenskulpturen mehr bauen mußten.

Johannes von Nepomuk und das menschliche Maß

Typische Skulpturen des Johannes von Nepomuk, wie Heiligenskulpturen allgemein, sind sich in der Größe immer recht ähnlich, immer etwas unterlebensgroß, was aber durch den Abstand schaffenden Sockel schwer einzuschätzen ist. Auch daher fallen zwei Nepomukdarstellungen in Znojmo, die von dieser Größennorm deutlich abweichen, auf.

Beim in der Mitte des zweigeschossigen barocken Häuschens mit der Adresse Veselá 10 hängenden Nepomuk erlaubt der verwendete weiße Stuck Freiheiten, die in Stein schon technisch schwierig wären.

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Der Heilige kniet hier bei zugleich nach links ausgestrecktem Bein auf Wolken und Engelsgesichtern unter einer Krone, aus der ein von zwei seitlichen Engeln aufgehaltener Vorhang hängt, während im Hintergrund weitere Wolken und ganz oben weitere Engelsgesichter und ein Kreuz sind. Sein Körper ist ganz nach rechts gebogen, wohin er auch die gefalteten Hände ausstreckt, doch sein Gesicht mit selig geschlossenen Augen ist ebenso deutlich nach links gewandt, wo ihm ein Engel sein Kruzifix präsentiert. In den unteren Ecken dieser auf die Hauswand gesetzten und sogar über die Fensterrahmen quellenden Szene sind ein Engel mit seinem Birett und einer mit seinem Palmzweig zu sehen.

Die Szene ist viel kleiner als gewöhnliche Nepomuks und damit intimer, eher wie etwas, daß in einen Innenraum paßt. Bei aller Popularität dieses Heiligen in der Zeit der Gegenreformation ist seine Darstellung an der Fassade eines Privathauses auch eher selten und sie hängt etwa zu hoch, um gut betrachtet zu werden. Die beiden Skulpturen halbnackter bärtiger Männer, die auf einem Sims unterhalb der Ansätze des geschwungenen Giebels die figürliche Dekoration des Hauses vervollständigen, schauen denn auch mit skeptisch verschränkten Armen zu ihm hinab.

Der in einer offenen Kapelle gegenüber dem Eingang der Jesuitenkirche stehende Johannes von Nepomuk ist eine ganz konventionelle Darstellung mit Kruzifix und Palmzweig, doch er ist riesig. Sogar der Sockel wirkt unter ihm klein, aber auch ohne ihn würde er drohend über dem Betrachter thronen.

Man meint unwillkürlich, einem Riesen, einem mißgebildeten Monstrum zu begegnen. Sind typische Nepomuks auf ihren Sockeln eben Heilige, von Gott erhobene Menschen und halb schon bloße Symbole, so ist dieser etwas schlichtweg Unheimliches, zu groß, um je Mensch gewesen zu sein, aber zu schwer, um in göttlichen Gefilden vorstellbar zu sein. Das Jesuitentum schuf hier eine Schreckensgestalt in den Zügen des beliebten Heiligen.

Es hat wohl psychologische Gründe, daß Heiligenskulpturen ihre etwa einheitliche Größe haben. Wenn sie, wie an an der Hauswand kleiner sind, schadet es ihnen nichts, doch ihre Vergrößerung schafft Ungeheuer. Daher ist es auch kein Zufall, daß der jesuitische Riesennepomuk, der schwerlich seine intendierte Wirkung haben konnte, eine Ausnahme ist.

Nepomuk in Nepomuk?

Nepomuk ist eine Stadt mit zu vielen Skulpturen. Überall stehen sie, gerade so, als sollten sie daran erinnern, daß im ganzen Land und weit darüber hinaus überall Skulpturen von Johannes von Nepomuk stehen. Sie sind allesamt nicht besonders alt, allesamt aus Sandstein und allesamt leider nicht besonders gut, sondern bloß kitschig. Besonders viele sind in den neuen Terrassenbeeten im links eines k.k. Verwaltungsgebäudes noch weiter ansteigenden Teil des Platzes abgestellt, Ergebnis eines Symposiums, doch auch überall sonst, ob nun beim Bahnhof oder beim Penny-Supermarkt, findet man sie.

