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Dąbrówka Malborska

Daß die außergewöhnliche, aus Beton mit eingefügten Trinkgläsern und Blumentöpfen gestaltete Friedhofskapelle in Dąbrówka Malborska nichts Neues, sondern Teil einer langen Tradition ist, zeigt direkt neben dem Friedhof die neogotische Backsteinstele, mit der südlich von Malbork gelegene Ort erst wirklich beginnt. Sie besteht aus einem unteren quadratischen Teil mit abschließenden giebelartigen Dreiecksformen, einem auf diesem sitzenden fast identischen schmaleren Teil, der so versetzt ist, daß seine Ecken zu den Spitzen der Giebel zeigen, und einem abschließenden Betonkruzifix. Mit abgerundeten Steinen, die die Ecken säulenartig auflösen, schwarzen Klinkern, die Kreuze und andere Muster bilden, und blumenähnlichen Tonkreuzen auf den Giebeln ist sie ein industrielles Produkt ihrer Zeit und gehört in einen preußischen Katholizismus, der letztlich immer auch polnisch war.

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Unten steht in Keramikkacheln, die sich nicht übermalen lassen und die anders zu zerstören offenkundig nie jemand ein Interesse hatte: „Gekreuzigter Herr Jesu/Erbarme dich unser!/1902.“

Denn ob nun Deutsch oder Polnisch die offizielle Sprache war, Dąbrówka war vor allem katholisch.

So führt die gerade Hauptstraße zwischen den Höfen des Orts sanft hinab und zur Kirche wieder etwas hinauf, um rechts einen Bogen um sie zu machen.

Sie steht in der Mitte des Orts und an seinem höchsten Punkt, aber sie thront nicht über ihm oder dominiert ihn, da sie dazu gar keinen Grund hat. Sie ist ein einfacher Bau mit großen Fenstern und Satteldach, aber auch mit großen, erst geschwungenen, dann dreieckigen Giebeln. Der gelbe Putz ist durch Rillen in verschiedene Felder unterteilt und am auffälligsten sind darin Reihen kleiner Dreiecke, die links und rechts im Giebel die dortigen Felder zu tragen scheinen.

Es gibt keinen Grund, den Stil der Kirche nicht barock zu nennen, auch wenn die erste Zahl ganz oben im straßenseitigen Giebel, 1803, das Baujahr und die folgenden, 1929 und 1959, wichtige Renovierungen anzeigen mögen. Kleiner in einer Fensternische steht noch 1988 und seitdem ist das Gebäude unverändert.

An der einen Breitseite der Kirche entlang geht der Weg zum neueren backsteinernen Pfarrhaus, vorbei an den Gräbern einiger Pfarrer, und zum hölzernen Glockenturm. Unter den Gräbern ist auch das des 1940 verstorbenen Pfarrers Franz Biernath und seiner 1931 verstorbenen Mutter Elisabeth, der wohl der vorletzte Deutsche in dieser Rolle war.

Der Turm ist mit schräg ansteigenden Wänden und verzierten Balken unter dem offenen überstehenden Dach ein aufwendigeres Beispiel dieses Gebäudetyps, der immer etwas von einem Provisorium hat.

Auf der anderen Seite der Kirche ist ein Grünbereich mit hohen Bäumen und nur wenigen Gräbern am Rande. Darunter ist das des 1979 verstorbenen Pfarrers Klemens Majewski, das auf der rechten Platte die Daten, auf der linken aber auf Polnisch und Latein das Zitat „Nie umrę lecz będę żył“/„Non moriar sed vivam“ (Ich werde nicht sterben, sondern leben) und in der Mitte ein Kreuz hat.

Vielleicht war er es, der die Friedhofskapelle schuf oder anregte. Neben dieser ist der nahe Marienschrein aus zusammengeklebten Steinen konventionell, da so etwas nicht nur in Polen oft gebaut wurde.

Die halbabstrakten Glasbilder in den Fenstern stammen wohl aus den Siebzigern und fügen sich gut in das zurückhaltende Gebäude ein.

Denn in Dąbrówka Malborska war der Katholizismus eben stärker als die Brüche der Zeiten und wo Kontraste sein könnten, ist eine harmonische Einheit, sanft und idyllisch wie die umliegenden Hügel. Das heißt nicht, daß das Dorf nicht auch alles für ein säkulares Leben hat. Es gibt einige ältere Backsteinhäuser, neuere verputzte, eine Feuerwache mit betongefaßtem Teich, sogar direkt nach der Kirche einen kleinen Betrieb mit eckigem weißem Schornstein und zur Not ist die Bahnhaltestelle nicht weit.

Aber am Ende des Orts, wo die Straße zwischen zwei Hügeln wie durch ein Tor in Richtung der flachen Żuławy hinausführt, steht wieder eine neogotische Backsteinstele aus ähnlichen Teilen wie die beim Friedhof. Mit einem schmaleren quadratischen Schaft und einem überstehenden Oberteil mit seitlichen Türmchen, hinter dessen Spitzbögen vorne durchs Glas eine Marienfigur zu sehen ist, während an den anderen wohl Inschriften waren, wirkt sie etwas schwerfälliger.

Jesus und Maria rahmen Dąbrówka Malborska und es ist im Katholizismus so eingebettet wie in der Landschaft.

Jesus vor Dąbrówka Malborska

In Dąbrówka Malborska ist der Katholizismus ganz heil und idyllisch.

