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Veszpréms Zentrum – Verbindungen

Das Denkmal ist der dezente Mittelpunkt von Veszpréms Zentrum und es endet mit ihm noch lange nicht. Etwa auf der Höhe, wo links des Boulevards das Kaufhaus Bástya steht, endet rechts das Wohngebäude und weiter nach rechts öffnet sich neben ihm ein breiter abzweigender Weg oder zweiter Platz. Ihn rahmen üppige Beete und seinen Abschluß bildet das Vár áruház (Warenhaus Vár [Burg]), das eine neue Fassade hat.

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Der prägende Bau ist hier die Post, die nach dem Ende des Weg-/Platzbereichs vom Boulevard abzweigt, aber auch in ihn vorragt.

Ein dreigeschossiger Bau nur, das Erdgeschoß beim Eingang zum Boulevard hin in Kolonnaden mit Doppelstützen aufgelöst, sonst hinter den Beeten versteckt, das zweite Geschoß um die Fensterbänder mit braunem Metall verkleidet und das dritte Geschoß als schräger brauner Dachaufbau weit zurückgesetzt. Auf ihm steht vorne in silbernen Metallbuchstaben das Wort „Posta“ (Post), das man so schon von Weitem bemerkt.

Als gänzlich unpolitisches Gegenstück zum Kunstwerk auf dem Platz ist an der Ecke ein unregelmäßig abgerundetes Brunnenbecken, in dem im Kreis drei Frauen mit großen Hintern stehen. Das Wasser läuft von einer Platte, die eine Frau über dem Kopf hält, über zwei weitere Platten, die zwei weitere Frauen auf unterschiedlichen Höhen in den Händen halten.

Links schließen an das Kaufhaus Bástya vier weitgehend identische zweigeschossige Ladenpavillons mit vorgesetztem Obergeschoß an, zwischen denen schmale Gassen oder Passagen, mal überspannt von Betongittern, mal mit freistehenden Treppen, abzweigen.

Der dritte der Pavillons bildet den Sockel des zwanziggeschossigen Hochhauses, das von allen bisher dargestellten Teilen des Zentrums auf die eine oder andere Art zu sehen war. Um die Ecke der neben ihm beginnenden Gasse hängt ein großes Backsteinrelief von Árpád Csekovszky aus dem Jahre 1976, das verschachtelte historische Stadtlandschaften und Wappen zeigt. Um deren Bezug zu Veszprém zu erkennen, muß man aber entweder die Stadtgeschichte sehr gut oder den Titel „A régi városközpönt emlékére“ (Zum Gedenken an das alte Stadtzentrum) kennen.

Rechts tritt das Gebäude der Post nach den Kolonnaden des Einfangs weit zurück und für seinen nunmehr parallel zum Boulevard verlaufenden Abschluß schließt es mit einem nachgeahmten Satteldach genau an das tatsächliche eines alten Häuschens an. Auf dem Dachaufbau ist zu dieser Seite ein silbernes Posthorn.

Schon gegenüber von den letzten Pavillons stehen am abfallenden und leicht nach links abbiegenden Boulevard dann rechts nur noch überkommene Häuser.

Unten an der großen Straße endet der Boulevard des sozialistischen Zentrums und das kapitalistische Veszprém beginnt. Bald kann man von der Straße aber wieder nach rechts gehen, wo man bald die auf einem schmalen Fels ins Land ragende Altstadt erreicht.

Das neue Veszprém ist mit dem Alten geradezu verzahnt und der Übergang ist völlig bruchlos. Wie als Symbol dafür steht von unten gesehen eine kleine weiße Kirche mit spitzem Turm am Hang direkt vor dem transparenten und schwarzen Hochhaus.

Schon, wenn dies alles wäre, wäre das Zentrum ein großartiges fortschrittliches Stadtensemble in würdiger Nachfolge der Lijnbaan, um das auch größere Städte Veszprém beneiden können. Aber da ist mehr. In fast alle Richtungen folgt auf die Gebäude des Boulevards noch mehr, nicht umsonst gibt es all die abzweigenden Wege. Jenseits des Wohngebäudes erstreckt sich, wie ja schon vom Busbahnhof gesehen, ein kleines Wohngebiet. Üppige Grünflächen mit hohen Bäumen zwischen drei quer aufgereihten fünfgeschossigen Gebäuden, eine ganz typische Anlage, harmonisch und ruhig, wie sie überall stehen könnte.

Hier aber trennt nur das höhere Wohngebäude, das zu dieser Seite Laubengänge und milchig verglaste Treppenhäuser hat, vom belebten Boulevard und dank den beiden großen Durchgängen sind es nur Schritte zu ihm.