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Auch Stauen des heiligen Johannes von Nepomuk gibt es, obwohl das in seinem Geburtsort recht tautologisch und unnötig ist. Eine barocke steht weit außerhalb der Stadt am Weg nach Zelená Hora und markiert ungewöhnlicherweise eine kleine Quelle. Sie zeigt den Heiligen halb kniend und mit dem Birett in der Hand statt auf dem Kopf, eine kleine Variation, die einen selbstbewußten Künstler verrät.

Eine zweite steht bei einer Brücke am Weiher unterhalb der älteren Kirche und zeigt, wie einem exaltierten Nepomuk von Engeln das Kruzifix angetragen kriegt.

Die Skulptur ist barock, doch die um sie errichtete Kapelle von 1879, die 1949 erneuert wurde, wie in ihrem Fries steht, zeugt statt von volkstümlichem Glauben schon eher vom kalkulierten Versuch, die Bekanntheit des Heiligen touristisch zu nutzen, während ringsum eine neue Welt entstand und die Bauern ins nahe Plzeň gingen, um Arbeiter bei Škoda zu werden.

Der Versuch dauert bis heute an, weshalb 1993 auch auf dem Platz eine Nepomukstatue errichtet wurde. Wie sie einen älter und ernster wirkenden Heiligen beim Blick auf das erhobene Kruxifix zeigt, ist zwar nicht ganz schlecht, aber das Bedürfnis nach Tautologie wirkt doch eher stillos.

Anrührender ist da sogar noch der winzige massengefertige Johannes von Nepomuk in der Nische eines Hausgiebels.

Um die Hauptkirche, die erst nachträglich nach Nepomuk benannt wurde, sind eine lobenswerte Ausstellung und selbstverständlich allerlei entbehrliche neue Skulpturen, doch zum interessantesten Werk, das in ihrer Nähe steht, findet sich wie so oft kein Wort. Es zeigt auf einem Sockel eine sitzende Figur, den rechten Arm aufs Bein gestützt und in dessen Hand den nach rechts geneigten Kopf, bekleidet nur mit einer Art Lendenschurz und einem langen Mantel. Bloß an einer vage zu erahnenden Dornenkrone erkennt man, daß das also Jesus sein muß.

Doch es ist keines der typischen Motive. Alle Zeichen der Göttlichkeit – Kreuz und Heiligenschein vor allem – fehlen ihm. Er sitzt eher zusammengesunken da, sein Bauch in Falten über dem Lendenschurz, die Haltung wie der Gesichtsausdruck nachdenklich.

Zugleich ist die künstlerische Qualität der Skulptur beachtlich, wie insbesondere die Lücke zwischen den dünnen Beinen und dem übrigen Körper zeigt. Zu den Füßen der Skulptur ist auf dem Sockel ein flacher, leicht schräger Stein mit einer einzigen Blume angedeutet.

Als einzige weitere Information steht rechts am Sockel: „W.P. 1767“. Ein spätbarockes Werk also und Beispiel eines, gerade im Vergleich zu Johannes von Nepomuk, recht seltenen sogenannten Christus in der Rast, das heißt auf die Kreuzigung wartend.

Die besten neueren Skulpturen in Nepomuk sind dem Sozialismus zu verdanken. Sie befinden sich im Wohngebiet Na Vinici, das etwa auf halbem Weg zwischen Bahnhof und Altstadt liegt, so daß sie sogar fast die ersten sein können, die man sieht. Auf einer leicht ansteigenden Wiese vor den Schmalseiten der viergeschossigen Gebäude stehen zwei spielende Bären, ein Pfau und ein Hahn.

Statt aus Sandstein sind sie aus glattem hellem Beton.

Während die Bären noch abgerundet-realistisch gestaltet sind, haben die beiden Vögel stilisierte Formen und in den Beton sind kleine Muster aus bunten quadratischen Kacheln eingelassen.

Wäre ganz Nepomuk voller solcher Skulpturen, so gereichte ihm das zur Zierde und wäre auch der Allgegenwärtigkeit seines Heiligen im ganzen Land und weit darüber hinaus angemessen, doch leider endete diese tschechoslowakische Tradition.

