„Im grünen Wald die rote Stadt, die ein zerschossen Rathaus hatt‘“, liest man in goldenen Buchstaben am Rathaus von Suhl im Thüringer Wald.
Aus Linde, Guntard/Guse, Ernst: Oberhofer Ansichten, Leipzig 1983
Das Rathaus wird man erst spät entdecken, wenn man dorthin fährt, und es dann auch so wenig wichtig finden wie es eben ist, aber das Zitat, bezogen auf den Widerstand gegen den Kapp-Putsch 1920, erklärt sehr gut, wieso Suhl das wurde, was es in der kurzen Zeit seiner größten Bedeutung war: eine Bezirksstadt der DDR. Ganz im Südwesten der Republik hätte es andere, vielleicht logischere, Möglichkeiten für eine Bezirksstadt gegeben, Meiningen etwa, das mal Residenzstadt eines deutschen Kleinstaats war, aber Suhl war eben die „rote Stadt“, Zentrum der, wenn in dieser letztlich sehr rückständigen Gegend auch relativ schwachen, Arbeiterbewegung. Deshalb also ist (oder war) Suhl heute mehr als eine völlig unbedeutende Kleinstadt in einer völlig unbedeutenden Gegend. Noch heute ahnt man den Anspruch dieser Stadt, etwas zu sein, ein Zentrum zu sein.
Der Spruch vom Rathaus paßt auch zur städtebaulichen Situation: der grüne Wald zieht sich den Domberg im Norden hinauf und vor ihm liegt die rote Stadt, das neue sozialistische Stadtzentrum. Während sich die große Dr.-Theodor-Neubauer-Straße und, höher am Hang, die Bahnstrecke um die Formen des Bergs schmiegen, verläuft dieses Stadtzentrum unabhängig von ihm beidseits der etwa in west-östlicher Richtung verlaufenden Wilhelm-Pieck-Straße, die aber nur für Busse durchfahrbar ist, während sie Autos nur als Zufahrt zu Parkplätzen dient.
Illustration von Rudolf Peschel aus Nastoll, Roger: Mit Paula Bissig durch Südthüringen, Berlin 1984
Es beginnt links mit seiner Höhendominante, einem 26-geschossigen Wohnhochhaus auf quadratischem Grundriß, das von Fensterbändern und dem abschließenden gänzlich verglasten Panoramarestaurant bestimmt ist.
Aus Hopf, Gerhard/Müller, Klaus Dieter: Suhl, Leipzig 1986
Rechts, wo das Gelände bereits wieder ansteigt, steht das Haus der Gewerkschaften, ein siebengeschossiger Bürobau, von dem ein niedrigerer Anbau neben einer Treppe den Hang hinaufführt. Links folgt die Stadthalle der Freundschaft, ein großer Rundbau mit weißen vertikalen Streben.
Aus Urzyniok, Horst: Tourist Wanderatlas Oberhof, Berlin/Leipzig 1986
Die Verbindung zwischen ihr und dem Hotel bilden ein Schwimmbad und ein Restaurantbau. Das Restaurant und ein ähnlicher zweigeschossiger Anbau auf der anderen Seite der Stadthalle zeigen mit schrägen Wänden zum Eingang der Stadthalle, so daß sich eine Art Trichter bildet. Sowohl Wandflächen dieser beiden Bauten als auch eine am Schwimmbad tragen große Wandbilder von mehr (Willi Sitte, Willi Neubert) oder weniger (Peter Preiss) berühmten Künstlern der DDR.
Aus Hopf, Gerhard/Müller, Klaus Dieter: Suhl, Leipzig 1986
Rechts weitet sich das Zentrum zu einem weiten Platzbereich, dem Ernst-Thälmann-Platz. Jenseits von ihm, höher am Hang, ist das Kulturhaus des 7. Oktober.
Aus Autorenkollektiv: Architekturführer DDR – Bezirk Suhl, Berlin 1989
Es ist ein stalinistischer Bau mit hoher Säulenfront und dreieckigem Giebel, erstes Gebäudes des neuen Zentrums und Beispiel einer ganz anderen Phase der Architektur der DDR. Dennoch wirkt es nicht wie ein Fremdkörper, sondern wird von seiner Umgebung sowohl kritisiert als auch aufgehoben, indem es in einer so deutlichen Sichtbeziehung zur Stadthalle steht. Wie gegensätzliche Thesen stehen sie sich gegenüber. Alles, was am Kulturhaus falsch ist, die historistische Architektur, die Vertikalität, die Anordnung eines Reliefs im Giebelfeld, wird von der Stadthalle durch klare fortschrittliche Architektur, Horizontalität und die Anordnung der Wandbilder auf Höhe der Betrachter, ausgeglichen.
Aus Krenz, Gerhard: Architektur zwischen gestern und morgen, Berlin 1974
An den Platz schließt ein Parkbereich um den große Herrenteich, in dem in den warmen Jahreszeiten eine hohe Fontäne ist, an, und dahinter, höher am Hang ist ein schlichter viergeschossiger Hotelbau. Auch links weitet sich das Zentrum nun zu einem weiten Bereich, der aber mit dem Wort Platz nur unzureichend bezeichnet wäre. Hier kommt ein Bach, die Lauter zum Vorschein und an ihrem tief kanalisierten Lauf steht ein langgezogenes Fachwerkhaus mit Walmdach, das das Waffenmuseum beherbergt. Die Lauter macht dann noch eine Schwung, bevor sie wieder unterirdisch weiterfließt.
Aus Hopf, Gerhard/Müller, Klaus Dieter: Suhl, Leipzig 1986
Sowohl der Bach als auch die alte Architektur Suhls sind so inmitten des Neuen kurz zitiert. Es folgen ein großer Parkplatz und der Busbahnhof.
