Eurosol zwischen Europa und Spanien

Eurosol bedeutet „Eurosonne“ und Sonne hat diese Wohnanlage in Torremolinos – wie alles in einer Region, die nicht umsonst Costa del Sol (Sonnenküste) heißt – mehr als genug. Europäisch – im Sinne von den vorherrschenden architektonischen und städtebaulichen Trends im Europa Mitte der sechziger Jahre ähnlich – ist Eurosol durch seine Verwendung eines hohen neungeschossigen und zweier niedriger vier- und fünfgeschossiger Gebäudetypen und deren Zusammenfassung mit Läden und Grünflächen zu einem Wohngebiet, das nicht umzäunt oder ummauert, sondern mindestens halböffentlicher Teil der umliegenden Stadt ist.

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Wenn das ganz normal, kaum erwähnenswert klingt, dann, weil es das in weiten Teilen Europas war, nicht aber in Spanien; es gibt in ganz Torremolinos und weit darüber hinaus nichts Vergleichbares. Es gibt zwar durchaus noch größere Wohnanlagen, aber die sind alle abgeschottet, haben Tore und Pförtner. Nicht einmal einen Swimming Pool hat Eurosol, als solle es eins zu eins auch in kälteren Gegenden nachgebaut werden können, als sei es gesamteuropäisch gedacht. Europäisch heißt hier nämlich auch: nicht-spanisch.

Das ist selbstverständlich nicht absolut, vielmehr ist Eurosol eine Mischung aus Europäischem – Euro – und Spanischem – Sol. Schon, daß die Balkone der neungeschossigen Gebäude fast direkt nach Süden ausgerichtet sind, wodurch die andere Seite im Winter kein direktes Sonnenlicht erhält, wäre nördlicher in Europa undenkbar. In dieser für den Sommer konzipierten Architektur aber sind an diesen Seiten zusätzlich schmale, loggienartige Räume, die der Kühlung der hier angeordneten Küchen, Bäder, vor welchen beiden bei den südlichen Gebäuden die Lamellen sind, und Schlafzimmer dienen.

Weiterhin sind einige der Veränderungen, die Eurosol im Laufe seiner Existenz erlebte, typisch spanisch. Daß die Erschließungskerne zuerst an zwei Seiten mit verglasten Ladenräumen erweitert  wurden und dann weiter wuchsen, so daß heute nur noch zwei der Gebäude ihre mittigen Durchgänge haben, ist noch ein simples kommerzielles Erfordernis und eine naheliegende Ausnutzung der baulichen Gegebenheiten. Auch, daß die Blumenkästen, die einst in den Balkongeländern integriert waren, fast überall verschwunden sind und viele Balkone mit Glaswänden zugebaut wurden, ist nicht überraschend.

Doch daß in den Räumen unter der Platzebene heute statt der Läden Wohnungen eingerichtet wurden, also unter dem sonnigen hochaufragenden Eurosol ein schattiges, fast unterirdisches Eurosol ist, das ist eine spanische Erscheinung.

Durch die Öffnung zum Grün des Parks wird immerhin der Eindruck von Elendsbehausungen, der bei ähnlichen Wohnungen etwa beim Edificio Congreso (Gebäude Congreso) im Zentrum von Torremolinos stark ist, vermieden, aber im Norden Europas gäbe es das niemals.

So bleibt es die zusammenhängende, großzügige und nichtexklusive Stadtplanung, die Eurosol so ungewöhnlich europäisch macht. Durch sie hätte es Vorbild eines anderen, europäischen Torremolinos sein können, doch das Chaos des spanischen Torremolinos war stärker. Letztlich hatte diese Stadtplanung auch weniger mit Europa als mit dem Wohlfahrtsstaat im Westen und dem Sozialismus im Osten zu tun und verschwand mit diesem. Aber Eurosols Ähnlichkeit damit und die Sonne genügen allemal dafür, daß sein Name paßt.

