Am Rande des Hamburger Hafens steht ein tschechoslowakisches Juwel. Recht versteckt zwischen einem Hafenbecken und der großen Straße und Bahnstrecke vor der Wohnsiedlung Veddel, hinter dem gestuften Beton der Hochwassermauer und umgeben von hohen Silberpappeln, ist es doch sogleich am strahlenden Dunkelblau seiner Kunststoffverkleidung zu erkennen.
Es hat zwei dieser blauen Geschosse mit horizontalen Fensterbändern und vertikalen silbernen Metallstreben, die auf regelmäßigen eckigen Stützen aus weißem Beton ruhen.
Im solcherart geöffneten Erdgeschoß ist nur in der Mitte der nach vorne verglaste und zur linken Seite aus vertikal geriffeltem Beton bestehende Eingang. Links von ihm und dem Gebäude leicht vorgesetzt ist das Treppenhaus, das unten ebenfalls aus Beton ist, während es darüber nach vorne Backsteinverkleidung und seitlich Glasbausteine hat.
Dort oben vorm Backstein hängt ein weißes Schild, das neben einer weiß-roten Fahne mit blauem fünfzackigem Stern folgende Aufschrift trägt:
„Československá/plavební akciová společnost Labská/odbočka v Hamburku//Čechoslovakische/Elbe-Schiffahrts-Aktiengesellschaft/Niederlassung in Hamburg“
Diese Worte erstaunen nur halb, denn obwohl das Gebäude so schlicht ist, hat es etwas Vertrautes, etwas, das weiter elbaufwärts weist, wenn nicht unbedingt sechshundert Kilometer weit bis in die Tschechoslowakei, dann sechzig bis in die DDR. Und bei aller Schlichtheit ist da doch die ganze Brillanz der tschechoslowakischen Architektur. Die Aufstützung, die anderswo eine Spielerei sein könnte, dient hier dem Hochwasserschutz. Der Backstein ist ein subtiler lokaler Bezug, der das abgehobene tschechoslowakische Blau mit dem Boden des Hamburger Hafens verbindet. All das gilt auch für das linke Nebengebäude, das drei Geschosse mit Fenster- und Betonbändern sowie Backstein an den Schmalseiten und am Treppenhaus hat und Wohnzwecken diente, doch es ist zu unscheinbar und braucht unbedingt die Gesellschaft des schwebenden und leuchtenden blauen Baus.
In das Becken hinter den Gebäuden ragt ein einziger Steg und weiter links ist eine große Kaifläche mit Containern und einer Halle, aber heute ohne Hafenkräne.
Das ist der Hauptteil eines von zwei Bereichen in deutschen Überseehäfen, die die neuentstandene Tschechoslowakei im Versailler Vertrag zugestanden bekam (der andere ist im nunmehr polnischen Szczecin). Das Becken heißt Saalehafen, doch eine Verbindung zur Elbe verläuft über den passender benannten Moldauhafen und beide sind tschechoslowakisch. An die Zwischenkriegszeit, als die Tschechoslowakei sich hier zuerst ihre Hafenenklave einrichtete, erinnert architektonisch nichts mehr, doch eine kleine Spur ist im Namen der Čechoslovakischen Elbe-Schiffahrts-Aktiengesellschaft selbst. An der Verwendung tschechischer Sonderzeichen erkennt man eine spezifisch tschechoslowakische Rechtschreibung des Deutschen, die in der ersten Republik der Zwischenkriegszeit staatsoffiziell war, nach dem zweiten Weltkrieg aber unnötig wurde, da es keine nennenswerte deutsche Bevölkerung mehr gab. Den Name trug die Gesellschaft bei ihrer Gründung 1922 und bekam einen ähnlichen auch 1992 wieder, während sie in ihrer besten Zeit, als sie die drittgrößte Binnenschiffahrtsgesellschaft Europas mit über 700 Schiffen war, Československá plavba labsko-oderská, n.p. (ČSPLO – VEB Tschechoslowakische Elbe-Oder-Schiffahrt) hieß.
Noch heute sind der Uferstreifen am Saalehafen und ein weiterer am Moldauhafen souveränes, nunmehr tschechisches Territorium, auch wenn die Anlagen an allerlei obskure Firmen vermietet und in schlechtem Zustand sind. Und noch immer strahlt das blaue tschechoslowakische Juwel, dessen Baumaterial vielleicht einst auf Schiffen auf der Elbe herangeschafft wurde. Obwohl es sie nicht mehr gibt, ist die Tschechoslowakei oder, wie hier vielleicht richtiger zu schreiben ist: die Čechoslovakei, in Hamburg würdig repräsentiert.