Archiv für den Monat Juni 2021

Katze mit T

Ganz oben ist eine Katze. Auf einer quadratischen gelben Fläche im sechsten Geschoß eines Hanauer Eckhauses, die dank der ebenfalls gelben Unterseite wie ein Teil eines Würfels wirkt, steht sie mit ihrem schwarzen linken Teil und aufgerichtetem Schwanz hinter einem großen grünen T und mit ihrem weißen rechten Teil mit freundlich nach vorne gewandtem Gesicht und wie zum Gruß erhobener Pfote vor den Serifen ihres Buchstabens, also den am Ende des horizontalen Teils herunter führenden und am Anfang des vertikalen Teils zu den Seiten führenden zusätzlichen Strichen. Unter ihr steht in schwarzen Großbuchstaben „Transchel“, denn sie ist Teil einer Werbung, sie ist eine kapitalistische Katze.

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Rechts neben und unter der Transchel-Katze enden fünf beziehungsweise vier schmale Obergeschosse, die nur aus Fensterbändern und darunter verlaufenden lila gestrichenen Betonelementen bestehen. Da der Teil unter der Katze, wo als einziges ein Balkon ist, aber leicht zurückgesetzt steht, wirken diese beiden Teile nicht als Einheit, sondern rhythmisch bewegt, was durch die schwarzen Verkleidungsplättchen an ihren Seiten, und also auch als vertikale Linie zwischen ihnen, noch betont wird.

Links schließt zurückgesetzt und schräg nach hinten ein ebenfalls sechsgeschossiger Teil mit entsprechender Fassade an, der bald von einem Aufzugs- und Treppentrakt aus hellgrauem Beton unterbrochen wird. Dieser ist deutlich vorgesetzt, mehr als ein Geschoß höher und besteht aus geschoßhohen Elementen mit leichter vertikaler Maserung und abgerundeten Ecken. Im zweiten sowie im obersten Geschoß sind je drei schmale abgerundete horizontale Fenster, die als einzige die Vertikalität brechen. Da sie sich auch rechts des Aufzugstrakts fortsetzen und dort nur noch einmal durch eine graue Betonlinie separiert sind, wirken die Fensterbänder und ihre lila Brüstungen hier eher einheitlich horizontal als so modular wie an der Katzenecke.

In zwei Terrassenstufen wird dieser Teil auf vier Geschosse niedriger, um in der Höhe an das Satteldach des Nachbargebäudes anzuschließen, wobei die höhere Dachterrasse halb überdacht ist und zur Straße hin eine Plexiglaswand hat.

Ähnliche bläuliche vertikale Plexiglasstreifen unterbrechen stellenweise auch die Fensterbänder der darunterliegenden Geschosse.

Rechts ist die Stufe zu einem dreigeschossigen Teil und einem in sich schräg nach rechts abknickenden zweigeschossigen Teil, die jeweils Dachterrassen haben, abrupter, so daß der Katzenteil daneben fast wie ein Turm wirkt.

Der niedrigere Teil ist dabei genau so hoch wie die Geschosse des angrenzenden Gebäudes, wodurch die Terrasse dessen Satteldach entspricht.

Im Erdgeschoß ist ganz links eine Durchfahrt mit Rolltor, die heute in eine rückwärtige Parkplatzlandschaft führt. Von dort hat das Gebäude weder Katze noch sichtbaren Beton, doch in seiner schlichten weißen Fassade sind die Terrassenstufen umso stärker betont.

Im übrigen Erdgeschoß sind Schaufenster, die unterhalb der Katze durchgängiger werden und ein Vordach bekommen, dessen Verlauf mit dem der Obergeschosse nichts zu tun hat und sanft um die rechte Ecke führt.

Der Umgang mit der Ecke ist es, der dieses Gebäude ausmacht. Es ist ein Eckbau gleichsam ohne Ecke, da diese durch Rücksprünge und Winkel, die nicht völlig vom Straßenverlauf vorgegeben sind, ausgeglichen wird. Über die zusammengewürfelte Blockrandbebauung, die Hanaus Innenstadt, wo es steht, ausmacht, geht es nicht hinaus, aber immerhin fügt es sich feinfühlig zwischen die anderen Gebäude ein und schafft mit den Dachterrassen vorbildliche Orte.