Eurosol

Eurosol ist zuerst einmal nur einer der typischen Gebäudenamen an der Costa del Sol wie Solymar, Vistasol, Europark 75 etc., doch, wie zu zeigen sein wird: er paßt. Eurosol ist nicht ein Gebäude, sondern etwas, was man anderswo ein Wohngebiet oder eine Siedlung und hier, ähnlich vage, eine urbanización nennt.

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Eurosol ist unübersehbar: sechs neungeschossige Gebäude, die schräg aufgereiht an der großen Avenida Carlota Alessandri (Carlota-Alessandri-Allee) in Torremolinos beidseits der zum Meer abzweigenden Calle Pez Espada (Schwertfischstraße), nicht weit von der Grenze zu Benalmádena, stehen.

Bei den einzelnen Gebäuden berühren den Boden nur die jeweils zwei Erschließungskerne mit gläsernen Eingängen und schwarzer Steinverkleidung, während die acht Geschosse allseitig überstehend gleichsam auf ihnen liegen und nach unten teils holzvertäfelte Decken zeigen. Die Breitseiten werden zur Mitte hin sehr leicht, aber doch deutlich breiter, so daß eine sehr langgezogene Sechseckform entsteht.

Auf der einen Seite sind Fensterbänder, die nur durch die vertikalen Streifen der Treppenhäuser, die unten neben den Eingängen weiter als die Geschosse hinunterführen, unterbrochen sind und bei den drei Gebäuden südlich der Calle Pez Espada zusätzlich größtenteils mit horizontalen weißen Metalllamellen verschlossen sind.

Auf der anderen Seite sind durchgehende, von Querwänden unterteilte Balkone mit Geländern aus horizontalen weißen Bändern, die nach den Ecken über mehr als die Hälfte der Schmalseiten weiterlaufen, was den übrigen vertikalen Wandstreifen zur Entsprechung der Treppenhäuser macht. Das Dach ist nicht besonders betont und die abschließenden dünnen Flächen wirken geradezu, als könnten hier noch die Balkone vieler weiterer Geschosse folgen.

In der gepflasterten Platzfläche zwischen den Gebäuden öffnen sich jeweils ebenso schräg zur Straße vertiefte quadratische Zwischenräume, in die vorne links eine Treppe hinunterführt, während sie hinten ein Teil des Platzes überbrückt, wodurch man erst merkt, daß die Gebäude insgesamt auf einer erhöhten Ebene über einer tieferen und zum Meer hin leicht abfallenden Fläche stehen.

Während der Platz die Straßenebene fortsetzt und erweitert, beginnt in den vertieften Zwischenräumen schon der mit allerlei Palmen und exotischen Pflanzen gestaltete Park hinter den Gebäuden.

Straße und Park, Pflaster und Grün fließen in Eurosol gleichsam ineinander, sind miteinander verzahnt, werden eins. Unter der Ebene des Platzes befinden sich sowohl an den Seiten der Zwischenräume als auch um die Gebäudesockel hinter eckigen Stützen zurückgesetzte Laden- und Restauranträume mit einem Geschoß nördlich und sogar zwei Geschossen und einem Laubengang südlich der Calle Pez Espada, wo die Gebäude durch eine kaum merkliche Steigung der großen Straße höher stehen.

Nach dem Streifen des Parks stehen an kleinen Erschließungsstraßen annähernd quer zu den hohen Gebäuden und parallel zur großen Straße und zum Meer lange niedrigere Gebäude, die diesem durchgehende Balkone und jener Fenster und Balkone zuwenden. Nördlich der auf das gleichnamige Hotel zuführenden Calle Pez Espada sind das fünfgeschossige Gebäude in zwei Zeilen mit mittigem Grünbereiich, die im Erdgeschoß verglaste Eingänge, ähnlich denen der hohen Gebäude, und einige Garagen haben.

Südlich bilden vier viergeschossige Gebäude nur eine, weit längere, schließlich in der Calle Eurosol (Eurosolstraße) die hohen Gebäude hinter sich lassende Zeile und haben wiederum weiße Metallamellen vor den straßenseitigen Fenstern.

