Archiv der Kategorie: Reaktionäre Architektur

Caja Popular de Ahorros de Tucumán

Das Gebäude der Caja Popular de Ahorros (Volkssparkasse) ist das monumentalste unter den Gebäuden am zentralen Plaza Independencia (Unabhängigkeitsplatz) in Tucumán, die fast alle auf die eine oder andere Art monumental sein wollen.

Ganz mit einem cremeweißen Stein verkleidet, hat es unten ein breites und hohes Portal mit nach innen abgestuften Rändern, hinter dem Flächen aus schwarzen Gittern, Glas und säulenartigem Stein zurückgesetzt sind, in der Mitte in drei gleich den Seitenstreifen leicht vertieften vertikalen Flächen je ein höheres und ein niedrigeres vertikales Fenster und oben hinter einer Terrasse mit versteckten breiten Glasflächen einen Dachaufbau abwechselnd mit pilasterartigen vertikalen Streifenmustern und glatten Flächen. Einziger Schmuck sind zwei große vertikale metallgefaßte Röhrenlampen an den Wänden neben dem Portal, unter denen im Stein die Namen des Architekten und der Baufirma stehen, und der große zweizeilige schwarze Schilftzug in der hohen Fläche zwischen Fenstern und Terrasse, den zwei jedoch eigentümlich leere Wappenreliefs in Stein flankieren.

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Anders als bei den anderen monumentalen Gebäuden des Platzes ist bei der Caja Popular de Ahorros alles, bis hin zur Geschoßstruktur, der Monumentalität untergeordnet. Sie ist wie ein weißer vertikaler Monolith, der sich den ganzen Platz unterjochen will und das bloß wegen der Nebengebäude in der Blockrandbebauung nicht schafft. Offenkundig ist die stilistische Nähe zur reaktionären Architektur des italienischen Faschismus, die auch gut eine direkte Inspiration durch diesen sein kann.

In der vom quadratischen Platz nach Norden abzweigenden 25 de Mayo de 1810 (Straße des 25. Mai 1810), also im selben quadratischen Straßenblock, hat die Caja Popular de Ahorros ein zweites, neueres Gebäude, das im Blockinneren auch mit dem am Platz verbunden ist, ohne daß man diese Nähe ahnen würde. Man erlebt es zuerst weniger als Gebäude denn als Erweiterung des Straßenraums, da seine beiden unteren Geschosse geöffnet sind und erst weit hinten gläserne Wände und ein halbrundes Treppenhaus haben, während seine beiden oberen Geschosse nach vorne zur Straße auf Pfeilern an den Ecken und nach rechts zu einer Einfahrt auf einer durchlässigen Wand aufgestützt sind.

Es entsteht ein gar nicht großer, auch nur halb öffentlicher Platz, der aber mit üppigen Hochbeeten in der Enge der Stadt ungemein großzügig wirkt und die Blochrandbebauung aufzureißen scheint. Die helle Steinverkleidung der Stützen und zwischen den Fensterbändern der oberen Geschosse ist dabei nicht ganz anders als bei dem Gebäude am Platz. Wo dieses aber durch seine Monumentalität den Platz beherrschen will und scheitert, schafft dieses ohne jegliche Monumentalität seinen eigenen Platz. Es steht damit in einer anderen Tucumáner Architekturtradition, Gebäuden gleichsam schwebende Teile über den Straßenecken, um dort etwas mehr Platz zu schaffen, zu geben,  deren Höhepunkt das ähnlich aufgestützte, aber eine ganze Ecke öffnende Gebäude der Banco de la Nación Argentina (Bank der argentinischen Nation) in der San Martín (San-Martín-Straße) Ecke Maipú (Maipú-Straße) ist.

Die beiden Gebäude de Caja Popular de Ahorros de Tucumán, 1939 und 1983 erbaut, sind Ausdrücke der bürgerlichen Architektur ihrer Zeit eingefügt in die bürgerliche Stadt, aber das neuere bietet eine Ahnung einer anderen Architektur und Stadt, während das ältere bloß die alte Monumentalitat ins Extreme treibt.

Blüten von Calahonda

In Calahonda, das noch zu Mijas gehört, obwohl es ebensoviel oder -wenig mit Marbella verbindet, verläuft die autobahnähnliche Schnellstraße A7, die diese Verbindung oder Nichtverbindung ist, zwischen einem schmalen ansteigenden Streifen am Strand, wo sich größere Hotels drängen, und den flach ansteigenden Hügeln, wo sich bis zur wirklichen Autobahn ausgedehnte Ferienhausanlagen drängen. Sie ist kreuzungsfrei wie eine Autobahn und nur auf schmalen Fußgängerbrücken zu überqueren, hat aber unzählige Abfahrten für all das, was an ihr liegt.

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Jede städtebauliche Logik würde verlangen, jegliche Einrichtungen, in denen sich Menschen länger aufhalten, am Meer und nicht an der Schnellstraße unterzubringen, doch von Logik gibt es in Calahonda keine Spur. An der meeresfernen Straßenseite sind hier in unzähligen Ladengebäuden, centro comercial genannt, hinter nur schmalen Parkplätzen nicht nur Supermärkte und Läden, sondern auch Restaurants, Cafés und Kneipen mit Terrassen, so daß die Engländer ihren Urlaub oder Ruhestand mit Blick auf den Straßenverkehr verbringen können – manchmal zu gegen den Autolärm ankämpfender Livemusik – während das Meer keine zweihundert Meter entfernt ist.