Den fast schwebenden gelben Würfel mit der schwarz-weißen Katze um das grüne T wendet das Gebäude der Achse der Bangertstraße zu, um ihn und sie möglichst weit in die Stadt zu tragen. Der Name Transchel steht auch in weißen Großbuchstaben mit blauen Seiten auf dem Vordach, ohne daß heute sofort deutlich wäre, wozu er gehört. Das erkennt man erst an den verblassenden Aufschriften „chem. reinigung“ in den Schaufenstern. Transchel hieß die Reinigung und die Katze wird oben durch deren Initiale gewaschen. Eine Reinigung ist im Erdgeschoß noch immer, doch wo Transchel ein ganzes Gebäude errichtete und durch sein Design prägte, wäre über ihr Design jedes Wort zu viel. Immerhin ist dadurch die Werbung, zu der die Katze gehört, obsolet und sie ist befreit, statt kapitalistischer Werbekatze ist sie nur noch Katze und Krönung eines hübschen kleinen Gebäudes.

Die Garage Gottes

Zu neueren polnischen Kirchen gehört immer auch ein Pfarrhaus, das entweder als Luxusversion eines typischen kubischen weißen Einfamilienhauses in der Nähe steht oder aber mit der Kirche eine bauliche Einheit bildet. Letzteres wird im kleinen żuławischen Ort Kępki zu seiner logischen Konsequenz geführt.

Die 1985 errichete Kirche ist bereits städtebaulich nicht herausgehoben, sondern steht wie viele Häuser erhöht neben der Straße und mit der Rückseite zur Nogat. Einzig das höhere, schräg ansteigende und bis zum Boden reichende Satteldach mit seinem roten Blech ragt aus dem Panorama von Kępki etwas heraus, ohne aber als Kirche erkennen zu sein.

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Vorne reicht das Dach leicht über die Glasfläche mit buntem Kreuzmuster und zeigt, daß es innen mit hellen Holzpanelen verkleidet ist. Rechts schließt unter einem abfallenden Satteldach und einem Flachdach der zum Fluß geöffnete Wohnteil an, aber fast wirkt die ganze Kirche wie ein Einfamilienhaus.

Von der Straße führen zu beiden Seiten Treppen hinauf zur Terrassenfläche vor dem Eingang und in der Mitte zwischen ihnen ist in einer steinverkleideten Wand – ein Garagentor.

„Gott kennt deinen Namen“

Baulich gesehen ist das genau die richtige Stelle dafür, doch ein religionskritischer Betrachter könnte es vielleicht fragwürdig – oder aber erstaunlich ehrlich – finden, die Einfahrt in eine Tiefgarage, die möglicherweise recht groß ist und gewiß nur dem Priester dient, so offensiv in die Mitte der Kirche zu setzen.

Vorbilder für die Kirche von Kępki sind denn auch am ehesten in luxuriösen westlichen Villen zu suchen, wie sie im sozialistischen Polen nicht gebaut werden konnten, während sich Parallelen in manchen tschechoslowakischen Bahnhöfen finden.

Daß in Polen Kirchen und in der Tschechoslowakei Bahnhöfe in ganz ähnlichen Formen gebaut wurden, sollte nebenbei deutlich aufzeigen, daß es zwischen diesen beiden Nachbarländern mit offiziell gleichem politischem System große Unterschiede gab.

Das Schwimmbad unter der Eisenbahnbrücke

Am frühen Abend des 18. Juni 2021, kurz bevor die Läden um 18 Uhr schlossen, zog ein Unwetter über der nordholländischen Metropole Alkmaar auf. Es kam recht schnell aus nordwestlicher Richtung und machte den Tag zur Nacht noch bevor die ersten Tropfen fielen. Der Regen war stark und andauernd, reißender Wind trieb ihn über die Straßen, am Ende kam auch Hagel hinzu, während Donner und Blitze verhalten waren. Wer konnte, ging nach Hause oder suchte Unterstand, andere genossen die Erfrischung, die einem Bad gleichkam. So ging es eine gute Dreiviertelstunde, große Pfützen bildeten sich auf den Straßen, Wasser strömte aus dafür gedachten Löchern von den Dächern neuer Gebäude, da die Fallrohre es nicht aufnehmen konnten.

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Dann klarte es auf, der Regen endete, doch schon kurz darauf, gerade so, als sei die Pause ein Trick gewesen, Menschen auf die Straße zu locken, folgte ein zweites Unwetter mit kaum weniger starkem Regen, das noch einmal ebensolange dauerte.

