Archiv für den Monat August 2023

Ein Garten in Neuwied

Irgendwo in Neuwied steht ein ganz beliebiges Vorstadthaus aus dem späten 19. Jahrhundert, das mit rotem Backstein und Giebelchen gerne eine stattliche Neorenaissancevilla wäre, aber links ganz Teil der Blockrandbebauung ist und auch rechts nur ein unförmiges Gartenstück vor dem Beginn des quer zur Ecke stehenden Nachbarhauses und dessen Grundstücks hat.

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Doch dieses beliebige Vorstadthaus nutzt sein unförmiges Gartenstück in aller Entschlossenheit: hinten, in der Ecke zwischen seinem zurückgesetztem Eingang und der Brandmauer des Nachbarhauses sind schwarze Steinimitationen mit Gräsern, hinter denen ein Baum hervorwächst,

und rechts in der dreieckigen Spitze auf der +-förmig durchbrochenen Backsteinmauer ist eine antikisierende Laube, die dann eben dreieckig sein und auf drei dorischen Säulen stehen muß.

Wie die bürgerlichen Villen der Kaiserzeit schon bescheidenere Versionen adliger Schlösser sind, so ist dieses Haus die bescheidene Version einer solchen Villa. Das Repräsentationsbedürfnis, das sich in diesem Miniaturpark ausdrückt, führt sich selbst ad absurbum, aber sein Scheitern ist immer noch sympathischer als alles Gelingen der Villen.

Die Kathedrale von Cádiz

Eine Kathedrale, die direkt aus den Wellen des Atlantiks aufsteigt, über die Ufermauern hinweg, über denen sie nur eine glatte hellgraue Steinfassade mit zwei bescheidenen Geschossen und darauf eine erste, leicht spitze Kuppel hat, auf der zwei Engelchen tanzen und die nur hinleitet zum Dach des Chors, wo Pfeiler sich zwischen Fenstern zur nächsten, recht flachen Kuppel aufschwingen, auf der ein Sockel mit Christusskulptur steht, dem die am Fuße der Säulen der folgenden Rotunde gepaart und im Geländer über ihnen einzeln stehenden weiteren Heiligenfiguren – wie er dem Meer zugewandt und höchstens von dort gut zu sehen – Gesellschaft leisten, während die höchste, nun runde Kuppel mit roten und goldenen Kacheln den Hintergrund bildet, bevor der Aufstieg in den beiden seitlichen Türmen mit großen rundbögig offenen Glockenräumen, Doppelsäulen, spitzen Kuppeln und Kreuzen einen Abschluß, findet.

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Was die so aus dem Meer emporgewachsene Kathedrale der Stadt zuwendet, ist selbstverständlich zu groß, aber der Vorplatz ist doch fast groß genug, einen angemessenes Abstand zu erlauben, und überdies legt sich die Fassade von den Türmen aus in Wellen, unten aus grauem und braunem Stein, oben aus hellem, fast weißem wie Schaumkronen, und bildet über dem eingewölbten Portal eine große Muschelform, auf der eine Marienskulptur steht, als einzige der Stadt und der Bucht zugewandt.

Cádiz, Hafenstadt, Festungsstadt, Inselstadt zwischen Meer und Bucht, kann gar keine andere Kathedrale haben.

Trenčíns Zentrum – Apotheose

Im Zentrum von Trenčín öffnet sich nach dem alten Mierové námestie (Friedensplatz), der in die Achse des neuen Zentrums übergeht, dem Okresný úrad (Kreisamt), mit dem dieses beginnt, dem kleinen Štúrovo námestie (Štúrplatz) und dem Restaurantgebäude ein weiterer, etwas breiterer Platz entlang der alten Bebauung, der aber von einem neungeschossigen Punkthaus mit flacher Ladenzeile abgeschlossen wird. Daneben steht außerdem das Prior-Kaufhaus, das immer unauffällig war und heute durch Umbauten gänzlich unscheinbar ist.