Vor ihren Eingängen sind freistehende angewinkelte Wände mit einer Verkleidung aus gelb-weißen oder blau-weißen rechteckigen Kacheln mit variierten Dreiecksmustern.

All das ist seit 1965 in den großen Zügen, aber auch vielen kleinen Details unverändert, bloß die Palmen wuchsen in Höhen, die der Architektur angemessen sind. Und der Name Eurosol paßt nicht nur wegen der südspanischen Sonne, sondern auch wegen des architektonischen Europa.

(Fortsetzung in Eurosol zwischen Spanien und Europa)

Madrid im KFC

In Madrid ist es ein KFC, das Fast-Food-Restaurant, von dem aus man die Stadt am besten erlebt. Von beiden seiner Geschosse hat man einen kaum zu übertreffenden Ausblick auf das Panorama des Stadtzentrums: im Vordergrund die Puente de Segovia (Segovia-Brücke), deren einfachen Renaissanceformen heute viele Fahrspuren schmücken, im Hintergrund über dem Park und höher am Hang die historistische Kathedrale, der barocke Palacio Real (Königspalast) und die Hochhäuser am Plaza de España (Spanienplatz).

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Vielleicht ist nicht ganz Madrid in diesem Blick, aber gewiß so viel, wie in einem einzigen Blick sein kann.

Und all das wird Teil des KFC, weil er sich in der Ecke des Sockelbaus eines der beiden Wohnhochhäuser, die torartig beidseits der von der Brücke weiterführenden Paseo de Extremadura (Extremadurapromenade) stehen, befindet. Man erlebt den besten Blick auf Madrid damit aus einem für die Stadt charakteristischen Gebäude.

Daß sie beidseits der Straße identisch sind, zeugt von einer für spanische Verhältnisse starken und zusammenhängenden Stadtplanung. Die Sockel enden in Betonstreifen, die Hochhäuser haben Betonformsteinwände vor den Treppenhäusern und breite Balkone, doch die rote Klinkerverkleidung und insbesondere die mit weißem Stein betonten Ecken sind ein konservatives Moment, das manche Madrider Architektur auszeichnet, wie der Blick aus dem Fenster ja zeigt.

Das Schönste in Madrid ist KFC.

Schwebender Art Déco in Catamarca

Der Höhepunkt des Art Déco in San Fernando del Valle de Catamarca, der Hauptstadt der nordwestargentinischen Provinz Catamarca, ist ein kleines Gebäude am zentralen Platz. Der Eingang ist stützenlos breit und schmucklos. Die ihn rahmenden schmalen Wandflächen, die als Stützen funktionieren, wachsen oben in drei Stuten in das hohe Giebelfeld, in dem noch andere eckige Muster zu erahnen sind, hinein. Vor dem Giebel hängt wie eine schwebende Skulptur ein weit über ihn hinausragendes Schild mit quer zu den Seiten zeigenden Aufschriften. In der Mitte steigt ein Sockel aus drei abgerundeten, jeweils kleiner werdenden und weiter vorstehenden horizontalen Blöcken an, aus diesen führen je eine kürzere und eine längere spitz endende horizontale Fläche flügelartig zu den Seiten, oben wird die hohe rückwärtige Fläche in einer abgerundeten, einer eckigen und einer weiteren abgerundet und gewölbeartig nach vorne geschwungenen Stufe zur Mitte hin schmaler wie ein Hochhaus jener Zeit und all das durchbricht das quer angeordnete Schild, das von unten im steilen Schwung die Sockelstufen überwindet, seine oben abgerundeten vertikalen Flächen nach einem Zwischenraum zu den Seiten zeigt und erst weit oben in der komplizierten Gewölbeform zwangsläufiger mit der Hintergrundfläche verschmilzt.