Ganze Straßen im Zentrum waren nun überschwemmt, die Läden kämpften mit dem hineinfließenden Wasser, überall waren Feuerwehrsirenen zu hören, es herrschte eine angenehme Atmosphäre des Ausnahmezustands, doch es war warm und die Sonne kam wieder hervor, da der Sommertag noch lange nicht vorbei war.

Durch den Regen hatte sich auch die Senke, in der der Bergerweg unter der Eisenbahnstrecke hindurchführt, mit Wasser gefüllt. Kein Autoverkehr war auf dieser wichtigsten ins Zentrum führenden Straße mehr möglich, dafür sammelten sich um die Eisenbahnbrücke die Menschen, denn im Wasser spielten Kinder und alle anderen, die sofort nutzten, was Wetter und Stadt ihnen boten.

Ein veritables Pop-Up-Schwimmbad war hier entstanden. Manche planschten nur am Rande, andere schwammen in der Mitte, wo das Wasser tief genug war, wieder andere setzten unsicher ihre Füße hinein.

Hier bewies sich nebenbei die konsequente Trennung der Verkehrswege in den Niederlanden: überflutet war nur die schwarzgeteerte Straße ganz unten – sie wurde das Becken des Schwimmbads – während die an beiden Seiten höher verlaufenden rotgeteerten Fahrradwege und die noch höheren graugepflasterten Gehwege passierbar blieben – sie wurden zu teils zweistufigen Emporen, von denen die Menschenmenge auf das Treiben im Wasser hinabschauen konnte.

Das Schwimmbad hatte Außenbereiche beidseits der Brücke und einen Innenbereich unter ihr, wo die runden Betonstützen, die oben an einen breiter werdenden Balken mit eingelassenen Lampen anschließen, auch gut zur Schwimmbadarchitektur paßten.

Was hier geschah, war außergewöhnlich, eine kleine, harmlose Erinnerung daran, wie sehr die Niederlande in jedem Moment vom Wasser bedroht sind, doch es wirkte so selbstverständlich, daß man vergessen konnte, daß es mitten in der Stadt auf einer der wichtigsten Verkehrsachsen geschah. Wenn langsame gelb-blaue und gelb-blau-weiße Züge von und zum nahen Bahnhof über die Brücke fuhren und als Reaktion auf das ungewöhnliche Schwimmbadleben hupten, war es ein Bild wie aus Steampunk- oder magisch-realistischen Phantasien, aber unendlich viel besser, da es real war. Als dann auch ein aufblasbarer rosa Flamingo in das Becken gelassen wurde, war der Höhepunkt erreicht; der Sommer begann im Pop-Up-Schwimmbad unter der Eisenbahnbrücke Bergerweg.

Seine Stunden waren dabei immer gezählt, denn unmerklich langsam floß das Wasser durch die Gitter am Straßenrand ab, der Beckenstand sank.

Um halb zehn waren nur noch wenige Besucher da, der Flamingo war wieder fort, eine beschädigte blaue Luftmatratze schwamm zwischen den Betonstützen, während alles im Licht der schon tiefen Sonne glänzte.

Der betreffende Teil des Bergerwegs war übrigens abgesperrt worden, erst provisorisch, dann mit festen Barrieren, und der Autoverkehr umgeleitet, doch weder Polizei noch Feuerwehr zeigten sich und wieso auch, es gab hier nichts für sie zu tun, auch ein Bademeister wurde nicht gebraucht.

Am nächsten Morgen blieb vom improvisierten Schwimmbad Bergerweg nur eine Erinnerung, aber für ein paar Stunden war es die schönste aller Unwetterfolgen gewesen und hatte die Stadt verwandelt.

Ober-Erlenbach

Aus der Ferne würde man nicht erkennen, daß Ober-Erlenbach ein katholisches Dorf ist.

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Der erst quadratische, dann in zwei Stufen und Kuppeln achteckige schieferverkleidete Kirchturm sähe auch in einem protestantischen Dorf, wie es fast alle der umliegenden sind, nicht anders aus. Er ist hoch, aber nicht Konfession, sondern Wohlstand des Dorfs entschieden darüber und zwischen beidem besteht in der Wetterau keine klare Korrelation. Noch von der alten Brücke über den Erlenbach, die noch heute mit an den Enden geöffnetem rotem Sandsteingeländer in das Dorf führt, wäre es nicht klar. Direkt vor einem ragt der Kirchturm nun aus den Häusern auf.