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Bestimmt wird der namenslose Platz vom Dom Armády (Haus der Armee), das seine andere Breitseite gegenüber den alten Häusern einnimmt. Es ist ein repräsentatives Veranstaltungsgebäude, das anderswo als in der Garnisonsstadt Trenčín wohl Dom Kultúry (Haus der Kultur) hieße, und hat wieder sandfarbene glatte Steinverkleidung. Zum Platz zeigt es als Sechseck mit zurückgesetztem verglastem Erdgeschoß und entsprechendem Foyer, zwischen denen ein hohes Balkonband mit der Verkleidung schwebt, während darüber ein noch höheres Band das Dach bildet.

Rückwärtig türmen sich die fensterlosen Baukörper des Saals auf und in der Ecke sind verschachtelte Treppenanlagen.

Entlang der Straße gibt sich das Dom Armády ganz konventionell mit zurückgesetztem Erdgeschoß, Fensterbändern und orangener Verkleidung auf drei Geschossen, die nur in der Mitte und am Ende von steinverkleideten Erkern unterbrochen werden.

Auf der linken Seite verläuft bereits seit dem Ende des Restaurantgebäudes ein sechs- bis siebengeschossiges Wohngebände mit vorgesetzter Ladenzeile, das das Rückgrat der gesamten Achse ist. Die in drei langen Stufen, vor denen große Glasflächen den Blick auf die Treppen freigeben, leicht vorrückende Ladenzeile hat zwei Geschosse, wobei im unteren Schaufenster sind und das obere aus einem durchgehenden Fensterband in einem schrag überstehenden Teil besteht. Darauf sind die großen Terrassen der ersten Wohngeschosse, deren Brüstungen wiederum leicht nach innen abgeschrägt sind und aus denen dicke Betonbalken nach vorne ragen.

Die erste Hälfte des Wohngebäudes hat kompliziert vor-, zurück- und ineinandergesetzte Balkone und Terrassen, während die zweite eine ganz konventionelle Fassadengliederung mit regelmäßigen Balkonischen hat.

Durch die Ladenzeile sind sie aber zusammengefaßt und die Unterschiede überbrückt.

Nachdem das letzte Stück der Zentrumsachse von Trenčín somit zwischen Wohngebäude und Dom Armády nur noch von neuer Bebauung gerahmt war, leiten an ihrem Ende links drei versetzt nach vorne tretende quadratische Ladenpavillons auf einer leicht erhöhten Ebene zur Straße zurück, während rechts eine Rampe zu einer Bushaltestelle führt.

Ein zehngeschossiges Punkthochhaus mit an den Ecken wie hochgeklapptem Dach markiert hinter den Pavillons zum einen das Ende der Achse und ist zum anderen das erste von drei, die nach links den Hang hinaufführen.

Erst jetzt begegnet man wieder dem Autoverkehr, denn die gesamte beschriebene Achse ist allein den Fußgängern vorbehalten. Für sie gibt es auf ihrer gesamten Länge Hochbeete, deren Ränder teils geschwungen aus dem Pflaster ansteigen, und charakteristische Bänke, die aus hölzernen Sitzflächen zwischen halbrunden Betonwänden bestehen.

Das größte Problem neuer Stadtzentren, das sogar die Lijnbaan oder die Stadtpromenade nur halbwegs lösen – wie nämlich die Bereiche jenseits von ihnen angebunden sind – besteht in Trenčín aufgrund der topographischen Gegebenheiten nur zur Hälfte, da hinter der linken Seite, wo sich die neue Bebauung konzentriert, fast unmittelbar der steile Hang anschließt.

So ist dort vor der Betonwand nur noch eine Erschließungsstraße, an der bei den Eingängen der Wohngebäude Grünflächen gleich denen in vorstädtischen Wohngebieten und hinter dem Verwaltungsgebäude eine fast runde Garagenanlage sind. An der einzigen Stelle, wo es eine Verbindung in den höher auf dem Brezina gelegenen Park gibt, bildet die Treppe an der Mauer ein Gegenstück zur überdachten Treppe, die auf deren anderen Seite zum Plateau einer Kirche hinaufführt.

