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Deutsche Gesichter

Stahlhelme aus Stein sind ein häufiger Bestandteil von Denkmälern für den ersten Weltkrieg. Überlebensgroß schließen sie Stelen ab oder liegen auf Wänden, seltener sind sie Reliefs. Sie sind ein noch typischeres Symbol für diesen Krieg als sogar das eiserne Kreuz.

In Frankfurt-Enkheim

Die Verwendung der Kopfbedeckung steht dabei in einer klaren ikonographischen Tradition mit den Denkmälern für den Krieg von 1870/71, in denen selten die preußische Pickelhaube fehlt. Oft stehen diese Kriegerdenkmäler auch nah beieinander, meist bei den Kirchen, doch selten wurden sie, wie etwa in Nieder-Wöllstadt, zu einem Ensemble zusammengefügt, Pickelhaube über Stahlhelm.

Wenn die Helme schräg liegen, ist unter ihnen, wo das Gesicht sein müßte, manchmal eine erst einmal unklare Masse zu sehen: Eichenblätter.

In Wehrheim

Ein Stahlhelm gefüllt mit Eichenlaub, unter der deutschen Kopfbedeckung die Blätter des deutschen Baums. Die Symbolik ist so naheliegend wie wahnwitzig und gibt dem Wort Holzkopf eine neue Bedeutung.

In Ossenheim bei Friedberg liegt ein große Stahlhelm auf einer freistehenden dunklen Wand mit den Namen der Kriegstoten, nicht gerade, sondern schräg nach links ansteigend und mit Eichenlaub gefüllt.

Aber ist da nicht vielleicht doch ein Gesicht? Vorne ragt eine Eichel wie eine Nase hervor, ein horizontales Blatt darunter bildet den Mund, zwei schräge darüber sind die Augen.

Das ist nur angedeutet, aber es ist da. Es handelt sich um die deutschnationale Version der berühmten Gemüsegesichter des Malers Giuseppe Arcimbaldo oder zweier aus Blättern gebildeter Fratzen an einem Kapitell beim Passauer Dom. Oder ist es vielmehr ein ironischer Kommentar des Bildhauers zu seinem deutschnationalen Werk? Das Eichenlaub geht noch durch, aber ein Gesicht aus Eichenblättern und Eicheln ließe sich wohl schwerlich als der Würde des Orts angemessen erklären, zumal auch die unangenehme Assoziation mit dem völlig bandagierten Gesicht eines Kriegsverletzten entsteht.

Was die Wahrheit ist, wird nicht herauszufinden sein, aber das Ossenheimer Beispiel zeigt, daß sich sogar in solchen gänzlich reaktionären Kriegerdenkmälern interessante Details finden lassen.

Das zweite Friedberg

Friedberg ist eine Stadt, die ganz auf ihre Burg ausgerichtet ist, ohne ihr aber untergeordnet zu sein. Nicht über der Stadt, sondern am Ende ihrer zentralen Straße, steht sie.

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Dafür ist sie, die zu drei Seiten über der offenen suburbanen Landschaft sitzt, wenn auch nicht hoch genug, sie zu bestimmen, mit gotischen Toren, Mauern und dem riesigen Adolfsturm auch ganz die Bilderbuchburg – jedenfalls von außen.

Im Inneren jedoch ist sie eine Stadt für sich, in der man vom Trubel des heutigen Friedberg nicht mehr viel merkt. Auch die gotische Bebauung wird von der neueren an den Rand gedrängt.

Es gibt ein großes Renaissanceschloß mit drei fast schmucklosen Geschossen, das seine Wirkung so nur aus den drei großen Giebeln vor dem hohen Satteldach ziehen kann. Sie beginnen unten mit Voluten, die sich weiter oben aber gleichsam aufwickeln und wie die Hörner eines Stiers seitlich abstehen und abends große Schattenformen auf das Dach zeichnen.

Es gibt viele Barockbauten, die direkt an das Schloß anschließen oder anderswo freistehen.

Es gibt in der Mitte eine riesige klassizistische Kirche mit großem Dreiecksgiebel, der so hoch oben ist, daß sein Relief unsichtbar wird, und hohem quadratischen Turm, der sein Zeltdach hinter einer schmiedeeisernen Balustrade versteckt, als wolle er schon ein flachdächiger Vorläufer des Berliner Müggelturms oder des Turms des Neubrandenburger Hauses der Kultur und Bildung sein.

Es gibt aus den Sechzigern ein prominent nach dem stadtseitigen Tor plaziertes Gebäude mit weißem Putz, viel Glas zwischen dunkler Holzverkleidung, grauer Steinverkleidung rechts und schwarzem Satteldach, vor dem die halbabstrakte Bronzeplastik eines Pfauen steht.