Der Weg hinauf zur Kirche verläuft links in einem Schwung und nun erst zeigt sie nach und nach ihren katholischen Charakter.

Der Turm sitzt vorne so auf dem hohen Dach, daß ein trapezförmiges Giebelfeld mit dem weißen Grundton der Kirche entsteht. Nach unten breiter werdend gibt es den Blick auf einen mittigen Dreiecksgiebel mit roten Wappenreliefs frei. Vier hohe Pilaster teilen die Fassade darunter in drei Teile, in deren äußeren oben leicht abgerundete Fenster mit Schlußsteinen sind, während einen entsprechenden Rahmen in der Mitte großes rotes Sandsteinrelief, das wohl aus den fünfziger Jahren stammt, füllt. Es zeigt auf einer großen freien Fläche in schlichten Formen den heiligen Martin zu Pferd und vor ihm den Bettler, dem er seinen halben Mantel schenkt, so daß man den Namen Martinuskirche gar nicht mehr zu lesen braucht.

Zu dieser Eingangsseite und damit zur gesamten Kirche, deren Areal etwas höher liegt als die Dorfstraßen, führt eine breite Treppe. Die Eingänge in der Vorderseite und in den Mitten der Breitseiten, von denen einer zugemauert und zum Weltkriegsdenkmal umgestaltet wurde, haben recht einfache Rahmen mit doppelten Rillen und einem als Herz aus Ranken gestalteten Schlußstein im abgerundeten oberen Rand, doch von den Fenstern beziehungsweise dem Relieffeld darüber führen geschwungene rote Flächen herab, die in den Ecken nach außen zeigende Voluten bilden und in rankenartigen Ornamenten neben ihnen nach unten verlaufen.

Ein solches figürliches Relief an der Außenseite wäre bei einer evangelischen Kirche undenkbar und der reiche Schmuck um die Eingänge ungewöhnlich, aber noch spezifisch katholischer ist, wie die Kirche den Weg zu sich, von der Brücke über die geschwungen ansteigende Straße bis zur Treppe, inszeniert, wie sie nicht zufrieden ist, ein Gebäude in der Dorfmitte zu sein, sondern ins ganze Dorf ausgreifen will. Dieses katholisch-barocke Gespür für Raum zeigt sich auch darin, daß auf dem oberhalb des Dorfs gelegenen Friedhof genau in einer Linie mit dem Kirchturm eine Kreuzigungsgruppe aus rotem Sandstein steht.

Verglichen mit den spektakulären barocken Stadträumen und Sichtachsen katholischer Gegenden ist das sehr bescheiden, aber es zeigt, wie sich der Katholizismus auch im kleinen Rahmen des Wetteraudorfs seinen architektonischen Ausdruck zu geben versuchte.

Miłocin

Miłocin bekam immer das Beste aller Zeiten. Es ist sogar für ein żuławisches Dorf klein und liegt, im Gegensatz zur nord-südlichen Struktur der meisten anderen Dörfer, an einer west-östlich verlaufenden Straße. Parallel zu dieser Durchgangsstraße erstreckt sich ein kaum bebauter Grünstreifen und jenseits von diesem eine zweite, nur der Erschließung dienende Straße.

Dort steht ein großes zweigeschossiges Vorlaubenhaus, das älteste und auffälligste Bauwerk des Dorfs. Seinem L-förmigen Grundriß ist rechts vor dem nach hinten verlaufenden Quertrakt die namensgebende Vorlaube angefügt.

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Hinter den Stützen, die ihr Obergeschoß tragen, ist das Holz des sonst weiß verkleideten Erdgeschosses zu erkennen und über der Tür steht zwischen den Monogrammen von Bauherr und Baumeister das Jahr 1731 in lateinischen Ziffern.

Im backsteingefüllten Fachwerk des Obergeschosses wiederholt sich mehrfach ein schräger Balken mit zwei ihn kreuzenden geschwungenen Balken, was eine Art aufgeweichte X-Form entstehen läßt oder aber eine Abfolge einander durchdringender V-Formen. Im Giebel der Vorlaube sind die Balken einerseits so aufwendig geschwungen, als seien sie gleich ihrer Spiegelung im Teich zerflossen, andererseits bilden kleine und größere X-Formen um ein kleines Fenster ein großes Kreuz, das aber zu subtil bleibt, um klar christlich zu wirken.