Auf der rechten Seite schließt die überkommene Stadt sofort an, so daß auch hier die Anbindung fließend ist, doch bald dahinter bildet die Straße, die den vom Zentrum ferngehaltenen Autoverkehr aufnimmt, eine störende, wenn auch schwer vermeidbare Grenze.

Direkt hinter dem Torturm, der das alte Zentrum um den Mierove námestie abschließt, überrascht Trenčín also mit seinem neuen Zentrum. Anders als die bürgerliche erste Republik, die an den alten Platz zwei ihrer Gebäude setzte, schuf die sozialistische Tschechoslowakei aus Gebäuden der Verwaltung, des Wohnens, des Konsums und der Kultur einen ganzen neuen Stadtraum, der aber eng mit der alten Bebauung verwoben ist und sie dadurch aufhebt. Alt und Neu sind harmonisch verbunden durch den neuen Raum. Es ist eines der überraschendsten neuen Stadtzentren der Tschechoslowakei und eines, bei dem das Ganze weit mehr als seine Teile ist. Während die öffentlichen Gebäude vor allem außergewöhnlich gut in die alte Stadtstruktur eingefügt sind, gehört das Wohngebäude dank den Dachterrassen auch für sich genommen zum Fortschrittlichsten, was die tschechoslowakische Architektur hervorgebracht hat.

Architektonische wie städtebauliche Brillanz eröffnen in Trenčín einen ungewöhnlich weiten Blick in die Zukunft. Schöner könnte die Stadt nicht überraschen.

Trenčíns Zentrum – Grundlagen

Trenčín beginnt langsam, um dann erst zu überwältigen und später zu überraschen.

Der Bahnhofsvorplatz der westslowakischen Stadt würde ortlos wirken, wenn nicht im Hintergrund auf einem Hügel die Burg mit ihren weiten Mauerringen und den in einem massigen Bergfried endenden Bauten thronte.

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Im dorthin führenden Park aber ist sie hinter den Bäumen nur noch zu erahnen. Wenn man wieder hervorkommt, sieht man plötzlich den steilen Fels mehr als die Burg.

In ihn ist in einer schildartigen Vertiefung mit spitzem Abschluß ein riesiges Relief geschlagen, das eine kniende bärtige Figur in weitem Gewand und eine stehende Figur in mittelalterlicher Rüstung zeigt.

Kleiner darunter findet sich der Name Jan Jiskra z Brandýsa, ein in der Slowakei aktiver hussitischer Feldherr, der also zur Figur in der Rüstung gehört. Daneben steht an den Felsen gepreßt ein riesiges historistisches Luxushotel aus der ungarischen Zeit.

Das ist die Überwältigung, von der man sich in der vom Park herführenden Unterführung unter der großen Straße erholen kann. Aus der folgenden Straße wird bald der lange tropfenförmige Mierové námestie (Friedensplatz), der mit vermischten zweigeschossigen Häusern, einer Dreifaltigkeitssäule auf dreieckigem Sockel und einer zweitürmigen Kirche am Ende der rechten Seite recht typisch für eine barock geprägte Altstadt ist.

Oberhalb sieht man wiederum die Burg, aber nicht drohend aufragend, sondern ebensolang wie er eher wie ein eigenartig verzerrtes Spiegelbild.

Doch am Ende der linken Seite steht ein schmuckloses weißes Gebäude mit vier Geschossen, in dessen Erdgeschoß ein Kino ist, und quer dazu am Ende des Platzes ein Amtsgebäude aus der ersten Republik, das vor dem zurückgesetzten Erdgeschoß vier säulenartige eckige Stützen mit Steinverkleidung und eine repräsentative Treppe hat.

Letzteres Gebäude schließt direkt an einen Torturm aus mehreren achteckigen Stufen an und wenn man dessen spitzen Bogen durchquert hat, erlebt man die Überraschung.

Rechts sind weiter zweigeschossige Häuser, aber links beginnt ein Gebäude ganz anderer Art, das aus einem auf wenigen dünnen achteckigen Stützen ruhendem Obergeschoß mit sandfarbener glatter Steinverkleidung und Fensterband in hellen Holzrahmen und zwei verglasten Sockelgeschossen besteht. Es bildet zuerst eine Art Tor, hinter dem ein Grünbereich und eine entlang der Stadtmauer in den Park auf dem Hügel Brezina ansteigende Treppe liegen, was bereits einen überraschenden neuartigen Stadtraum darstellt.

