Archiv der Kategorie: Tschechoslowakische Bahnhöfe

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Kraľovany

Mit dem Bahnhof Kraľovany, der noch im Tal des Váh liegt, empfängt einen das Tal der Orava in der nordwestlichen Slowakei. Nicht, daß das unbedingt nötig gewesen wäre, denn wie die Berge höher und felsiger, das Tal enger und der Fluß wilder wird, bevor die Orava in den Váh mündet, konnte man auch so merken. Der Bahnhof ist eher eine Freundlichkeit, eine Serviceleistung des Sozialismus, der die Gegend der Orava touristisch erschloß.

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Gegenüber einer beim Bau oder eher der Erweiterung der Strecke entstandenen senkrechten Felswand, jenseits der vielen Gleise dieser wichtigsten Strecke der Slowakei zwischen Bratislava und Košice, erstreckt sich das breite Gebäude. Die freischwebend ansteigenden weißen eckigen Balken des Bahnsteigdachs, deren Zwischenräume mit dunklem Holz verkleidet sind, ruhen vorne auf runden braunen und hinten auf eckigen grauen Stützen. Fensterfläche und braune Holztüren, über denen betongefaßte runde Scheiben in Gelb und Grün sind, leiten in die Halle über.

Die hinteren Stützen des Vordachs wachsen hier weiter in die Höhe und tragen mit entsprechenden Stützen auf der anderen Seite das Hallendach. Ihre unteren Teile, kaum höher als die Türen, sind wie der gesamte untere Teil der Halle mit graugelbgrünlich gemasertem Stein verkleidet, während ihre oberen Teile eine weiß gestrichen sind. Das Dach steigt erst in leichter Schräge an, um dann in stärkerer wieder abzufallen. Auf dieser bahnsteigabgewandten Seite sind zwischen den schrägen Dachbalken horizontale Holzlamellen, hinter denen eine vertikale Fläche mit dem runden gelben und grünen Glas den Abschluß bildet. An der linken Seite der Halle sind etwas zurückgesetzt hinter zwei runden Stützen die Fahrkartenschalter und die obligatorischen Topfpflanzen. Die Verkleidung der Stützen ist aus hellem Stein, der aber nicht dem fast weißen auf dem Boden entspricht, wo unregelmäßige Stücke zu Quadraten zusammengefaßt sind.

Auf der weißen Wand an der rechten Seite der Halle steht in großen dunklen Holzbuchstaben: „Orava vás víta“ (Die Orava heißt Sie/euch willkommen).

Dazu kommt weitere künstlerische Gestaltung aus dem gleichen Holz. Links neben der Schrift hängt das Wappen der Orava mit einem stilisierten Fluß, dem Namen und einem Bären zwischen zwei Tannen.

Links unten ist vor einer Bergsilhouette ein ortstypisches Holzhaus. Nach rechts hin etwas über der Steinverkleidung verläuft ein langes Band, das nach unten gerade, nach oben aber eine zerklüftete Berglandschaft ist. Ganz rechts schwebt darüber eine Wolke. Ein entsprechendes Band zieht sich etwas höher auch entlang der dem Bahnsteig abgewandten Seite der Halle, wo es von vier jeweils mittig zwischen den Stützen angeordneten ovalen Flächen, die wie Medaillons weitere Orava-Szenen zeigen, unterbrochen wird.

Rechts geht es ins Bahnhofsrestaurant, das einen kleinen Außenbereich unter Betonstreben, die teils fortgesetzt die des Vordachs sind, hat, um eiligen und durstigen Reisenden die Verbindung zum Zug noch komfortabler zu machen.

Wie der Bahnhof von außen aussieht, daß er zwei ineinandergesetzte schräge Dächer hat, ist eher unwichtig. Denn wenn der Besucher durch weitere Holztüren unter weiteren gelben und grünen runden Gläsern hinaustritt, sieht er, was er schon vorher gesehen hatte: felsige Berghänge, dazu das Dörfchen Kraľovany, das dem Bahnhof seinen Namen gab.

Noch wichtiger als der Ausgang sind vielleicht die Treppen zur „Nastupište smer Trstená“ (Bahnsteig Richtung Trestená), die bei den Halleneingängen unter dem Vordach angeordnet sind. Unten in der Unterführung begrüßt ein Emaillebild noch einmal an der Orava und unter den vielen Gleisen gelangt man zu einem kleinen überdachten Bahnsteig, wo die Züge Richtung Trstená abfahren.

Diese Strecke entlang der Orava erschließt die Region ganz, ihretwegen gibt es den Bahnhof. Mit seiner künstlerischen Gestaltung greift er dem Landschaftserlebnis vor, kondensiert es, überhöht es, hebt es auf. Auch die Architektur bezieht sich mit Dachschräge und Holz auf die traditionelle Bauweise der Orava, ohne aber billig historistisch zu werden. Denn die Dachstreben sind mit Holz verkleidet, keineswegs aus Holz, was sie durch eine kastenartige Struktur mit mal horizontaler, mal vertikaler Maserung auch klar zeigen.