Etwa gegenüber dem Vorlaubenhaus, aber durch den Teich und die Bäume der Grünfläche getrennt, steht an der Durchgangsstraße das erste von drei längeren und drei kürzeren zweigeschossigen Wohngebäuden, die der polnische Sozialismus dem Ort gab.

Vor ihnen sind große Wirtschaftsgärten, dahinter Schuppen, selbst haben sie ockergelben Putz, fast flache Dächer und horizontale Fenster. An den Gebäuden selbst ist noch nichts Ungewöhnliches, obwohl sie anderswo eher am Rande oder ganz für sich stünden, doch in Miłocin sprechen sie außerdem zu ihrer Umgebung, als wollten sie es dem alten Vorlaubenhaus gleichtun. Unter den Obergeschoßfenstern am Ende des ersten Gebäudes steht in schwarzen Buchstaben auf einer helleren Fläche:

„Dobra jakość budownictwa wiejskiego/lepsza wydajność produkcji rolnej“ (Gute Qualität des ländlichen Bauens/bessere Erträge der landwirtschaftlichen Produktion)

Auf der Schmalseite daneben ist rechts eine rechteckige Fläche in derselben Farbe mit weiteren Informationen.

Oben seht in einer dünnen Schrift mit leichten Serifen „PGR Miłocin I“, in der Mitte sind in einer dickeren serifenlosen Schrift die Auftraggeber und ausführenden Betriebe genannt und unten finden sich neben dem Logo des Baubetriebs, das aus den Buchstaben PBROL und einem stilisierten Dach besteht, sogar die Namen der beteiligten Ingenieure.

In einem übersichtlichen minimalistischen Design, das gar nicht veraltet wirkt, verkündet Miłocin hier, daß es ein Państwowe Gospodarstwo Rolne (PGR), was etwa einem Volkseigenen Gut der DDR entspricht und nicht mit einer Genossenschaft zu verwechseln ist, war. Hinter einem großen weißen Backsteinhaus und einer großen roten Scheune in der Straße beim Vorlaubenhaus sind noch die dazugehörigen flachen Hallen für Maschinen und Tiere.

Miłocin war als PGR etwas relativ Besonderes in Polen, wo aufgrund der Schwäche des sozialistischen Staats nach 1956 alle Versuche einer Kollektivierung der Landwirtschaft aufgegeben wurden und es statt Genossenschaften oder wenigstens Staatsgütern weiterhin zumeist ineffiziente Kleinbauern gab. Der Name PGR Miłocin I bezieht sich vielleicht nur auf die Bauphase der Gebäude, doch in ihm klingt auch etwas von der Hoffnung und der Aufbruchsstimmung, die sich in den Siebzigern im schönen Slogan „Budujemy drugą Polskę“ (Wir bauen ein zweites Polen) niederschlug, mit. Er klingt, als seinen Miłocin II, III und IV bereits geplant gewesen.

Aber auch heute hat es der Ort nicht ganz schlecht, denn das Vorlaubenhaus wurde mit EU-Geldern renoviert und auch der Teil des Grünbereichs zwischen ihm und dem Gebäude mit der Aufschrift bekam neue Bänke und Wege. Bleibt zu hoffen, daß es diesen nicht ergeht wie einer nach wenigen Jahren bereits ruinierten hölzernen Sitzgruppe, dir ein Stück entfernt steht. Zur neuen Gestaltung gehört auch ein Lapidarium mit nur wenigen lesbaren deutschen Gräbern und den neben- statt aufeinanderstehenden drei roten Steinklötzen eines Weltkriegsdenkmals.

Bis zu ihrem Abriß 1954 stand hier auch die Kirche. Sie war evangelisch und gewiß im Krieg beschädigt worden, doch falls sich Miłocin mit dem Abriß besonders fortschrittlich zeigen wollte, wäre die albanische Lösung, eine Umnutzung als Versammlungsraum oder Sporthalle, besser gewesen. Immerhin waren Abrisse von Kirchen in Polen selten und indem hier nie eine neue errichtet wurde, bekam Miłocin auch in dieser Hinsicht das Beste.

Eine Terrasse über dem Rhein

Das Problem an aufgestützten Gebäuden ist, daß sie immer noch kühner aufgestützt sein und weiter über irgendetwas ragen könnten. Das ist umso deutlicher, wenn das, worüber sie hinausragen könnten, so offensichtlich ist wie bei diesem Pavillon bei Geisenheim am Rhein.

