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Laureles im Umbruch

Es gab in Laureles, dieser wohlhabenden Einfamillenhausgegend im Westen von Medellín, immer auch einige Gebäude mit Eigentumswohnungen. Ein besonders gelungenes heißt sogar schlicht und selbstbewußt Edificio Laureles (Laureles-Gebäude). Es ist ein dreigeschossiger Eckbau mit Flächen sandfarben gemaserter glatter Steinverkleidung zwischen den Geschossen und vor dem Dach, vertikal angebrachten Streifen ähnlicher Farbe zwischen den leicht zurückgesetzten Fenstern und kleinen Bändern aus kleinen quadratischen blauen Kacheln über diesen. Die Ecke ist geöffnet, indem von rechts über den zurückgesetzten Eingang Balkone ragen und links drei Stützen, die aus drei flachen Teile mit der blauen Kachelverkleidung und schmalen Fenstern mit geschwungenen Metallornamenten bestehen, zwei breite Glasflächen, durch die man eine großzügige Treppe und den grünen lnnenhof sieht, unterteilen.

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Umgeben von ansteigenden Beeten, die es wie ein grüner Sockel rahmen, und durch eine Treppe in der Ecke zu erreichen, ist es, als wolle es nicht nur die beste Architektur des Stadtteils, sondern die Möglichkeit einer anderen Entwicklung vorstellen.

Aber gegenwärtig und wohl schon seit vielen Jahren, ist ein Prozeß im Gange, der die ein- oder zweigeschossigen Einfamilienhäuser aus den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren durch Gebäude mit bis zu zwölf und mehr Geschossen ersetzt. Sie haben meist Backsteinfassaden und wirken wenig aufwendiger und kaum luxuriöser als die Wohnhochhäuser anderswo in der Stadt.

Diese neueren Gebäude sind Teil der Blockrandbebauung, ganz wie es die ihnen vorangegangenen Häuser waren und die verbliebenen sind. Dennoch ändern sie den Charakter von Laureles völlig. Die bisherige Großzügigkeit schwindet, die breiten Straßen werden zu backsteinernen Schluchten, auch wenn der Eindruck von Wohlstand durch das Fehlen von Gewerbe in den Erdgeschossen weiterbesteht.

So sieht man auffällig viele der schmucken modernen Bürgerhäuser leerstehen, manche mit großen Plakaten, die baldige hohe Neubauten bewerben,

während man hinter den schönvergitterten Fenstern noch bewohnter Häuser schüchterne Plakate gegen das „propriedad horizontal“ (horizontale Eigentum) entdecken kann.

Dieser schöne Begriff beschreibt die Eigentumswohnungen in den neuen Gebäude, die sich gemeinhin einfach Edificio (Gebäude) gefolgt von allem möglichen von Torremolinos oder Asturias bis Eslovaquia (Slowakei) oder Ucrania (Ukraine) nennen, was nebenbei zeigt, dass auf die Distanz alles exotisch und damit zum möglichen Namen für etwas Estrebenswertes wird.

An einer Backsteinwand neben einem Gebäudeeingang jedoch wird er aus teils ineinandergesetzten Metallbuchstaben geradezu zum Kunstwerk, in dem Elemente früheren Laureleser Designs weiterleben: Propriedad Horizontal Comercia.

Noch ist der Tag fern, an dem ganz Laureles aus hohen Gebäuden in Blockrandbebauung besteht und die Architektur der fünfziger bis siebziger Jahre auf die teuren Cafés und Restaurants mit internationaler Küche, die sich in manchen Häusern ansiedelten, beschränkt ist, vielleicht wird er nie kommen.

Und man kann es bedauern, daß dieses Museum einer bestimmten modernen bürgerlichen kolumbianischen Architektur ständig Kleinodien verliert, aber zu sehr doch nicht, denn, so viel es hier zu sehen gibt, Medellín, Kolumbien und die Welt brauchten und brauchen eine andere Architektur als diese.

 

 

Laureles

Laureles ist ein wohlhabender Stadtteil im Westen von Medellín jenseits des Flusses. Daß es anders als die übrige Stadt ist und sein will, zeigen schon seine Straßen, die sich in Halbkreisen um einen runden Platz legen und strahlenförmig von ihm ausgehen, so daß es wirkt, als sei eine Kugel in das stille Wasser des rechtwinkligen Medellíner Straßenrasters geworfen worden und bewirke darin konzentrische Wellen. Zu den üblichen Namen Calle (in Ost-West-Richtung verlaufende Straße) und Carrera (in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straße) kommen Circular (Ringstraße), Transversal (Querstraße) und nach einer jüngeren Änderung Diagonal (ebenfalls Querstraße).

Noch immer ist Laureles von Häusern aus den fünfziger, sechziger, siebziger Jahren geprägt, die oft geradezu klein wirken und vor allem immer ohne Abstand aneinander angrenzen: Blockrandbebauung, die dank der breiten, baum- oder palmenbestandenen Straßen und der Vorgärten jedoch großzügig bleibt. Da kein Haus dem anderen gleicht und sie so nah aneinanderstehen, ist Laureles wie ein Museum der bürgerlichen kolumbianischen Architektur seiner Zeit und wie in einem Museum gibt es viele Kleinodien zu entdecken.