Die architektonischen Formen dieser nie mehr als zweigeschossigen langgestreckten Einkaufszentren paßt gut zum morbiden Reiz ihrer städtebaulichen Lage, da sie mit den Ferienhäusern in den Hügeln und den meisten Hotels am Strand erst ab den Achtzigern, Neunzigern entstanden. Entlang der Schnellstraße zeigt sich ein Sammelsurium historistischer Architekturmoden dieser Zeit, die sich, abzüglich eines manchmal vorhandenen rustikal-spanischen Einschlags, auch in deutschen oder polnischen Kleinstädten finden ließen. Wenn man genauer hinschaut, als das aus dem Auto möglich wäre, findet man unzählige wahnwitzige Details. Da steht in einer Grünfläche ein Plastiktretboot in Schwanenform, ganz wie in anderen Grünflächen durch den Tourismus sinnlos gewordene Fischerboote stehen, als sei der Tourismus selbst schon wieder Geschichte.

Da ist die linke Seite des ansonsten antikisierend gestalteten Riviera Comercial für ein chinesisches Restaurant mit einem Pagodendach ausgestattet und in der Ecke hängt eine große Kristalllampe in Pagodenform, die in der Sonne glitzert, während nicht klar ist, ob das Restaurant für immer oder bis zur Saison geschlossen ist.

Da ist das Centro Miraflores ein ganzer postmodernistischer Alptraum mit hohen backsteingefaßten Rundbögen auf zwei Geschossen und rechts angefügtem Turm mit Erker und überstehendem Dach, doch in der Mitte, über dem Eingang und zwischen zwei tief ins Gebäude hineinführenden Treppen, hängt eine riesige halbrunde Pflanzenschale aus glattem Beton, die aus einem früheren brutalistischen Traum übriggeblieben zu sein scheint.

Die Blumen wachsen dort wie um den Springbrunnen des Vorplatzes wild, wodurch das Gebäude im Verfall seinem Namen (etwa “Blumenblick”) besser denn je gerecht wird.

Wenn man genau genug hinschaut – und es ist schwer zu sagen, wieso man das sollte – findet man in Calahonda entlang der A7 noch viele weitere solcher bizarrer Blüten, die der spanische Kapitalismus hervorgebracht hat.

Bad Wildungen im Untergang: Kurhaus

Am Ende der Brunnenallee in Bad Wildungen, direkt hinter der Ladenzeile aus den fünfziger Jahren, unweit des historistischen Hotels Fürstenhof, steht das Kurhaus.

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Ein Kurhaus, das sollte Stolz und Mittelpunkt eines Kurorts sein und auch dieses war als solches gedacht, auch die Lage gegenüber vom Hang zum Kurpark, ist nicht schlecht. Aber es wurde 1987 ereöffnet und das sieht man seiner lächerlichen neohistoristischen postmodernistischen Architektur gut an. Rundbögige Fenster in rötlichen Steinrahmen, blaßtürkises Metall, gläserne Tonnendächer in der Mitte des weit vorstehenden Haupteingangs und über zwei weiteren Eingängen, die vorne in halbrunden Bleiglasflächen mit Blumenmustern enden, im Inneren unter weiteren Glasdächern viel weißer glatter Stein, rückwärtig ein Veranstaltungssaal mit mehrstufigen, in braunem Metall verkleideten Dächern, die ebenfalls rundbögige Fenster haben, in den Grünflächen Spaliere aus blauen Metallröhren ähnlich den Bänken und Lampen an der Brunnenallee.

2012 wurde das Kurhaus geschlossen, und seitdem verfällt es. Keine Menschen gehen durch die gläsernen Schiebetüren, keine Autos fahren in die Tiefgarage, die von der vorher bei der Ladenzeile abgezweigten niedriger verlaufenden Parallelstraße erschlossen ist, still steht der Parkscheinautomat neben dem Eingang. Die Bronzeplakette, die das Kurhaus als „behindertengerecht erbaut” ausweist und das alte Frakturlogo des VdK (Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschland) mit einem hübschen Piktogramm eines Treppenstufen auf einem Pfeil überwindenden Rollstuhlfahrers, ist ein Hohn, denn heute ist das Kurhaus weder das noch mit dem mittlerweile bevorzugten Wort „barrierefrei”, sondern eine einzige Behinderung und Barriere.

Vom vielen Glas ist bereits viel zerbrochen, im obersten Einfang sind tote Pflanzen in einem Hochbeet, während andere von außen bereits über den Boden wachsen.

Das Kurhaus von Bad Wildungen ist ein jämmerlicher Anblick. Das immerhin war bereits, als es in Betrieb war, nicht anders, doch so lächerlich und reaktionär seine Architektur ist, es ist schwer, sich zu freuen, daß sie nur fünfundzwanzig Jahre hielt, denn ihr Verfall symbolisiert den allgemeinen Verfall öffentlicher Infrastruktur, worüber architektonische Fragen zweitrangig werden.