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Er steht parallel zum Ufer und berührt nur mit seiner hintersten Kante den dort etwas höheren Boden, während er sonst auf niedrigen runden Betonstützen ruht. Sein Hauptteil besteht aus einem Geschoß mit abgeschrägtem vorderen Rand des Betonbodens, abwechselnd Fensterbändern und weißgetünchten Wandflächen und leicht überstehendem Flachdach, dessen Rand vorne abgerundet ist und eine dunkle Holzverkleidung hat.

In der Mitte ist ein etwas höherer großer Saal mit quadratischem Grundriß und dreiseitigen Glasflächen vorgesetzt, dessen Dach dem des Hauptteils entspricht, aber über ihm beginnt. Von links führt eine Treppe zu dem Saal und vor ihm erstreckt sich eine Terrasse in Richtung Rhein, die vorne, durch eine Schräge im Boden gut zu erkennen, etwas tiefer ist und noch weit nach den letzten Stützen schwebt. Sie besteht bloß aus niedrigen vertikal gemaserten Betonbrüstungen, die an mehreren Stellen durch schmale vertikale Schlitze durchbrochen sind und vorne schräg vorstehend enden, um Blumenrabatte aufzunehmen.

Heute ist die Hälfte der Terrasse zur Vergrößerung des Saals überbaut, aber das nimmt dem Pavillon nichts von seiner einfachen und prägnanten Form. So steht er an der Platanenallee des Uferwegs, umgeben vom Gelände des Campingplatzes, zu dem er gehört, und dient dem Restaurant Da Nico.

Die Stützen sind nur niedrig, aber sowohl aus praktischen Gründen des Hochwasserschutzes als auch für die ästhetische Wirkung der zum Fluß vorragenden Terrasse wichtig. Genau dies ist das Problem, denn der Pavillon bleibt durch den Weg und die Bäume isoliert und erreicht das steinige Ufer des mit hineinragenden Wellenbrechern kanalisierten Flußlaufs nicht.

Die Aufstützung ist es, durch die man sich das Gebäude so leicht näher am Wasser, ja, auf höheren Stützen direkt im Rhein ruhend und seine schwebende Terrasse noch weiter über ihn herausstreckend vorstellen kann. Alles, was dafür nötig wäre, ist bereits da, doch alles würde anders, wenn es in den Fluß ragte. Statt eines unauffälligen, wenn auch bei den Spaziergängern zwischen Rüdesheim und Geisenheim gewiß beliebten Pavillons mit Restaurant wäre es eine unübersehbare Attraktion auch für die Ausflugsschiffe, ein modernes Gegenstück zu den folgenden Burgen und Kirchen des Rheintals.

Das Problem an aufgestützten Gebäuden ist mithin nur ein kleines. Es läßt sie von der gebauten Realität zu all dem, was noch gebaut werden könnte, ragen.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Pomezí nad Ohří

Nach dem großen Weltraumbahnhof Cheb folgen nach Westen noch zwei weitere Stationen, von denen Pomezí nad Ohří die zweite ist und damit fast direkt an der Grenze zu Westdeutschland liegt. Anders als in Cheb behielt es seinen alten Bahnhof, einen recht unschönen eineinhalbgeschossigen Satteldachbau aus dunkelgrauen Steinquadern mit backsteinernen Fenster- und Türrahmen.

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Heute versinkt er in hohem Gras und billigem Graffiti und verfällt, denn er ist weder für die Grenze noch für seinen etwas entfernt gelegenen Ort von Bedeutung. Sogar das blaue Schild der České dráhy (Tschechischen Bahnen) an der Bahnsteigseite ist schon teils abgebrochen.

Dennoch ist es bei diesem Schild, das nur den mittleren Teil einer von der Architektur für den Stationsnamen eingelassenen Vertiefung einnimmt, daß der Bahnhof das erste, was an ihm betrachtenswert ist, offenbart. Zwei Ebenen älterer Beschriftung sind neben dem blauen Schild noch erkennbar. Zur älteren gehört das M links, das vom alten deutschen und immerhin bis 1950 gültigen Ortsnamen Mühlbach stammt.

Links und rechts leuchten noch blasse fünfzackige rote Sterne, mit denen die Tschechoslowakei stolz den neuen Bahnhofsnamen gerahmt hatte, damit jeder sofort wisse, daß er in einen sozialistischen Staat einfährt.