Zur Ecke hin tritt das Obergeschoß in drei Stufen vor und hinter ihr zeigt sich das Okresný Úrad (Bezirksamt), wie der Gebäudekomplex heißt, erst wirklich.

Sein leicht erhöhter Vorplatz ist eine subtile Verlängerung des Štúrovo námestie (Štúrplatzes), der sich nun rechts zwischen der zweigeschossigen überkommenen Bebauung öffnet.

An der linken Seite ist nur über dem Eingang ein Teil des Obergeschosses kubisch vorgesetzt, geradeaus ist der verglaste Haupteingang mit dem Namensschriftzug, im Hintergrund ein ganz konventioneller fünfgeschossiger Bürotrakt, und daneben ein mit drei weiteren flachen Stufen beginnender fensterloser Bereich, der langsam zum dreigeschossigen Teil, der rechts mit abgeschrägter Ecke wieder an die Straße anschließt, überleitet.

Die vielgestaltigen Gebäudeformen sind durch die einheitliche Steinverkleidung und den gebildeten Platz, zu dem Hochbeete, Bäume, Fahnenmasten und ein abstraktes Kunstwerk in der Form einer eckigen Keramikspirale gehören, zusammengefaßt.

Der Komplex des Okresný Úrad ist der alten Stadt somit zugleich als etwas ganz Neues entgegengesetzt und doch eng mit ihr verbunden.

Nach seinem Ende folgt ein kleiner Grünstreifen, vor dem ein Denkmal aus Bronze steht, das eine große Plastik von Ludoviť Štúr links vor und weit hervortretende Reliefs von J.M. Hurban und M.M. Hodža auf der rechten Seite eines riesigen Lindenblatts zeigt.

Es ist bloß bürgerlichen Politikern der nationalen Wiedergeburt gewidmet und wurde 1991 errichtet, aber immerhin fügt es sich gut in den vom Sozialismus geschaffenen städtischen Raum ein.

Rechts sind weiterhin zweigeschossige Häuser und links ist als nächstes ein langgestrecktes dunkel verglastes Restaurantgebäude mit dem in Leuchtbuchstaben genannten Namen „Gastrocentrum pod Brezinou“ (Gastrozentrum unter dem Brezina), dessen mittleres Geschoß leicht vorgesetzt ist, während unten und oben Terrassen sind.

Obwohl seine Formen deutlich anders sind als die des Okresný Úrad, paßt es mit weißer Kachelverkleidung zu ihm und ist vor allem eine Fortführung des von ihm begonnenen Stadtraums, der damit jedoch noch lange nicht endet.

Eine Verbindung in Málaga

Zwei Festungen wachen über Málaga, große Anlagen aus Backstein und Stein mit mehreren Mauerreihen und vielen diesen vorgesetzten rechteckigen Türmen, denen ihr arabischer Ursprung deutlich anzusehen ist.

Die eine, die Alcazaba, liegt nur etwas erhöht am östlichen Rand der Altstadt, die andere, die Castillo Gibralfaro (Burg Gibralfaro), liegt auf der Spitze des sanft nach Osten ansteigenden Hügels. Während die Alcazaba in den dreißiger Jahren restauriert wurde und im Inneren Gärten, Höfe, Wasserspiele, Säle mit prachtvollen Beispielen maurischer Kunst und Architektur hat, war die Castillo Gibralfaro länger in militärischer Nutzung und hat im Inneren fast keine Gebäude außer kleinen runden Wachposten mit kleinen Schießscharten und Kuppeldach.

Doch der vielleicht bedeutendste Teil von Málagas Festungen ist derjenige, coracha genannt, der Alcazaba und Castillo Gibralfaro verbindet. Er ist wenig mehr als ein manchmal abgestufter, manchmal unterteilter Weg zwischen dicken Mauern auf dem aufsteigenden Hügelkamm, doch durch ihn werden die beiden Anlagen verbunden und zu einer einzigen zusammengefaßt. Der ganze Hügel wird durch die kahlen Backstein- und Steinmauern zu einem Bauwerk.