Die wichtigste Skulptur von Nepomuk schließlich steht gar nicht wirklich in Nepomuk.

 

Die beiden Nepomuks von Štětí

Štětí ist eine neue Stadt, in der man die kleine Barockkirche mit dem roten Blechdach und -turm kaum betrachten kann, ohne auch fortschrittliche Wohnbebauung zu sehen.

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Doch so wenig Altes es in dem Städtchen an der Elbe in Nordböhmen gibt, es hat zwei Johannes von Nepomuks und eigentümlicherweise stehen beide vor der Kirche.

Die linke Nepomukskulptur ist völlig konventionell, der Heilige steht auf einem schlichten schmalen Sockel ohne Inschrift, trägt ein Birett, hält rechts ein Kruzifix und links einen Palmzweig.

Die rechte ist ein Kunstwerk, auf das Štětí stolz sein kann. Nepomuk hält das Birett in der links neben dem Körper ausgestreckten Hand und hat den also bloßhäuptigen Kopf verzückt nach oben gewandt, so daß er in die Eichenzweige über sich statt zu dem hoch in seinem anderen Arm ruhenden Kruzifix blickt. Sein ganzer Körper ist in einer Bewegung von links unten nach rechts oben.

Neben ihm auf dem Sockel, der hier von Voluten getragen breiter wird, sitzen zwei Engelchen. Der linke hat ein medaillonartiges Bildnis von Maria mit Jesuskind im Arm,

der rechte legt den Finger auf den Mund und hält ein Schloß in der Hand.

Das drückt die besondere Verbindung mit Maria, die als einzige andere Heilige Sterne im Heiligenschein hat, und die Bewahrung des Beichtgeheimnisses aus, wie jeder, der Nepomuk kennt, sofort weiß.

Weit ungewöhnlicher und unklarer ist die Szene, die vorne auf dem Sockel im Relief gezeigt ist. Links kniet ein Heiliger auf einem Kissen – Nepomuk? – noch links vor ihm liegt eine Krone und schräg darüber greift er zu einem Ring an der Wand, einem Türklopfer mit Löwenkopf, während über ihm ein Engel, der einen Lorbeerkranz in der einen und einen Palmwedel in der anderen Hand hält, in Wolken, aus denen Sonnenstrahlen zum Heiligenschein hervorbrechen, schwebt und rechts dicht neben, also hinter ihm, ein Mann mit Kappe, weit nach rechts ausholender Hand im dort wallendem Mantel und der anderen Hand am Schwert im Begriff scheint, ihn zu erstechen.

Man sieht hier, wie ein Heiliger hinterrücks ermordert wird, doch Johannes von Nepomuk wurde nicht erstochen, sondern von der Brücke in die Moldau gestürtzt. So könnte man lange rätseln, welcher Teil der Nepomukgeschichte hier gemeint ist, und würde doch zu keinem Ergebnis kommen, denn das Relief zeigt nicht ihn, sondern den heiligen Václav (Wenzel). Der halblegendäre Gründer des tschechischen Staats ist hier in dem Moment gezeigt, da er in einer Kirche von seinem Bruder Boleslav oder in dessen Auftrag ermordet wird. Ohne weitere Kenntnisse kann man das kaum erkennen, aber es macht Štětís zweiten Nepomuk noch interessanter, daß er zusätzlich ein halber Václav ist.

Daß beide Skulpturen vor der Kirche stehen, erklärt sich wohl dadurch, daß die sozialistische Tschechoslowakei eine von ihnen im Zuge des Um-, nein, Neubaus der Stadt von einem zentralen Platz ins Exil schickte. Das ist nicht schlimm, aber schade, daß sie Štětí an seiner Stelle keine ebenbürtige sozialistische Kunst gab.

Doubravice und die Kunst

Doubravice ist ein Dorf im westlichen Mähren, das nur aus einer langen Straße und einer kurzen Abzweigung Richtung Moravičany besteht. Es ist kein großes Dorf, eines jener Dörfer, wo der Ortsname zugleich der einzige Straßenname ist. Künstlerisch gerahmt ist es auf vorbildlich katholisch-barocke Weise.