Zudem versteckt sich im reaktionären Kurhaus ein fortschrittlicheres Gebäude, das sein Schicksal teilt. Seine verschiedenen Teile haben an den Breitseiten weiße Blechverkleidung und Fensterbänder und an den Schmalseiten eine Verkleidung aus rechteckigen roten Steinplatten. Wie genau es um sie aussah, ist nicht mehr festzustellen, da sie vom Kurhaus völlig umbaut ist, aber vermutlich gab es eine von der Ladenzeile herführende Achse mit deutlich mehr Grün, zu der auch die Platanen, die jetzt hinter dem Kurhaussaal stehen, gehörten. Sie mündete zwischen zwei versetzt parallel zur Brunnenallee stehende Gebäude mit hierher jeweils drei Geschossen. Das linke hat außen, zur tieferliegenden Parallelstraße, fünf Geschosse, rechts eine Tiefgarageneinfahrt, in der Mitte eine Vorwölbung und oben eine Dachterrasse über die sich vorne ein Balken, der das Geschoßdach rechts fortsetzt, spannt.

Zwischen den beiden Gebäuden führt dann eine verbindende Treppe auf eine Terrassenstufe, in der unten der Eingang des Kurmittelhauses ist. Von rechts mündet auf die Terrasse der glasüberdachte Gang hinter dem oberen Kurhauseingang und links ist hinter einer Wand und einer Tür die nunmehr ebenerdige Dachterrasse des linken Gebäudes versteckt.

Alles zwischen den Gebäuden ist heute im Stil des Kurhauses gestaltet. Hier steht auch ein zerstörter Brunnen, von dessen dicker milchkannenartiger Form die grünen und türkisen Mosaiksteine abbröckeln.

Während die Zerstörung des Kurhauses an der Straßenseite langsam vor sich geht, ist sie hier, wo man es nicht sieht, und leider gerade hier, wo das wertvolle ältere Gebäude noch zu sehen ist, ungebremst. Immerhin hat der Vandalismus eine archäologische Funktion, wenn unter den billigen grauen Steinplatten des Dachterrassenzugangs kleine quadratische Kacheln in einem blassen Lila zum Vorschein kommen, was daran erinnert, daß der erste Vandalismus die Architektur des Kurhauses war.

Rechts zwischen der Terrasse und der Brunnenallee bildet ein U-förmiger Flachbau mit großen Glasflächen und nach oben geöffnetem Hof, in dem noch immer eine wohlgeplante Grünfläche mit großem Baum und Ranken zu erahnen ist, den Abschluß dieser Gebäude.

Obwohl sein linker Flügel mit einem Gang im Stile des Kurhauses an ein folgendes Altenheim angeschlossen ist, blieb dieser Teil am wenigsten vom Kurhaus berührt. An einer straßenseitigen Wand, heute halb hinter Bäumen, hängt auch ein Kunstwerk aus verschiedenen rechteckigen Keramikflächen in Schwarz und Braun, von denen drei quer nach vorne ragen.

Außer einem blauen Kreis sind darauf wellenartige Symbole gleich den Zeichen einer fremden Schrift und wie Zeugnisse einer früheren Zivilisation sind auch die Gebäude, die erst von einer verständnisloseren späteren Zeit verunstaltet wurden und dann mit deren An- und Umbauten verfielen.

Diese Zivilisation, das war der westeuropäische Sozialstaat, entstanden aus der begründeten Angst vor dem Sozialismus, und von dessen Resten zehrt Bad Wildungen noch immer. Daß diese Zivilisation untergeht, zeigt das Kurhaus deutlich. Vor kurzem wurde sein Abriß beschlossen und die wertvolleren, fortschrittlicheren Gebäude hinter ihm sind bereits abgerissen.

Monumento al Turista

Torremolinos hat ein riesiges Monumento al Turista (Denkmal für den Touristen), das aussieht, wie so etwas aussehen muß: unten zu vier Seiten sphinxartige Figuren, ein wenig Ägypten, daraus erwachsend als Hauptteil eine zwanzig Meter hohe korinthische Säule, etwas griechisch-römisches Abendland, noch darauf ein Aufbau aus zwei auf den Schwänzen stehenden und nach außen schauenden Delphinen, etwas Naturkitsch, und schließlich hoch oben die große Bronzeplastik einer nackten Frau mit hinter sich ausgebreitetem Handtuch, etwas lasziv-lebloser Realismus, wie er in die Akademiekunst des 19. Jahrhunderts oder des Faschismus paßt. Bis auf die Plastik hat alles Oberflächen aus grauem Stein, hinter dem eine Stahlbetonkonstruktion sein muß.

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Gerade weil alles an diesem Kunstwerk so billig, bizarr und lächerlich ist, kann man es als angemessenes Denkmal für den Touristen begreifen: lauter unverstandene, beliebig zusammengesetzte Teile, noch dazu in schlechte Kopien, das mögen viele Touristen aus dem Urlaub mit nach Hause bringen. Und all das am Stadtrand in der Mitte eines Kreisels beim Autobahnzubringer. Wenn Torremolinos seine Touristen beleidigen wollte, es könnte es kaum besser tun.

