Archiv der Kategorie: Olomouc

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Olomouc

Der Hauptbahnhof (hlavní nádraží) von Olomouc ist Ausdruck gleich zweier Umbruchszeiten.

(Bilder zum Vergößern anklicken)

Architektonisch zeigt das 1938 errichtete Gebäude die Unentschlossenheit der ersten tschechoslowakischen Republik der Zwischenkriegszeit. Die hohe Fassade der mittigen Halle ist bestimmt von eckigen vertikalen Streben aus grauem Stein zwischen den Fenstern und die mittlere Strebe ist bis über das Dach fortgesetzt, wo ein riesiges geflügeltes Rad aus Bronze steht. Es ist eine nur die Vertikalen betonende einschüchternde Monumentalität.

Doch schon die Seitenbauten, die neben der Halle weit zurückgesetzt stehen, sind ganz anders. Die Treppenhaustürme etwa wirken als sachliche kubische Körper mit roter Kachelverkleidung, vertikalen Fenstern und ziffernlosen Uhren viel menschlicher und sachlicher.

Von der Bahnsteigseite besehen ist auch die Halle, deren grauer Dachstreifen an den Seiten neben dem eigentlichen fast flachen Dach aufgestützt weiterläuft, viel weniger monumental.

Die künstlerische Gestaltung im Inneren der Halle zeigt dann ein eigentümliches Wechselspiel aus fortschrittlichen und stalinistischen Elementen aus der Zeit des tschechoslowakischen Sozialismus, dem Jahr 1960. Unter den seitlichen Fenstern sind auf gut zu betrachtender Höhe lange horizontale Bronzereliefbänder von Jaromír Šolc. Das linke zeigt die Welt der industriellen und technischen Arbeit und endet nach innen mit einem von einem Arbeiter ausgeschickten Sputnik.

Das rechte zeigt die Welt der landwirtschaftlichen Arbeit und endet mit einem Hahn, der vor dem Sonnenball kräht.

Es sind Werke in einem lebendigen, menschlichen, realistischen Stil, die auf einfache Art eine sozialistische Aussage erreichen. Arbeiter und Bauern sind nicht bloß gezeigt, sondern man kann spüren, was sie ausmacht.

Diese beiden Reliefbänder leiten über zu einem Wandbild im großen Halbrund gegenüber dem Eingang, unter dem es zu den Bahnsteigen geht. Lebensfreude soll es wohl zeigen, tanzende, feiernde Figuren, teils in Trachten der umliegenden Region Haná. Aber sie sind in einem ganz leblosen, schlecht realistischen Stil dargestellt und noch dazu bloß als silbrig-weißes Sgraffito auf rotem Grund, obwohl Lebensfreude doch gerade Farbe braucht.

Darunter steht immerhin eine schöne Zeile: „Rozkvětá kraj, má milovaná zem – když dělníci a ženci prácí tvořívou ji věnčí.“ (Es erblüht die Landschaft, mein geliebtes Land – wenn Arbeiter und Bauern [wörtlich für den Reim „Schnitter“] es mit schöpferischer Arbeit umkränzen.) Genau darum sollte es gehen, davon reden die Reliefs, doch dem Wandbild versagt die Sprache völlig.

Dieses Nebeneinander von gelungener und mißlungener Kunst ist sehr typisch für die Tschechoslowakei. Daß der Maler Wilhelm Zlamal ein tschechoslowakischer Deutscher, der zudem in den frühen Vierzigern in Deutschland studiert und gearbeitet hatte, war, ist ein interessantes Detail, aber nicht entscheidend für die Fehler des Wandbilds, denn in Auftrag gab es der sozialistische tschechoslowakische Staat. Während die Banalität des schlechten stalinistischen Stils des Wandbilds im Laufe der sechziger Jahre völlig überwunden wurde, wurden die fortschrittlichen Tendenzen von der Reliefs auch nicht entschieden genug fortgesetzt. Zehn, ach, bereits fünf Jahre später wären in der Bahnhofshalle von Olomouc vermutlich ausschließlich abstrakte Kunstwerke angebracht worden, was im Falle des Wandbilds ein Schritt nach vorne und im Falle der Reliefs einer nach hinten gewesen wäre.

Die tschechoslowakische Bahnhofsarchitektur immerhin ging nach den unnötig monumentalen Anfängen in der ersten Republik immer nur, mit wenigen Umwegen, nach vorne und jeder neue Bahnhof wurde großartiger als der vorangegangene bis hin zur Apotheose in Poprad.

