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Łobez – Zentrum

Das Zentrum von Łobez erstreckt sich beinahe bandartig etwa oberhalb des Flusses Rega. Zwei parallel verlaufende Straßen, von denen die weiter vom Fluß entfernte Niepodległości (Straße der Unabhängigkeit) die eigentliche Hauptstraße ist, ziehen sich hindurch und verbinden drei rechteckige Platzbereiche. Rechts, im Norden, ist der Bereich der Kirche, in der Mitte ist ein begrünter Platz am unscheinbaren historistischen Rathaus, links, im Süden, ist der längere Bereich des Stadtparks. Die Bebauung besteht etwa zur Hälfte aus überkommenen ein- oder zweigeschossigen Häuschen und zur Hälfte aus fünfgeschossigen fortschrittlichen Gebäuden. Daß letztere dominieren, liegt weniger an ihrer Zahl als an ihrer Größe und Höhe. Im Bereich der parallelen Straßen ist die alte Rasterstruktur weitgehend beibehalten, wofür die neuen Gebäude oft Läden im Erdgeschoß haben, erst abseits von ihnen wird sie aufgelockert.

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Dort sieht man dann die letzen Häuschen einer alten Straße aufgehoben zwischen neuen Gebäuden und ihren Grünflächen und an der leicht geschwungenen Komuny Paryskiej (Straße der Pariser Kommune) offene Zeilenbebauung.

Den ersten Weg vom Bahnhof nehmend geht man entlang der Obrońców Stalingradu (Straße der Verteidiger Stalingrads) direkt auf den Bereich der Kirche zu, aber wenn man näher kommt, verschwindet der Turm erst einmal. Links stehen drei Punkthäuser oberhalb des Ufers und rechts ein Gebäude parallel zur Straße, die eine Art Tor zum Platz bilden.

Auf diesem ist die Kirche ringsum gerahmt von fortschrittlicher Bebauung. Ein Gebäude links der Obrońców Stalingradu mit Läden im Erdgeschoß, rechts von ihr und weiter in der Ecke der kreuzenden Niepodległości eine flache Ladenzeile, hinter der die Kirche aufragt, und ebenso auf deren anderer Seite, wo dahinter wieder Punkthäuser stehen.

Auch von Norden kommend öffnet sich der Blick zur Kirche erst nach einem leicht gestuft zurücktretenden Gebäude links und einem im Erdgeschoß aufgestützten rechts.

Die Kirche, die zumindest das höchste Gebäude des Zentrums blieb, ist ein neogotischer Bau, aber ein eigentümlicher, da er seine Formen einerseits den 1820er und andererseits den 1970er Jahren verdankt. Das hölzerne Maßwerk in den Fenstern des Turms erinnert daher geradezu an niederländische Architektur.

Von der älteren Stadtstruktur öffnen sich weiter südlich an der Niepodległości  zwei betonte Eingänge in den lockerer bebauten Teil. Der erste führt zwischen der aufgestützten Ecke eines Gebäudes und einem Beet mit großer Weide über eine breite Treppenanlage.

Der zweite ist eine Straße gegenüber dem Beginn des Parks, die rechts von einem Gebäude mit großem verglastem Erdgeschoßraum und links von einem Eckbau mit Läden flankiert wird. Dieser fünf- und sechgeschossige Eckbau, vielleicht das aufwendigste Gebäude aus sozialistischer Zeit in Łobez, ist einerseits beinahe Blockrandbebauung und hat oben leicht historisierende Dachschrägen, aber andererseits öffnet es sich mit einem Durchgang sofort zu einem großen rückwärtigen Grünbereich und hat jenseits der Schrägen große Dachterrassen.

Am Parkrand, direkt gegenüber dem beschriebenen Gebäude, steht schließlich ein Denkmal für die Befreiung. Es ist so etwas wie das säkulare Heiligtum der Stadt. Seine weiße Steinskulptur zeigt einen halbnackten bärtigen Mann mit aufgestütztem Schwert und Schild, über dem ein moderner Soldat mit ins Abstrakte verschwimmendem Körper und leicht nach oben gewandtem Kopf und geöffnetem Mund erwächst.

„Byliśmy, jesteśmy, będziemy“ (Wir waren, wir sind, wir werden sein) steht auf dem schmalen eckigen Sockel. Links daneben ist eine kleinere Stele in der Form eines schmalen Pyramidenstumpfs, auf der eine stilisierte Flammenschale und Grunwaldschwerter aus Blech sind, während oben in einer Schale tatsächlich eine Flamme brennen könnte. Am Rande des gepflasterten Bereichs des Denkmals stehen auf einer steinernen Tafel weiterhin die wichtigen Worte: „Żołnierzom polskim i radzieckim poległym w walce o wyzwolenie i przywrócenie ziemi łobeskiej do macierzy“ (Den polnischen und sowjetischen Soldaten, die im Kampf um die Befreiung und die Wiedereingliederung des Łobezer Lands in das Mutterland fielen).

