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Girardota

Die Kirche von Girardota im nördlichen Valle de Aburrá (Aburrá-Tal) im Großraum Medellín – ein enormer neoromanischer Backsteinklotz, der in der Fassadenmitte zu einem dicken quadratischen Turm ansteigt – hat nur zwei architektonische Bezüge zum übrigen Ort.

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Der erste ist das Dach des trapezförmigen Chors, das seine Balken zeigend und von geschwungenen hölzernen Stützen getragen übersteht.

Genau so stehen die Dächer der typischen eingeschossigen Häuser des Orts über, um einen knappen Vorbereich, der immerhin vorm Regen schützen mag, zu überspannen.

Die geschwungenen Stützen wiederum erinnern an die den Fenstern der Häuser vorgesetzten hölzernen Gitterkästen. Unten an beiden Seiten haben sie kleine runde Formen, die dann im leichten Schwung nach vorne an die vertikalen Leisten anschließen, aber zudem an der Anschlußstelle einen rein ornamentalen spitz endenden Bogen nach hinten beschreiben.

Die eigentlichen Gitter aus Holz oder Eisen, zu denen oben manchmal weitere Bögen kommen, werden neben diesen Ornamenten, die man beim Gang entlang der Häuser zuerst sieht und die im gesamten älteren Teil des Orts vorzufinden sind, unwichtig, während die die Kästen beendenden mehrstufigen Holzgesimse eben denen der Türen entsprechen. Die Fensterkästen und die Türen in ihren kaum variierten und zeitlich kaum einzuordnenden klassizistischen Formen sind die einzigen – oder einzig erhaltenen? – Dekorationen der meist einfarbig verpuzten Häuser. Die Verbindung zwischen ihnen und der Backsteinkirche würde man angesichts ihrer Fassade am Parque (Platz) kaum vermuten, aber hinten am Chor, weit entfernt an der Ecke von Calle (in Nord-Süd-Richtung verlaufender Straße) 7 und Carrera (in Ost-West-Richtung verlaufender Straße) 14, ist sie offensichtlich.

Der zweite architektonische Bezug der Kirche zum übrigen Ort ist der Backstein selbst. Falls er für die alten Hauser verwendet wurde, sieht man das jedenfalls nicht. Aber Girardota ist schon lange kein Ort alter Häuser mehr. Zum Parque hin und um ihn wurden die Häuser bei unveränderter Bauweise und Dekoration, aber mit einzelnen oder durchgehenden Balkonen vor den Obergeschossen, schon früh zweigeschossig.

Dann wurden neuere Häuser an Stelle der alten gebaut, ein- oder zweigeschossig, gar nicht so groß, aber nun in den Formen der fünfziger, sechziger, siebziger Jahre. Ein eingeschossiges Kleinod etwa hat eine Fassade ganz aus rosa– und beigefarbenen Kacheln: als Sockel und zwischen Fenster und Tür kleine Rechtecke, die in horizontaler und vertikaler Anordnung schräge Streifen ergeben, an den Rändern pilasterartig dieselben Rechtecke zu einem Schachbrettmuster zusammengefügt und oben ein abgerundetes Vordach einbeziehend kleine Sechsecke, die zu Blumenmustern angeordnet sind.

Dann wurden fünf-, sechs-, siebengeschossige Gebäude errichtet, schmal nur, wie es die Grundstücke der alten Häuser eben zuließen.

Das began in postmodernistischen Formen, die in den neunziger Jahren auch in polnischen Kleinstädten nicht anders gewesen wären, gipfelte in trauriger Nachahmung der Dekorationformen der alten Häuser und beruhigte sich zu schlichteren und langweiligeren Backsteinfassaden.

In allen Fällen jedoch wurde der Backstein der Brandmauern und Hinterhäuser ortsprägender als es je der der Kirche gewesen war.

Man könnte sagen, daß die Architektur von Girardota seine Kirche eingeholt hat, bloß ist das nicht geradezu etwas Gutes.

Bleibt ein weiterer, nichtarchitektonischer Bezug der Kirche zum Ort: sie wurde von einem französischstämmigen Architekten errichtet und Girardota heißt nach dem französischstämmigen Unabhängigkeitshelden Atanasio Girardot.