Orloj Olomouc

Diese Uhr ist eines der Wahrzeichen von Olomouc. Sie befindet sich an der nördlichen Seite des Rathauses in einer haushohen spitzbögigen Nische, die von einem geschwungenen Giebel mit dem rot-weißkarierten Olomoucer Adler abgeschlossen ist.

Aus Haupt, Klaus: Aus meiner zweiten Heimat - ČSSR, Leipzig 1976

Aus Haupt, Klaus: Aus meiner zweiten Heimat – ČSSR, Leipzig 1976 (Bilder zum Vergrößern anklicken)

Es braucht nur einen Blick, um zu sehen, daß diese Orloj (das Wort ist vom französischen horloge abgeleitet und wäre mit Turmuhr oder besser astronomische Uhr zu übersetzen) in ihren heutigen Formen ein Werk der frühen Fünfziger ist, „komunistický orloj“ wird sie in Olomouc auch genannt. Die Nische ist völlig ausgefüllt von Mosaik, dessen Grundfarbe Gold ist. An den Seiten sind in grünen Kreisen Bauern im Laufe der Monate dargestellt. Unten, auf Höhe der Betrachters, aber weit überlebensgroß, steht links ein Arbeiter und rechts ein Wissenschaftler. Im oberen Teil sieht man einen Zug von Mädchen in Trachten der Haná, der Gegend um Olomouc, und, schon im Bogen, drei Reiter in entsprechenden Trachten.

So ist von den Repräsentanten des Sozialismus und der Region die eigentliche Uhr gerahmt. Sie beginnt unten zwischen Arbeiter und Wissenschaftler mit einem großen Kreis, der die Tage des Jahres mit Namenstagen und wichtigen Daten wie dem Internationalen Kindertag oder Geburts- und Todestagen von Lenin, Stalin, Gottwald zeigt,

OrlojOlomoucLenin

während in der Mitte kleinere Kreise die Mondphasen, den Tag des Monats, den Monat und den Wochentag anzeigen. Darüber ist ein ebensogroßer Kreis mit Tierkreiszeichen, flankiert von kleineren Kreisen mit einer Vierundzwanzigstundenuhr, einer Anzeige des aktuell sichtbaren Sternenhimmels, einer normalen Uhr und einer Anzeige der Minuten der Stunde.

Schon hier kann man sich fragen, was gerade etwas Esoterisches wie die Tierkreiszeichen, in deren vielzeigriger Anzeige man wohl auch verrückte Dinge wie Aszendenten ablesen kann, mit dem Sozialismus zu tun haben soll, wobei auch keine hinreichende Erklärung ist, daß das eben von der früheren Version der Orloj übernommen ist. Aber das eigentliche Problem der Orloj ist ein künstlerisches. Die Mosaike heben sich von der üblichen stalinistischen Qualität kaum ab, wenn auch immerhin der Arbeiter, in blassblauem Overall und Mütze, Schraubenschlüssel in der Hand, dem Betrachter mit einem so selbstbewußten wie lebensvollen Blick zugewandt ist.

OrlojOlomoucArbeiter

Den Mittelpunkt der Orloj, zwischen dem zweiten Anzeigenfeld und dem Zug der Mädchen, bilden jedoch kleine, wohl hölzerne Figuren in kleinen Öffnungen.

OrlojOlomoucFiguren

Links stehen oben zwei Schmiede mit einem Amboß, rechts zwei Flötenspieler um einen Notenständer und darunter sind jeweils Figuren, die wohl die Gesellschaft repräsentieren sollen, auf sich drehenden Plattformen angeordnet. Das Problem ist, daß diese Figuren in ihrem kleinlichen Naturalismus ganz genau so aussehen wie jene Männchen, die man in Modelleisenbahnlandschaften findet. Wenn sie dann mittags hämmern und musizieren und sich im Kreis drehen, wirkt das nur lächerlich. Sogar der goldene Hahn, der in der Mitte vor einem runden goldenen Gitter hängt, wird zum jämmerlichen Hähnchen, wenn er mit seinen mageren Flügeln zu flattern beginnt.

Die großartige Idee, ein traditionelles Gestaltungselement wie die astronomische Uhr mit zeitgemäßem, sozialistischem Inhalt zu füllen, scheitert so an der künstlerischen Ausführung. Wahrzeichen von Olomouc ist die kommunistische Orloj allerdings noch heute im rabiat antikommunistischen Tschechien. Pünktlich um zwölf Uhr mittags versammeln sich dort im Jahre 2015 nicht weniger Menschen als auf diesem Bild von 1975.