Die Orava braucht den Bahnhof Kraľovany vielleicht nicht als Empfangsgebäude, aber sie wäre weniger ohne ihn.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Liptovský Mikuláš

Liptovský Mikuláš ist von allen Seiten von der Hohen und Niederen Tatra umgeben, ohne deshalb am Fuße von ihnen zu liegen, da das Tal des Váh hier auf über 600 Metern Höhe weit und flach ist. Es paßt, daß man vom Bahnhof aus nur niedrige Hügel mit Kleingärten sieht. Er kann dafür als ein Höhepunkt des Bergstils in der tschechoslowakischen Bahnhofsarchitektur beschrieben werden. Dieser zeichnet sich durch oft unregelmäßige Satteldächer und die Verwendung von Holzverkleidung aus, was einen rustikalen Effekt ergeben soll, ohne aber die Modernität der Architektur in Frage zu stellen. Ganz ähnlich wurden in den Sechzigern, Siebzigern auch Hotels in Bergregionen oder in westlichen Ländern auch Villen errichtet.

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In Liptovský Mikuláš hat die parallel zu den Gleisen stehende Halle ein Dach, das in der Fortsetzung des flach V-förmigen Bahnsteigdachs ansteigt und auf der anderen Seite erst nach einer vertikalen Stufe mit Fenstern wieder abfällt. Bereits die Decke des Bahnsteigdachs ist mit hellen Holzleisten verkleidet, die grundsätzlich quer, zwischen den oben dreieckig verbreiterten braunen Stahlstützen aber parallel zu den Gleisen verlaufen.

Im Durchgang in die Halle, wo bereits der diese bestimmende glatte Stein – rot-gesprenkelt in rechteckigen Platten an den Wänden und schwarz-gesprenkelt in quadratischen Platten auf dem Boden – vorgestellt wird, ist das Holz in zwei hochkant rechteckigen und einem runden Relief mit verschiedenen Wellenmustern vorhanden.

In der Halle sind die schrägen Decken wiederum mit den parallel verlaufenden Holzleisten verkleidet, doch vor ihnen stehen die schwarzen Holzstreben, die das Dach tragen, oben vor den Fenstern zusammentreffen und außerdem durch doppelte horizontale Balken, in denen sich Lampen verstecken, verbunden sind. Das Holz, nicht nur dekorativ, sondern auch für die Konstruktion verwendet, wird zum derart bestimmenden Element, daß die Halle keine künstlerische Gestaltung mehr braucht.

Etwa das linke Drittel der Halle wird von einem Obergeschoß überspannt, zu dem eine erst bis an die stadtseitige Außenwand und dann zurück Richtung Gleis verlaufende freistehende Treppe hinaufführt. Hier ist nach einem die Halle überblickenden Balkon das Restaurant und zwischen den Dachschrägen, der Holzverkleidung und den Balken hat es die ganze rustikale Modernität mancher Berghotels seiner Zeit.

Große Glasflächen öffnen die Halle zur Stadt, wo vor ihr eine schmale erhöhte Ebene und einige Stufen verlaufen, so daß außen nur noch Zwischenräume von hier weißer glatter Steinverkleidung eingenommen sind.

Einzig rechts der Mitte, vor der Treppe, ist eine fast quadratische Fläche, in der der Stein im Relief eine Kreisform und von rechts hineinfahrend einen stilisierten Zug zeigt.

Ganz rechts wölbt sich das ebenso verglaste Bufet trapezförmig nach vorne.

Das je nach Blickrichtung rechts beziehungsweise links an die Halle anschließende Betriebs- und Wohngebäude könnte mit zwei Geschossen, weißem Putz und dunklem Satteldach, das sich in geraden holzverkleideten Flächen fortsetzt, genau so auch ein Hotel sein. Auf der Stadtseite sind vor dem Obergeschoß und geschützt vom Dach sogar Balkone aus Holz und Stahl, während die Gleisseite versteckter ist, aber nicht darauf verzichtet, den Betriebsraum im Erdgeschoß ähnlich dem Bufet trapezförmig vorzusetzen.

Als wolle der Bahnhof sein stilistisches Programm ins Äußerste treiben, hat auch ein in der Ecke ganz links auf der Stadtseite stehendes Trafohäuschen weißen Putz und ein holzbesetztes Satteldach.

Liegt Liptovský Mikuláš also nicht ganz in den Bergen, so ist sein Bahnhof entschiedenste Bergarchitektur.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Chvatěruby

Der Bahnhof von Chvatěruby steht im Nirgendwo. Keine Nachbargebäude, keine Ausblicke, nur Schienen und Bäume, von denen man aber ahnt, daß sie nicht zu einem größeren Wald gehören, sondern nur Zwischenräume zu etwas anderem füllen.

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Ganz anders ist es mit dem Ort Chvatěruby, der am Hang über der Vltava (Moldau) liegt. Sein Schloß steht auf einem hohen burgartigen Steinsockel genau dort, wo das steile Ufer ins Flachland übergeht und bot weite Ausblicke bis nach Kralupy und darüber hinaus. Dem Ort wendet es bloß eine eher schlichte barocke Fassade zu, als müßte es sich ob seiner perfekten Lage gar nicht mehr bemühen.

Noch höher steht die Kirche, ein kleiner Bau mit barocker Haube, aber eher der Renaissance verpflichtetem zweistufig geschwungenem Giebel und runden Fenstern tief in den dicken weißen Mauern.

Es gibt einige große neue Villen, was schon von der Nähe Prags zeugt, doch insgesamt zieht sich Chvatěruby als ganz typisches tschechisches Dorf noch weit den Hang hinauf. Von oben blickt man auf die vielschornsteinigen Industrieanlagen im Flachland.