Die Idylle beginnt mit der Lage in den sanften Hügeln südlich von Malbork. Der Bahnstrecke und dem neugestalteten Haltepunkt verbirgt sich der Ort dadurch, während auf der anderen Seite ein recht langweiliger See umso deutlicher zu sehen ist. Doch es ist auch nicht weit vom Bahnsteig hinein nach Dąbrówka, bloß einige Minuten auf der gewundenen Straße, die die Wellen der Landschaft erleben lassen und den Ort erahnen.

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Der Katholizismus beginnt mit dem Friedhof, der in der letzten Wegbiegung noch außerhalb des Orts liegt, eine aus dem Feld herausgeschnittene rechteckige Fläche unter hohen Bäumen.

Die Gräber stehen dicht an dich und sind interessant besonders, wenn sie Kontinuitäten von Nachnamen von deutsch- zu polnischsprachigen Steinen zeigen wie bei der Familie Starost.

Am Ende der kurzen Allee, bevor sich der Blick auf die zurückliegende Landschaft mit der Bahnstrecke öffnet, steht eine kleine offene Kapelle.

Sie besteht bloß aus einer hufeisenförmigen Mauer und einer hölzernen Dachkonstruktion mit gewellten Eternitplatten, doch was für eine Mauer das ist!

In ihren Beton wurden zur Dekoration auf der Innenseite Blumentöpfe aus Ton und auf der Außenseite Gläser und andere Glasgefäße eingefügt, so daß sie von unzähligen runden Vertiefungen übersät ist.

Es ist keinerlei Regelmäßigkeit in der Anordnung der eingefügten ehemaligen Behältnisse zu erkennen, sie bilden keine Muster, bloß vage Schwerpunkte wie mehr grüne Gläser auf der linken Außenseite und mehr kleinere, oft Schnapsgläser, auf der rechten.

Ebenfalls ohne erkenntlichen Grund sind an das schmale Wandende links Spiegelstücke und an der rechten Innenseite unten einige grünliche Kachelscherben angebracht. Die rechte Wand ist halbhoch nach außen verlängert und in ihr ist oben ein Streifen quadratischer Glasbausteine mit Kreuzrelief, die damit das einzige speziell für religiöse Bauaufgaben gedachte Element der ansonsten völlig aus den profansten Materialien improvisierten Kapelle sind.

Im  abschließenden Halbrund hat die Kapelle schließlich genau das Kunstwerk, das zu ihrer Architektur paßt. Auf einem dunkelblauen und goldenen, im Putz gleichsam in Falten gelegten Hintergrund ist aus Stuck (?) eine große Jesusfigur mit ausgebreiteten Armen und weitem weißem Gewand dargestellt. Die segnend erhobenen Hände sind flache vorstehende Flächen, der Kopf ist ikonenartig von einem goldenen Kreis umgeben, die Haare und der Bart sind aufgeklebtes faseriges Material und nur das Gesicht ist gemalt.

Doch da ist noch mehr. Auf den Hintergrund geklebt und von der blauen Farbe überdeckt sind links ein größeres Kruzifix und rechts ein kleineres, was den Jesus verdreifacht. Auf schmalen Sockeln stehen links zwei puppenartige schwarze Engel und rechts eine Maria.

Es ist sehr leicht, dieses Kunstwerk als dilettantisch und geschmacklos abzutun, sogar das Gesicht erinnert an das spanische Jesusgesicht, das vor Jahren als verpfuschte Restaurierung durch die Medien ging. Doch wie bei dem spanischen Beispiel übersehen wurde, daß die neue Version immerhin besser war als die belanglose akademistische Malerei des 19. Jahrhunderts, die es ersetzte, ist auch bei dem Jesus von Dąbrówka das einfache Urteil das falsche. Vielmehr handelt es sich um volkstümliche Kunst oder aber um Outsider Art. Daß sich jemand – man sagt, der damalige Priester – die Mühe machte, diesen Jesus zu schaffen, statt einfach eine Figur zu kaufen, zeugt von der Lebendigkeit des Katholizismus in diesem Ort.

Genauso ist es mit der gesamten Kapelle. Während der Jesus klare Bezüge zur gängigen katholischen Ikonographie hat, ist sie ein gänzlich originelles Gebäude, auch wenn es eine Nähe zur in Polen nicht seltenen Verwendung von Bruchkeramik zur Fassadengestaltung oder Mosaikbildung aufweist. Von hinten betrachtet erinnert die in runde Vertiefungen aufgelöste Betonrundung gar diffus an afrikanische Lehmhütten.

Diese improvisierte Architektur, die mit einfachen Mitteln einen dekorativen Effekt erzielt, konnte nur in einer Zeit entstehen, als weder Polen noch seine Kirchengemeinden reich waren. Not macht erfinderisch, besagt die wahre Platitüde, und jeder Religion tut es gut, keine unbeschränkten Möglichkeiten zu haben. Der heutigen katholischen Kirche in Polen, die auf ganzer Linie siegreich war, würden Werke wie diese Kapelle nicht mehr gelingen. Es gibt zwar noch das Bedürfnis, all dem Katholischen noch mehr hinzuzufügen, aber das Ergebnis wird immer zu groß, zu protzend sein, wie das bei Siegern oft so ist. Es käme zudem von anderswo, während diese Kapelle auf den Hügeln von Dąbrówka selbst erwuchs.