Aus Smahel, Rudolf: Flora Olomouc, Martin/Ostrava 1980

Aus Smahel, Rudolf: Flora Olomouc, Martin/Ostrava 1980

Zeigt, wie wenig Wahrzeichen mit künstlerischem Wert zu tun haben und daß sie sogar stärker als jede Politik sein können.

Ortlose und ortsgebundene Architektur

Zwei Beispiele aus Olomouc:

Das Klášterní Hradisko (Kloster Hradisko) ist ein ortloses Gebäude. Es liegt zwar unweit des Ufers der Morava und in Sichtweite der Altstadt von Olomouc, aber nichts verbindet es wirklich mit ihnen. Selbst der niedrige Hügel, auf dem es steht, ob er nun natürlicher oder menschlichen Ursprungs ist, könnte überall sein. Eher als ein spezifisches Gebäude, das in Olomouc steht, sollte man dieses als einen Gebäudetyp verstehen, der überall auf der Welt, wo im späten 17. Jahrhundert Kloster gebaut wurden, stehen könnte.

KlášterníHradisko

(Bilder zum Vergrößern anklicken)

Die Anlage bildet ein großes Rechteck, das von dreigeschossigen Gebäudeteilen mit Walmdach und einer äußerst regelmäßigen, durch eher angedeutete Pilaster gegliederte Fassade umschlossen ist. In den vier Ecken sind achteckige Türme, die aber nur mit ihren als dicke Zwiebelformen beginnenden und in schlanken Laternen endenden Hauben über die Dächer aufragen. Genau in der Mitte erhebt sich ein schlankerer und höherer Turm, der erst quadratisch, dann achteckig ist und von einer ähnlichen, aber ebenfalls weit schlankeren und höheren Haube abgeschlossen wird.

KlášterníHradiskoEingang

Eine Allee führt auf den Eingang zu. Wo sie endet, steigt die Straße mit dem Hügel an und auch das Gebäude selbst steigt vor einem an. Die seitlichen Türme und die beschriebene Fassade bilden hier bloß noch den Rahmen für den nunmehr viergeschossigen Eingangstrakt mit seinem hohen Walmdach. An seinen Seiten sind nun wirklich Pilaster mit gar vergoldeten korinthischen Kapitellen und über die Fenster setzen sich Giebel. Ganz in der Mitte wölbt sich das Gebäude in leichtem Schwung nach vorne, das dritte, nun zum zweiten gewordene Geschoß hat riesige Fenster, das darüber nur kleine ovale, dazwischen lenken vier der Pilaster den Blick in die Höhe, wo vor einem noch höheren Walmdach ein dreieckiger Giebel und eine Balustrade, auf denen Heiligenfiguren stehen, den Abschluß bilden. All das will Macht repräsentieren und tut das auch, aber während es in der Enge einer Stadt erschlagend wirken würde, wird es in der Ortlosigkeit, die dem Gebäude noch im heutigen Olomouc erhalten ist, viel harmloser, ja, geradezu menschlich. Gerade auch durch den Weg auf den Eingangstrakt zu, hatte man Zeit, sich mit den, ziemlich sparsam und klar eingesetzten, Repräsentationselementen auseinanderzusetzen, bevor sie einen erschlagen konnten.

Und eigentlich will man ohnehin nur durch das nicht zu große Tor ins Innere. Man tritt in ersten rechteckigen Hof, der sich nach links und rechts erstreckt, und hat direkt vor sich den Turm. Er ist viel zu hoch, um in diesem Hof zu wirken, seine Proportionen sind wie verzerrt, wenn man hinausblickt, aber er richtet sich auch nicht an den Hof, sondern an die weite Umgebung draußen. Der Hof ist von den nun zweigeschossigen Gebäudeteilen umgeben, deren Fassaden etwa wie von außen sind. Doch links des Turms wird die Symmetrie aufgebrochen durch eine Kirche, die hier den Quertrakt bildet und auch von außen in der Mitte der westlichen Fassade durch einen Giebel und andere Fenster sichtbar ist. Vor die Mitte der östlichen Fassade wiederum ist eine ovale, durch schlichte hohe Pilaster gegliederte Kapelle vorgesetzt, die mit einem Verbindungstrakt angeschlossen ist.

Das Gebäude, 1697 beendet, ist Barock in Reinform, aber keineswegs geprägt von Überladenheit und Protz, sondern von Klarheit und Zweckmäßigkeit. Vielleicht deshalb eignet sich das Gebäude auch so gut als Militärkrankenhaus, das es nun schon seit 1802 für die unterschiedlichsten Staaten ist. Aber, allen Qualitäten zum Trotz, ist es ein Stück völlig ortloser Architektur.