Aber, und das ist das Problem mit diesem Denkmal, das 2002 als Geschenk eines später zu einer Gefängnisstrafe verurteilen Unternehmers errichtet wurde, es will nichts vom oben genannten, es will gar nichts außer auf gedankenlose Art dem 1988 unabhängig gewordenen Torremolinos, das sich geschichtslos glaubt, etwas irgendwie alt und monumental Wirkendes zu geben. Damit tut Torremolinos sowohl sich als auch seinen Touristen unrecht, denn es hat die doppelte Geschichte als Fischerdorf, mit dessen Resten es wenig sorgsam umgeht, und als seit den späten Fünfzigern entstandene Touristenstadt, die es nicht einmal als geschichtlich bedeutsam begreift, und seine Touristen kommen nicht wegen Geschichte – dafür gibt es die Tagesausflüge nach Granada oder Ronda – sondern wegen Sonne und Meer.

So ist es bezeichnend und gewiß nett gemeint, daß Torremolinos seinen Touristen ein Denkmal baute, und vielleicht unvermeidlich, daß das Ergebnis so ausfiel, aber die Stadt selbst ist ein viel angemesseneres und vielschichtigeres Denkmal für Tourismus und Touristen. Vielleicht wird sie das erst verstehen, wenn der Tourismus der Vergangenheit angehört, aber das kann glücklicherweise noch lange dauern.

Das falsche Vorlaubenhaus

In Zwierzno in den östlichen Żuławy gibt es kein Vorlaubenhaus. Was es gibt, ist ein deutlich zurückgesetzt parallel zur Straße stehendes Backsteingebäude mit hohen vertikalen Fenstern im einzigen erhöhten Geschoß und Satteldach, vor dem in der Mitte auf einer dreiseitigen Treppenanlage eine Vorlaube ist. Sie hat Holzstützen, die ein Obergeschoß und einen Giebel aus backsteingefülltem Fachwerk tragen.

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Heute ist dort eine Schule, zu der noch rückwärtige weiße Anbauten aus dem sozialistischen Polen gehören. Es ist aber klar, daß dieses Gebäude aus den dreißiger Jahren, aus der Nazizeit, stammen muß. Älter kann der schmucklose Backsteinteil nicht sein und ein solch offensiver, aber ortsbezogener Historismus, noch dazu auf dem Land, wäre für die Weimarer Zeit unwahrscheinlich. Etwas Besonderes ist das Gebäude damit, denn nachdem die traditionelle żuławische Architektur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem gesamtpreußischen Historismus abgelöst worden war, hatte es keine Ansätze, sie wiederzubeleben, gegeben.

Hier in Zwierzno ist so konsequent das charakteristischste Element des lokalen Baustils, die Vorlaube, aufgegriffen, daß man bei einem flüchtigen Blick meinen könnte, es tatsächlich mit einem Vorlaubenhaus zu tun zu haben. Allerdings hat diese Vorlaube weder wie die Vorlaubenhäuser älteren Typs aus dem 18. Jahrhundert aufwendig verschlungenes und gekreuztes Fachwerk noch wie die neueren Typs aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufwendig verzierte Stützen und sonstige Holzelemente (nachfolgend Beispiele aus Trutnowy und Nowa Kościelnica).

Der Architekt dieser Neovorlaube hatte von der żuławischen Architektur offensichtlich nur eine sehr oberflächliche Vorstellung.

Vor allem jedoch wird die Vorlaube, ein funktionales Element, das auf ebener Erde vor dem Eingang einen offenen Raum schafft, durch die hohe Stufenanlage zu einem rein dekorativen monumentalen Portal, zu dem man hinaufgehen muß, herabgewürdigt.

Vielleicht ist es gar nicht so, daß der Architekt die żuławische Architektur nicht verstand, sondern daß sie für das Gebäude, das er bauen wollte, ungeeignet war. Sowohl das filigrane Fachwerk als auch die verschnörkelten Stützen wären zu menschlich und zärtlich für die gewollt unmenschliche und brutale Naziarchitektur. Eine ebenerdige Vorlaube würde einen monumentalen Eingang unmöglich machen und hätte zudem eine große Nähe zu den schwebend aufgestützten Gebäuden der von den Nazis verabscheuten modernistischen Architektur.

Was man in Zwierzno sieht, ist, wie die Naziarchitektur die traditionelle Architektur der Żuławy für sich vereinnahmen will – und scheitert. Es ist letztlich das Scheitern aller Historismen, Formen, die einst für bestimmte Gebäude einen Sinn hatten, für ganz andersartige verwenden zu wollen, doch es wird noch eklatanter, wenn das einzige Ziel der Architektur Monumentalität und Erniedrigung ist. Denn sogar in so unverstandener Form, sogar auf der Stufenanlage, mildert die Vorlaube die Züge der Naziarchitektur noch. Zwierzno hat kein Vorlaubenhaus, aber man sieht hier einen Sieg aller Vorlaubenhäuser.

Feldberg

Es läßt sich nicht einmal sagen, daß der Feldberg, höchste Erhebung im Taunus, ein enttäuschender Berg sei, denn er hatte nie viel versprochen. Zwar ist der Taunus für Frankfurt und sein Umland eine stets präsente markante Silhouette, aber das liegt nicht an einzelnen Bergen und man könnte nicht einmal erkennen, welcher der höchste und also der Große Feldberg ist, wenn auf ihm nicht verschiedene Türme und Sendemasten wären, die aber auch keine deutliche Form ergeben.