Einzig der gekrönte Adler am Sockel ist eine neuere Ergänzung. Um das halbrunde Ende der Fläche verläuft ein Weg mit Bänken, von denen man auf die von hinten gänzlich abstrakte Skulptur, die Mieczysław Welter 1968 schuf, und in die neue Stadt blicken kann.

Man kann Łobez als eine typische polnische Kleinstadt verstehen. Kennzeichnend ist die konsequente Verbindung von Altem und Neuem in einem allerdings weitgehend vom Alten vorgegebenen Rahmen. Im Zentrum sind die Straßen die wichtigsten Wege, was in Łobez nur deshalb kein größeres Problem ist, weil es kaum Durchgangsverkehr gibt. Ärgerlich wird die konservative Orientierung an der Straße aber etwa bei der Ladenzeile in der Ecke bei der Kirche, hinter der grundlos ein nicht nutzbarer Unort geschaffen wurde, eine traurige Verschwendung städtischen Raums. Daß die Planer durchaus über die Straße hinauszudenken vermochten, zeigen der großartige Weg zwischen Bahnhof und Zentrum, der Park an der Rega und die offenen Bereiche abseits der Hauptstraße. Im besten Fall ergänzen und stärken Alt und Neu einander, werden einzelne alte Gebäude zu Akzenten in der neuen Stadt.

Der Vorwurf könnte nun lauten, daß das nur Zufall sei und bloß abgewartet worden sei, bis alle alten Gebäude abrißreif sind. Dagegen spricht etwa ein Betonlaubengang als Verbindung zwischen dem verglasten Sockelbau des neuen Gebäudes rechts der beim Park abzweigenden Straße und der Brandmauer eines alten, unter dem es in den gemeinsamen Grünbereich geht.

Die selbstbewußte, wenn auch manchmal zu zurückhaltende Einfügung des Neuen ins Alte, die Schaffung eines Wohngebiets mitten im Stadtzentrum, ist auf jeden Fall ein großer Gewinn für die Stadt. Sie ist kompakt, ohne eng zu sein, allzeit belebt, ohne voll zu sein, und hat kurze Wege, ohne monoton zu sein. Łobez hatte vermutlich Glück, daß sich in ihm alles so harmonisch und leicht zusammenfügt, die natürlichen Gegebenheiten wie die alte Stadtstruktur boten die besten Voraussetzungen. Wenn man die Stadt also nur nach ihrem Bahnhof beurteilen würde, läge man ganz richtig.

Łobez – Bahnhof und Wege ins Zentrum

Eine Stadt nach ihrem Bahnhof zu beurteilen, ist durchaus kein schlechter Ansatz. Łobez im spärlich besiedelten polnischen Nordwesten kann einem daher gefallen, noch bevor man es betreten hat.

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Sein Bahnhof ist ein Bau aus sozialistischer Zeit mit einem zweigeschossigen Trakt rechts und einem langen Flachbau links. Der höhere Teil hat konventionelle Fenster, die im ansonsten ockerfarbenen Putz durch rötliche Farbe zu Paaren zusammengefaßt sind, und zu den Gleisen hin ein sehr flaches Satteldach, das durch eine vorstehende Bordüre etwas vom übrigen Baukörper abgesetzt ist. Der flache Teil ist unter einem dünnen Vordach etwas zurückgesetzt und hat erst ganz links normale Räume, deren nach links weisendes Dach dem des höheren Teils entspricht. In der Mitte aber sind große Fenster und die Glastür des Wartesaals. Oben rechts in der der zu den Gleisen zeigenden Seite des höheren Teils steht in deutlich vor die Fassade gehängten Metallbuchstaben der Ortsname: Łobez.

Die dafür gewählte serifenlose Schrift ist mit fast rundem O und ansonsten schmalen Buchstaben so sachlich und zugleich charakteristisch wie der gesamte Bahnhof. Doch er begnügt sich nicht damit, den Namen seines Orts zu nennen, sondern bietet mit großen Stadtplänen und Umgebungskarten unter dem Vordach neben dem Wartesaal weitere Informationen. Der Boden des Wartesaals hat innerhalb eines roten Streifens an den Rändern ein großes grau-schwarzes Karomuster, während die Wände und die Decke neu gestrichen sind und bizarrerweise auch die aus schwarzem Stein bestehende Theke vor den, geschlossenen, Schaltern mit billigen Baumarktfließen verkleidet wurde.