Es gibt als radikalste Hinzufügung der neueren Zeit die Turnhalle der in einigen meist barocken Bauten residierenden Schule.

Sie ist nicht mehr als ein langgestreckter Betonbau mit hochliegenden Fensterflächen, durch die man auf Basketballkörbe, Kletterstangen und die hellbraunen Holzstreifen der Decke unter dem Flachdach blickt, und abstraktem Betonrelief an einer der Schmalseiten, das direkt gegenüber dem auf andere Weise abstrakten Muster einiger Fachwerkfassaden steht.

Und es gibt viel Wohnbebauung, die von Fachwerkhäusern und barocken Gebäuden über historistische Mietshäuser, die auch in einer bürgerlichen Vorstadtgegend stehen könnten,

bis zu einer gerade erst fertiggestellten Wohnanlage, die ihrerseits auch irgendwo in einem gehobeneren Teil des gesamtdeutschen Suburbia stehen könnte, reicht.

Jede Zeit hinterließ ihre Spuren in der Friedberger Burg und es entstand eine wilde Mischung, in der nichts zueinander paßt. Es handelt sich um eine komprimierte Version dessen, was draußen in der Stadt architektonisch geschah, könnte man sagen, doch da ist etwas, durch das es anders und besser wird: der städtische Raum, in den die Gebäude eingebettet sind.

Gewiß, in der Mitte verläuft eine Straße mit Kopfsteinpflaster. Doch gleich rechts des von der Stadt hineinführenden Tors ist ein offener Bereich mit drei riesigen Platanen, der ein Gegengewicht zur ohnedies zierlichen barocken Wache und dem abzweigenden Hauptgebäude der Schule auf der linken Seite darstellen.

Rechts folgt die Wiese mit dem bronzenen Pfau vor dem quer zur Straßen stehenden weiß-gläsern-hölzern-steinernen Bau, während links der Schulhof durch einen Zaun und einen Fachwerkbau locker abgegrenzt ist. Jetzt erst, indes die Straße zur Lindenallee wird, hinter der die das Schulgelände abschließende Turnhalle durchschimmert, öffnet sich der Blick nach rechts zum Schloß, vor dem aber an der Straße ein weiter Vorbereich mit barockem Georgsbrunnen ist, während erst hinter dem rotsandsteinernen Renaissancetor, das alle fehlende Ornamentik des Schlosses überreichlich nachreicht, der eigentliche Ehrenhof beginnt.

Die Kirche beendet völlig freistehend und hinter Kastanien den Vorbereich quer zur Straße, wobei ihr Turm schon lange vorher zu sehen war, erst neben dem gotischen und neogotisch monumentalisierten Adolfsturm, dann diesen verdeckend.

Vielleicht ist das, was links zwischen Turnhalle und Fachwerkhäuschen abzweigt, eine Seitenstraße, aber jenseits von ihnen und ihren Vorgärtchen ist ein parkartiger Platz gegenüber dem Kirchenportal, um den rückwärtig weitere Wohnhäuser stehen. Erst jetzt, wo auch die historistischen Gebäude hinzukommen, entsteht beiderseits der deutlich verengten Straße etwas, daß an Blockrandbebauung erinnert, doch sie wird sogleich wieder, wie das gesamte Burgareal, durch den zweiten Torbau mit dem Adolfsturm beendet.

Nichts ist in der Friedberger Burg letztlich wie draußen in der Stadt. Was dort an engen Straßen und Gassen steht, hat hier Platz und Raum. Alles ist verbunden durch die großzügigen Freiflächen dazwischen, weshalb auch architektonische Kontraste, die draußen eklatant auffielen, hier zu einer allgemeinen Harmonie abgemildert sind. In der Friedberger Burg bildete sich paradoxerweise ein offener, nichthierarchischer Stadtraum. Das war durchaus nie geplant, sondern entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte von selbst, es war eine Stadtplanung durch Zufall. Jede Zeit baute dabei ganz für sich und – zu sehen an der Anfügung eines barocken Dachs halb vor einen Seitengiebel des Renaissanceschlosses oder dem Turm der klassizistischen Kirche, der, wenn er die gotische Stadtkirche schon nicht erreichen kann, wenigstens den Adolfsturm versteckt – auch gegen die vorangegangene Zeit.

Nicht zwangsläufig hätte das so harmonisch ausgehen müssen. Es half, daß es sich um eine aristokratische Anlage von noch dazu enormer Größe handelt, die mit Platz so verschwenderisch umgehen konnte, wie es draußen in der Stadt bis mindestens 1917 undenkbar war. Für Friedberg ist das ein Glück und jedem Besucher kann es davon erzählen, wie eine andere Stadt aussehen könnte, wenn das, was hier der Zufall schuf, durch den Plan geschaffen würde.