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Die Wege nach oben sind zu Fuß weder lang noch steil noch interessant, dafür aber, wie das in Westdeutschland üblich ist, schlecht beschildert. Wenn man an der nahen Endhaltestelle Hohemark der Frankfurter U-Bahn vor den Wegweisen steht, erlebt man, wie das Chaos und die Dysfunktionalität des Kapitalismus bis in die Berge reichen. Die an sich klaren und sinnvollen Beschilderungen der Wege des Taunusclubs sind unzureichend erklärt und hinzu kommen unzählige andere Wege mit anderen Schildern, die später im Wald zu finden ein reines Glücksspiel ist. Karten, so es sie gibt, sind nicht immer nach Norden ausgerichtet.

Angesichts der blanken Verachtung, die hier den simpelsten Interessen von Spaziergängern und Wanderern entgegengebracht wird, verwundert es nicht, daß oben auf dem Feldberg die größte Besuchergruppe aus Motorradfahrern besteht und viele andere mit dem Auto oder dem Bus gekommen sind – allesamt auf der Straße.

Allein: viel ist dort oben für niemanden. Eine Aussicht hat man nur nach Norden über die nahen Orte Ober- und Unterreifenberg und die ansonsten fast frei von Spuren der Zivilisation daliegende wellige Landschaft, die von hier aber kaum gebirgig oder auch nur mittelgebirgig wirkt.

Der wichtige Blick nach Frankfurt und ins Rhein-Main-Gebiet, der einem beweisen könnte, daß man hier auf dem höchsten Berg der Region und immerhin 879 Metern Höhe ist, läßt sich bestenfalls hinter dem Parkplatz erahnen.

Das Restaurant steht leer. Irgendwo sind einige Imbißbuden. Ein Kiosk unter einem vielleicht manchmal geöffneten Aussichtsturm schmückt sich mit den wichtigsten lokalen Marken der Achtziger – Henninger (Bier), Rapp’s (Apfelwein), Hassia (Mineralwasser), Coca Cola (Coca Cola) und Onkel Ottos Shop (Merchandise des Hessischen Rundfunks aus der Zeit vor der Konkurrenz privater Sender) – ohne irgendwelche davon zu verkaufen.

Als wäre das noch nicht jämmerlich genug, steht in der Mitte noch das größte Gebäude des Großen Feldbergs: der Fernmeldeturm.

Die etwa viertelrunde rückwärtige Umbauung aus grauem Stein gleicht von der Außenseite mit Strebepfeilern und grünen Fensterläden einer Festung, die sich rustikal anheimelnd geben will, und von der Hofseite mit großen Garagentoren einem Kasernenhof.

Der eigentliche Turm steht links dort, wo sich die verlängerten Linien der Enden des Kreissegments treffen würden. Sein unterer Teil hat nur in der Mitte der vier Seiten Fenster, während die Ecken massiv und fensterlos verbreitert sind, riesige graue Klötze, die alles dazwischen zerdrücken. Darüber ist etwa in der Mitte des Turms ein achteckiger Teil, der aus einem hohen verglaster Bereich mit allerdings deutlich vertikal segmentierten Fenstern und einem mit weißer Verkleidung besteht. Als Abschluß ragt ein schmalerer achteckiger Teil, der wiederum öffnungslos ist und eine graue Verkleidung hat, noch weit nach oben.

Dieser Turm ist ein so bizarres Gebilde, so durch und durch unschön und brutal, daß man zuerst meinen mag, in einer Albtraumlandschaft statt auf dem höchsten Gipfel des Taunus zu sein. Der einzig mögliche architektonische Vergleich indes ist klar: das ist ein Hochbunker, wie ihn die Nazis im zweiten Weltkrieg mehr zur Machtdemonstration denn aus militärischen Gründen in die deutschen Städte bauten und wie sie etwa in Wien noch heute viele Parks verunstalten. Der Hochbunker auf dem Feldberg versucht dankenswerterweise auch nicht, seine Geschichte zu verschleiern. Über dem von einem hölzernen Vordach versteckten steingerahmte Eingang, der gruftartig, aber durchaus nicht monumental ist, steht: „Fernmeldeturm/Der Deutschen Funkturm“.

In den schrägen Seiten des Eingangs sind flache Reliefs, die rechts Tiere, Reiter und eine nackte Frau, und links drei mittelalterliche Kämpfer, die mit Fahnen auf einen Berg steigen, zeigen.

Der Stil dieses Werke von Carl Moritz Schreiner ist so unscheinbar, daß man ihn sich auch bis zu zehn Jahre vor oder zwanzig nach der Nazizeit vorstellen kann, aber das herausgemeiselte Quadrat in der Fahne des obersten Ritters links spricht eine deutliche Sprache.

Auch sonst könnte nichts das Hakenkreuz, das über dem Funkturm auf dem Feldberg weht, verbergen. So wie der kommunistische Wahlspruch von 1932 – „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ – eine simple Wahrheit sprach, so zeigt sich die Naziarchitektur hier klar als eine Architektur des Kriegs. Vor die Aufgabe gestellt, einen Turm zu bauen, konnten die Nazis nur einen Hochbunker bauen, da Krieg alles war, was sie kannten und wollten. Es ist bezeichnend, daß dies noch so stark zu erkennen ist, obwohl die heutige Form des Turms, vor allem Vordach, Glas und achteckiger Teil, aus dem Wiederaufbau nach Kriegsschäden in den frühen fünfziger Jahren stammt. Der ursprüngliche Bau von 1939 war ein noch monolithischer vertikaler Klotz.