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Diese Form, wirklich mehr expressive Skulptur als funktionales Schild, scheint aus dem Giebel hervorschweben und sein Gebäude, den Platz, Catamarca weit hinter sich lassen zu wollen. In den ausgewogenen Vertikalen und Horizontalen, Spitzen und Rundungen läßt sich ein Flugzeug, irgendetwas himmelstürmend Technisches erahnen, ohne daß es aber konkret und bloße Abbildung von irgendetwas Existierendem würde. Genau das, Ahnung einer technischen Zukunft voller Geschwindigkeit, ist Art Déco im besten Fall.

Daß es ein ebensogroßer Irrweg war, Gebäude als Maschinen zu dekorieren, wie es einer gewesen war, sie als antike Tempel zu dekorieren, ändert nichts am Reiz und Wert eines solch konsequenten Stücks Art Déco.

Heute ist in dem Gebäude, dessen ursprüngliche Funktion nicht mehr festzustellen ist, eine Filiale der argentinischen Fast-Food-Kette Mostaza und deren etwas langweiliges, entfernt schreibmaschinenschriftartiges Logo wird durch die Schildskulptur völlig verändert.

Waalse Kerk Maastricht

Die Waalse Kerk (Wallonische Kirche) müßte nicht einmal direkt gegenüber der regelmäßig gotischen Oude Minderbroederskerk (Alten Minoritenkirche) stehen, um deutlich zu machen, daß sie anders ist als alle anderen Kirchen von Maastricht. Im Kontrast zu deren hellgelbem Sandstein besteht sie völlig aus rotem Backstein.

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Ihr vorgesetzter rechteckiger Turm hat unten vorne ein schlichtes Portal aus grauem Stein mit nicht mehr als der lateinischen Zahl 1732 und seitlich ovale Fenster, in der Mitte vorne einen hohen Rahmen mit flach rundbögigem Abschluß, in dem aber nur zwei vertikale Fensterschlitze sind, und oben vorne wie seitlich Fenster mit entsprechenden Bogen, verzichtet aber nach dieser fast monolithischen Kahlheit nicht darauf, nach dem schwarzen Zeltdach eine ebensolche Zwiebelform in den Limburger Himmel zu recken. Der dahinterliegende Saal ist achteckig, bis auf flach rundbögige Fenster, die kaum die Hälfte seiner Backsteinmauern einnehmen, völlig kahl und endet nach einem Kranzgesims mit einem Dach, das höher als der Turm und fast so hoch wie dessen Dach reicht.

Wäre nicht die Jahreszahl, es wäre kaum möglich, diesen so minimalistischen wie großen Kirchenbau zeitlich einzuordnen, und jede stilistische Einordnung ist ohnedies sinnlos. Denn nichts, gar nichts verbindet die Waalse Kerk mit der ebenfalls aus Backstein, aber in typischen Barockformen erbauten Augustijnenkerk (Augustinerkirche) unten am Fluß. Ihrem backsteinernem Barock gegenüber wäre sie nicht weniger anders als gegenüber der steinernen Gotik.

Dominiert die Vorderseite der Kirche die an ihr vorbeiführende Sint Pieterstraat (Sankt-Peter-Straße) durch ihre Größe und Kahlheit völlig, so scheint ihre Rückseite aus den niedrigen Bachsteinhäuschen der dortigen kleinen Tafelstraat (Tafelstraße) einfach organisch herauszuwachsen und vielleicht hat sie mit ihnen mehr gemein als mit den anderen Sakralbauten der Stadt. Von hier zeigt sich auch, daß der Turm ebensogut als den achteckigen Saal mittig durchdringender rechteckiger Baukörper verstanden werden kann.

Mehr verrät die Waalse Kerk von außen nicht, mehr will und muß sie nicht verraten, denn es kann schon auf den ersten Blick kein Zweifel bestehen, daß sie so anders als alle anderen Maastrichter Kirchen ist, weil sie so anders sein will.