An der anderen Seite des Wohngebiets steht das genannte Punkthaus und, parallel zu dem am Boulevard, aber deutlich versetzt zu ihm und bis hinter das Warenhaus Vár reichend, ein sechsgeschossiges Gebäude.

Hier müssen wohl die bestgelegenen Wohnungen der Stadt sein, denn bereits vom vor ihm verlaufenden Weg, der nach einer Stufe im Terrain als Terrasse weiterführt, schaut man über Schulen niedriger am Hang und das Tal zu den Türmen der Altstadt.

Um die älteren Teile der Stadt zu erreichen, muß man auch nicht den beschriebenen Weg nehmen, da etwa parallel dazu zwischen Warenhaus Vár, das die Burg schon im Namen trägt, und der anderen Seite der Post eine weitere Verbindung verläuft.

Ein Durchgang führt durch ein L-förmiges Gebäude mit Läden, das in einfachen Formen – nur weißer Putz, aus dem Dach ragende spitze Fenster und schräge Dächer über den Schaufenstern – in den Hang gesetzt ist. Hinter den alten Häusern am Boulevard sind dann oft keine privaten Hinterhöfe, sondern öffentliche Bereiche mit kleinen, oft historisierend gestalteten Gebäuden, die wohl aus den späten Achtzigern stammen.

So gelangt man ohne Straßen zu berühren in die ebenfalls den Fußgängern vorbehaltene Altstadt.

Jenseits der Pavillons schließlich ist ein Verwaltungsbau, der durch verschiedene Terrassenstufen und vieleckigen Grundriß sehr bewegt, aber durch Fensterbänder und weiße, unten schräg vortretende Verkleidungsbänder sehr einheitlich wirkt. Er ist jedoch eher der Kurve der Straße als dem Zentrum zugewandt.

Insgesamt ist Veszpréms Zentrum beinahe makellos zu nennen. Die Stadt scheint seinen Wert zu kennen, denn sogar die jüngst stattgehabte Sanierung richtete keinen Schaden an. Auch, daß auf dem Platz die vulgäre nationalistische Büste eines Königs gesetzt wurde, läßt das sozialistische Kunstwerk im Kontrast nur noch mehr erstrahlen. Vom ersten Anblick bis ins letzte Detail, vom Busbahnhof bis zum Übergang in die älteren Teile der Stadt, von Architektur bis Kunst – Veszpréms Zentrum ist vorbildlicher fortschrittlicher Städtebau.

Veszpréms Zentrum – Kunst

Auf dem Platz in der Mitte von Veszpréms Zentrum steht ein Kunstwerk, das es noch klarer zum sozialistischen Zentrum macht.

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Sein niedriger Sockel ist quer zum vorbeiführenden Boulevard in die Treppe gesetzt und mit demselben hellen Sandstein verkleidet, aus dem die Skulptur gefertigt ist. Es ist der Mittelpunkt des Platzes, wurde aber nicht in seiner Mitte, sondern in seinem rechten Teil näher zum Kaufhaus Bástya angeordnet.

Frei und allansichtig steht die Skulptur auf dem Platz, hat aber doch klar Anfang und Ende. Der Inhalt ist dabei einfach genug, um schnell erfaßt zu sein, und detailreich genug, um längere Betrachtung zu belohnen.

Schaut man von der Seite auf sie, zeigt sie von hinten nach vorne Teile der ungarischen Geschichte in verschiedenen verbundenen Figuren.

Als erstes nach hinten und zu den Seiten blickend eine Gruppe mittelalterlicher Kämpfer und ein Mönch mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze, der eine Schriftrolle mit lateinischer Schrift, eine Urkunde, präsentiert. Als nächstes ein Reiter, ebenfalls mittelalterlich, ein Ritter, auf sich aufbäumendem Pferd. Nach einem weiteren Kämpfer in Helm und Kettenhemd werden die Figuren moderner, sie tragen nun einfache Anzüge und Kappen.

Nach vorne zeigend, aber gleichsam im Inneren der Skulptur ist ein Redner an einem Pult. Über dem vorderen Teil der Skulptur weht nun eine zusammenfassende Fahne, die eine Frau und ein Mann wie nach vorne schreitend und tatsächlich nach vorne zeigend tragen.