Doch von all dem sieht man wie gesagt am Bahnhof Chvatěruby nichts. Zum Ort führt ein Weg entlang der Gleise, der bald die Brücke einer größeren Straße unterquert und zur Vltava weiterläuft, und einer durch die Bäume, der verschlungen ansteigt und die Straße kreuzt. An seiner Lage kann der Bahnhof Chvatěruby nichts ändern, also tut er eben sein Bestes, ein gelungener kleiner tschechoslowakischer Bahnhof zu sein.

Er besteht aus einem zweigeschossigen Teil und einem rechts weiter zu den Gleisen vorgerückten flachen Teil, die beide braungrauen Putz und niedrige Satteldächer mit runden Metallflächen in der Giebelmitte haben. Vor dem höheren Teil und bis zum niedrigeren verläuft das auf eckigen Stützen ruhende Betonvordach. Eine niedrige abschließende Wand hat nach außen unregelmäßige schwarze Steinverkleidung, dann bestimmen rechteckige dunkelrote Kacheln, die für die Stützen vertikal und für einen Sockelstreifen horizontal gesetzt sind, die Gestaltung.

Der Wartesaal mit Schalter, Gepäckaufbewahrung und Toiletten ist schon lange geschlossen, aber über seinem Eingang am bahnsteinabgewandten Beginn des flachen Teils steht noch in großen Leuchtbuchstaben „Odjezd“ (Abfahrt), wie ja auch noch jede Stunde Züge nach Neratovice und Kralupy nad Vltavou von hier abfahren.

Noch leben und arbeiten hier auch ein Bahnhofsvorsteher und seine Familie, denen die Erhaltung des Bahnhofs fast im Zustand seiner Erbauung zu verdanken ist. Vor dem Vordach stehen hölzerne Hochbeete, blau wie die beiden Bänke, in denen Nutzpflanzen statt Blumen wachsen, nach dem flachen Teil ist ein zwischen Gleisen und Zufahrtsstraße schmaler werdender Garten und gegenüber dem höheren Teil, der dorthin aus der Wohnung im Obergeschoß einen roten Gitterbalkon zeigt, ist ein weiterer Kleingarten mit Schuppen.

Es gibt schönere tschechoslowakische Bahnhöfe, es gibt abgelegenere Nirgendwos, aber der Bahnhof Chvatěruby tut, was er kann, und das verdient, gerühmt zu werden.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Dedinky

Ein Bahnhof am Stausee. Ein Bahnhof im Slovenský Ráj (Slowakischen Paradies).

Von Westen kommend sieht man schon lange vor ihm das grünblaue Wasser, das das grüne Tal füllt, aber ein Dorf mit weißer Barockkirche freiläßt und nunmehr am Ufer plaziert.

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Der Bahnhof beginnt flach mit einer quer zu den Gleisen stehenden Wand, deren unregelmäßige dunkle Steinverkleidung wohl auf die an manchen Stellen des Tals entblößten Felsen Bezug nimmt.

Nach einem kleinen nach hinten geöffneten Raum folgt bereits der lange, parallel zum Gleis verlaufende Wartebereich, dessen leicht überstehendes dickes und wie der übrige Bahnhof grauverputztes Flachdach jeweils von freiliegenden eckigen Querbalken und runden Stahlstützen getragen wird.

Der erste Teil ist klein und nur zum Gleis geöffnet, stellt aber bereits die aus schwarzem Stahl und weißen Sitzflächen bestehenden Bänke vor und hat gelbgesprenkelten Steinfußboden. Der folgende Teil, der Čakáreň pre matky s deťmi i nefajčiarov (Wartesaal für Mütter mit Kindern und Nichtraucher), wie es auf einem Schild heißt, ist zwischen den Stützen zu beiden Seiten vollständig verglast, so daß man nicht nur zum Bahnsteig, sondern auch zum direkt hinter dem Bahnhof beginnenden See blickt.

Wo dieser Teil mit einer Glaswand und orangenen Vorhängen vom weiteren separiert ist, schließt rückwärtig das zweigeschossige Funktions- und Wohngebäude an, das damit ungewöhnlicherweise keinen direkten Zugang zum Bahnsteig hat, und vorne ist eine Wand mit einem abstrakten Betonrelief, in dessen Ecken, Schwüngen, vertikaler Linie und horizontalem Oval man, wenn man will, die Bestandteile einer menschlichen Figur erkennen kann.

Sofort danach ist der Hauptwartesaal wieder verglast und gegenüber den Glastüren öffnen sich aus dem Gebäude mit holzverkleideten Tresen die Gepäckaufgabe und der Fahrkartenschalter.

Zum weißgesprenkelten Stein der Fußböden kommen die genannten Bänke und an den Wänden blaue ziffernlose Uhren mit beigen Zeigern und Strichen.

Aber der Wartesaal geht noch weiter und seine zum See zeigende linke Ecke ist gänzlich verglast, während zum Bahnsteig eine Wand und vorne weitere Glastüren sind.

Von hier blickt man auch zu einem auf einem Betonsteg in den See gesetzten fensterlosen Bau mit Satteldach und halber Holzverkleidung und den auf der Staumauer verlaufenden Weg.