Das zweite, was den Bahnhof betrachtenswert macht, sind ein Kunstwerk und ein Denkmal im Bereich zwischen dem Bahnhof und der Straße. Zum einen ist da ein kleiner Obelisk mit der Aufschrift „Československá zahraniční armáda, 1.5.1945“ (Tschechoslowakische Auslandsarmee, 1.5.1945) und eine Tafel, die erläutert, daß hier an der Seite der britischen Armee kämpfende tschechoslowakische Soldaten gegen Ende des Kriegs als erste von Westen her das Staatsgebiet der Tschechoslowakei betraten.

Dahinter steht ein Kranz aus sechs dunkelgrünen Stahlrahmen, von denen die rechten drei noch im oberen Teil monochrome Glasbilder tragen. Das rechte zeigt eine Berglandschaft mit Nadelbäumen, Bauernhäusern und Kirche, aber auch einen Sendeturm und in der Mitte eine stelenartige Form, die sich oben aufspaltet und drei Kreisformen mit den Strukturen von Blumen oder Schneekristallen trägt.

Das mittlere zeigt eine Geige, einen Stuhl, einen Tisch und einen gerade abgerollten Teppich.

Das linke zeigt oben eine Leinwand oder ein Filmband mit den Buchstaben MFF und ein Sonnengesicht und darunter eine klassizistische Kolonnade, Gläser und einen Springbrunnen mit Wasserstrahlen in der Form eines McDonald’s-Ms.

Die Formen sind immer klar, aber so, daß die einzelnen Motive ineinander übergehen. Hier stellt sich die Tschechoslowakei mit Landschaft, Industrie und Kultur dem Besucher vor, wobei letztere durch das MFF (Mezinárodní filmový festival, Internationale Filmfestival) Karlovy Vary und die westböhmische Bäder besonders deutlich vertreten ist. In der Straßenecke davor steht ein weiterer Rahmen, der vielleicht das Wappen und begrüßende Worte enthielt.

Links der Anlage steht an der Straße zudem ein zweigeschossiger Bau mit leuchtend blauer Verkleidung, wie sie auch manche tschechoslowakische Bahnhöfe haben, und vier vorgesetzten Stahlstützen, die mit Balken die Geschoßdecke und das Dach tragen.

Während seine Funktion heute unklar ist, stellte er zusammen mit der im Verlauf der Straße weiter unten sichtbaren barocken Zwiebelhaube jedenfalls einen angemessenen architektonischen Willkommensgruß der Tschechoslowakei dar, der den künstlerischen ergänzte.

Mag es erst scheinen, daß die Glasbilder sich an die Straße und nicht an den dahinter kaum sichtbaren Bahnhof richten, so stellt sich das rasch als dem Verfall geschuldete Fehleinschätzung heraus. Hinter ihnen bildet eine niedrige Betonwand den Rand des etwas höherliegenden Bahnhofsbereichs und durch sie führte durchaus eine kleine Treppe.

Es ist auch kein Zufall, daß die Glasbilder von beiden Seiten zu betrachten sind und vom Bahnhof, nur scheinbar von hinten, vielleicht sogar besser aussehen.

Auch hier, am letzten Bahnhof vor dem Westen mit dem ersten westdeutschen Bahnhof Schirnding, zeigte die Tschechoslowakei sich in all ihrer schlichten Größe. Man kann nur ahnen, welche Schönheiten erst die drei zerstörten Bilder bargen. Heute ist der Bahnhof verlassen und vor den Kranz der Kunstwerke trat das immerhin auch wichtige britische Denkmal. Angemessenes Willkommenszeichen des heutigen Tschechien ist die Spielhalle links der Straße.

Hakenkreuz in Michelstadt

„Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ heißt ein Gemälde des westdeutschen Künstlers Martin Kippenberger, das vor allem für seinen Titel bekannt ist. Besser kann man die – wohlbegründete und berechtigte – deutsche Obsession mit dem Nationalsozialismus und dessen Symbol auch nicht in einem Satz zusammenfassen. Bei hinreichendem Willen wird man um sich herum überraschend viele Hakenkreuze entdecken und sich mit Kippenbergers Satz fragen, ob sie dort aus einer wie auch immer gearteten Absicht angebracht wurden oder dem Zufall geschuldet nur durch die erhöhte deutsche Sensibilität sichtbar werden. Denn das Hakenkreuz ist nun keine besonders komplizierte Form und entsteht in der rechtwinkligen Verbindung von Linien leicht. Man braucht nur vier Quadrate zu einem größeren zusammenzufügen und schon ist da, wenn man will, auch ein Hakenkreuz.