Wandbilder in Almería

Auf der Paseo de Almería (Promenade von Almería), der älteren Prachtstraße der südspanischen Stadt, sind die dreigeschossigen historistischen Gebäude des 19. Jahrhunderts, deren bescheidene Größe und Gestaltung auf die bescheidene frühere Bedeutung der Stadt hinweisen, an vielen Stellen durch zehn-, elf-, zwölfgeschossige Gebäude ersetzt worden, die auf ihre vielleicht nicht tatsächliche, aber ersehnte Bedeutung seit dem tourismusgestützten spanischen Wirtschaftsboom der sechziger Jahre hinweisen. Sie sind größer, mit Geschäftsräumen im Erdgeschoß, die oft ganz einer Firma, etwa einer Bank, gehören, und darüber Wohnungen, aber sie sind nicht nur völlig Teil der Blockrandbebauung, sondern auch nicht nach anderen architektonischen Prinzipien errichtet, so daß sie neben Schau- und Rückseiten immer auch Brandwände haben. Gerade, wenn die Nebenbauten noch kleiner und älter sind, ragen diese sehr kahl und hoch auf. Irgendwann, dem Stil nach zu urteilen in den Achtzigern oder Neunzigern, entschied sich Almería, diese Flächen mit Wandbildern zu verschönern, was den Charakter der Paseo zwar nicht so stark wie die Neubauten selbst, aber doch nicht unwesentlich veränderte.

Das vom Hafen aus gesehen erste Wandbild ist auch gleich das beste. Es greift die zur Straße und zur Ecke zeigende Fassade des Torre Angela (Angela-Turms) der im Erdgeschoß befindlichen Bank Cajamar, die aus grauen Betonstreifen vor den Geschoßböden und rosagesprenkelter Steinverkleidung unter den braungerahmten Fensterbändern besteht, auf, fügt an sie aber unterschiedlich weit in einen blauen Hintergrund vorragende perspektivisch gezeigte Betonplattformen, eine mit rechteckiger Öffnung, an, von denen drei Kinder rote, gelbe und grüne Drachen nach rechts steigen lassen, während das Blau nach oben entsprechend den beiden Stufen des Dachs von wiederum perspektivisch, also mit vorderer und unterer Fläche gezeigten Quadern abgeschlossen wird.

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Wie gelungen das ist, zeigt sich im Vergleich zu anderen der Wandbilder.

Das Edificio Principe hat eine Sonnenuhr mit dreieckiger Nadel, was immerhin gut zum typischen Wetter paßt.

Das Edificio Remasa der Bank BBVA hat abstrakte dreidimensionale Trapezoide, was immerhin dekorativ ist.

Das Edificio Bazar Almería, wiederum von Cajamar, hat Silhouetten von Schwalben und eigentümlicher Gewächse, was immerhin mit echten Schattenwürfen auf Mauern spielt.

Am ähnlichsten ist das Edificio Camara, bei dem einige Geschosse um Plattformen erweitert sind und durch runde Öffnungen in ihnen Bäume emporwachsen, während sich daneben Gestalten abseilen.

Es mag vom selben Künstler wie das vom Torre Angela sein, es knüpft ebenfalls an die Architektur an, aber es zeigt kein Verständnis mehr für sie, führt sie nicht fort. Und vor allem ist oben ein Stück Blau, das wohl, wie schon darunter, den Himmel darstellen soll, während im anderen Bild oben eine klare Grenze ist. Das macht nicht nur den Vergleich zwischen echtem und gemaltem Himmel, bei dem letzterer immer traurig dastehen muß, hinfällig, sondern zeigt, daß der Himmel, in den die Kinder ihre Drachen steigen lassen, ein innerer, gedachter Himmel ist, wie auch die waghalsigen Betonplattformen keine echten sind, sondern das, wozu sich die Betonböden ihrer Zimmer in ihren Träumen verwandeln können. Indem es die Architektur ins Imaginäre, aber nicht Absurde fortführt, wird das Wandbild ihr und ihren Bewohnern gerecht. Schon das Wandbild auf einer schmaleren Brandmauer des Torre Angela zur kleinen querenden Calle General Segura (General-Segura-Straße), das die Fassade wieder aufgreift, aber in Falten legt, während daneben eine Figur mit dem Fallschirm hinunterspringt, bleibt daher hinter ihm zurück.