So tut der Bahnhof alles, dem Reisenden den See zu zeigen, ohne daß er auch nur den Wartesaal verlassen müßte. Aber auch die Bahnhofsmitarbeiter haben am anderen Ende des Schalterraums einen zum See zeigenden Balkon und die Bahnhofsvorstehersfamilie in ihrer im Obergeschoß befindlichen Wohnung ebenfalls.

Idyllischer kann auch in der oft idyllischen Tschechoslowakei ein Bahnhof kaum gelegen sein, es ist wirklich ein Bahnhof im Paradies. Ganz selbstverständlich, daß im ans Gebäude anschließenden Schuppen im Bahnhofsgarten ein Boot steht.

Von Osten kommend sieht man den Bahnhof, wie schon zuvor eine Brücke, als gleichsam natürliche Fortsetzung der erst schrägen, dann zwischen vorgesetzten Stützen geraden Staumauer und ihres Betons.

Beide sind Produkte des tschechoslowakischen Sozialismus, beide stehen für die Beherrschung der Natur und ihre Nutzbarmachung für den Menschen. Der Dobšinská prehrada (Dobšiner Stausee) und der Ort Dedinky sind selbstverständlich mit einem Hotel, allerlei Hütten und Campingplätzen auch als Erholungsgebiet genutzt, der Bahnhof war das angemessene Tor zu ihnen. Es gibt für den Winter sogar noch einen Sessel- und einen Skilift auf den Berg Gervasy, während der Bahnhof, an dem immerhin einige Züge halten, leersteht. Das Gespür der tschechoslowakischen Bahnhofsarchitektur für Landschaft sieht man selten so gut wie am Bahnhof Dedinky, dem Bahnhof am Stausee, im Paradies.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Chynorany

Erreicht man Chynorany in der westlichen Slowakei mit der Eisenbahn von Süden, sieht man zuerst die Industrie. „So sovietskym zväzom na večné časy!“ (Mit der Sowjetunion auf ewige Zeiten!) steht auf einer Halle aus Glas, Blech und hellblauen Stahlstützen.

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Erreicht man Chynorany mit der Eisenbahn von Norden, sieht man zuerst das Wohngebiet. Es besteht nur aus wenigen drei- und viergeschossigen Gebäuden, vor denen aber das große Kultúrny Dom Valentína Beniaka (Kulturhaus Valentín Beniak) mit grauem und rotem Platz, vom Eingang aufsteigenden Bauvolumen, markantem halbrunden Treppenhausturm an der Seite und Gedenktafel für den Namensgeber steht.

Das slowakische Dorf, das Chynorany im Kern ist, ist dazwischen nicht geradezu versteckt, da es sowohl mehr oder weniger ungeordnet die Zwischenräume füllt als auch ausgehend von der etwas oberhalb des Kulturhauses stehenden spätbarocken zweitürmigen Kirche eine umso geordnetere Achse bildet.

Es gibt in diesem alten Dorf auch die üblichen Heiligendenkmäler, wobei eine Dreifaltigkeitssäule von 1940 vor allem daran erinnert, daß der slowakische Staat nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei 1938 eine theokratische Diktatur war.

Eine Poliklinik neben der Kirche

und eine Ladenzeile mit Grünfläche und kleinem SNP-Denkmal neben dem kaum mehr erkennbaren kleinen Schloß

behaupten den Vorrang der sozialistischen Tschechoslowakei, der an den Rändern mit Industrie und Wohngebiet so deutlich war.

Höhepunkt ist zwangsläufig der tschechoslowakische Bahnhof in der Mitte des Orts. Den Gleisen wendet er ein langes und tiefes Vordach auf runden Stützen zu, unter dem ganz links ein Durchgang ist und an das dann rückwärtig ein Flachbau anschließt, aus dem wiederum rechts die etwas höhere Halle ragt, während ganz rechts nach dem Ende des Vordachs ein schmaler Verbindungstrakt zu einem dreigeschossigen Wohnbau führt.

Unter das Vordach öffnet sich das Reštaurácia (Restaurant), dessen Tür und Verkaufsfenster jeweils im oberen Teil von schmalen Streifen blau-roten Mosaiks gerahmt sind.

Rechts daneben geht es in die Halle, die so gestaltet ist, daß sie sich rasch durcheilen läßt, da ungewöhnlicherweise beidseits der Glastüren die Gepäckaufbewahrungen und direkt rechts die Schalter angeordnet sind. Verbunden mit diesem Durchgangsbereich und zugleich von ihm getrennt ist der Aufenthaltsreich, die eigentliche nach links verlaufende Halle. Sowohl die Innenwand als auch die eckigen Stützen zwischen der verglasten Außenwand sind bis auf die Höhe der Türen mit vertikalen rechteckigen rauhen Sandsteinsteinplättchen verkleidet und darüber ähnlich verputzt, während auf dem Boden größere glatte Rechtecke in Weiß und Grau, die in sich wiederum aus zerbrochenen Steinstücken bestehen, sind und an der Decke ein beige-braunes Holzmuster ist.

An ihrem linken Ende schließt sie hinter Holzbänken und üppigen exotischen Pflanzen ein wandhohes quadratisches Mosaik ab, in dessen scheinbar völligen Abstraktion – einer schwarzen Parabel und einem in verschiedene rote Flächen zerlegtem Kreis – sich auch eine Ampel und Eisenbahnsignale erahnen lassen.

