Johannes von Nepomuk ist für Verschwiegenheit bekannt, schließlich ging er lieber in den Tod als das Beichtgeheimnis zu verletzen. Für die meisten seiner skulpturalen Darstellungen gilt das nicht und ganz gewiß nicht für die auf der Ostrow Tumski (Dominsel) in Wrocław. Sie wollen so viel erzählen, wie Skulptur, Sockel und Inschrift erlauben, und die in Wrocław ist dabei noch etwas redseliger.
Dieser Johannes von Nepomuk steht an der Katedralna (Kathedralenstraße), der schmalen Straße, die durch das klerikale Herz der Stadt auf die beiden mächtigen Türme des backsteingotischen Doms zuführt, aber nicht direkt in dieser Achse, sondern etwas seitlich. Vielleicht ist das Absicht, denn Sockel und Skulptur erheben sich haushoch, so daß sogar die Strebepfeiler einer anderen backsteingotischen Kirche dahinter zu schrumpfen scheinen.
Der Sockel ist zuerst ein großer Quader mit an den Ecken schräg vorgesetzten Teilen, dann ein schlankerer vertikaler Quader mit allerdings leicht eingewölbten Seiten und schließlich nach einer überstehenden Plattform ein noch schlankerer Pyramidenstumpf. Ganz oben steht Johannes von Nepomuk, in typischem Priestergewand, kurzbärtig, mit Birett, fünffachbesternt, das Kruzifix im ausgestreckten Arm in die Höhe gehalten und der ins Ungefähre gerichtete Blick nicht besonders intelligent. Zu seinen Füßen ballen sich Wolken und tummeln sich Putten mit teils erschreckend alten Gesichtern. Auf den runden Voluten in den Ecken des Pyramidenstumpfs sind goldene Sternformen. Größere Engeln tragen als Atlanten die Ecken der Plattform. Putten sitzen auch auf den eckigen Voluten, die auf die Ecken des niedrigeren Sockelteils zum Betrachter hinabrollen, aber immer noch über der Hohe seines Kopfes bleiben.
Eine der Putten hält zum Zeichen der Verschwiegenheit einen Finger vor den Mund, während alles an dem Denkmal so laut ist. Da ist viel Überladenheit, viel Geschmacklosigkeit, viel Monumentalität, Barock von seiner schlechtesten Seite. Doch dazwischen, gerahmt davon, ist noch etwas anderes, mit dem das Denkmal etwas erzählt, was es wert ist, gehört zu werden: große Reliefs an den vier Seiten des Sockels.
Beginnend mit der linken Seiten erzählen sie im Uhrzeigersinn die Legende des Johannes von Nepomuk. Über den halbrund endenden Reliefs sind jeweils längsovale Felder mit lateinischen Inschriften, so daß es eine Art barocker Comic ist, den man hier betrachten kann.
Auf dem linken Relief sieht man die Königin kniend bei der Beichte, mit Krone, in langem Kleid, das einen Fuß freigibt, wodurch ihr Knien etwas beinahe Laszives bekommt. Ihr Gesicht ist von der Trennwand des Beichtstuhls halb verdeckt und auch das zu ihr geneigte des Priesters, der Johannes von Nepomuk selbst ist, ist nicht zu erkennen, da er sich ein Tuch vor den Mund hält.
Auf dem hinteren Relief sieht man Nepomuk, nun an seiner Kleidung klar erkennbar, auf dem Weg hügelan zu einer kleinen Kapelle. In der einen Hand hat er einen Wanderstock und in der anderen einen Rosenkranz mit Kreuz und sein Birett, das er vielleicht ob der Anstrengung abgenommen hat.
Auf dem rechten Relief sieht man Nepomuk vor dem König. Jener fordert ihn vom Thron herab mit geöffnetem Mund und ausgestrecktem Arm zum Reden auf, doch er legt den Finger auf den Mund, während er das Birett zum Zeichen des Respekts in der Hand hält.
Auf dem vorderen Relief schließlich sieht man, wie Nepomuk von Soldaten von einer Brücke gestürzt wird. Kopfüber stürzt er, sein Birett liegt bereits im Wasser. Man sieht die Bewegung des Hineinwerfens, man sieht den Mord eingefroren im Moment seines Geschehens. Statt im Wasser zu landen, steht Johannes von Nepomuk zum Heiligen geworden riesenhaft oben auf dem Sockel.
Während ringsum alles so überladen ist, sind die Reliefs ganz auf das Nötigste reduziert. Alles was da ist, muß da sein. Den Figuren und wenigen Kulissen bleibt viel Platz auf der Relieffläche. Die Geschichte, die sich im frühen 15. Jahrhundert zugetragen haben soll, scheint dabei in der Gegenwart des Jahres 1731 zu spielen. Von der Kleidung über die Einrichtung bis zur Architektur ist fast alles in den Reliefs barock. Einzig die Rüstungen der Soldaten sind aus der früheren Zeit. Auch die Brücke könnte tatsächlich die gotische Prager Karlsbrücke, von der Nepomuk gestürzt wurde, sein, aber der Brückenbau hatte in der Zwischenzeit ohnedies keine großen Fortschritte gemacht.
Geradezu zärtlich sind die in den Reliefs gezeigten Architekturen. Die Kapelle hat unten einen niedrigen Sockel aus Steinblöcken und eine erst halbrund, dann vorhangartig abgeschlossene Tür, darüber korinthische Pilaster an den Ecken, schmale rundbögige Fenster und ein niedrig gewölbtes Dach, aus dem in der Mitte ein kleiner Turm ragt. Auch der Beichstuhl ist eher ein Bauwerk als ein Möbelstück. Die vier Stützen, die die niedrige runde Kuppel tragen, sind einzige Voluten, die sich in einer langgezogenen S-Form hinaufschwingen. Die Zierlichkeit dieser imaginierten barocken Gebäude ist auch ein Gegengewicht sowohl zur barocken Monumentalität des umgebenden Kunstwerks als auch zur gotischen Monumentalität der nahen Kirchen.
Wir können wohl froh sein, daß Johannes von Nepomuk zwar nie verriet, was die Königin ihm gesagt hatte, aber von seiner Verschwiegenheit so gerne und ausführlich erzählte. Wenn wie hier in Wrocław zwischen unzähligen Ausschmückungen ein einfacher und gar nicht uninteressanter Kern leibt, ist es besonders schön. Und wie mit diesem Johannes von Nepomuk ist es mit der barocken Kunst insgesamt.