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Die Häuser haben nie mehr als zwei Geschosse, aber oft sind es vielmehr versetzte Halbgeschosse und Lösungen abseits klassischer Geschoßstrukturen.

Obwohl ziegelgedeckte Satteldächer häufiger vorkommen, sind regelrechte historistische oder rustikale Elemente, überhaupt Holz, selten. Was vorherrscht, ist eine zurückhaltend luxuriöse Moderne, die sich besonders in den Fassenden und besonders in deren Materialien ausdrückt. Glatter Stein wird für seine Maserungen und wie fließenden Flecken ausgewählt, rauer schieferartiger Stein hat unwahrscheinliche Farben wie Lila oder Grün, denen dann Putzstreifen entsprechen.

Backstein ist in rohem Rot oder in Pasteltönen bemalt verwendet, manchmal sind in solche Wände unregelmäßige Natursteine eingelassen.

Seltener sind Waschbeton und Kacheln. Dünne runde Stahlstützen tragen Balkondächer, Geländer sind aus schrägen und abgerundeten, meist weißen, Metallelementen, komplizierter ornamentierte Gitter hängen vor Fenstern, anderswo bestehen Türen wie Fensterrahmen aus grauem Aluminium.

Überhaupt die Fenster: mal ist alles mit großen, fast geschoßhohen Flächen, die in kleinere Rechtecke unterteilt sind, großzügig zur Straße geöffnet oder ist eine ganze Ecke verglast und nur von einem umlaufenden Balkon geteilt, um den Blick auf eine Wendeltreppe freizugeben,

mal, seltener, sind es im Gegenteil schmale Bänder und die Straßenseite ist fast hermetisch geschlossen, was umso größere Öffnungen zum Garten erahnen läßt.

Die Vorgärten sind schmal und meist einfach gestaltet, etwas Rasen, ein paar Agarven oder blühende Sträucher genügen, aber sie sind für die Präsentation der Häuser und als Ausdruck von Wohlstand wichtig.

Das zeigt sich am deutlichsten, wenn einige Räume modulartig über einen Sockel hervorstehen und über dem Gras schweben, oder wenn eine Treppe, die nur aus drei versetzten sandfarbenen Steinblöcken besteht, zur Tür führt.

In dieser kursorischen Beschreibung sind wohlgemerkt mehrere Jahrzehnte zusammengefaßt und gewiß ließen sich mehrere Phasen und Stile unterscheiden oder herausragende Lösungen namhafter Architekten hervorheben oder internationale Einflüsse aufzeigen, aber wie das in Museen so ist, alles verschwimmt und in Laureles ist das auch legitim, denn was zu sagen genügt, ist, daß es sich um bürgerliche kolumbianische Architektur einer bestimmten Zeit handelt. Wichtiger ist, daß Laureles ein Stadtteil im Umbruch ist.

Erkundungen auf Friedhöfen: Campos de Paz

Wenn man nur den Friedhof Campos de Paz (Felder des Friedens) kennt, könnte man meinen, daß Medellíner Friedhöfe kaum anders seien als etwa in Polen. Er ist eine parkartige Anlage auf einem Hügel im Südwesten der Stadt unmeit des Flughafens und die meisten Gräber haben große glatte Steinplatten mit Inschriften, die bloß etwas freier und ohne Wege auf der Wiese vertellt sind.

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Schon der grundsätzlich ähnliche Friedhof Jardines Montesacro (etwa: Heiligberg-Gärten) in Itagüí, der eine der zweifelhafteren Touristenattraktionen der Region enthält, unterscheidet sich deutlich, da die Gräber auf einheitliche kleine Steine in der Wiese, aus denen keines durch auffälligere Gestaltung herausstechen kann, reduziert sind. Kleinere Friedhöfe wie der ältere von Itagüí haben hohe Konstruktionen mit gestapelten Grabfächern, wie sie in Spanien und anderswo in Südamerika typisch und im Übrigen auch an den Rändern der genannten Parkfriedhöfe zu finden sind, aber oft in historistischen neoklassizistischen Formen, die offenbar als der Trauer angemessen empfunden werden.

Eine herausgehobene Position bekommen die Campos de Paz weiterhin durch ihre Kunst und Architektur. Unübersehber hinter der Einfahrt steht eine große schwarze Metallplastik, die vor einem von schrägen seitlichen Stützen gehaltenen Ring eine mit vorgewölbtem dünnem Körper, leicht nach hinten ausgebreiteten Armen, noch unter und hinter dem Ring befindlichen Füßen und nach hinten wehendem Haar wie hervorschwebende überlebensgroße männliche Figur zeigt.

Das Werk des Bildhauers Jorge Marín Vieco heißt „Resurección“ (Wiederauferstehung) und stammt von 1972, wie es mit weiteren Angaben an der linken Stütze steht, und der religiöse Bezug ist naheliegend, aber bleibt sympathischerweise dezent, weshalb es kaum überrascht, daß ein anderer Name „Hombre en busca de la paz“ (Mensch auf der Suche nach dem Frieden) lautet.