Die heutigen Mängel des Feldbergs sind nicht allein mit seinem größten Gebäude zu erklären, aber seinen Beitrag zur Trostlosigkeit dieses Orts leistet der Nazifunkturm allemal. Vielleicht kann man von einem unguten Genius Loci sprechen, den zu brechen weder die alte Bundesrepublik mit ihrem Nazipersonal noch die neue Bundesrepublik mit ihrem Abscheu für öffentliche Infrastruktur ein Interesse hatten und haben. So enttäuscht der Feldberg nicht, er bietet bloß noch mehr Schlimmes und Trauriges, als von unten zu erwarten gewesen wäre. Das Beste, was man machen kann, ist nach Oberreifenberg weiterzugehen, einem bescheidenen Taunusort mit holzverschindelten Häusern, Läden aus den Siebzigern, barockem Herrenhaus und einer Burgruine, deren funktionale Roheit die brutale Naziarchitektur auf dem Feldberg nie begreifen wird.

Nostalgische Architektur

Wenn man auf der Frankfurter Honsellbrücke, die über die vom Main abzweigende Beckeneinfahrt des Osthafens führt, durch die Stahlkonstruktion zum anderen Ufer schaut, sieht man gleich zwei Beispiele von nostalgischer Architektur, die von der Schwäche und Unsicherheit ihrer, der gegenwärtigen, Zeit zeugen.

Zum einen ist da am Hang in Sachsenhausen der Henninger-Turm oder richtiger gesagt: das Gebäude, das versucht so wie dieser auszusehen. Der Henninger-Turm war ein großes weißes Silo der namensgebenden Frankfurter Brauerei, auf dessen eckigen Körper noch mit einem kurzen Schaft einige runde Geschosse mit Fensterbändern, in denen unter anderem ein drehendes Restaurant war, aufgesetzt waren. Als er 1961 gebaut wurde, hätten sich die Stadtbildschützer empören müssen, daß so etwas vis-à-vis des Doms gebaut wurde, doch dank der dominanten Position in der Sachsenhäuser Skyline, dem beliebten Restaurant und einem alljährlichen Radrennen rund um den Henninger-Turm, wurde er zu einem volkstümlichen Gebäude, das für die Generation der in den fünfziger Jahren oder später Geborenen einfach „schon immer“ zu Frankfurt gehörte. Die beabsichtigte Werbewirkung für die Brauerei war erreicht.

In den Neunzigern wurde Henninger von einer anderen Brauerei übernommen, das Restaurant schloß, das Silo stand leer, auch das Radrennen wurde nicht mehr ausgetragen, der Turm hatte das Ende seiner Lebenszeit erreicht. Doch Frankfurt, das mit Gebäuden wie den Bankhochhäusern im Stadtzentrum einst als rücksichtslos kapitalistisch, amerikanisch gar, gegolten hatte, war in der Zwischenzeit mit wachsendem Wohlstand immer rückwärtsgewandter und sentimentaler geworden und wollte den Henninger-Turm, der als Industriebau mit Werbefunktion völlig in den rücksichtslosen Kapitalismus paßte, nicht sterben lassen. Er wurde durchaus abgerissen, aber durch ein teures Wohnhochhaus, das seine Proportionen mit viel Glas annähernd nachahmt, aber gerade die eine gewisse Leichtigkeit ergebende Aufstützung der runden Geschosse wegläßt, ersetzt. Der Henninger-Turm lebte, starb und steht nun als Zombie wieder da.

Seine Geschichte ist ein erschreckendes Beispiel dafür, was geschieht, wenn die Nostalgie die Stadtplanung übernimmt. Er ist damit auch ein Symbol für das gegenwärtige Bauen des deutschen Kapitalismus: medioker, schwach, unsicher. In den Fünfzigern baute der Kapitalismus das Industriegebäude, das er brauchte, und für die Menschen fiel wenigstens ein drehendes Restaurant dabei ab, der heutige Kapitalismus versteckt ein Wohnhochhaus in den vulgarisierten Formen dieses Industriegebäudes und für die Menschen, die sich keine der spekulativen Luxuswohnungen darin leisten können, fiel nichts dabei. Drehende Restaurants übrigens zeigen gut die Stagnation, ja, den Rückschritt, der Gegenwart, denn sie werden nicht mehr gebaut und vielerorts geschlossen, obwohl sie nie durch etwas Besseres ersetzt wurden.