Die hinteren Teile zeigen die frühen Kämpfe der Ungarn, die Entstehung des ungarischen Staats, die vorderen zeigen die Revolution. Ob es die bürgerliche von 1848 oder die sozialistische von 1919 ist, bleibt unklar, was das Kunstwerk heute, vielleicht nach der Entfernung einer expliziten Aufschrift, vielleicht rettet. Ob schon der Künstler László Marton im Jahre 1981 die Unklarheit wollte und deshalb den vagen Namen „Történelmi allegória“ (Geschichtliche Allegorie) wählte, läßt sich bloß spekulieren, aber die Umgebung des sozialistischen Stadtzentrums macht deutlich: es ist die rote Fahne der ungarischen Räterepublik von 1919, die der Arbeiter und die Arbeiterin da vorantragen.

Die Formensprache gehört ebenfalls ganz in die Kunst des Sozialismus, was jedoch noch nichts heißt. Die Figuren sind genau so stilisiert, daß sie nicht kitschig wirken, und genau so realistisch, daß sie klar zu erkennen sind. Sind sie ganz hinten eher statisch, so sind ab dem aufgebäumten Pferd alle voller Bewegung. Alle Figuren erwachsen aus einer Basis aus versetzten Quadern und an mehreren Stellen ist die Skulptur durchbrochen. Alles drängt vom hinteren Teil zum vorderen, vom Anfang zum Ende, scheint abheben zu wollen, steht hinten wie vorne auch schon weit über. Wie in der ungarischen sozialistisch-realistischen Bildhauerei typisch kommen zum Stein weitere Materialien. Die Spitzen des Morgensterns eines Kämpfers sind aus silbernem Stahl,

ebenso die große Kugel über der Brust einer Figur weiter vorne,

und hinter der hinteren Gruppe sind horizontale Streifen eines glatten rotgesprenkelten Steins,

was eine Fahne in den weiß-roten Farben der Árpáden-Dynastie ergibt.

Erst auf den zweiten Blick bemerkt man Szenen voller Dramatik und Drastik. Unter, dank einer Öffnung der Skulptur tatsächlich unter, dem Pferd ist ein stürzender gegnerischer Kämpfer, gerade in dem Moment, da er niedergetrampelt wird.

Auch vor den Fahnenträgern ist ein gestürzter Körper zu erahnen, während rechts der Fahnenträgerin ein anderer gerade stürzt, über dem ein noch Stehender mit nach hinten gewandten Kopf etwas ruft. Die Toten bilden geradezu die Basis, auf der die anderen voranschreiten.

Das Denkmal spart die Opfer, die Geschichte immer bedeutet, nicht aus, aber stellt sie auch nicht als heroisch dar. Sie sind eben Teil eines Prozesses, der auch nicht vorne in der roten Fahne und ihren Trägern endet, sondern sich aus ihnen heraus im umgebenden neuen Zentrum von Veszprém fortsetzt.

Ob der Künstler es nun wollte oder nicht, er schuf ein sozialistisches Kunstwerk für ein sozialistisches Stadtzentrum.

Veszpréms Zentrum – Grundlagen

Veszprém, eine Universitätsstadt in Westungarn in den niedrigen Bergen oberhalb des Balaton, ist in jeder Hinsicht hübsch und idyllisch und dazu trägt nicht zuletzt sein sozialistisches Zentrum bei. Das größte Problem der Stadt ist, daß der Bahnhof weit außerhalb liegt, was den topographischen Bedingungen geschuldet und schwer zu ändern ist. Stadtplanerisch wurde darauf im Sozialismus insofern reagiert, als das größte Wohngebiet auf halbem Weg zwischen Stadtzentrum und Bahnhof angeordnet ist, aber das macht die Wege eben auch nicht kürzer.

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Als Ausgangspunkt des neuen sozialistischen Stadtzentrums kann man daher den Busbahnhof verstehen, der auch das bessere Bauwerk ist. Über seinem langen Bahnsteig schwebt ein Dach aus dünnen Betonschalen in der Form hyperbolischer Paraboloide. Sie erwachsen jeweils auf einer Stütze und ragen mit aufsteigenden Spitzen weit in Richtung des Haltebereichs der Busse und der dahinter sichtbaren Zentrumsbebauung vor, während abfallende Spitzen auf rückwärtigen Stützen ruhen.

Wie kompliziert geformte Wellen scheint der Beton des Dachs in Bewegung hin zum neuen Veszprém, zu dem er schon gehört. Auch das am Ende des Bahnsteigs leicht schräg angeordnete Funktionsgebäude des Busbahnhofs hat entsprechende Schalendächer, von denen einige höher gesetzt sind, um durch verglaste Zwischenräume Licht in die Wartehalle zu lassen.