So ist die stilisierte Darstellung der Plastik auf den standardisierten kleinen Grabplaketten, zu denen dann oft die größeren Grabsteinplatten kommen, auch immerhin neutraler als es ein Kreuz wäre.

Im Gegensatz zu dieser Plastik ist die Kirche vom Eingang nicht zu sehen und auch von einigen Stellen auf dem Hügel nur durch teils einheimische, teils geradezu europäisch anmutende Bäume hindurch. Sie ist ein letztlich einfacher Bau, der kompliziert wirkt, ein funktionaler Bau, der skulptural wirkt. In der Mitte ihrer Konstruktion ist ein hohes Dreieck, das von einem schräg ansteigenden und einem vertikalen Teil jeweils aus parallelen Betonwänden und leicht getönten Glasflächen gebildet wird. An der Schräge dieses Rahmens sind flache Querstreben aus Beton befestigt, die neben der Vertikale noch vertikal sind, aber in dem Maße, wie die Schräge niedriger wird, stärker nach außen abgeschrägt sind, so unterhalb der Mitte die breitesten Stellen des Kirchenraums bilden und erst zu ihrem Ende, wo der Eingang ist, wieder vertikaler werden.

Von der zum Hügel zeigenden Seite mit der Vertikale, die man trotzdem nicht einfach eine Rückseite nennen sollte, ist es, als fächerte sich die Kirche mit ihren Betonlamellen, zwischen denen wiederum Glas ist, zu beiden Suiten auf und man sieht den lichtdurchfluteten Innenraum, der außer Parketböden, Bänken, einem Pult gar nicht mehr braucht.

Auf der Seite mit der Schräge wo ein leicht erhöhter leerer Platz über der Krypta ist, hat die Kirche weit mehr, nun, Platz und wirkt gestufter, mehr wie eine Pyramide, was auch an den Stufen zum Platz liegen mag.

Aber, genau wie die Plastik nicht ganz ein Christus ist, ist die Kirche nicht ganz eine Kirche, kein Kreuz ist auf ihrer dreieckigen Spitze, sondern bei Bedarf auch ein säkularer Trauersaal. Das ist denn ein sympathischer Unterschied etwa zu Polen, wo der sich bedrohter wissende Katholizismus aggressiver auftrat. Ist die Plastik das zwangsläufige Symbol des Medellíner Friedhofs Campos de Paz, so ist die Nicht-ganz-Kirche sein Kleinod, das expressive Architektur aus Glas und Betonstreben zur größten Einfachheit treibt.

La Aguja

Man könnte sagen, die Postmoderne sei nie bis nach Medellín gekommen, aber wie so vieles würde diese Aussage, dieses Lob, nicht ganz stimmen. Die wohl größte und auffälligste Ausnahme ist das Gebäude La Aguja beim Stadion.

Dreizehn Geschosse hoch und einen gesamten kleinen Straßenblock einnehmend besteht seine Fassade vor allem in der unteren Hälfte mit Büros aus weißer Steinverkleidung und Fensteröffnungen und in der oberen Hälfte mit Parkplätzen und Wohnungen aus abgerundeten horizontalen Betonpflanzenkübeln. Aber auffälliger sind die runden Betonstützen, die die Fassade gliedern und oberhalb des Dachs in kapitellartigen dickeren Formen enden, aus denen – dies die einzige und zugegebenermaßen originelle Idee des Architekten – Palmen wachsen wie Kapitelle anderer Art. Dieser plakativ historistische, eben postmodemistische Anklang wird dadurch verstärkt, daß die weiße Verkleidung in der zurückgesetzten Mitte zur großen Carrera 74 (in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straßen 74) in giebelartigen Stufen auch über die bereits betonoffenen oberen Fassadenteile zum Dach führt.

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Daneben sind es die weißverkleideten Bürogeschosse selbst, die in Stufen zu den Seiten ansteigen, während die prominenteste Ecke von Calle 48  (in Ost-West-Richtung verlaufende Straße 48) und Carrera 74 abgerundet und, wie es sich für ein solches Gebäude gehört, mit blau verspiegelten Scheiben verglast ist. Abgeschlossen ist sie von einer vertikal unterteilten blau-silbernen Stahlkugel mit einer hohen Spitze, die wohl die namensgebende Nadel (aguja) ist.

Zur Ecke der kleineren Nebenstraßen Carrera 75 und Calle 48A zeigen unten hinter dem Stahlgerüst die gewendelten Auffahrten des Parkhauses und bei einem Treppenhaus rechts daneben verläuft eine dicke weiße Röhre, die sich oben halbrund umkehrt, um dem Gebäude auch noch einen Centre-Pompidou-Anklang zu geben.

Zur Carrera 74, unter dem stilisierten Giebel, öffnet sich das Centro Comercial Obelisco (Einkaufszentrum Obelisk), das wohl so heißt, weil weit und breit keine Obeliskformen zu finden sind, aber recht klein und offen, mit irgendwie fließend weißen Decken- und eckigen Bodenmustern bleibt es hinter dem übrigen Gebäude zurück. Vielleicht liegt das einfach daran, daß sich solche Innenräume anderswo in Medellín finden ließen, während die entschlossen postmodernistischen Formen seiner Fassade einmalig sind.

