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Die übriggebliebene Kirche

Auf einem Hügel in der südmährischen Landschaft und scheinbar allein steht eine weiße Kirche, die unübersehbar ist nicht wegen ihrer Größe, sondern wegen ihrer besonderen Formen. Aus dem Zug auf der Strecke zwischen Okříšky und Znojmo ist sie minutenlang alles, was man sieht.

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Fast ist sie auch so schon ganz zu erfassen, so einfach und klar ist alles an ihr. Ein dicker runder Turm mit Zeltdach, der vorne aus einem kaum mehr als doppelt so langen rotgeziegelten Satteldach ragt. Vor dem Turm ein schmaler eckiger Treppenturm mit halbem Walmdach.

Im Dach neben dem Turm und so hoch wie dieser ein etwas höheres zweites, das ihm die beiden Hälften einer theoretischen dreieckigen Giebelfläche als dünne Streifen zuwendet und auf der anderen Seite weiter als das Satteldach führt, um über den vier Strebepfeilern und fünf schmalen spitzbögigen Fenstern des trapezförmigen Chors abgeschrägt zu enden.

Von Nahem erst sieht man, daß der Turm zu den drei unverbauten Seiten rundbögige Fenster mit im Putz rahmenden Linien hat, daß in den beiden Geschossen des Hauptteils unter dem Satteldach Fenster mit flach gewölbten Bögen sind und daß beidseits des Chors, vor dem Ende des Satteldachs, eingeschossige Teile mit zu den Seiten niedriger werdenden Pultdächern und je einem nach hinten zeigenden horizontalen ovalen Fenster anschließen.

Bis auf einige der Öffnungen ist diese Kirche damit perfekt symmetrisch, was umso bemerkenswerter ist, als sie offensichtlich sehr alt ist. Gotische Chöre wie diesen mag man oft finden, aber hier ist er dem älteren Bau gleichsam aufgesattelt, so daß man deutlich die Romanik erkennt. Runde, geradezu bauklotzhaft naive Türme zu einfachsten Satteldachkirchen baute nur sie und dergleichen sieht man bei Dorfkirchen nicht nur in Tschechien fast nie. Wo es so frühe steinerne Dorfkirchen gab, wurden sie später durch modischere gotische ersetzt, die dann wiederum barock umgebaut wurden. Der Vergleich zwischen dem romanischen Hauptteil und dem gotischen Chor zeigt hier auch klar, wie viel leichter und eleganter der neuere Stil, die neue Bauweise vielmehr, gegenüber der geradezu primitiven älteren war. Die Gotik war nicht weniger als eine Revolution, die endlich mit dem noch aus der Antike Herkommenden Schluß machte. Aber in die Zeit vor Revolutionen zurückblicken zu können, ist von enormem Wert, weil man ihre Ergebnisse sonst für selbstverständlich halten könnte. In diesem Fall verbinden sich Romanik und Gotik auch auf harmonischste Weise und auch die späteren Veränderungen, vor allem die Turm- und ovalen Fenster, fügen sich gut ein.

Daß die romanische Kirche hier überlebte, liegt wohl gerade daran, daß sie so allein auf ihrem südmährischen Hügel steht. Bevor die Eisenbahn gebaut wurde, lag sie abseits aller Straßen im Nirgendwo. Der Zugreisende wird sie dem Ort Vesce zuordnen, da so die nächste winzige Haltestelle heißt.

Es braucht zehn Minuten des Fußwegs entlang der Landstraße, zwischen Apfelbäumen, sanft hügelan, um festzustellen, daß sie tatsächlich zum kleinen Ort Častohostice gehört, das sich jenseits des Hügels anschließt und als weitere Höhendominante einen typisch tschechoslowakischen Wasserturm mit umgedreht kegelförmigem Element auf schlankem Körper hat.

Um das Kirchengelände ist eine ebenfalls weiße Mauer, an der Linden stehen, und auf ihm wie gewiß schon immer der Friedhof.

Die Gräber sind zumeist nicht sehr alt, ein Dorffriedhof eben, auf dem an die architektonische Bedeutung der Kirche nur daran zu erkennen ist, daß an einer guten Stelle eine Bank steht. Ein einziges Grab am Rande, das der Familie Nevoral, nimmt auf den Ort Bezug.

Als weißes Bild auf schwarzem Steingrund, wie es in Tschechien seit den Sechzigern beliebt ist, zeigt es links auf ihrem Hügel die Kirche, vor der sich im Vordergrund rechts zwei Pferde zu dem Pflug, in den sie angespannt sind, umblicken.

Zum Ortsbezug kommt damit ein amüsanter Kommentar zum Familiennamen, denn Nevoral (hochsprachlich neoral) bedeutet: „er hat nicht gepflügt“.

Vom Blick aus dem Zug bis zum Detail auf dem Friedhof ist die Kirche von Častohostice etwas Besonderes.

Aus Přeučil, František: Jižní Morava, Praha 1982