Aus Hopf, Gerhard/Müller, Klaus Dieter: Suhl, Leipzig 1986
Wie ein Rahmen legen sich um diesen Bereich vier fünfzehngeschossige Hochhäuser. Sie sind nacheinander aufgereiht und führen bis dorthin, wo die Straße durch das Zentrum wieder auf die große Dr.-Theodor-Neubauer-Straße trifft. Deren geschwungenem Verlauf, und also indirekt dem des unweit dahinter aufragenden Dombergs, folgen sie auch, aber da sie untereinander durch ein Zickzack flacher Ladenbauten mit Dachterrassen verbunden sind, ist man vom Verkehr völlig geschützt. Während ihre Breitseiten Schachbrettmuster bilden, wenden ihre an der Schmalseite vorgesetzten Aufzugstrakte dem Zentrum schraffierte Betonmuster zu.
Rechts folgt nach einem dreizehngeschossigen Hochhaus, an der Straße, aber erhöht auf einer großen rechteckigen Terrassenebene, das Centrum-Warenhaus. Ein Kaufhausbau, wie man ihn auch aus anderen Städten der DDR kennt, ein Würfel aus einer filigran ornamentierten silbernen Metallblechstruktur gleichsam nur. An der Ecke der Terrasse führt eine Wendeltreppe mit kompliziert gefächertem Gitter hinauf.
Aus Linde, Guntard/Guse, Ernst: Oberhofer Ansichten, Leipzig 1983
So bleibt in Suhl die Filigranität der von Fritz Kühn gestalteten Kaufhausfassade nicht allein. Sie, die Treppe, aber auch die Betonelemente der Hochhäuser (die beiden letzteren Werke von Waldo Dörsch), schaffen einen abstrakten, ornamentalen Gegenpol zur realistischen Kunst bei der Stadthalle. Abschluß des eigentlichen Stadtzentrums bildet, weiterhin rechts, nach einigen älteren Gebäuden, ein weiteres der Hochhäuser.
Aber die Terrassenebene, auf der das Kaufhaus völlig frei steht, bildet vor allem eine wichtige Verbindung zum höher gelegenen alten Zentrum von Suhl. Der Steinweg, eine Fußgängerzone, erstreckt sich etwa ab Höhe des Kulturhauses parallel zum neuen Zentrum.
Aus Urzyniok, Horst: Tourist Wanderatlas Oberhof, Berlin/Leipzig 1986
Am Beginn des Steinwegs steht die barocke Kreuzkirche, die auch vom Ernst-Thälmann-Platz gut zu sehen ist, und an seinem Ende ist der Karl-Marx-Platz, wo denn auch das Rathaus ist.
Aus Hopf, Gerhard/Müller, Klaus Dieter: Suhl, Leipzig 1986
In seiner Mitte steht eine Säule mit der Figur eines Schmieds. Dort wiederum, wo die Terrasse in die Fußgängerzone und also das neue ins alte Zentrum übergeht, steht der Brunnen „Diana auf Jagd“, geschaffen wiederum von Waldo Dörsch.
Aus Hopf, Gerhard/Müller, Klaus Dieter: Suhl, Leipzig 1986
Er ist ein faszinierendes Werk der späten DDR: Im höheren der sechseckigen Becken eine nackte Frau auf einem aufgebäumten Pferd, in wildem Ritt, den Bogen gespannt. Zum niedrigeren der Becken fließt außer dem Wasser auch ein Strom sehniger Jagdhunde, um sich auf zwei Wildschweine, in denen schon Pfeile stecken, zu stürzen. Es ist, als werde hier ein allegorisches Motiv, wie es ins 19. Jahrhundert paßte, mit all der Kraft und Lebensfülle des sozialistischen Realismus gestaltet, woraus dann etwas Neues und Überraschendes entsteht. Schmiedesäule und Dianabrunnen erinnern gemeinsam sehr schön an die lange zurückreichende Bedeutung der Waffenherstellung in Suhl, die auch in der DDR mit dem VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ fortgeführt wurde. Nur angemessen daher, daß Klaus Dieter Müller sie zu den Helden seiner schönen Einleitung für das Brockhaus-Souvenir-Bändchen über die Stadt machte.
Eine wichtige Ergänzung des Stadtzentrums ist das Haus der Partei, das noch etwas nördlich rechts der großen Straße steht.
Aus Autorenkollektiv: Architekturführer DDR – Bezirk Suhl, Berlin 1989
Man könnte es auch übersehen, ein siebengeschossiger Bürobau eben, wie es viele gibt. Aber vorgesetzt ist diesem ein zweigeschossiger Vorbau, in dem unten ein rundum verglastes Foyer und oben ein zu zwei Seiten verglaster Saal ist. Tritt man ins Foyer, sieht man plötzlich, das der Vorbau direkt über die Lauter gesetzt ist. Durch die Fenster blickt man hinaus auf den schnellfließenden Bach. So wird das scheinbar so schlichte Haus der Partei zu einer Art Suhler Falllingwater und bekommt zusätzlich eine allegorische Bedeutung: das gesamte neue Stadtzentrum, durch das sich die Lauter, mal sichtbar, mal unterirdisch, schlängelt, scheint aus ihm zu entspringen. Haus der Partei heißt dieses Gebäude nun schon nicht mehr, seit es diese Partei nicht mehr gibt. Die Lauter fließt zwar weiter hindurch, aber vom beschriebenen Stadtzentrum, dessen Bau diese Partei leitete, sind nur noch Reste übrig.
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