La Aguja, das 1990, wie eine Plakette besagt, irgendeinen städtischen Preis gewann, ist denn vor allem und gerade im Kontrast zur funktionalen Betonarchitektur der nahen Metro eine Erinnerung daran, welche Bizarrerien der Stadt sonst meist erspart blieben.

Die Pflanzenkübel aus Beton, die geradewegs aus der westeuropäischen Architektur der siebziger Jahre stammen und das Gebäude wirken lassen, als habe sich der Architekt bei einem Wienbesuch zugleich vom Krawinahaus und von Alterlaa inspirieren lassen, zeigen andererseits, wie sehr dieses für die örtliche Flora so gut geeignete Bauelement in Medellín sonst fehlt.

Im Guten wie im Schlechten kam manches nie bis hierher.

Das Zentrum von Medellín: Kapitalismus

Das überwältigende Menschengewimmel nicht nur im hueco und die mittelalterliche Aufteilung in bestimmten Gewerben gewidmete Straßenzüge können leicht davon ablenken, daß das Zentrum von Medellín einfach das einer typisch kapitalistischen Stadt ist, eine, um es mit einem veraltenden westdeutschen Begriff zu nennen, City. Es hat wenig aus der Entstehungszeit der Stadt im 18. Jahrhundert, kaum mehr Historistisches aus dem 19. Jahrhundert und viel, viel aus dem 20. Jahrhundert.

Vom hohen Bahnsteig der Metrolinie B in der Kreuzungsstation San Antonio schaut man über die bereits erhöhte Strecke der Linie A in eine Dachlandschaft mit einzelnen Bürohochhäusern.

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Von der Mitte der sechsspurigen Carrera 46 (in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straße 46) gesehen ergeben die Automassen zwischen den Bürohochhäusern ein Bild kapitalistischen Fortschritts.

Die Calle 50 (in Ost-West-Richtung verlaufende Straße 50) kurz vorm Parque Berrío (Berrío-Platz) ist eine engere autodurchflossene Straßenschlucht zwischen in Aufbau und Höhe sogar fast regelmäßigen, aber in den Betonfassaden variierten Bürohochhäusern.

Letztgenannte Straße ist auch ein guter Ansatzpunkt, in diesem typisch kapitalistischen, aber eben nicht spezifisch kolumbianischen Chaos einzelne Gebäude zur näheren Betrachtung herauszusuchen. In der Zeile vor der Metro und dem Parque Berrío ist eines, das über dem zweigeschossigen Sockel und der folgenden begrünten Terasse leicht zurückgesetzt die Obergeschosse voller dreieckig vorragender Balkone mit offenen Betonbrüstungen hat und offenbar Wohnungen enthält.

Etwas weiter westlich stadtauswärts steht rechts der Calle 50 ein Gebäude, das sogar Le Corbusier-Anklänge ins Medellíner Zentrum bringt: in der Ecke zur Carrera 54 ein großer zweigeschossiger Vorbau mit viel Glas, einigen hellen vertikalen Steinflächen und einer dunkleren überstehenden Dachbrüstung, hinter der eine faszinierend großzügige Terasse sein könnte, und dahinter quer zur Calle aufgestützt und mit der öffnungslosen grauen Schmalseite leicht überstehend der siebengeschossige Wohntrakt mit weit zurückgesetzten Balkonen, deren hellen Steinbrüstungen abwechselnd links und rechts rillenartige Öffnungen haben, und Dachterasse, über der ein in grauem Stein verkleidetes Dach, das vielleicht eine weitere Terrasse trägt, schwebt.

Das ist Le Corbusier ohne sichtbaren Beton, mit der Steinverkleidung den Luxusvorstellungen einer offenbar konservativen Zielgruppe angepasst. Die überraschend geschlossene Rückseite mit vorgesetztem Treppenhaus hat schon keinerlei Gemeinsamkeiten mit einer Unité d’Habitation (Wohneinheit) mehr, die doch unübersehbar das Vorbild war, Medellín ist eben nicht Marseille.

Im Sockel des 1959 als Banco Central Hipotecario (Zentrale Hypothekenbank) errichteten Gebäude sind heute vermischte Läden und auch das Botero-Wandbild, das den noch immer großzügigen Raum schmückte, wurde in ein Museum versteckt.

Noch weiter westlich steht links an der Ecke zur Carrera 55 ein Gebäude, das ganz von mal mit dem kürzeren, mal mit dem längeren Teil nach oben zeigenden dreieckig vorstehenden Betonbrüstungen und Betonkasettendecken bestimmt ist, so daß man kaum sicher ist, wo die offenen Parkhausgeschosse enden und die Bürogeschosse mit zurückgesetzten rotgerahmten Fensterbändem beginnen.

Klar vom Pariser Centre Pompidou und folgenden High-Tech-Moden inspiriert sind die roten Röhren, die links dicker in einem der unteren Geschosse nach außen gebogen sind und rechts dünner hinter der Verkleidung bis zum Dach führen.