Bei seinem Anfang steht ein Johannes von Nepomuk auf einem stattlichen Volutensockel mit lateinischer Inschrift und Chronogramm für das Jahr 1773, von dem zu seinen Füßen noch zwei weitere Voluten mit kleinen Engelchen abstehen. Während der linke Engel in konventioneller Verschwiegenheitssymbolik einen Finger vor den Mund hält, zeigt sich Nepomuk mit in der Hand gehaltenem Birett auf zumindest nicht allerkonventionellste Art.

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Heute steht er in einer dreieckigen Verkehrsinsel (fünf Ecken wären besser), um die zwei Schilder und zwei Aufschriften im Asphalt die Forderung „STOP“ aussprechen.

Kommt man ihr nach, kann man das links am Straßenrand stehende kleine Steinkreuz, Überbleibsel einer Zeit, als die Religion auf dem Land noch weniger Mittel für Kunst hatte, und die Menschen sich selbst helfen mußten, bemerken, doch so ist das vielleicht nicht gemeint.

Am Ende des Dorfs, bevor die Straße sich leicht verbreitert und in einem Wendekreis endet, steht eine einfache Kapelle, die barock ist, auch wenn sie aus dem 19. Jahrhundert sein sollte, und davor ein Kruzifix auf einem hohen mehrteiligen Sockel.

Auf dem unteren Teil des Sockels sind Thomas, Maria und Matthias in einfachen Reliefs mit deutlich hervorgehobenen Attributen und mit ihren Namen auf wolkengetragenen Bändern dargestellt.

Unklarer und im Stil feiner ist eine Sammlung bäuerlicher Geräte, nein, Waffen auf einem schmalen oberen Teil des Sockels. Der Dreschflegel mit fünf Sternen ist vielleicht ein Bezug auf Johannes von Nepomuk und wertvoller als die Skulptur am Dorfanfang.

Zu diesem katholischen Rahmen kommt in Doubravice wie in jedem tschechoslowakischen Dorf die säkulare Repräsentation der ersten Republik. Das erschöpft sich hier in einem Denkmal für die Toten des ersten Weltkriegs mit Adler, Trauerrelief, Namen und Inschrift in der Grünfläche neben der Straße und einem Gedenkstein für Opfer eines Unfalls mit einem nicht explodierten Geschoß gegen Ende des zweiten Weltkriegs.

„Den gefallenen und gestorbenen Helden im Weltkrieg widmen dies die Eltern, Verwandten und Bürger der Gemeinden Doubravice und Mitrovice.“

Aber in Doubravice gibt es noch andere Kunst, die weniger offiziell, obwohl eng mit der Zeit des Sozialismus verbunden ist. Nicht Skulpturen, sondern Wandmalereien sind ihre Ausdrucksform. Viele Häuser an der Straße wurden in den Sechzigern und Siebzigern neugebaut oder bekamen neue Fassaden, was den Anlaß für die Kunst, die denn auch immer Teil der übrigen Fassadendekoration ist, gab. Zweigeschossig, parallel zur Straße, aber hinter einer gemeinsamen Grünfläche weit zurückgesetzt, und mit meist mittigem Tor sind es eindeutig Bauernhäuser, die auch älter sein könnten.

Zum mehr oder weniger hellen und manchmal mit Glassplittern zum Funkeln gebrachten beigegraubraunen Putz, der so typisch für die Zeit und die sozialistischen Staaten ist, kommen jeweils Farben, nein, kommt zu jedem Haus eine einzige dominante Farbe. In ihr sind dann Fenster und Türen gerahmt oder ornamentale Bänder unter das Dach gezogen oder Holzteile akzentuiert oder von horizontalen Linien getrennte Flächen, wie sie für die tschechoslowakische Einfamilienhausarchitektur schon seit der ersten Republik charakteristisch sind, eingefärbt.

Auch die eigentlichen Wandbilder sind zumeist in der jeweiligen Farbe gehalten. Im einfachsten Fall können das zwei winzige Früchte in einem Giebel sein.

Bei den drei größeren Wandbildern sind die stilistischen Unterschiede auffällig. Gleich zu Anfang von Doubravice ist auf der bloßen grauen Wandfläche des Hauses mit der Nummer 1 ein schwarzer Rahmen mit stilisierten Schilfpflanzen vor Bergen, die nur zwei zackige blaue Linien sind.

