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Erkundungen auf Friedhöfen: Biedermeierhände

Keine Zeit schrieb in Deutschland zärtlichere Texte auf noch dazu oft minimalistische Grabsteine als die zwanziger bis vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts, das Biedermeier. Auf den schon lange zur Grünanlage gewordenen Resten des alten Friedhofs in Kronberg zeigt dies das Grab von Johann Wilhelm und Juliane Henrich aus dem Jahre 1841.

Es steht frei, fast exponiert, da nur wenige andere Gräber übrigblieben, ist aber weder besonders groß, noch auffällig. Seine schmale rote Sandsteinstele endet als flaches Dreieck mit einem überstehenden Gesims. Das spitzböge Muster darunter und der Rahmen aus Pilastern mit Blattkapitellen und einem neogotischen Spitzbogen auf der Vorderseite sind fast schon untypisch ornamental, ein Übergang zum Historismus, während die oben im Relief zu sehende Motte im Gegenteil das typischste Symbol auf solchen Gräbern ist. Darunter zeigt das Relief eine nach rechts ausgestreckte männliche Hand, deren Finger von einer weiblichen Hand umfaßt sind. Der Text erklärt, daß er länger lebte als sie, wobei leider gerade ihr Sterbedatum unten heute nicht mehr zu erkennen ist: „Im Leben treu vereint, lang durch den Tod geschieden, ruhn nun in einem Grab zwei Gatten hier in Frieden.“

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So ist es ihre Hand, die die seine ins Jenseits holt. Solche Gedanken kamen auch dem Barock der vorangegangenen Jahrhunderte oft, aber er hätte sie voller Bewegung und Dramatik dargestellt. Hier sind die körperlosen Hände keine Illustration, sondern ein Symbol, es ist immer klar, daß nicht wirklich eine Hand aus dem Grab kommt.

Auf der Rückseite, wo eine spitze Inschriftsfläche ohne Rahmen vorgesetzt ist, findet dann ein Dialog statt. Oben sagen die Verstorbenen, daß man nicht um sie trauern müsse: „Weinet nicht um uns, denn Grosses hat der Herr an uns gethan, unsere Seelen sind in seiner Hand, und wir sind gekommen zu jener Gottesstadt, wo keine Trennung und kein Tod mehr ist“. Unten antworten die Angehörigen, wieso sie ihnen trotzdem ein Grab bauen: „Wohl seid ihr hingegangen, wohin wir noch verlangen, doch haben eure Lieben, die hier zurückgeblieben, aus wahrer Dankbarkeit, euch diesen Stein geweiht“.

Das ist vielleicht das Biedermeier: vorgebliche Innerlichkeit, die aber doch nach außen drängt und in ostentativer Bescheidenheit nicht unbedingt kleinere, aber minimalistischere Werke schuf.