Zum anderen ist da als zweites Beispiel nostalgischer Architektur die heutige, 2013 neu errichtete Honsellbrücke selbst. Sie ist ein funktionaler Bau, die Brückenfläche getragen von flachen Bögen aus genietetem grauen Stahl, entstanden wohl für den Hafen. Doch über die alten Bögen legen sich heute zwei neue aus glattem schwarzem Stahl und bei genauem Hinsehen sind sie es, die die Brückenfläche an dünnen Stahlträgern halten. Die gesamte alte Brücke ist nur noch ein Ornament innerhalb der neuen. Nichts ist trauriger als ein funktionales Element, das dekorativ wird. Wenn die neue Brücke wenigstens das Selbstbewußtsein hätte, zu zeigen, daß sie mit den Teilen der alten spielt, sie zitiert, aber nein, sie versteckt sich hinter ihr, weil sie sich selbst für zu schwach hält, ein jämmerliches Schauspiel. Wie beim Henninger-Turm ist das Bizarre, daß der alte Bau nicht einmal besonders wertvoll oder ungewöhnlich ist, doch während der immerhin ikonisch in Frankfurts Skyline stand, ist sie ein Dutzendbau, wie er ein paar Meter weiter fast identisch über das zweite Hafenbecken führt. Um an das Alte anzuknüpfen, hätte es völlig genügt, das ornamentale Geländer oder die Reliefs im Steingeländer der Auffahrt, die sich durch einen etwas brutalen schweren Jugendstil auszeichen, zu erhalten, denn die wurden der Brücke ja gerade beigefügt, weil ihre Bögen nichts Besonderes sind. Doch die Frankfurter nostalgische Architektur kann nicht einmal eine Brücke bauen, ohne den Vorgängerbau nachzuahmen und damit diesen und sich selbst zu erniedrigen.

„HafenCity“

Die Bauten der Hamburger Speicherstadt sind lächerlich historistisch verziert, aber wie sie am Wasser stehen, entspricht eben ihrer Funktion, und die backsteinernen Schluchten, die sie bilden, müssen sie eben bilden.

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In der angrenzenden sogenannten „HafenCity“, die seit 2001 auf stadtnahen Teilen des Hamburger Hafens errichtet wird, wäre alles möglich gewesen und alle stadtplanerischen und architektonischen Lehren der letzten hundert Jahre seit der Speicherstadt hätten dort angewandt werden können. Stattdessen Blockrand, Bürgersteig und Straße.

Viel Backstein, wenn auch alles nicht so schlimm wie in Berlin, da ein Fünfziger-, statt ein Dreißiger-Jahre-Retrostil überwiegt. An einem alten Hafenbecken freistehende Gebäude.

Eines darf mit weißen abgerundeten Betonbalkonen und Dachterrasse sogar an die Siebziger anknüpfen, ist aber genauso Teil der architektonischen Beliebigkeit wie des durch die backsteinerne Blockrandbebauung dahinter wieder geschlossenen städtebaulichen Konservatismus.

Am Ende die Elbphilharmonie, die von Weitem wohl noch irgendwie ikonisch wie ein Backsteinschiff unter silbernen Segeln wirken mag,

aber von Nahem nur ein Klotz ist, dessen oberer Teil an die Oberfläche einer verschmierten CD erinnert, während die Wellen des Dachs die Klotzhaftigkeit nicht im geringsten mindern.

Im Inneren ist eine lange Rolltreppe, die zu einem erhöhten Platz und umlaufenden Wegen auf dem backsteinernen Teil führt. Diese Bereiche sind zwar entschieden nicht öffentlich, aber sie bieten immerhin eine halbwegs interessante Aussicht über Stadt und Hafen. Symbolisch, daß auf der in den Fluß ragenden Spitze vor oder hinter der Elbphilharmonie ein Parkplatz ist, denn über Auto, Straße und Parkplatz vermag diese Stadtplanung nicht hinauszudenken.

Wenn nicht die Touristen durchgeschleust würden, wäre das auch alles, was man in der „HafenCity“ sähe. Anders als am im Schlechten verwandten Potsdamer Platz in Berlin sind in dieser Simulation von Urbanität nicht einmal viele Läden oder Restaurants.

Das Beste an der „HafenCity“ sind die vor einigen der Gebäude auf der Höhe des zweiten Geschosses verlaufenden Fußgängerbrücken, die sogar teilweise über Straßen führen und durch die Speicherstadt Verbindungen zur Innenstadt schaffen.

Hier ist man der schlechten Stadtplanung im gewissen Maße enthoben, allerdings auch allein, da dieses Brückensystem wenig frequentiert ist. Die Bohlen verrotten dennoch bereits. Und selbstverständlich gilt: „PRIVATWEG/Betreten auf eigene Gefahr !“

Das könnte auch der Wahlspruch der gesamten „HafenCity“ sein. Aber wieso sollte man die schon betreten wollen?

Bartók in Brüssel

Ein Denkmal für Béla Bartók: Die hagere vorschreitende Gestalt in einen langen Mantel gehüllt, die in die Taschen gesteckten Arme mit diesem verschmelzend, die Schultern hochgezogen und das Gesicht zwischen dem hochgeschlagenen Kragen gesenkt, ebenso die Augenlider. Ein ernstes, nachdenkliches Künstlerbildnis.

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Die etwas mehr als lebensgroße Bronzeplastik steht auf einer niedrigen Fläche mit silberner Edelstahlverkleidung. Die Verkleidung strebt in schmalen Streifen von seinen Füßen nach außen und die Fläche endet abgeschrägt in zerklüfteten Spitzen. Unter seinen Füßen und ursprünglich verteilt auf die gesamte Fläche liegen Blätter.

Sofort ist klar, daß es sich um ein Werk des ungarischen Bildhauers Imre Varga handelt, wie es die Signatur auf der Bodenfläche auch bestätigt.