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Leider ist gerade diese Verbindung für heutige Besucher völlig zerrissen, da zwar Alcazaba und Castillo Gibralfaro zugänglich sind, nicht aber die coracha. Der heutige Weg führt außen an den Mauern entlang, was zwar zweifelsohne schöner ist, da es weite Aussichten über Stadt, Hafen und Bucht ermöglicht, aber um die Erfahrung beraubt, von der Altstadt bis zum höchsten Punkt des Castillo Gibralfaro zu gelangen, ohne je den Schutz der Mauern, ohne letztlich das Bauwerk zu verlassen. Wie so oft ist die heutige Präsentation der historischen Architektur eine Verfälschung. Vielleicht ginge es nur schwer anders, aber schade ist es doch, denn gerade die Alcazaba und die Castillo Gibralfaro von Málaga sind durch die coracha zusammengefügt mehr als die Summe ihrer Teile, weshalb sie auch mit allem Recht das Wappen der Stadt zieren.

Am Fuente de Reding (Redingbrunnen)

Villa El Pinillo

El Pinillo, das ist heute in erster Hinsicht eine Haltestelle der von Málaga nach Fuengirola führenden Vorortbahn. Der Name ist als Diminutiv von „pino“ (Kiefer) nicht sehr originell und keinem spezifischen Ort mehr zuzuordnen. Auch einige der Torremolinoser Wohnanlagen in der Nähe beziehen sich in ihren Bezeichnungen darauf und schließlich gibt es die „Villa El Pinillo“. So nennt sie sich in den geschwungenen Metallbuchstaben des Eingangs und sie ist wirklich eine kleine Villa, die ganz in ihre Zeit, die sechziger Jahre, gehört.

Die Mauer besteht aus einem Zickzack versetzter und unterbrochener rechteckiger weißer Backsteine, die jeweils in der Mitte vier größere quadratische Öffnungen und an den Rändern ein Band kleinerer vertikaler Schlitze haben, was eine Zwischenform zwischen ornamental verwendeten Backsteinen und Betonformsteinen ergibt.

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Im Garten sind ein ovaler blaugekachelter Pool, hohe Palmen und Bäume und blühende Sträucher. Das Dach des einzigen zum Meer gerichteten Geschosses ist eine nur leicht ansteigende Betonfläche, die rechts vorne vor dem Schornstein einen großen Zacken hat, damit klar ist, daß sie nicht nur funktional, sondern auch expressiv ist.

Und in der linken oberen Ecke, aufgrund der Hanglage schon über dem Dach, steht der dreieckige Turm. Seine drei Betonstützen sind im oberen Drittel durch eine Plattform und ein dickes Holzgitter mit quadratischen Öffnungen verbunden, und an einer hinteren führt eine Stahlleiter empor.

Wirklich genau so sehen zur selben Zeit errichtete Kirchtürme in Westdeutschland und anderswo aus, die zwar größer und vollständig aus Beton sein mögen, aber auch einen weniger klaren Zweck als der Wasserturm der Villa El Pinillo erfüllen.

Kirche Verklärung Christi in Bad Vilbel

Denn um einen Wasserturm handelt es sich, hinter dem Gitter verbergen sich eine weitere Plattform und zwei große Fässer.

Dieser Turm, wiederum funktional und expressiv, macht die Villa vollends zum Kleinod und Symbol ihrer Zeit. Sie ist übriggeblieben, was durch ihre auf paradoxe Art isolierte Lage noch deutlicher wird. Sie steht direkt oberhalb der Bahnstrecke, gegenüber ist ein Supermarktparkplatz, hinter ihr ist ein Bürogebäude und rechts wurden vor kurzem die Ruinen der einstigen Nachbarhäuser entfernt, auf die ein Einkaufszentrum folgt.

Obwohl es links nicht weit zur Haltestelle El Pinillo wäre, kommt man schwer hin, und so könnte die Villa El Pinillo ebensogut ganz woanders sein.