In gewisser Weise ist das beste und glücklicherweise auch am besten zu sehende Wandbild der Paseo de Almería sogar besser als die Architektur, auf der es sich befindet, aber sie gehören eben in jeweils unterschiedliche Zeiten der kapitalistischen Entwicklung der Stadt.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Kraľovany

Mit dem Bahnhof Kraľovany, der noch im Tal des Váh liegt, empfängt einen das Tal der Orava in der nordwestlichen Slowakei. Nicht, daß das unbedingt nötig gewesen wäre, denn wie die Berge höher und felsiger, das Tal enger und der Fluß wilder wird, bevor die Orava in den Váh mündet, konnte man auch so merken. Der Bahnhof ist eher eine Freundlichkeit, eine Serviceleistung des Sozialismus, der die Gegend der Orava touristisch erschloß.

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Gegenüber einer beim Bau oder eher der Erweiterung der Strecke entstandenen senkrechten Felswand, jenseits der vielen Gleise dieser wichtigsten Strecke der Slowakei zwischen Bratislava und Košice, erstreckt sich das breite Gebäude. Die freischwebend ansteigenden weißen eckigen Balken des Bahnsteigdachs, deren Zwischenräume mit dunklem Holz verkleidet sind, ruhen vorne auf runden braunen und hinten auf eckigen grauen Stützen. Fensterfläche und braune Holztüren, über denen betongefaßte runde Scheiben in Gelb und Grün sind, leiten in die Halle über.

Die hinteren Stützen des Vordachs wachsen hier weiter in die Höhe und tragen mit entsprechenden Stützen auf der anderen Seite das Hallendach. Ihre unteren Teile, kaum höher als die Türen, sind wie der gesamte untere Teil der Halle mit graugelbgrünlich gemasertem Stein verkleidet, während ihre oberen Teile eine weiß gestrichen sind. Das Dach steigt erst in leichter Schräge an, um dann in stärkerer wieder abzufallen. Auf dieser bahnsteigabgewandten Seite sind zwischen den schrägen Dachbalken horizontale Holzlamellen, hinter denen eine vertikale Fläche mit dem runden gelben und grünen Glas den Abschluß bildet. An der linken Seite der Halle sind etwas zurückgesetzt hinter zwei runden Stützen die Fahrkartenschalter und die obligatorischen Topfpflanzen. Die Verkleidung der Stützen ist aus hellem Stein, der aber nicht dem fast weißen auf dem Boden entspricht, wo unregelmäßige Stücke zu Quadraten zusammengefaßt sind.

Auf der weißen Wand an der rechten Seite der Halle steht in großen dunklen Holzbuchstaben: „Orava vás víta“ (Die Orava heißt Sie/euch willkommen).

Dazu kommt weitere künstlerische Gestaltung aus dem gleichen Holz. Links neben der Schrift hängt das Wappen der Orava mit einem stilisierten Fluß, dem Namen und einem Bären zwischen zwei Tannen.

Links unten ist vor einer Bergsilhouette ein ortstypisches Holzhaus. Nach rechts hin etwas über der Steinverkleidung verläuft ein langes Band, das nach unten gerade, nach oben aber eine zerklüftete Berglandschaft ist. Ganz rechts schwebt darüber eine Wolke. Ein entsprechendes Band zieht sich etwas höher auch entlang der dem Bahnsteig abgewandten Seite der Halle, wo es von vier jeweils mittig zwischen den Stützen angeordneten ovalen Flächen, die wie Medaillons weitere Orava-Szenen zeigen, unterbrochen wird.

Rechts geht es ins Bahnhofsrestaurant, das einen kleinen Außenbereich unter Betonstreben, die teils fortgesetzt die des Vordachs sind, hat, um eiligen und durstigen Reisenden die Verbindung zum Zug noch komfortabler zu machen.