Etwa in der Ortsmitte ist ein Haus, das über dem Tor in Rot einen großen stehenden Löwen vor einer (Stadt)Landschaft mit Kirche und mit den Tatzen auf Zinnen zeigt. Es ist ein Motiv, das stilistisch wie inhaltlich aus dem 19. Jahrhundert sein könnte, aber „J.K. 1972“ ausgewiesen ist.

Ganz anders sieht es mit dem Haus beim Weltkriegsdenkmal aus. Auf einer Wand links des Tors angeordnet hat es ebenfalls einen schwarzen rechteckigen Rahmem, hier mit ockergelber Füllung. In ihm ist links oben in einem unregelmäßigen Viereck ein schwarz-weißes Blumenbukett, doch rechts in der Ecke außerdem ein gewölbtes Gitterraster wie von einem Radarschirm, aus einer frühen Computeranimation oder dem Modell eines hyperbolischen Paraboloiden. Die konventionelle dekorative Naturform wird mit der technischen Form kontrastiert und das Kunstwerk tritt in die Gegenwart des klein benannten Jahres „1967“.

Das übrige Haus erweist sich dem besten Wandbild von Doubravice würdig. Über dem Boden ist ein angedeuteter Steinsockel mit Zickzackmuster, unter dem Dach ist ein gelbes Kassettenband und im horizontalen braunen Holz des Tors sind oben in beiden Flügeln von der Mitte schräg nach oben breiter werdende gelbe Obeliskformen.

Hier erreicht das in Doubravice zu sehende Dekorationsprogramm seinen Höhepunkt, hier entsteht ein wirkliches Kunstwerk. Möglich, daß es noch mehr gab, was inzwischen unter Wärmedämmung verschwand.

Stilistisch lassen sich diese Wandbilder kaum einordnen, denn obwohl sie sehr verschieden sind, gehören sie doch alle in dieselbe Epoche des Dorfs. Es ist eben die Kunst, die auf dem tschechoslowakischen Dorf entstand, letztlich gleichgültig gegenüber den aktuellen Moden, wenn auch nicht unbeeinflußt von ihnen. Doubravice wollte sich bloß zeitgemäß dekorieren und nicht mit dem Kunstbetrieb in den Städten mithalten, weshalb Begriffe wie sozialistischer Realismus oder abstrakte Kunst, die dort vielleicht diskutiert wurden, nicht nur unpassend, sondern gegenstandslos wirken. Daß diese Kunst aber mit dem Sozialismus verbunden ist, weil der eben die Häuser baute, sieht man daran, daß es im Nachbardorf Moravičany, das einen Bahnhof, eine Kirche, Industrie, einen coop Jednota und viele Häuser aus der ersten Republik hat, keine solchen Wandbilder an Häusern gibt.

So koexistieren im kleinen Doubravice den historischen Zufällen geschuldet barocke Skulpturen mit Wandbildern aus der ČSSR und das geht durchaus harmonisch zu.

Johannes von Nepomuk zwischen Engeln

In Kłodzko steht Johannes von Nepomuk nicht nur mit anderen Heiligen auf der gotischen Brücke, die in den oberen Teil der Altstadt führt, und bei der Mariensäule beim Rathaus, sondern auch allein und größer vor der gotischen Kościół Wniebowzięcia Najświętszej Marii Panny (Mariä-Himmelfahrts-Kirche). Ist deren enger Bereich von preußischen Mietskasernen umstellt und entsprechend unangenehm, so hat Nepomuk immerhin den besten Platz gegenüber dem Eingang der Kirche.

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Die Skulptur entspricht ganz den Konventionen und der hohe Sockel trägt eine lateinische Inschrift und das Wappen des stiftenden Statthalters Maximilian Mitrowski von Mitrowiz.

Auch ist Nepomuk nicht ganz alleine, denn auf vier bis auf die Höhe des Sockels reichenden Säulen in den Ecken des ihn umgebenden Steingeländers stehen, nein, knien vier kleine Engelchen, die auf ihn bezogene Attribute tragen. Links vorne ist dies der Palmzweig der Märtyrer

und links hinten der zum Zeichen der Verschwiegenheit auf den Mund gelegte Finger sowie ungewöhnlicherweise ein Eichenzweig.