Bosquet de l’Encélade

Während der Park von Versailles von regelmäßiger Strenge ist, sind die zwischen seinen großen Alleen versteckten bosquets, Wäldchen, auf immer völlig verschiedene Weisen verspielt. Während im Park alles miteinander und mit dem Schloß verknüpft ist, kann man sich in den bosquets fühlen, als sei man ganz woanders oder auch nirgends. Während der Park eine große geordnete Welt schafft, sind die bosquets eigene kleine Welten mit eigener Ordnung.

Der Bosquet de l’Encélade heißt nach der großen, allerdings schwer überlebensgroß zu nennenden vergoldeten Plastik des Giganten Enceladus, der mit einem Stein in der Hand und halb unter grauen Steinen verschüttet in der Mitte des runden Wasserbeckens liegt.

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Man sieht den Giganten in der Niederlage, im Sterben, und eines der Bilder des Parks von Jean Cotelle le Jeune im speziell dafür erbauten Seitenflügel des Grand Trianon ergänzt die reale Plastik um den auf einer Wolke ruhenden Zeus, der ihn mit Blitzen niederstreckt, eine Art barocke augmented reality.

Der Stein, der hier noch sinnvoll verwandt ist, wird in den aus ihm zusammengesetzten runden Springbrunnen, die um das Becken stehen, zum bloßen Naturkitsch, von dem es in Versailles durchaus einigen gibt.

Aber das Schönste und Eigentümlichste an diesem bosquet ist gar nicht die namensgebende Plastik, sondern die hölzerne Konstruktion, die seinen runden Bereich umgibt. Grundsätzlich ist sie nur ein Laubengang aus grünen Holzleisten, die ein quadratisches Raster bilden und oben zu einem Tonnendach zusammenkommen, nicht mehr als ein Gestell für Rosen und Kletterpflanzen. Doch schon die gegenüber der rundbögen Öffnungen rückwärtig angefügten halbrunden Banknischen, deren halbe Kuppeln in einer komplizierten Form mit der übrigen Konstruktion verbunden sind, zeigen, daß dies mehr ist.

Beidseits der Öffnungen sind nur aus seitlichen Streben, demselben Leistenraster und hölzernen dorischen Kapitellen zusammengesetzte Pilaster, auf denen vergoldete Vasen stehen.

Nach diesem Ansatz sind die vier in den bosquet hineinführenden Torbauten eine vollwertige transparente Holzarchitektur. Die Wände sind hier aus schrägen Leisten, von deren Karomuster sich höhere Pilaster gleich den beschriebenen besser abheben, der Raum zwischen den beiden Leisten der Rundbögen ist wie aufgefüllt mit ringförmigen Holzelementen, vertikal vorgeschwungene Streifen bilden einen Schlußstein, im mehrstufigen Gesims des Dachs sind X-, V- und I-Formen und von seitlichen Pilastern winden sich Voluten, die selbstverständlich auch aus Holz sind, empor.

Das Dach schließlich besteht aus mehreren rechteckigen Rahmen, die kleiner und näher beieinander sind je weiter oben und je näher an der mittigen Öffnung sie sind.

Aber das Dach ist ja kein Dach, die Bauten sind keine Bauten, alles ist nur eine transparente sommerliche Andeutung, eine wahre Gartenarchitektur, die die barocken Formen auflöst und zugleich deutlicher erkennen läßt.

Das ist wie in Versailles zu erwarten, enorm aufwendig für einen Laubengang, ein Pflanzengestell, aber auch nicht zu sehr, jeder halbwegs kompetente Zimmermann könnte das bauen, entscheidend ist die Idee, die barocke Architektur in Holzgitter zu zerlegen, und vielleicht konnten nur die größten Architekten ihrer Zeit sie haben. Dennoch erstaunlich, daß gerade diese so leicht zu imitierende Versailler Konstruktion so wenig imitiert wurde. Mag sein, daß sie einfach zu entschlossen unpraktisch war und man anderswo den hölzernen Gartenpavillons lieber Wände oder zumindest Dächer gab. Erst hundertfünfzig Jahre später reduzierte die Eisenarchitektur Gebäude wieder so sehr auf ihre nötigsten Verstrebungen, die nun mit Glas gefüllt wurden, aber sie bevorzugte neogotische Formen.