Wie eine Ergänzung zu diesem Kunstwerk sind die in großen Strichen stilisierten Darstellungen von Getränken und Essen und den entsprechenden großbuchstabigen Worten auf schwarzem Hintergrund in der Restauranttür.

„Frühstück-Mittagstisch-Abendessen-Bier-Wein-Kaffee-Tee“

Die Tür nach draußen ist nur ein breiter Rahmen innerhalb der aus versetzten rechteckigen Scheiben bestehenden Glaswand und auf ihr steht eine abstrakte Skulptur, ein Stück Holz, ein glatter Ast eigentlich nur, der auf einem halbrunden Teil ruht und oben mit einem Ende nach links und dem anderen nach rechts zeigt.

Aber auch hier ist in der Abstraktion deutlich das geflügelte Rad, Symbol des Eisenbahnwesens nicht nur der Tschechoslowakei, zu erahnen.

Von der Ortsseite, die etwas niedriger liegt, ist die Halle dem Gebäude in einem wie schwebenden Rahmen, dessen Streben mit dem blau-roten Mosaik verkleidet sind, leicht vorgesetzt und zu ihrem Eingang, über dem ein dünnes Vordach aufsteigt, führt eine kurze Treppen mit weißem Metallgeländer.

Das Wohngebäude schließlich ist ein kleines Punkthaus mit weißem und blauem Putz, vertikalem Treppenhausfenster, ansonsten großen horizontalen Fenstern und offenbar einer teils überdachten Dachterrasse, das auch unabhängig vom Bahnhof ein elegantes architektonisches Zeugnis seiner Zeit wäre.

So ist der Bahnhof von Chynorany nicht wie in so manchen Orten der einzige Vertreter des Sozialismus, sondern vielmehr eine Synthese von all dem, was diesen kleinen, aber entschieden dem Neuen zugewandten Ort ausmacht.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Plaveč

Ort und Bahnhof Plaveč sind weit voneinander entfernt und so klein jener ist, so groß ist dieser.

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Obwohl die tschechoslowakische Bahnhofsarchitektur sich auf große Bahnhöfe so gut verstand wie auf kleine und winzige, scheint sie sich bei diesem an der polnischen Grenze in der nördlichen Mitte der Slowakei einfach nicht bemüht zu haben.

Seine Architektur ist schlichtweg langweilig: Satteldächer und gelbgrauer Putz, parallel zum Bahnsteig ein langes dreigeschossiges Gebäude in der Mitte, ein flaches links und ein zweigeschossiges rechts, das nur an einer Abfolge vertikaler Fensterschlitze als Halle zu erkennen ist. Innen ist sie klein und hoch, heller Steinfußboden, einige Bänke, rechts ein Schalter, links oben drei Flächen aus Glasbausteinen und über den Toilettentüren eine Treppe mit Stahlgeländer.

Alles wirkt leer und ausgestorben, eingeritzte Namen im Putz gehen auf 2008 zurück, an einer Stelle ist eine Emailadresse darunter.

Aber gegenüber dem Eingang sind im zweiten Geschoß die Fenster des Restaurants, zu dem die Treppe führt, und dort zeigt der Bahnhof doch noch ein wenig, in welche herausragende Bautradition er gehört.

Am Ende des Restaurantraums hängt oben ein Metallrelief, das vor einer braunen Grundfläche zwischen helleren Blechen unregelmäßig abgerundete Formen zeigt, in denen wiederum runde vorgewölbte Elemente sind. Das ist dekorative abstrakte Kunst der langweiligeren Art, aber es ist doch mehr, als man vom Bahnhof Plaveč erwarten würde. Und der Raum ist außer zur Halle auch nach außen völlig verglast, wo die hügelige Landschaft des Tals des Poprad und der Ort Plaveč mit der höhergelegenen Burgruine zu sehen sind.

Immerhin bemüht sich der Bahnhof so, den Reisenden den Ort, den viele von ihnen nie betreten werden, da sie nur umsteigen, zumindest vorzustellen.

Das Restaurant aber ist lange geschlossen und wenn das irgendwann auch mit der Halle passiert, wird diese kleine Liebenswürdigkeit und Schönheit des langweiligen Bahnhofs ganz vergessen sein.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Ráztočno

Als Gebäude wäre der Bahnhof von Ráztočno in der östlichen Westslowakei bis zum Verschwinden unscheinbar: bloß links ein flacher Teil, in dem der Wartesaal ist, und rechts ein zweigeschossiger, in dem unten der Betriebsraum und die Toiletten und oben die Wohnung des Stationsvorstehers ist. Die Formen kubisch-schlicht, der Putz beige-graue, alles wie ein westliches Klischeebild des Sozialismus.

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Aber vor dem gesamten Gebäude ist ein breites Betonvordach, dessen runde braune Stahlstützen vorne in eine schmale Blende übergehen, und diese Blende ist mit leuchtend dunkelblauen kleinen rechteckigen Kacheln verkleidet. Statt des Graus, statt des Gebäudes, sieht man nur noch dieses schwebende blaue Band, über dem erst links in großen Leuchtbuchstaben der Bahnhofsname steht.

Damit die Farbe auch von unter dem Vordach zu sehen ist, sind links und rechts vor den Stützen zwei lange schmale Hochbeete, deren Seiten und Ränder mit den nämlichen dunkelblauen Kacheln verkleidet sind, während ihre niedrigen Sockel weit zurückgesetzt sind, so daß sie ihrerseits schwebende Bänder werden.