Als in der Mitte durchlässige und durchsichtige Verbindung zwischen Bahn und Stadt sieht der Bahnhof bis auf die beiden gleisseitigen Metallstützen des Vordachs und die Fenster des hohen Teils von beiden Seiten identisch aus.

Ebenfalls noch vor der Stadt selbst sieht man die Umgebung des Bahnhofs. Ein großes Getreidesilo erhebt sich mit einer langen Reihe von Doppelzylindern aus Beton und einer Ahnung von rotem Putz jenseits der Gleise.

Ist der Bahnhof ein zierlicher und spezifisch Łobezer Bau, so ist das Silo ein Typenbau, wie er auch in Polen auf dem Land von der Industrialisierung der Landwirtschaft erzählt. Weiter rechts neben dem Bahnhof steht dann ein langer backsteinerner Lokschuppen, ein Funktionsbau aus einer früheren Zeit des Bahnwesens mit hohen rundbögigen Fenstern und von innen rußgeschwärztem Satteldach, den man heute besichtigen kann, weil in ihm ein Trödelladen mit Ware aus Deutschland ist.

Links des Bahnhofs ist eine kleine Grünanlage mit hohen Bäumen und einem alten rotweißgestreifen Fahnenmast aus Holz, in der früher gewiß auch Bänke standen.

Vor dem Bahnhof verläuft nach einer kleinen Straße ein Parkstreifen, in dem links ein achteckiges Brunnenbecken und der kleine Busbahnhof sind.

Er ist ein Bild der Einfachheit: ein Dach aus milchig gelbem gewelltem Kunststoff entlang der drei Bahnsteige und etwas höhere über diesen, eines davon grün, dazu eine kleine Bude für den Fahrkartenverkauf und ein asphaltierter Platz.

Ins Zentrum, dessen Panorama man über den Park bereits vom Bahnhofssaal sieht, gibt es nun zwei deutlich verschiedene Wege. Der erste  führt rechts an der größten historistischen Villa der Stadt, einem ansatzweise jugendstiligen Mietshaus und der preußisch-backsteinernen Post vorbei und mit der leicht abschüssigen Obrońców Stalingradu (Straße der Verteidiger Stalingrads)  zum Fluß Rega hinab und ins Zentrum hinein. Die Straße trug diesen Namen noch bis vor kurzem, noch auf der Karte am Bahnhof, noch auf einer Supermarktreklame am Stadtrand.

Ein weiterer Versuch, aus dieser bürgerlichen Repräsentationsstraße eine sozialistische zu machen, stellt ein großes Wandbild, das von der Brandmauer des Jugendstilbaus über einen kleinen Kreisel zur Stadt zeigt, dar.

Auf ihm ist rechts ein aus dicken schwarzen Linien und einfachen Recht- und Dreieckformen zusammengesetztes lächelndes Männchen, von dessen gelüftetem Hut nach links ein regenbogenartiger Kreis mit vier Orange- und Gelbtönen ausgeht. In dessen weißer Fläche steht: „Rzemiosło Łobza świadczy usługi dla ludności, rolnictwa i gosp. uspołecznionej oraz – szkoli nowe kadry“ (Das Handwerk von Łobez erbringt Dienstleistungen für die Bevölkerung, die Landwirtschaft und die vergesellschaftete Wirtschaft und – schult neue Kader). Im Bauch des Männchens ist dazu noch schwach das weiterhin gebräuchliche Hammerlogo des Handwerkerverbands zu erkennen.

Das Wandbild ist ein Beispiel einer spezifisch polnischen Werbegrafik, die auch in einer Kleinstadt nicht fehlen darf.

Der zweite Weg führt links des Grünstreifens über eine Straße und durch eine breite Lücke der niedrigen, teils noch in Fachwerk ausgeführten Bebauung hinab zur Rega, wo eine kleine Fußgängerbrücke folgt.

Das Flußufer ist bis zur nächsten Brücke links und noch über die rechte Brücke der Obrońców Stalingradu hinaus als Park gestaltet. Zu den Mäandern des breiten und flachen, aber gut kajakgeeigneten Flüßchens kommen Bäume, Bänke und große halbabstrakte Betonplastiken.

Der Park an der Rega ist das grüne Herz der Stadt, ein Ort der Verbindung zwischen verschiedenen Stadtbereichen. Der vom Bahnhof abseits der Straßen zu ihm und weiter ins Zentrum führende Weg ist der neue, der sozialistische, und er braucht dazu keinen sozialistischen oder überhaupt einen Namen.