In anderen Straßen stößt man auf in kapitalistischer Beliebigkeit verteilte Bauten anderer Zeiten. Es gibt nordöstlich des Parque Berrío eine ganze Kreuzung voller Gebäude mit abgerundeten Ecken, davon eines vielleicht früh, vierziger, dreißiger Jahre, errichtet, das hinter den weit vorstehenden Geschoßböden hohe Geschosse halb aus Fenstern, halb aus Glasbausteinen hat.

Das Edificio Victor (Gebäude Victor) in der Calle 51 befleißigt sich mit vier vertikalen Streben, die in ernstblickenden männlichen Steinköpfen enden, eines Backsteinexpressionismus, der 1928 auch in Amsterdam ebensowenig wie das historistische Nachbargebäude aufgefallen wäre.

Ähnlich, aber größer und mit mehr Platz für seine Monumentilität ist das 1937 als Verwaltungsbau errichtete Museo de Antioquia (Museum von Antioquia), das nicht ganz anders ist als das Muzeum východních Čech (Museum Ostböhmens) in Hradec Králové.

Je mehr man lernt von all dem, was so überwältigend anders ist, abzusehen, also wirklich zu sehen, desto mehr sieht man Medellín als typisch kapitalistische Stadt und desto mehr zwingen sich Vergleiche mit Gebäuden, die zu betrachten man in leereren Städten bloß ungestörtere Muße hätte, auf.

Später Barock in Medellín

Die Iglesia de la Veracruz (Heilig-Kreuz-Kirche) ist die älteste erhaltene von Medellín und also ein kolonialer Barockbau von 1803, wie er ebenfalls in Spanien möglich, wenn auch nicht typisch wäre.

Alles hat auf ihrer breiten weißgetünchten Fassade viel Platz und fügt sich zugleich gut zusammen. In der der Mitte unten ist der eher kleine rundbögige Eingang mit vielfach unterteilten spindelartigen Säulen. Beidseits davon näher am Rand steigen schlichte dorische Pilaster, kaum mehr als Streifen im Putz, bis zu einem Gesims über dem Eingang und unter den drei Fenstern auf, von dem weiter mittig weitere Pilaster höher führen, als seien die unteren nach oben geklappt worden. Schon wenig oberhalb der seitlichen Fenster beginnen erste zur Mitte führende Schrägen, die nicht oder nicht mehr denen des Dachs entsprechen und in den Ecken durch eine große flache Obeliskform ausgeglichen sind. Weiter innen folgen die großen Voluten, die dem kompliziert geschwungenen und zur Mitte abgeschrägten S einer Handschrift gleichend den Höhepunkt der Fassade darstellen und locker eine dem Eingang ähnliche Nische mit einem schmuchlosen grauen Steinkreuz rahmen. So eingeleitet beginnt der zweistufige offene Glockenaufbau, dessen unteren rundbögigen Öffnungen wellenartig verbunden sind, während die obere zwei kleine Bögen hat und nach oben allerlei Obeliskformen aufragen. Geschwungenes und Spitzes halten sich in dieser Fassade the Waage, da alles so viel Platz hat, was auch the Wirkung des namensgebenden Kreuzes potenziert.

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Veracruz ist die Kirche einer weit kleineren Stadt als es Medellín heute ist, vielleicht gar nichts Besonderes. Älter in der Gründung und in einiger Bausubstanz ist die größere Iglesia de la Candelaria (Candelaria-Kirche), die auch meist die wichtigere war, aber ihre markanten Doppeltürme und die Kuppel erst im späteren 19. Jahrhundert bekam. Anfang des 20. Jahrhunderts folgte die Kathedrale, ein riesiger neoromanischer Backsteinbau. Sieht man Veracruz heute nicht eingezwängt, aber ringsum umgeben von Bürogebäuden, ist es schwer, sich vorzustellen, das sie einst ein Mittelpunkt der Stadt war, aber von manchen Stellen in der Calle 51 (Straße 51) schieben sich die Spitzen ihres Giebels vor die geschwungenen Spitzen des Edificio Coltejer (Coltejer-Gebäudes) und ein altes und ein neues Wahrzeichen Medellíns sind plötzlich ganz nah beieinander.

Mit dem Flugzeug nach Medellín

Medellín verdankt seinen perfekt erhaltenen Flughafen aus den fünfziger Jahren seinem raschen und chaotischen Wachstum, das in manchanderer Hinsicht viel Schaden anrichtete.

Als er in den dreißiger Jahren angelegt wurde und noch 1960 bei der Eröffnung des heutigen Terminals, lag er außerhalb der Stadt im Südwesten, aber seitdem hat sie sich so weit ausgebreitet, daß sie mit den zusammengewachsenen Städten Envigado, Itagüí und Sabaneta im Süden und Bello im Norden das gesamte Valle de Aburrá (Aburrá-Tal) einnimmt und auch der Flughafen mitten in ihr liegt.