Die Farbe wirkt auch deshalb so stark, weil sie in der umliegenden Natur keine Entsprechung findet. An schönen Tagen sind die bewaldeten Berge des Nitratals grün mit einzelnen grauen Felsen, aus deren Stein unter weißem Putz die ältesten Häuser des Dorfs bestehen, und der Himmel blau, doch das Blau des Bahnhofs ist anders, eher das des Meers.

Es ist auch nicht ein Blau, sondern viele, in jeder einzelnen Kachel ist ein Farbverlauf, manche sind fast türkis.

Das ist der Sozialismus: graueste Funktionalität mit Momenten strahlender zweckfreier Schönheit, die aber nichts versteckt oder tut, als sei sie etwas, was sie nicht ist. Was für Schätze erst im Wartesaal waren, bleibt verborgen, denn der Bahnhof steht leer, doch so bleibt er selbst ein Schatz, einer unter vielen, die Tschechoslowakei war freigiebig.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Petrov u Strážnice

Schon der Name paßt zum tschechoslowakischen Bahnhof, ein Allerweltsname, der durch den Zusatz „bei Strážnice“ der nächstgrößeren Stadt zu-, untergeordnet werden muß. Hier ist kein schon immer wichtiger Ort, überhaupt ist das Dörfchen Plzě so nah wie das namensgebende Petrov, sondern einer, der durch den tschechoslowakischen Sozialismus wichtiger wurde. Schönster Ausdruck davon ist der Bahnhof.

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Er besteht aus einem fast zur Hälfte verglasten runden Teil und einem rechts davon zurückgesetzt angefügten niedrigeren Teil mit einem Tor und drei schräg nach links gestellten Wänden, zwischen denen weiter innen drei Türen sind.

Davor ist ein Vordach aus Blech, das bahnsteigseitig vor dem runden Teil beginnt und auf nur vier dünnen eckigen Stahlstützten ruht, die über dem Blech als Balken an die Wände anschließen.

Neben dem runden Teil führt eine Treppe ein Stück hinab in einen Parkbereich, der sich nach links entlang des Betonbahnsteigs noch ein ganzes Stück weiterzieht.

Baulich abgesetzt ist rechts das Wohnhaus der Bahnhofsvorstehersfamilie mit zwei horizontalen Fenstern auf einem niedrigen Sockel und rechts angefügtem höherem Kamin.

An der bahnsteigabgewandten Seite blickt man am Bahnhof entlang auf den Eingang und das große verglaste Treppenhaus des hier zweigeschossigen Wohnhauses, für das sich also eine um den eigentlichen Bahnhof gelegte L-Form ergibt.

Der Bahnhof Petrov u Strážnice lebt ganz von den klaren, großen Baumassen, so daß die Fassadengestaltung eher zurückhaltend ist: zu grauem Putz und blauen Stahlteilen kommt bei den schrägen Wänden, den Wänden der Treppe, dem Sockel des Wohnhauses und dem Kamin sowie als schmaler Streifen unter dem runden Teil eine Verkleidung aus rotbraunen rechteckigen Kacheln.

Doch etwa in der Mitte der runden Bahnhofshalle, in die sich gegenüber der Fensterfront der Schalter öffnet, ist auf einer freistehenden rechteckigen Wand das Kunstwerk, das zu einem solchen Bahnhof unbedingt gehört. Bestehend aus großen Keramikplatten zeigt es auf blauem Hintergrund Formen, die zuerst gänzlich abstrakt scheinen, und hat zudem an einigen Stellen gruppiert hervorragende Keramikröhrchen.

Von den rosafarbenen Gesichtern ausgehend geben sich bald zwei Figuren in lokalem Trachten, eine Frau links und ein Mann rechts, zu erkennen. Die Röhrchen stehen für die Muster auf der Kleidung und formen auf dem Kopf des Mannes einen prachtvollen Federschmuck. Abstraktion und Folklore, die Verbindung scheint absurd, doch in diesem kleinen Bahnhof im östlichsten Südmähren gelingt sie der tschechoslowakischen Kunst und läßt so all ihre Irr– und Umwege zielführend erscheinen. Sogar ein Fortschritt, eine Entwicklung, ist erkennbar, da der Künstler Jaroslav Blažek in der Bahnhofshalle von Bystřice nad Hostýnem noch gänzlich abstrakt gearbeitet hatte, hier aber zur Gegenständlichkeit fand. Es ist genau das Kunstwerk, das dieser Bahnhof an diesem Ort braucht.

Gut erging es dem Bahnhofsgebäude nicht, die Kacheln wurden hellblau bemalt, der Rundbau bekam weiße Plastiktüren und -fenster. Er diente nach dem Ende seiner Bahnhofsfunktion als Intérierové studio (Einrichtungsstudio), was immerhin auf ein Verständnis für dieses Interieur hindeutet, und steht nun leer. Aber ein Symbol für die Wertschätzung, die die Tschechoslowakei dieser Gegend über ihre kommerzielle Verwertbarkeit hinaus entgegenbrachte, wäre der Bahnhof Petrov u Strážnice sogar als Ruine noch.

Hier ist Weinland, nicht so berühmt wie an der österreichischen Grenze, aber nicht weniger reizvoll. Im nahen Plzě bilden in die Erde gebaute Weinkeller, wahre Bunker des Weins, eine ganze Straße, zu der sich die Eingänge mit unten blauen, oben weißen Fassaden und einfachen runden oder eckigen Giebeln öffnen.