Der Papst im Kajak

Was man in Polen bald erfährt, ist die große Wertschätzung für den Papst. Papst, papież, das ist hier kein Amt mit wechselnden Inhabern, sondern eine Person: Jan Paweł II, Johannes Paul II., Karol Wojtyła. Die Wertschätzung für ihn ist nicht nur staatsoffiziell, sondern umfaßt weiter Teile der Gesellschaft. Auch unter weltoffenen, sogar nicht-religiösen jüngeren Menschen sollte man mit abfälligen Bemerkungen oder Scherzen über den Papst vorsichtig sein, wobei es andererseits auch eine ganze Internetsubkultur, die gerade mehr oder weniger herabwürdigenden Scherzen über den Papst gewidmet ist, gibt.

Zeugnisse der Verehrung des Papstes findet man im öffentlichen Raum ständig. Kaum ein Ort ohne Straßen, Plätze, Brücken, die nach ihm benannt sind, und wenn man nicht mehr als ein Denkmal für ihn findet, hält man sich wohl in einem Hort des Säkularismus auf. Das Jan-Paweł-II-Denkmal ist im heutigen Polen denn eine Kunstgattung für sich, die teils gelungene, teils mißlungene und teils nachgerade bizarre Ausformungen hat. Selten sieht man ein Papstdenkmal, das überrascht, denn trotz unterschiedlichsten Formen bleiben sie schematisch. Das allein gibt dem folgenden Beispiel aus dem Städtchen Łobez im ländlichen Nordwesten des Landes einen gewissen Wert.

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Im hübschen Park am Ufer des Flusses Rega steht ein Findling auf einem runden Sockel aus grauen Steinen und auf diesem ist eine rote steinerne Tafel mit dem Umriß Polens und einer Inschrift.

Man liest, daß der Stein 2012 zum fünfzigsten Jubiläum einer Kajaktour die Rega entlang zum Meer, die der damalige Krakówer Bischof Wojtyła 1962 mit einer Jugendgruppe unternommen hatte, aufgestellt wurde. Nun erkennt man in der polnischen Karte links oben auch Łobez und den Verlauf der Rega. Das gewählte Papstzitat „Wenn du die Quelle finden willst, mußt du in die Berge gehen, gegen den Strom. Kämpfe dich hindurch, suche, weiche nicht zurück“, wirkt angesichts einer Kajakfahrt durch völlig flaches Land und mit der Strömung zum Meer etwas unpassend, beinahe schon sarkastisch, aber das ist ja eher etwas Gutes. Zwei große Informationstafeln am Weg erzählen weiterhin äußerst detailliert von dem Ausflug und zeigen auch ein Bild des Papstes im Kajak.

Es gibt guten Grund, diese Art von Personenkult lächerlich zu finden, aber anders als so viele andere Papstdenkmäler stellt dieses immerhin einen Bezug zwischen der Person Karol Wojtyła und dem Ort Łobez her. Das Denkmal illustriert auch, daß der Möglichkeiten für Gedenkorte wirklich kaum Grenzen gesetzt sind, wenn man jedes kleinste Ereignis im Leben einer Persönlichkeit als erinnerungswürdig definiert. Daß nicht gerade diese Person das verdient hat, steht außer Frage, und daß es keine verdient hat, ließe sich gut argumentieren, aber die Verbindung von kleinen Lebensereignissen mit dem Gedenken an große Menschen ist ein interessanter Ansatz für die Denkmalgestaltung. Und für Łobez wie für überall gilt: der Papst im Kajak ist besser als der Papst im Vatikan.

Ein Ausschnitt aus dem Schild: „Pfarrer Karol Wojtyła („Onkel“) konnte mit seiner Begeisterung für aktive Freizeitgestaltung auch junge Leute anstecken. Die Ferienzeit widmeten sie gemeinsam dem Wandern, Zelten, Gesang am Lagerfeuer und auch dem Gebet, der Meditation, Gesprächen und der Hl. Messe.
Pfarrer Karol war ein begeisterter Kajakfahrer. Die erste Fahrt mit Seiner Beteiligung geschah im Jahre 1953 auf dem Fluß Brda. Danach unternahm er mit seinem Kajak, genannt „Gummistiefel“, 25 Fahrten auf schönen polnischen Flüssen.
Im Jahre 1962 fuhr Bischof Karol Wojtyła zusammen mit der Krakówer Jugendgruppe „Środowisko“ („Umwelt“) auf dem Fluß Rega von Świdwin über Łobez zur Ostsee.“