Das Zentrum ist jenseits der wartenden Busse und des Verkehrs auf der vorbeiführenden Straße schon in groben Zügen zu erkennen.

Zuerst Wohnbebauung mit charakteristischem orangenen Glas vor den Balkonen und weißer Steinverkleidung unter den Dächern und an seitlichen Flächen. Ein freistehendes zehngeschossiges Punkthaus, nach links ein langgestreckter fünfgeschossiger Bau parallel zur Straße und ein siebengeschossiger quer zu ihr.

Dann ein sechsgeschossiges Bürogebäude an der leicht abbiegenden Straße, das wohl Fensterbänder und vertikale dunkle Metallstreben hat, von dem man aber nur die strahlend hellblaue Verkleidung so wirklich bemerkt. Und hinter all dem das Hochhaus, vertikale Dominante der Stadt, die man schon von der fernen Bahnstrecke sieht.

Zwanzig Geschosse hoch, rechteckiger, fast quadratischer Grundriß, umlaufende Fensterbänder und Verkleidung aus leicht vorgewölbten schwarzen Kacheln in horizontaler Anordnung, oben um die technischen Geschosse hellgraue Betonverkleidung, in der an zwei Ecken verglaste Teile sind, hinter denen sich aber leider statt Restaurant und Café nur weitere Technik verbirgt.

Es ist das über der Stadt thronende Symbol des ungarischen Sozialismus, aber es kann dies nur sein, weil es Teil eines Ganzen ist.

Um weiter ins Zentrum zu kommen, passiert man als nächstes die parallel zur Straße stehende Markthalle. Ein einfaches Gebäude, langgestreckt rechteckig, außen ein flacher Teil mit grauer unregelmäßiger Steinverkleidung und aufsteigend schräg überstehendem weißen Dach, in der Mitte die eigentliche Halle, nicht mehr als Glas und dünne grüne Stahlkonstruktion, innen zusätzlich graue Belüftungsrohre.

Der Weg, selbstverständlich breit und mit Beeten, trifft nach der Markthalle zwischen eingeschossigen Ladengebäuden auf den flach abfallenden Zugang zur Unterführung. Sie beginnt weiter links neben der abzweigenden Straße bei einem viergeschossigen Bürogebäude mit Fensterbändern und großen Kreisen in der Betonverkleidung, entspringt gleichsam aus seinen absteigenden Terrassenstufen.

Hier ist der Anfang des eigentlichen Boulevards von Veszprém. Die Unterführung führt auf genau die richtige Weise sanft hinab, unter der Straße hindurch und wieder hinauf. Das Wohngebäude rechts, das orangene Balkone und eine steinverkleidete Fläche neben der Schmalseite zeigt, und das hellblaue frühere pártház (Parteihaus) links, das bei seiner rechten Ecke eine vorgesetzte Treppe und Terrasse mit weißer Betonbrüstung und im Geschoß darüber einen rahmenartig vorgesetzten Teil hat, bilden nun ein Tor ins Herz des Zentrums, von dem gerahmt das Hochhaus aufragt.

Das rechte Gebäude ist auch das Rückgrat des folgenden Platzes und im Erdgeschoß hat es Läden, zwei breite Durchgänge und ein abstraktes Relief aus schwarzem Stein.

Links folgt angeschlossen an das Parteihaus ein Hallenbau, dessen leicht versetzte Wände jeweils ein Pultdach tragen, so daß sich eine  Art nach hinten weisendes Sheddach ergibt.

Während sich die schmale Vorderseite zum Boulevard mit dem Eingang und großen Glasflächen öffnet, sind die Breitseiten ganz mit horizontalen dreieckigen Platten aus körnigem sandfarbenem Stein, der bis in die spitzen Wellen des Dachs reicht, verkleidet und haben nur rechts einige kleine dreieckige Fenster.

Nun öffnet sich der Platz nach links, wo er mit einer breiten, aber nicht hohen Treppenanlage ansteigt. Rückwärtig schließt ihn das lange dreigeschossige Hotel Veszprém zur Straße hin an. Es hat Glasflächen im Erdgeschoß und Balkone in einem Gerüst aus Betonstreben und -balken in den weit überstehenden Obergeschossen.

An seinem anderen Ende bildet der bis auf die Schaufenster im Erdgeschoß und den roten Schriftzug weiße Kubus des Kaufhauses Bástya (Bastion) den Abschluß.

Auf diesem Platz, zu dem Beete mit Bäumen und Rosen gehören, steht das sozialistische Kunstwerk, das er verlangt.