Er war der erste, der im Bereich der realistischen Plastik solche Materialverbindungen machte und keiner machte es besser. An ihn wird vielleicht als an den wichtigsten sozialistisch-realistischen Bildhauer des späteren 20. Jahrhunderts zu erinnern sein, woran im übrigen nichts ändert, daß er auch Staatskünstler des nachsozialistischen Ungarns blieb und dieses Brüsseler Denkmal von 1995 stammt.

Bartók steht zentral und zugleich abseits in Brüssel. Hinter ihm der gotische Rathausturm, beidseits von ihm neohistoristische Backsteinklötze aus den Neunzigern, vor ihm der öde Place d’Espagne (Spanienplatz).

Wie um die Banalität dieses Orts zu unterstreichen, stehen in der Treppe am anderen Ende des Platzes auf einer dicken runden Betonstütze und einer quadratischen, heute mit Unkraut bewachsenen Plattform billig realistische Plastiken von Don Quichotte und Sancho Pansa.

Vargas Bartók hat vor all dem die Augen niedergeschlagen, wie unsere Kunst vor der ihrigen.

Atomium

Das Atomium ist das Wahrzeichen von Brüssel und es ist das ungewöhnliche Beispiel eines Wahrzeichens, das für die Stadt und ihre Architektur absolut nicht repräsentativ ist. Während im Zentrum von Brüssel bis in die Sechziger bizarre reaktionäre Architektur gebaut wurde, ist das 1958 für eine Weltausstellung errichtete Atomium ein durchaus fortschrittliches, oder jedenfalls nicht historistisches oder monumentales, Gebäude. Es ist letztlich ein kompliziert und spektakulär geformter Aussichtsturm aus mehreren silbernen Stahlkugeln, die mit schrägen Verbindungselementen zu einer von der Atomstruktur inspirierten Konstruktion verbunden sind. Es ist ein ikonisches und äußerst einflußreiches Gebäude, von dem sowohl der Berliner (Kugelform) als auch der Prager Fernsehturm (Module in einem Gerüst) inspiriert sind und tausend andere Bauwerke auf der ganzen Welt ebenso.

Eine detailliertere Beschreibung des Atomiums erübrigt sich an dieser Stelle, da es zu den Gebäuden zählt, die jeder kennt, ob er nun in Brüssel war oder nicht. Man versteht es jedoch erst in seiner Umgebung so wirklich. Was es vom durchaus verwandten Pariser Eiffelturm unterscheidet, ist vor allem die Lage weit außerhalb des Zentrums.

Gesehen von Ganshoren (Bilder zum Vergrößern anklicken)

Es steht direkt in der Achse, die von Vorstadtstraßen den Hang zum Messegelände hinaufführt. Dieses wurde 1935 angelegt und sieht auch so aus. An den Seiten des riesigen Vorplatzes sind hohe Säulenhallen und das mittlere Gebäude steigt in Stufen an, was hier aber auch nur dazu dient, die vier enormen Pfeiler in der Mitte zu betonen, auf denen bronzene Allegorien von man will gar nicht wissen was stehen.

Alles ist grauer Stein und etwas grünlicher Kupfer, alles ist menschenfeindliche Monumentalität, die auch dem östlichen Nazinachbarn nur gefallen konnte. Daß die hinter den Fassaden verborgenen Hallen mit rotem Backstein und auch mal mit einem abgerundeten und aufgestützten Teil nur halb so schlimm sind, hilft auch nicht mehr.

Das Atomium versperrt den Blick auf dieses reaktionäre, ja, faschistoide Machwerk.

Es erfüllt damit eine ähnliche Funktion wie die stählerne Nadel vor dem monumentalen Wrocławer Gebäude, das in der deutschen Zeit Jahrhunderthalle hieß, in Polen aber zur Hala Ludowa (Volkshalle) wurde. 1948 anläßlich der Wystawa Ziem Odzyskanych (Ausstellung der wiedererlangten Gebiete) errichtet, repräsentierte sie das Polnische inmitten des Deutschen, aber auch den Fortschritt inmitten präfaschistischer Architektur. Entsprechend ist das Atomium vor den faschistoiden Messeanlagen ein Bruch mit dem Alten, eine Entschuldigung der belgischen Architektur für all ihre seit dem Palais de Justice (Justizpalast) im Jahre 1883 begangenen Verbrechen und ein Gelöbnis zur Besserung. Immerhin wurde das Atomium zum Wahrzeichen der Stadt und gibt dem, der an Brüssel und Architektur denkt, ein sehr positives, aber von der Realität weit entferntes Bild.

Letztlich ist aber schwer zu sehen, wie die belgische Architektur ihre Verbrechen wiedergutmachen könnte. Die deutsche brauchte dafür einen Staat, der mit dem Alten brach, und einen zweiten, der das behauptete, und es gelang ihr doch nicht. Wenn das Atomium dort gebaut worden wäre, wo der Palais de Justice steht, dann wäre das ein überzeugender Ansatz gewesen, aber sogar dann bliebe ein ikonisch geformter Aussichtsturm eben das, ein Ansatz, ein Versprechen. Ein einziges Gebäude ist nie genug. Was wäre der Berliner Fernsehturm schon ohne den Alexanderplatz und das Ensemble hin zum Palast der Republik?