Wie der Bahnhof von außen aussieht, daß er zwei ineinandergesetzte schräge Dächer hat, ist eher unwichtig. Denn wenn der Besucher durch weitere Holztüren unter weiteren gelben und grünen runden Gläsern hinaustritt, sieht er, was er schon vorher gesehen hatte: felsige Berghänge, dazu das Dörfchen Kraľovany, das dem Bahnhof seinen Namen gab.

Noch wichtiger als der Ausgang sind vielleicht die Treppen zur „Nastupište smer Trstená“ (Bahnsteig Richtung Trestená), die bei den Halleneingängen unter dem Vordach angeordnet sind. Unten in der Unterführung begrüßt ein Emaillebild noch einmal an der Orava und unter den vielen Gleisen gelangt man zu einem kleinen überdachten Bahnsteig, wo die Züge Richtung Trstená abfahren.

Diese Strecke entlang der Orava erschließt die Region ganz, ihretwegen gibt es den Bahnhof. Mit seiner künstlerischen Gestaltung greift er dem Landschaftserlebnis vor, kondensiert es, überhöht es, hebt es auf. Auch die Architektur bezieht sich mit Dachschräge und Holz auf die traditionelle Bauweise der Orava, ohne aber billig historistisch zu werden. Denn die Dachstreben sind mit Holz verkleidet, keineswegs aus Holz, was sie durch eine kastenartige Struktur mit mal horizontaler, mal vertikaler Maserung auch klar zeigen.

Die Orava braucht den Bahnhof Kraľovany vielleicht nicht als Empfangsgebäude, aber sie wäre weniger ohne ihn.

Eine Villa über Vlotho

Zwar gibt es oberhalb von Vlotho eine Burg, bei deren Renovierung im Jahre 2002 Lochblech für das Geländer einer Aussichtskanzel, die Wand eines überdachten Mauerteils und den Mobilfunksendemast die große Idee war, doch von der Altstadt, die vielleicht für sie entstand und sich mit der Langen Straße um den Hügel am von der Weser abzweigenden Tal des Forellenbachs legt, sieht man sie nicht.

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Was man am Ende der Altstadt sieht, ist eine weiße Villa. Sie befindet sich nicht weit den über Dächern der Fachwerkhäuser, aber hoch genug, um als breiter weißer Balken über ihnen schweben zu scheinen.

Obwohl sie nicht mehr als eine große Terrasse mit Gittergeländer, die links weit vorgesetzt ist, und ein zu dieser verglaster Flachbau mit leicht überstehendem Dach ist, eine äußerst zurückhaltende Architektur mithin, macht der Kontrast zur Altstadt sie unübersehbar. Auch lassen sich in der Zurückhaltung und Einfachheit einige Raffiniertheiten erahnen, wenn etwa in der Mitte der vorgesetzten Terrasse das Geländer einen halbrunden Rücksprung hat, dem im freischwebenden Boden eine runde Öffnung, durch die eine filigrane Stahlkonstruktion unklaren Zwecks verläuft, entspricht und in einer Linie dahinter der eckige Kamin durch das Flachdach ragt. Nur zu erahnen ist, daß wenigstens unter diesem linken Terrassenteil ein weiteres Geschoß ist, und die Hanglage hilft, ein großes Gebäude kleiner wirken zu lassen.

Diese Vlothoer Villa muß eher aus den fünfziger als den sechziger Jahren stammen und ihre Architektur ist einerseits typisch für diese Zeit und andererseits selten. Da ist ein wenig Villa Tugendhat und viel Kalifornien, Case Study Houses, ein Mid-Century-Modernism an der Weser. Daß so wenige Villen so konsequent diese Formen verwendeten und fast keine dafür so konsequent die beste Lage der Stadt wählte, zeigt, wie konservativ die westdeutsche Architektur der damaligen Zeit war. Die Villa ist, wie diese Architektur gerne gewesen wäre, nicht, wie sie war.