Für die Besucher ist das Innere der Keller oder der abschließende Platz, wo offene Zelte mit Bänken und Tischen bei einer Bühne mit großer runder Betontanzfläche stehen, interessant, doch von oben schaut man über die Graswellen der Dächer zum Bahnhof Petrov u Strážnice, der ihnen dient.

Er ist damit auch ein Weinbahnhof, aber selbstverständlich viel zu gut, um das architektonisch oder künstlerisch zu betonen. Er ist ein tschechoslowakischer Bahnhof und das genügt.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Pomezí nad Ohří

Nach dem großen Weltraumbahnhof Cheb folgen nach Westen noch zwei weitere Stationen, von denen Pomezí nad Ohří die zweite ist und damit fast direkt an der Grenze zu Westdeutschland liegt. Anders als in Cheb behielt es seinen alten Bahnhof, einen recht unschönen eineinhalbgeschossigen Satteldachbau aus dunkelgrauen Steinquadern mit backsteinernen Fenster- und Türrahmen.

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Heute versinkt er in hohem Gras und billigem Graffiti und verfällt, denn er ist weder für die Grenze noch für seinen etwas entfernt gelegenen Ort von Bedeutung. Sogar das blaue Schild der České dráhy (Tschechischen Bahnen) an der Bahnsteigseite ist schon teils abgebrochen.

Dennoch ist es bei diesem Schild, das nur den mittleren Teil einer von der Architektur für den Stationsnamen eingelassenen Vertiefung einnimmt, daß der Bahnhof das erste, was an ihm betrachtenswert ist, offenbart. Zwei Ebenen älterer Beschriftung sind neben dem blauen Schild noch erkennbar. Zur älteren gehört das M links, das vom alten deutschen und immerhin bis 1950 gültigen Ortsnamen Mühlbach stammt.

Links und rechts leuchten noch blasse fünfzackige rote Sterne, mit denen die Tschechoslowakei stolz den neuen Bahnhofsnamen gerahmt hatte, damit jeder sofort wisse, daß er in einen sozialistischen Staat einfährt.

Das zweite, was den Bahnhof betrachtenswert macht, sind ein Kunstwerk und ein Denkmal im Bereich zwischen dem Bahnhof und der Straße. Zum einen ist da ein kleiner Obelisk mit der Aufschrift „Československá zahraniční armáda, 1.5.1945“ (Tschechoslowakische Auslandsarmee, 1.5.1945) und eine Tafel, die erläutert, daß hier an der Seite der britischen Armee kämpfende tschechoslowakische Soldaten gegen Ende des Kriegs als erste von Westen her das Staatsgebiet der Tschechoslowakei betraten.

Dahinter steht ein Kranz aus sechs dunkelgrünen Stahlrahmen, von denen die rechten drei noch im oberen Teil monochrome Glasbilder tragen. Das rechte zeigt eine Berglandschaft mit Nadelbäumen, Bauernhäusern und Kirche, aber auch einen Sendeturm und in der Mitte eine stelenartige Form, die sich oben aufspaltet und drei Kreisformen mit den Strukturen von Blumen oder Schneekristallen trägt.

Das mittlere zeigt eine Geige, einen Stuhl, einen Tisch und einen gerade abgerollten Teppich.

Das linke zeigt oben eine Leinwand oder ein Filmband mit den Buchstaben MFF und ein Sonnengesicht und darunter eine klassizistische Kolonnade, Gläser und einen Springbrunnen mit Wasserstrahlen in der Form eines McDonald’s-Ms.

Die Formen sind immer klar, aber so, daß die einzelnen Motive ineinander übergehen. Hier stellt sich die Tschechoslowakei mit Landschaft, Industrie und Kultur dem Besucher vor, wobei letztere durch das MFF (Mezinárodní filmový festival, Internationale Filmfestival) Karlovy Vary und die westböhmische Bäder besonders deutlich vertreten ist. In der Straßenecke davor steht ein weiterer Rahmen, der vielleicht das Wappen und begrüßende Worte enthielt.

Links der Anlage steht an der Straße zudem ein zweigeschossiger Bau mit leuchtend blauer Verkleidung, wie sie auch manche tschechoslowakische Bahnhöfe haben, und vier vorgesetzten Stahlstützen, die mit Balken die Geschoßdecke und das Dach tragen.

Während seine Funktion heute unklar ist, stellte er zusammen mit der im Verlauf der Straße weiter unten sichtbaren barocken Zwiebelhaube jedenfalls einen angemessenen architektonischen Willkommensgruß der Tschechoslowakei dar, der den künstlerischen ergänzte.

Mag es erst scheinen, daß die Glasbilder sich an die Straße und nicht an den dahinter kaum sichtbaren Bahnhof richten, so stellt sich das rasch als dem Verfall geschuldete Fehleinschätzung heraus. Hinter ihnen bildet eine niedrige Betonwand den Rand des etwas höherliegenden Bahnhofsbereichs und durch sie führte durchaus eine kleine Treppe.

Es ist auch kein Zufall, daß die Glasbilder von beiden Seiten zu betrachten sind und vom Bahnhof, nur scheinbar von hinten, vielleicht sogar besser aussehen.