Den beiden rechten Figuren aber scheint etwas zu fehlen, das sie zwischen den unten und oben ausgestreckten Händen trugen, so daß sie etwas hilflos in einer sinnlos gewordenen Geste daknien.

Dasselbe ließe sich gewiß von barocken Heiligenskulpturen allgemein sagen, für die sich auch im katholischen, aber völlig marien- und papstfixierten Polen niemand mehr interessiert.

Für den Nepomukfreund aber ist diese Darstellung seines Lieblingsheiligen sogar besonders interessant, weil sie mit den vier Engelchen den Standardtyp der Nepomukdenkmäler ergänzt. Noch interessanter wird sie dadurch, daß im dreißig Kilometer westlich an der tschechischen Grenze gelegenen Lewin ein ähnlicher Nepomuk steht und also vielleicht von einem der einstigen Grafschaft Glatz (Kłodzko) spezifischen Untertyp zu sprechen ist.

Auf dem Rynek (Marktplatz) von Lewin, der von der Straße, die ihn der Länge nach durchzieht, leicht ansteigt, steht Johannes von Nepomuk unübersehbar in der Mitte des unteren Teils. Weder ein kleines neues Denkmal links noch eines mit Grunwaldschwertern rechts oben und auch nicht die meist einfachen und schmucklosen Häuser können oder wollen mit ihm konkurrieren. Einzig ein riesiger Bau in der Mitte der oberen Platzseite mit geradezu rokokoartigen Blumenornamenten, zwei hohen Geschossen und einem großen, durch ein auffälliges gewelltes Sims geteilten Giebel vor dem Dach – ein Bau, der weder Kirche noch Rathaus ist und als freistehendes Schloß vielleicht weniger erstaunen würde denn als Teil einer Platzbebauung – zieht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich, doch anders als der frischrenovierte Nepomuk ist er in recht desolatem Zustand.

Der Lewiner Johannes von Nepomuk steht auf einem mit lateinischen Chronogrammen und einer deutschen Inschrift geschmückten Sockel, aber dieser ruht seinerseits auf einer weit über einen zweiten Sockel herausragenden quadratischen Plattform, in deren Ecken auf quadratischen Erweiterungen vier Engel angeordnet sind.

Sie stehen hier aufrecht und tragen, wiewohl halbnackt, wallende Gewänder, die sich auch über die Flügel auf ihren Rücken legen. Der links vorne hält ein offenes Buch, in das er zeigt, der rechts vorne einen fünfsternigen Heiligenschein, der rechts hinten eine Art runden Käfig mit einer Zunge, anderes Symbol der Verschwiegenheit, und der links hinten Ketten mit Handschellen.

Angesichts dieses Beispiels von 1717  kann man vermuten, daß die rechten Engelchen beim 1731 errichteten Nepomuk in Kłodzko einst Heiligenschein und Zungenkäfig hielten.

In Lewin jedoch sind die Engelchen nicht nur allegorische Zusätze zum Nepomukdenkmal. In einem Bogen von rechts unten nach links und weiter nach rechts oben verläuft auf der Rückseite der Skulptur, über Rock und Mantel des Heiligen, ein Band aus Wolken. Es kulminiert auf seiner in einer Ballung aus Wolken und Gewandfalten, aus der ein Arm ragt und einen Heiligenschein stützt.

Von vorne, nun links neben dem Kopf des Heiligen, erkennt man das schwebende Engelchen mit heiligenscheinumgebenem Kruzifix in den Armen.

Es präsentiert Nepomuk, der den Kopf zu ihm gewandt und eine Hand überrascht auf die Brust gelegt hat, sein Attribut, überreicht ihm das Kruzifix, das er von nun an tragen wird. Die Szene selbst gibt es öfter, aber wie sie sich hier mit den umstehenden Engeln verbindet, ganz konkret durch ein Band verbindet, ist meisterhaft. Während Nepomuk zumeist einfach dasteht und auch in Kłodzko einfach von Allegorien begleitet ist, wird hier eine ganze Geschichte voller Bewegung und Dramatik erzählt. Dieser Nepomuk allein genügt als Grund, das kleine Lewin zu besuchen.