Der Flughafen links neben der Wolke in der Mitte des Bilds

An eine Erweiterung war nicht mehr zu denken, weshalb jenseits der Berge im Osten, außerhalb des Tals, 1985 ein neuer internationaler Flughafen, der auch den Code MDE trägt, eröffnet wurde. Medellíns alter Flughafen ist für Inlandsflüge weiterhin in Betrieb und sein Terminal ist ein Prachtbeispiel der Flughafenarchitektur einer Zeit.

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Die langgestreckte Halle, nicht größer als die eines Bahnhofs, hat ein geschwungenes Betonschalendach aus einer höheren und kürzeren Hälfte, die vom Flugfeld her ansteigt, und einer niedrigeren und längeren Hälfte, die versetzt darunter beginnnend zur Straße hin abfällt. Auch die langen schrägen Betonstützen, die das Dach tragen, beschreiben am Schnittpunkt der beiden Hälften eine entsprechende schwebende Stufe. Zur Straße hin stehen aus den vier rechteckigen vorgewölbten Segmenten der vorderen Hälfte weitere Schalen mit abgeschrägten Seiten über, aus denen dann im Kontrast eckige Vordächer erwachsen, die jenseits des Haltebereichs für Taxis und Autos auf Stützen mit fließender V-Öffnung ruhen.

Das Innere der durch Glastüren zu betretenden Halle ist durch die Konstruktion völlig stützenfrei und wird außer von den Betonwölbungen des Dachs durch die großen Glasflächen der Schmalseiten bestimmt, von denen die rechte transparent ist und die linke ein vielfarbiges Betonglasbild trägt.

Schon von außen entfaltet es seine Wirkung und läßt im höheren Teil Federn und im niedrigeren stilisierte Flugzeuge erahnen,

von innen dann ist es der zwangsläufige Höhepunkt des Raums und zeigt  deutlicher einen Kondor mit nach links ausgestrecktem Flügel.

Trotz der von Kirchen vertrauten Technik des Kunstwerks, das der Architekt Elías Zapata Sierra gleich selbst entwarf, hat die Halle nichts Sakrales, sondern behält durch die Schalter an der den Eingängen gegenüberliegenden Breitseite und die darüber angeordneten Bürofenster eine elegante Funktionalität, zu der der heutzutage meist wenig hektische Betrieb paßt.

Zurückgesetzt beidseits der Halle sind zweigeschossige Seitenbauten, vor denen Vordächer aus Betonschalen auf vorgeschwungenen Stützen, die nur bei den Eingängen auch nach hinten ansteigen, noch die fließenden Formen der Halle aufgreifen, während sie selbst nüchtern eckig mit heller glatter Steinverkleidung, viel Glas und dunkleren runden Stützen sind.

So steigen sie hinter der Halle wie aufgeschichtete Quader an – ein schwebender Dachstreifen läßt Terrassen erahnen, es gibt Wände aus Formsteinen mit schmalen Schlitzen – und kulminieren in der Mitte im gar nicht hohen achteckigen Tower mit seinen nach oben breiter werdenden Glaswänden.

Der Aeropuerto Olaya Herrera (Olaya-Herrera-Flughafen), wie es in blauen Buchstaben auf dem Dach steht, ist wie eine durchlässige Schleuße zwischen Stadt und Flugfeld, die für die erst runderen, dann eckigeren, jetzt wieder runderen Autos mit geschwungener Leichtigkeit schon das Fliegen vorwegnimmt, für die meist runden Flugzeuge aber in ernsten Quadern die Solidität des festen Bodens repräsentiert. Einen solchen Flughafen wollte in den fünfziger Jahren jede Stadt haben, manche hatte wohl auch einen, aber Medellín hat das besondere Glück, daß er sich beinahe unverändert erhielt.

Das Zentrum von Medellín: Mittelalter

Historische Architektur hat sich in Medellín wenig erhalten. Die Kirche Veracruz mit weißgetünchter Barockfassade, die Kirche de la Candelaria mit späteren Doppertürmen und Kuppel, das muß genügen inmitten einer sich in kapitalistischer Natürlichheit stetig wandelnden Stadt. Wenn es in zentralen Gegenden noch eingeschossige alte Häuser gibt, sind die mit historistischen Fassaden nie älter als aus dem späten 19. Jahrhundert und es kann gut sein, daß im Innenhof heute eine zweigeschossiges Parkhaus ist oder gleich nur noch die Außenwände um einen Parkplatz stehen.

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Dennoch hilft es, sich Medellín als eine mittelalterliche Stadt vorzustellen, weil hier jedes Gewerbe, jedes Handwerk sein Viertel, seinen Straßenzug, seine Passage hat.

Schwer zu übersehen, da sehr zentral im Winkel der sich kreuzenden Hochbahnlinien gelegen, ist das den Textillen gewidmete hueco (Loch), ein wimmelndes Labyrinth von Straßen und Passagen, und an seinen Rändern kommen Läden, die diese Textillen reparieren, benähen, besticken, bedrucken hinzu.

Bei der Metrostation Cisneros gibt es einen ganzen Straßenblock, der, bis hinaus auf den Gehsteig und vielleicht vor allem dort, der Holzbearbeitung gewidmet ist.