Auch hier, am letzten Bahnhof vor dem Westen mit dem ersten westdeutschen Bahnhof Schirnding, zeigte die Tschechoslowakei sich in all ihrer schlichten Größe. Man kann nur ahnen, welche Schönheiten erst die drei zerstörten Bilder bargen. Heute ist der Bahnhof verlassen und vor den Kranz der Kunstwerke trat das immerhin auch wichtige britische Denkmal. Angemessenes Willkommenszeichen des heutigen Tschechien ist die Spielhalle links der Straße.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Lužná u Vsetína

Vom Ort her sieht man den Bahnhof von Lužná u Vsetína (Lužná bei Vsetín) gar nicht. Er ist von dort nur ein Haus zwischen Häusern. Links ein bis zum Boden geführtes unregelmäßiges Satteldach mit holzverkleideter Giebelfläche, in dem oben eine Fenstergaube vorgesetzt ist, rechts quer dazu auf dem Erdgeschoß ein nach dort zeigendes niedriges Satteldach, beide mit roter Blechverkleidung, ansonsten weißgrauer Putz, Fenster, Türen und ein üppiger Vorgarten.

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Von den Gleisen her sieht der Bahnhof gar nicht grundsätzlich anders aus, ist aber unverkennbar ein Bahnhof.

Links das Erdgeschoß mit nach dort zeigendem niedrigem Satteldach, unter dem ein geschützter Wartebereich mit zwei dünnen eckigen Stützen ist. In der roten Backsteinwand sind links die Toilettentüren, zwischen denen die Wand vertikal geriffelte silberne Metallverkleidung und Schautafeln hat, und rechts die Tür des Dienstraums.

Noch bevor dieser Bereich endet, steigt ein quergesetztes Satteldach nach rechts an und fällt als unregelmäßige Form bis zum Boden ab. Über dem Wartebereich hat es eine holzverkleidete Fläche, während der übrige Teil vollständig verglast ist. Das ist die Bahnhofshalle, in die am Ende des Wartebereichs Türen führen.

In ihr ist links der Schalter und an den fensterlosen Seiten stehen Bänke.

Der Boden und die Innenseiten der Schalternische bestehen aus glattem weißen Stein, die Wände sind im unteren Teil, wo weitere Schaukästen eingebaut sind und eine Karte hängt, auch innen aus Backstein

und im oberen, wo eine Uhr ist, weiß verputzt,

während die schrägen Decken mit hellem Holz, das nur an den kurzen außen überstehenden Rändern vom Wetter geschwärzt ist, verkleidet sind. Weit oben sind die Dachteile mit hellen Holzbalken verbunden.

Dieser kleine Bahnhof steht deutlich oberhalb der Gleise, die bereits am Hang über dem Tal verlaufen, so daß vor ihm eine Art Terrasse mit Geländern aus Stahl und Holzplanken ist und zum Bahnsteig an der Betonwand von links und rechts Treppen hinabführen.

Auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig, der leider nur auf Umwegen zu erreichen ist, steht ein offenes Wartehäuschen mit weißgetünchten Backsteinwänden in Stahlrahmen und einem holzverkleideten Flachdach, man im Vorüberfahren leicht für den ganzen Bahnhof halten könnte, da das andernorts vorkommt und ja auch nicht wenig ist.

Lužná u Vsetína, das ist der Bahnhof als Einfamilienhaus. Die Architektur, vom hohen Wohnzimmer mit Backstein und Holz bis zur Terrasse mit großartigen Blicken über das Tal der Senice, könnte die eines luxuriösen Einfamilienhauses der späten Sechziger oder frühen Siebziger sein, als es nach der Strenge des Modernismus wieder rustikaler und gemütlicher wurde und die Dächer spitzer, ohne daß allerdings schon Historistisches darin wäre.

Solche Einfamilienhäuser allerdings gab es in der sozialistischen Tschechoslowakei nicht; also bauten die Architekten Bahnhöfe. Ihnen war das individuell vielleicht nur eine Befriedigung des Bedürfnisses, kreativ zu sein, das heißt, westliche Trends nachzuahmen, doch was dadurch geschah, war eine Expropriation elitärer Gebäudetypen zum Nutzen der bahnfahrenden Massen. Dergleichen war in Dlouhá  Třebová mit den Case Study Houses geschehen, hier in Mähren traf es eine spätere Einfamilienhausmode. So sind diese Gebäude auch nicht Werke einzelner Architekten, sondern eines Systems, des Sozialismus, das den Rahmen vorgab.

Das Besondere in Lužná u Vsetína ist, daß der Bahnhof als Einfamilienhaus tatsächlich auch ein Einfamilienhaus ist.

Viele tschechoslowakische Bahnhöfe sind auch als Wohnort mindestens für die Stationsvorstehersfamilie konzipiert und was sonst durch Obergeschosse oder abgesetzte oder freistehende Bausteile gelöst wurde, wurde es hier durch eine Trennung der Länge nach in einen gleisseitigen öffentlichen und einen ortsseitigen privaten Teil erreicht. Daß der Bahnhof somit vom Ort nicht einmal als Bahnhof zu erkennen ist, so sehr ist er Einfamilienhaus geworden, wird ihn noch eine Weile vor dem Verfall retten, doch das ist nur ein kleiner Trost dafür, daß die Halle und alles andere zum Gleis Zeigende geschlossen und die expropriierte Architektur statt allen niemandem mehr zugänglich ist.