Im Bosquet de l’Encélade liegt der Gigant also besiegt und golden in seinem Becken, aber den Sieg trägt die ihn umgebende hölzerne Architektur davon, denn obwohl sie nur dazu dient, den Gehenden und Sitzenden verschiedene Perspektiven auf ihn zu bieten, ist sie viel schöner und eigentümlicher als er. Es sind kleine Wunder wie diese, die all die versteckten bosquets im offenen, scheinbar geheimnislosen Park so wertvoll machen. So groß der Park von Versailles ist, so viel großartiges Kleines gibt es in ihm zu entdecken.

Erkundungen auf Friedhöfen: Mennoniten und „mennonici“

Die Mennoniten, jene wiedertäuferische Sekte niederländischen Ursprungs, sind in der gegenwärtigen Selbstdarstellung der Żuławy, jener polnischen Region südöstlich von Gdańsk, sehr präsent. Eine der beschilderten Fahrradrouten heißt Szlak Mennonitów (Mennonitenpfad) und fast jeder alte Friedhof ist als cmentarz mennonicki (Mennonitenfriedhof) ausgewiesen. Man könnte den Eindruck bekommen, daß die gesamte Bevölkerung der Żuławy einst aus Mennoniten bestand, doch das wäre ganz falsch. Sie waren immer einen Minderheit in einer mehrheitlich lutheranischen Bevölkerung und auch Katholiken gab es mehr als sie. Ebensowenig gab es mennonitische Dörfer, sie lebten mitten unter den anderen Konfessionen. Selbst, was ein mennonitischer Friedhof ist, läßt sich gar nicht so einfach sagen, denn Abraham Hartwich, der erste Chronist der Żuławy, schreibt Anfang des 17. Jahrhunderts, daß die „Mennonisten“, denen er als lutheranischer Pastor nicht eben wohlgesonnen war, ihre Toten für teures Geld auf den katholischen Friedhöfen bestatteten.

Daß heute auf den Informationstafeln und Schildern so oft von Mennoniten zu lesen ist, liegt wohl daran, daß es exotischer und unverfänglicher klingt als Lutheraner oder einfach Protestanten. Einige der ausgewiesenen mennonitischen Friedhofe mögen also durchaus solche sein und manche sind es unzweifelhaft, aber andere sind schlichtweg protestantische deutsche Friedhöfe, die nach den Bevölkerungsveränderungen in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg nutzlos wurden und verfielen.

Ein schönes Beispiel für eine mindestens ungenaue Informationstafel findet sich am Friedhof im kleinen Dorf Stara Wisła:

„Mennonitischer Friedhof in Stara Wisła/Gelegen ist er inmitten von Feldern, bewachsen mit alten Bäumen. Er stellt eine schöne Erinnerung des kulturellen Erbes, die ca. im XVII. Jahrhundert entstand, dar. Auf ihm erhielten sich viele Betongräber mit Ummauerungen und Inschriften. Der mennonitische Friedhof stellt eine greifbare Spur des Aufenthalts der Mennoniten in den Żuławy dar.“

Nicht nur enthält sie keinerlei Informationen, die nicht auch die Anschauung böte, es ist auch schlichtweg falsch, daß er zwischen Feldern liegt, da auf drei Seiten Grundstücke mit Häusern und auf einer die Straße ist. Zwar ist es gewiß nicht ausgeschlossen, daß der Friedhof, auf dem das Grab der Johanne Renate Charlotte Domnick als einziges lesbar ist, mennonitisch war, aber wieso sollte man das dieser Tafel glauben?

Paradoxerweise macht es gerade die Omnipräsenz der Mennoniten in der gegenwärtigen Selbstdarstellung schwieriger, ihre tatsächlichen Spuren in den Żuławy zu finden. Aber das macht die Aufgabe interessanter, denn daß es hier Mennoniten gab, gehört zu den faszinierenden Aspekten dieser faszinierenden Region.