Westlich Richtung Fluß, wo die Bürogebäude Gewerbehallen gewichen sind, findet man alles, was zum Bau oder Umbau eines Hauses nötig ist.

Unter den Hochbahngleisen zwischen den Metrostationen Parque Berrío und Prado ist ein immerwährender Flohmarkt, aber nicht im idyllischen nördlichen Sinne, und außer allen möglichen gebrauchten Gegenständen kann man hier auch alle möglichen Drogen kaufen, deren Konsumenten dann in den angrenzenden Straßen und auf dem Parque Bolivar (Bolivar-Platz) anzutreffen sind.

In einer Passage im verhältnismäßig stilleren östlichen Teil des Zentrums sind Elektronikgeschäfte von der Handyreparatur bis zum Plattenladen konzentriert, weshalb es vielleicht als passende Dekoration zu verstehen ist, daß die Leitungen an der Decke freiliegen.

In der Calle 51 neben der Kirche Veracruz und bis zur Kreuzung mit der Carrera 53 sind viele Devotionaliengeschäfte und Prostituierte, wobei jenen eine die Ecke verbindende Passage und diesen die darüberliegenden Geschosse der Stundenhotels vorbehalten sind, was den Kontrast zwischen spärlich bekleideten Frauen und den wie Schweinshaxen aufgehängten blutigen Kruzifixen aber kaum mildert.

In der auf das Krankenhaus zuführenden Carrera 51D häufen sich die Bestattungsunternehmen, was eine nur im ersten Moment überraschende Logik besitzt.

Schon außerhalb des Zentrums, in den Gewerbehallen südlich des Verwaltungzentrums Alpujarra, das in die mittelalterliche Konzeption als separierte Burg des Landesherren ebenfalls paßt, hat die Automobilität ihren Sitz. Eine Straße für Motorräder, einige Blocks für Autos, die Straßen Schwarz von Öl, viele Spezialisierungen, ganze Schaufenster voller Rücklichter, Vordächer voller Stoßstangen, Haufen von Reifen sowieso, kein Zweifel, dass man hier alles repariert bekäme, und wenn es die Umstände wieder erforden sollten, ein Maschinengewehr auf einen Toyota Hilux zu montieren, fände sich gewiß jemand, der sich damit auskennt.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, entscheidend ist, daß immer mehrere, viele Geschäfte und Betriebe, die dasselbe anbieten, nebeneinander zu finden sind. Zu den stationären Geschäften und Ständen kommen Straßenhändler, die Früchte von großen Schubkarren aus verkaufen und per Mikrofon und Lautsprecher oder mit Bandaufnahmen anpreisen, und Bettler, die die Stadt durchstreifen.

Alles hat in Medellín seinen Platz, den die Einheimischen gewiß kennen, und nichts spräche dagegen, daß Abschnitte des gerade im Zentrum so regelmäßigen Straßennetzes statt der Nummern von Carreras und Calles Namen ähnlich den Weißgerbergassen oder Schmiedegassen der mittelalterlichen Stadt trügen. Wie die Stadt früherer Zeiten funktionierte, kann man hier besser verstehen lernen als in Städten voller historischer Architektur.

Kunstlotterie

Das Gebäude der Lotería de Medellín (Lotterie von Medellín) nutzt die glückliche Situation, daß es, wiewohl nicht besonders breit und Teil der Blockrandbebauung, zwei Ecken und drei Seiten hat, für die Präsentation seiner Kunstwerke.

An der linken und der rechten Seite sind das grausteinerne Reliefbänder in der oberen Hälfte des Sockels, die so konventionell wirken wie sie vom Gehsteig schwer zu betrachten sind. An der Vorderseite, beidseits des Eingang hingegen sind es die gesamte Sockelhöhe einnehmende Werke, die kaum in eine Gattung einzuordnen und schwer mit etwas anderem zu vergleichen sind. In zurückgewölbten weißen Flächen, die mit Furchen und vulkanartig vorstehenden Öffnungen wie eine Mondlandschaft oder aber das Innere eines Organs wirken, sind schwarze Bronzeplastiken angeordnet: links eine stehende männliche Figur, die zur Mitte zu einer erhöht liegenden weiblichen Figur zeigt, rechts eine stehende weibliche Figur, die zur Mitte zu einer erhöht liegenden männlichen Figur zeigt.

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Die Figuren sind menschlich, realistisch sogar vielleicht, aber ihre Körper sind wie aufgeplatzt, ausgehöhlt, die stehende Frau hat ein Kind im Bauch, aus dem liegenden Mann schlagen Flammen, die liegende Frau hat einen Maiskolben zwischen den Schenkeln.

Insbesondere letzteres zeigt, daß hier indianische Mythen, Weltentstehung, Männliches, Weibliches, dargestellt sind, aber die Art der Darstellung hat etwas geradezu Ekelerregendes, wie der eingefrorene Blick in ein Schlachthaus, so daß man schwerlich mehr über irgendetwas davon wissen will.