Ganz in der Nähe ist ein Wohngebiet, Lazce, und bei diesem handelt es sich um durch und durch ortsgebundene Architektur. Seine zentrale Achse ist ein großzügiger Weg entlang einiger zweigeschossiger und flacher Gebäude mit Läden, Restaurants, einer Kaufhalle. An seiner anderen Seite sind Grünflächen, um die sich achtgeschossige Wohngebäude als weite, etwa halbkreisförmige Schalen legen.

Lazce

Ihre Anordnung ist nichts anderes als eine Öffnung zur nahen Altstadt von Olomouc, auf deren Türme sich aus den Wohnungen hinreißende Blicke bieten. Nach dem letzten Flachbau, bevor ein Schulgelände folgt, biegt der Weg schräg zwischen die Wohnbebauung ab. Auch von dem dortigen, fast parkartigen Grünbereich besteht eine direkte Blickverbindung zum sogenannten Dóm, der katedrála sv. Václava.

LazceDóm

Weiter durchs Wohngebiet führt dann eine Straße, an der links mit niedrigeren fortschrittlichen Wohngebäuden durchmischte Einfamilienhäuser sind, während sie rechts drei achtgeschossige Punkthäuser markieren. Hinter diesen aber öffnet sich die Wohnbebauung aufs Neue in weiten Halbkreisen, diesmal zur Morava, zum Klášterní Hradisko am anderen Ufer und, da die Stadt dort bald schon endet, zur umliegenden Landschaft.

LazceMorava

Alles an diesem kleinen Wohngebiet ist also an seine Umgebung, an seinen Ort, angepaßt. Ob sich die einzelnen Gebäude von denen in anderen Teilen der Tschechoslowakei unterscheiden, ist nicht mehr zu sagen, seit sie alle neue wärmegedämmte Fassaden haben, aber in dieser Anordnung gibt es sie nur hier im Norden von Olomouc, da diese Anordnung von diesem Ort bestimmt ist. Gerade in dieser Fähigkeit, nicht nur in sich selbst harmonische, sondern auch auf andere Teile der Stadt bezugnehmende Räume zu schaffen, zeigt sich die große Leistung der fortschrittlichen Architektur.

Zweierlei Barock

Oft passiert es, daß man geneigt ist, Karel Teige rechtzugeben und an die Stelle der überkommenen Stilbezeichnungen der Architektur eine neue Einteilung, die von den Bautechniken ausgeht, setzen zu wollen. Es gäbe dann die Epoche der aufeinandergeschichteten Steine, die Epoche der Bögen und die Epoche des Stahls und Betons. Denn die alten Stilbezeichnungen sind eben so irreführend. Nichts beispielsweise hat die menschliche, horizontale Gotik Venedigs mit der typischen französischen und deutschen Gotik gemein. Während man das noch mit der geographischen Entfernung erklären mag, zeigt das nächste Beispiel, wie sehr sich auch Ausprägungen eines einzelnen Stils, in dem Falle des Barock, in geographisch und historisch eng verbundenen Gegenden unterscheiden können.

Es soll um zwei Pestsäulen gehen, eine in Wien und eine in Olomouc, beide unter den Wahrzeichen ihrer an Wahrzeichen nicht eben armen Städte. Wie sehr die beiden Städte miteinander verbunden sind, kann man schon daran erkennen, daß sich der Wiener Hof während der Revolution von 1848 dorthin rettete und Olomouc so den traurigen Ruhm hat, daß Franz Josef I dort zum Kaiser gekrönt wurde.

Zuerst die Wiener Pestsäule am Graben, ganz im Zentrum der Stadt, etwa in der Mitte eines Straßenzugs, der sich heute, weil er Fußgängerzone ist, eher als langgestreckter Platz zeigt, ringsherum hohe Büropaläste der k.u.k.-Zeit.

PestsäuleGraben

(Bilder zum Vergrößern anklicken)

Der Y-förmige Sockel ist noch bestimmt von einer gewissen Ruhe und Klarheit, eben ein Träger für verschiedene Reliefs und Inschriften.

Sockel

Die untere der beiden Skulpturen vor der Vorderseite, eine Allegorie für den Sieg über die Pest, kontrastiert mit dem Sockel in dramatischer Bewegtheit. Aber schon die obere der Skulpturen, ein knieender Kaiser, leitet zum oberen, weit größeren Teil der Säule über. Dieser bäumt sich auf als ein hohes Gebilde aus vielfach abgerundeten Formen.