Von der stillen Villenstraße über der Altstadt, der Burgstraße, sieht man von der weißen Villa denn bloß Einfahrt und Garagen, während sie von einer älteren historistischen Villa verdeckt ist. Sie ist eben ganz der Stadt zugewandt, schwebend, weiß und fremd über ihr, and allemal wichtiger als die Burg.

Coca Colalao

Beidseits der Ecke eines der typischen historistischen Häuser am Platz von San Pedro de Colalao in einem ländlichen Teil der argentinischen Provinz Tucumán hängen rostige Straßenschilder, die auf einer rechteckigen Fläche den Namen tragen und sich dann für die Werbung leicht abgerundet verbreitern: „Tome Coca Cola“ (Trink Coca Cola).

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Nun sind Straßenschilder mit Werbung nichts so Unerhörtes, wie es dem deutschen Empfinden vielleicht scheinen mag, aber in diesem Fall verbinden sich mit dem so ikonisch us-amerikanischen Produkt als Straßennamen zwei der wichtigsten Daten der argentinischen Geschichte: 25 de Mayo (Revolution im Jahre 1810)

und 9 de Julio (Unabhängigkeitserklärung im Jahre 1816).

Das macht das Nebeneinander noch etwas faszinierender und schafft einen schönen panamerikanisch-kapitalistischen Zwitter. Eher unwahrscheinlich ist, daß irgendjemand der Namensverwandschaft von Coca Cola und Colalao besondere Aufmerksamkeit schenkte, obwohl das noch ganz andere Möglichkeiten des Sponsorings eröffnet hätte.

Ein optimistisches Gebäude

Es ist, als sei das Gebäude von der Corrientes (Straße der Provinz Corrientes), aber auf mysteriöse Weise entgegen deren Strömung von Westen nach Osten, die sich auch von der Unterbrechung durch Bahnanlagen nicht aufhalten läßt, aus dem Zentrum herangespült worden, denn eigentlich gibt es in Tucumán so weit außerhalb und abseits der größten Achsen keine so hohen Gebäude mehr.

Auch weniger als seine sechs Geschosse würden ausreichen, seine drei roten Baukörper über die niedrigen Häuschen des Straßenblocks aus Asunción (Asunción-Straße), Marcos Paz (Marcos-Paz-Straße), Lucas Córdoba (Lucas-Córdoba-Straße) und Corrientes hinweg sehen zu lassen. Es besteht aus zwei identischen Wohntrakten, von denen einer seine Fenster der Straße und einer die seinigen dem Blockinneren zuwendet, während an den Seiten Brandmauern sind. Dazwischen ist ein schmalerer Aufzugs- und Treppentrakt mit aufgestütztem Wasserspeicher, von dem Brücken zu den Wohntrakten führen. Diese funktionale Aufteilung ist im Zentrum in vielen Variationen bis heute typisch, aber durch die dichtere Bebauung selten so ungestört zu betrachten.

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Als sei es sich seiner hervorgehobenen Rolle bewußt, leistet sich das Gebäude zur Straße, von der es selbstverständlich leicht zurückgesetzt steht, eine Fassade ganz aus kleinen quadratischen Kacheln. Beidseits eines zentralen vertikalen Streifens in Blau umspielen Rechtecke in Rot, Orange, Weiß, Gelb und wieder Blau die ähnlich großen vier Fenster pro Geschoß. Unten ist gerahmt von einem niedrigen geschwungenen Vorbau links, in dessen Kachelverkleidung sich die Farben der Fassade wild mischen, und einem querenden Vordach rechts eine kleine Grünfläche.

In gewisser Weise ist gar nicht wichtig, wieso dieses Gebäude je an dieser Stelle gebaut wurde, denn keinen Unterschied zwischen Zentrum und Vorstadt zu machen, ist ganz typisch für Tucumán und vielleicht kann man es auch als Ausdruck des Optimismus für das Wachstum der Stadt sehen. Heute ist es ein Kleinod und genau so muß ein Kleinod in der Tucumáner Vorstadt aussehen.