Die Kunstgattung ist denn am ehesten die eines Dioramas und wie solche in der katholischen Kunst manchmal in unangenehmer Anschaulichkeit etwa den Kreuzweg darstellen, stellt diese eben indianische Mythen dar. Immerhin, auffällig anders ist dieses Werk des in Medellín oft vertretenen Bildhauers Rodrigo Arenas Betancur und daß öffentliche Kunst eine solche geradezu körperliche Abscheu auslöst, ist ebenfalls selten. Auch an seinen Ort paßt es gut, da oberhalb davon und eines überstehenden Dachbands mit dem Gebäudenamen die betongerahmten Geschosse folgend, während oberhalb des Eingangs ein deutlicher Rücksprung ist, den erst das ohnehin überstehende oberste Geschoß verbindet.

Im Foyer der Lotería de Medellín ist weitere Kunst und es kann gut passieren, daß man von der Rezeptionistin nicht nur in Paisa-Freundlichkeit hineingewunken wird, sondern gleich auch ein Prospekt mit Informationen über die Werke in die Hand gedrückt bekommt. In diesem angenehm proportionierten Raum, der den obligatorischen glatten Stein für Böden und Stützen hat, sieht man zuerst links oben an der gegenüberliegenden Wand ein breites Wandbild des Malers Ramón Vásquez, das in fast grellen Farben und comicartigen Formen einen sitzenden Landarbeiter und im kürzeren Teil an der linken Wand einen Jungen und eine Frau zeigt. Rechts über dem Sitzenden ist wieder Mais, aber wieviel lieber will man diese realistische Szenen kennenlernen und die von Parabelformen durchzogene Landschaft vor den Augen der Figuren sehen.

Wiederum ganz anders, aber verwandt, ist das wandhohe Relief aus grauem Stein an der linken Seite neben der Wand. Man kann es leicht für eine Pietà halten, vielleicht ist es eine, aber die sitzende Frau mit zur Seite geneigtem Kopf ist ausgemergelt mit schlaffen Brüsten und das vielleicht tote Kind in ihrem Schoß hat einen vom Hunger aufgeblähtem Bauch.

Der Realismus des Wandbilds wird in diesem „Amerindia“ genannten Werk schockierend, ohne seine unmittelbare Menschlichkeit zu verlieren. Da dieses Relief offensichtlich vom selben Künstler, Jorge Marín Vieco, stammt wie die seitlichen außen, kann man es zum Anlaß nehmen, auch diese noch einmal zu betrachten. Das rechte zeigt Fabrikarbeit um eine maulartige Form, das linke indianische Szenen um eine zu drei Selten blickende Figur. So stark wie die Hungerpietà ist das nicht, aber viel wäre gewonnen, wenn es in der unteren Sockelhälfte auf Höhe der Betrachter wäre.

Gerade durch ihre Vielfalt und variierende Qualität bietet kein anderes Gebäude der Stadt einen kompakteren Überblick über die öffentliche kolumbianische Kunst der sechziger Jahre als die Lotería de Medellin. So großzügig seine Erbauer seine Lage für deren Präsentation nutzen, so großzügig erzählt es heute davon.

Antihistoristische Theaterarchitektur

Das Teatro Pablo Tobón Uribe (Pablo-Tobón-Uribe-Theater) steht in der Mitte eines annähernd ovalen Platzes, was im strikten rechteckigen Straßenraster von Medellín ungewöhnlich ist, und ist ein eleganter Bau aus den fünfziger Jahren, der dieser hervorgehobenen Lage gerecht wird.

Vom breiten, aber niedrigen Eingang, der mit ockergesprenkeltem glattem Stein gerahmt ist und über dem der Name steht, schwingen sich zu beiden Seiten Kolonnaden aus abgeschrägten und geschwungen in nach vorne verjüngte Balken übergehenden Stützen mit dunkelgraugesprenkelter glatter Steinverkleidung nach vorne, als wollten sie die Ankommenden umarmen.

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Der Eingangstrakt wird nach hinten leicht breiter und hat an den Seiten zwischen rechteckigen Stützen mit der hellen Steinverkleidung schmale vertikale Fenster und rote Tonkacheln mit Quadratmustern. Dahinter ragt eine rechteckige Wand in dem hellen Stein auf, die aber weder mit dem überstehenden Dach aus roten Betonwellen, noch mit den nach hinten leicht abgeschrägten Seitenwänden in dem dunklen Stein ganz verbunden zu sein scheint. Weiter hinter dem so gebildeten Saal und zur anderen Platzseite zeigend ist der ganz mit dunkelroten Kacheln verkleidete monolithische Quader der Bühnentechnik.

Genau so simpel wie hier beschrieben ist die äußere Gestalt des Teatro Pablo Tobón Uribe und das genügt für einen Eindruck durchaus repräsentativer Eleganz. Es ist zugleich, als wolle es wirklich alles anders machen als überkommene Repräsentationsarchitektur, sogar zum Eingang führen einige Stufen hinab statt hinauf. Vielleicht gerade dadurch und durch die auf dem baumbestandenen, aber von Autoverkehr ungebenen Platz exponierte Lage handelt es sich um ein Musterbeispiel bürgerlicher Architektur seiner Zeit.