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Wallfahrt nach Unterasbach

Mit Unterasbach bei Gunzenhausen hat Michael Schwarz, die Höflichkeitsliga, Höflich, nichts zu tun.

Dabei hätte alles so gut gepaßt! Die Kirche St. Michael liegt auf halber Höhe zwischen Unterasbach, das nur aus ein paar Häusern besteht, und Oberasbach, das größer ist und eine eigene Kirche hat. Ein Weg von Gunzenhausen hierher führt durch einen Wald, in dem der Limes verlief, so daß die Kirche noch genau südlich, in der Zivilisation, liegt, und an einem Sportflughafen vorbei. St. Michael steht alleine zwischen den fränkischen Dörfern und ist doch größer als sie.

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Ein quadratischer Turm gotischen Ursprungs, dessen eines Spitzbogenfenster sogar Maßwerk hat, wurde durch einen achteckigen barocken Teil mit doppelten dorischen Pilastern, großen Rundbögen an vier Seiten und einer erst geschwungenen, dann spitzen Haube fortgesetzt. Barock und winzig neben dem Turm ist das Langhaus mit flach rundbögigen Fenstern, die nach Süden, ins Tal hin, größer sind, und noch kleinerem halbrunden Chor.

Vor der Kirche, etwas niedriger am Hang und leicht abfallend, ist der Friedhof. Ein kleines Rechteck nur, bloß wenige Gräber, ein großes Kruzifix, obwohl die Kirche evangelisch ist, doch die Lage über dem weiten Altmühltal, durch das manchmal modelleisenbahngroße Züge fahren, könnte besser gar nicht sein.

Wer hier begraben ist, bei St. Michael, ist weit über Unterasbach und fast allem sonst.

Als ich am 1. August 2022 auf einer fehlgeleiteten Wallfahrt hierher ging, war ein Sommerabend nach einem heißen Tag und in der Ferne Wetterleuchten. Auf dem Rückweg entlang der Landstraße im Tal fiel etwas Regen und als ich die Stadt erreichte, glühte der Himmel, als ob dort ein anderes Gunzenhausen lautlos in Flammen aufginge (dank an Pasolini).

Es hätte ihm gefallen, will ich schreiben, obwohl ich weiß, daß das sowohl anmaßend, da ich ihn nicht gut kannte, bloß sein Werk, als auch traurig ist, denn Michael Schwarz, die Höflichkeitsliga, Höflich, ist tot. Sein Grab ist in Unterasbach bei Nürnberg.

Unweit der S-Bahnstation, hinter Mehr- und Einfamilienhäusern aus den fünfziger, sechziger Jahren liegt der Friedhof. Er ist von vielen Seiten zugänglich, aber der Haupteingang befindet sich zwischen der Kirche St. Stephanus mit Pyramidendach und den um einen Hof angelegten technischen Räumen samt Trauerhalle.

Alles etwas Schwarz-Weiß vom Backstein der Mauern und Kupfer der Dächer, alles etwas kahl und leblos, obwohl es ein Friedhofscafé gibt, siebziger Jahre.

Auf dem weiten Gelände sind Reihen von Gräbern unter Bäumen, oft vorne der Familienname und hinten die Lebensdaten der Verstorbenen.

Dort an der Ecke eines Wegs hinter der Kirche ist das Grab.

Ein weißer Stein, oben abgerundet, links Rosenmuster, in der Mitte dunkelbraun der Name und die Lebensdaten in einer Schrift, bei der die mittleren Striche der Hs und des Es nach links verlängert sind:

Michael Schwarz
* 27.7.1979
+18.7.2019

Links über Eck auf dem Rand der kleinen Beetfläche, die von einer Gärtnerei gepflegt wird, die Worte „Suchet mich nicht hier -/Suchet mich in euren Herzen!“

Ein banales Grab auf einem banalen Friedhof in einem banalen Ort im Speckgürtel von Nürnberg. Vielleicht war es sogar banal, sich kurz vor seinem vierzigsten Geburtstag in Berlin vor einen Zug zu werfen. Hier ist kein St. Michael und keine Aussicht oder erst hinter dem Waldstück, das an den Friedhof anschließt, über eine offene Heidelandschaft zu Fernsehturm und Heizkraftwerk.

Nichts deutet darauf hin, daß hier der größte deutschsprachige Schriftsteller der letzten zwanzig Jahre liegt.

Doch so muß es sein. Michael Schwarz, die Höflichkeitsliga, Höflich, und sein Werk erwuchsen aus der Banalität, aus diesen tristen Straßen der Provinz, nicht aus schönen Orten über dem Altmühltal. Er machte erst schön, worüber er schrieb, sogar Nürnberg, dem er die Vernichtung wünschte und das ihn nun wie Hamburg und Berlin, Zwischen- und letzte Station seines Lebens, überdauert, keine zehn Kilometer sind es bis zur Altstadt. Er hätte die ganze alte Bundesrepublik schön gemacht, wenn er seinen Roman über sie beendet hätte. Die wahre Kirche St. Michael baute er in seinen Texten und wer sie kennt, kann nicht anders, als Gläubiger zu sein. Obwohl mir, der ich immer erst glauben kann, was ich sehe, keine andere Wahl blieb, müssen die wirklichen Wallfahrten nicht nach Unterasbach, sondern in den Blaster führen.