Gewalle

Nichts Festes bietet sich dem Blick, alles ist ein verwirrendes Gewalle ohne Anfang und Ende. Man kennt das aus den Innenräumen barocker Kirchen, hier nun ist es ins Freie verpflanzt. Es sieht aus, als wären die Weihrauchschwaden, die diese Kirchen durchzogen haben mögen, Stein geworden. Es sind Formen, gebaut, den Geist zu vernebeln, alles rationale Denken unmöglich zu machen. Es ist das Opium fürs Volk ausgedrückt mit bildhauerischen Mitteln. Darstellen soll es wohl Wolken, auf denen allerlei Engel und ganz oben der dreifaltige Gott sitzen. Aber während das im Inneren einer Kirche noch angingen, also dort, wo eben alles eine hochabstrahierte Theaterbühne ist, ein Baudelaire’sches „paradis artificiel“ (künstliches Paradies), in dem ein Opiumrausch ja reizvoll sein mag, wird hier, unter freiem Himmel, im brutalen Licht der Sonne, allzu klar: Wolken sind so nicht und das nicht vor allem, weil keine Engel auf ihnen sitzen. Man sieht sie doch über sich, sieht ihre ständigen Veränderungen, ihre Komplexität. Wie jede schlechte Nachahmung beleidigt auch diese das Nachgeahmte nur. Viel eher als an Wolken erinnert das, was da inmitten von Wien herumliegt, an einen riesigen Haufen Scheiße, der auch dadurch daß er aus Marmor und Gold ist, nicht appetitlicher wird.

Ganz anders in Olomouc der Sloup nejsvětější trojice (als Dreifaltigkeitssäule übersetzt, wobei leider der schöne tschechische Superlativ nejsvětější, allerheiligst, verloren geht). Diese Säule steht unübersehbar hoch aufragend in der nordwestlichen Ecke des größeren der beiden Plätze der Stadt, aber in gebührendem Abstand sowohl zum Rathaus als auch zu den anderen Gebäuden. Als höchste Skulptur der tschechischen Republik wird diese Säule beworben und ist sie Weltkulturerbe.

Aus Československo, Praha/Bratislava 1988

Aus Autorenkollektiv: Československo, Praha/Bratislava 1988

Aber die Bezeichnung Säule oder Skulptur ist hier eigentlich irreführend. Eher als das ist sie ein Gebäude. Auf sechseckigem Grundriß steigt es drei Geschosse, deren Flächen kleine runde Fenster und Reliefs haben, an. An den Ecken sind Sockel mit Heiligenskulpturen so vorgesetzt, das sich eine Pyramidenform ergibt. Das ist gewiß eine große Menge an skulpturalem Schmuck, aber der bleibt immer der klaren und regelmäßigen Struktur des Gebäudes untergeordnet.

Sloup2

Aus Němec, František/Mager, Hasso: Tschechoslowakei, Leipzig 1980

Auf dem dritten Geschoß, umgeben von weiteren Skulpturen, ragt eine ionische Säule, die zugleich auch Obelisk sein will, auf. Erst an und vor allem auf ihr finden sich die wallend runden vergoldeten Formen, die die Wiener Säule so sehr bestimmen, aber hier wirken sie noch mehr als sonst wie bizarre Geschwüre ohne Zusammenhang mit der übrigen Architektur und den übrigen Skulpturen. Im Inneren dieser Säule schließlich ist eine winzige Kapelle, aber das braucht es gar nicht zur Illustration, daß sie ein Gebäude ist.

Auch die naheliegende theologische Interpretation der beiden Pestsäulen ist sehr verschieden. Während in Wien Gott und seine Engel etwas Diffuses, Unfaßbares bleiben, zu dem von der Erde, vom Sockel, kein Weg führt, sind in Olomouc die Heiligen wie auf Treppen hinauf zu Gott angeordnet. Doch, und das ist die sympathischere, sicher nicht beabsichtigte Interpretation, Gott ist so fern, so hoch oben auf seiner Säule, daß man ihn genausogut ignorieren und sich ganz den wesentlich näheren Heiligen widmen kann – die haben ihm gegenüber auch den Vorteil, wirklich existiert zu haben.

Diese Beispiele helfen vielleicht zu verstehen, wieso jeder Stil, wenn man denn der Verständlichkeit halber bei den überkommenen Einteilungen bleibt, als eine Mischung fortschrittlicher und reaktionärer Elemente, die im ständigen Widerstreit miteinander stehen, verstanden werden muß.