In Klein-Steinheim (Bilder zum Vergrößern anklicken)

Daß diese einfache Form nicht so verbreitet und omnipräsent ist, daß es die Assoziation mit dem Hitlerfaschismus verwässerte, liegt daran, daß zumindest die in Deutschland vorherrschenden Architekturstile eher geschwungene als eckige Ornamente verwendeten. In gewellten Hakenkreuzformen, wie sie sich manchmal im Maßwerk gotischer Kirchenfenster finden, läßt sich nur noch schwer das Nazisymbol entdecken.

Nieuwe Kerk in Amsterdam

Einzig im Klassizismus waren Mäanderornamente, die teils Hakenkreuze bilden, häufiger, aber dessen Zeit dauerte nur kurz. So war es völkisch-esoterischen Gruppen und in ihrem Gefolge den Nationalsozialisten ein Leichtes, das Hakenkreuz als frisches und äußerst einprägsames Symbol, ebenbürtig dem Kreuz des Christentums und dem fünfzackigen Stern der Arbeiterbewegung, zu verwenden. Mit dem Nationalsozialismus wird es auch verbunden bleiben und Versuche, es zum normalen Ornament zu machen, werden scheitern.

Wie es anders hätte sein können, läßt eine klassizistische Tür an der Kellerei, dem ehemaligen Verwaltungssitz der Erbacher Grafen, in Michelstadt erahnen.

Dieser Gebäudekomplex besteht aus einer dreigeschossigen Fachwerkhauszeile, die nach außen hin Teil der Stadtmauer ist, einer zweiten zweigeschossigen Zeile, die in der Höhe an die Bebauung der Stadt anschließt, und einem Hof, der sich zwischen ihnen zu einem hohen Renaissancebau mit von Treppengiebeln abgeschlossenem hohen Satteldach leicht verbreitert. Mit weißen Wänden, unregelmäßigen roten Fenstern, dem rechts angefügten Turm und dem mittig vorgesetzten Eingang mit von beiden Seiten hinaufführender Treppe, deren Vordach auf zwei hölzernen Säulen ruht, bestimmt dieser Bau den Hof völlig und vielleicht ist es deshalb so leicht, die Hakenkreuztür nicht zu entdecken.

Sie findet sich im Obergeschoß eines der Häuser der niedrigeren Fachwerkzeile, wo heute die Stadtbibliothek ist, und wird über eine schmucklose einmal gewendelte Treppe aus rotem Stein erschlossen.

Die insgesamt sechs Hakenkreuze sind im untersten und in den beiden oberen Vierteln der türkisblauen Türflügel und sobald man sie entdeckt hat, kann man sie beim besten Willen nicht mehr übersehen, obwohl sie nur der Mittelpunkt von Reliefs rechtwinklig verbundener Linien, riesig vergrößerten vertikalen Mäandern, sind.

Doch in dieser Tür ist mehr. Im zweituntersten Viertel sind um die kupfernen Knäufe im Gegenteil runde Formen, die sich wie Blütenblätter zu einer Blüte zusammenfügen, aber auf regelmäßig geometrische Art und als seien sie in Bewegung. Zwei ähnliche, kleinere Formen, die noch stärker an Schiffsschrauben in Bewegung erinnern, sind in Quadraten, Würfeln fast, schräg über den Ecken der Tür. Sie gehören zu einem Gesims über dem inneren Rahmen und sind auch extrem stilisierte Säulenkapitelle, da von ihnen jeweils kurze vertikale Leisten mit zwei vertieften Linien und wie angehängten kleinen Dreiecken auf das Holz des äußeren Rahmens hinabführen.

Sogar die Klinke beginnt als eckige Spirale, bevor sie geschwungen nach rechts unten abknickt, sich spaltet und in einem aufrechten hammerförmigen Hebel endet.

Diese Tür ist so hinreißend schön gearbeitet, so sympathisch gleichgültig gegenüber dem Fachwerk ringsum, ein solches Kleinod des Klassizismus, daß die Hakenkreuze wirklich fast nur Ornamente unter anderen sind. Fast, denn letztlich bleibt auch hier, wo sie Teil des zierlichen Höhepunkts des Hofs der Kellerei sind, die Assoziation mit dem nationalsozialistischen Schreckenssymbol stärker. Auch die klassizistische Tür in Michelstadt wurde Opfer des Faschismus.