Archiv der Kategorie: Kostelec u Jihlavy

Kostelecké uzeniny

Es ist gewiß das markanteste Logo aller tschechischen Fleischwarenhersteller: in einem roten Karo schwarz und weiß ein Mann in einem dreiteiligen Anzug und mit zurückgegeltem Seitenscheitel, der bei konzentriertem Gesichtsausdruck leicht vorgebeugt ein Würstchen, an dem noch ein zweites hängt, ißt, wobei er den kleinen Finger der Hand, an der er auch noch einen großen Ring trägt, leicht abspreizt.

„Schöpfer von Geschmackserlebnissen“

Vielleicht liegt es an der Farbgebung, daß es wirkt, als trüge er Lippenstift und Mascara und habe dünne aufgemalte Augenbrauen, vielleicht sind auch alle anderen Konnotationen ungewollt, aber man kann das Logo heute schwer betrachten, ohne es als sehr schwul zu empfinden. Vermutlich sollte es zeigen, daß auch elegante Herren die Wurst von Kostelecké uzeniny (Kostelecer Fleischwaren) mögen und elegante Herren stellte man sich in den zwanziger Jahren – die Firma besteht laut ihrer Werbung seit 1917 – eben vor wie Rudolph Valentino oder andere Stummfilmstars, also nach heutigen Maßstäben sehr schwul.

Die Heimat dieser Fleischfabrik ist, wie der Name sagt, ein Ort namens Kostelec, was aber noch nicht viel sagt, da es in Tschechien etwa ein dutzend Orte dieses Namens, der übersetzt irgendwas mit Kirche heißt, gibt. Auch in Kostelec u Jihlavy (Kostelec bei Jihlava) könnte man die Fabrik übersehen. Sie liegt deutlich abseits des kleinen Orts, idyllisch an einem kleinen Stausee, und hat sogar ihre eigene Bahnhaltestelle Kostelec u Jihlavy masna (masna ließe sich mit Fleischfabrik übersetzen).

Sobald man sich nähert, liegt ein gewisser Fleischgeruch in der Luft. Es ist ein mittelgroßer Fabrikkomplex beidseits einer Straße, über der Rohrleitungen verlaufen.

Die meisten Gebäude sind aus sozialistischer Zeit oder neuer. „Vítejte v Kosteleckých uzeninách“ (Willkommen bei den Kostelecer Fleischwaren) steht an einer Wand, an einem Tank neben der Einfahrt wird eine Wurst als tschechisches Kleinod beworben, an den Rohren über der Straße sucht ein Banner neue Kollegen für die Produktion und es gibt einen kleinen Fabrikverkauf. An den vielen ankommenden und abfahrenden Lastern, die teils Tiere anliefern, sieht man, daß hier auch Fleisch vieler anderer Marken hergestellt wird.

Es ist eine letztlich sehr typische Fabrikanlage. Gegründet angeblich 1917, gewachsen sicher in der ersten Republik, die Lage gewählt aufgrund der guten Eisenbahnanbindung.

Älter als alles andere hier ist das große steinerne Kreuz hinter den Gleisen am Bahnübergang.

Der Jesus ist aus Metall, aber Details im Stein, etwa ein Totenkopf verraten eine noch barocke Sensibilität des Bildhauers. Die schwer lesbare Inschrift ist auf Deutsch.

Direkt dahinter steht ein großes Wohnhaus aus den zwanziger Jahren. Überstehendes Walmdach, der Putz in breiten roten und grauen horizontalen Bändern, keine Villa, aber vielleicht Wohnsitz einiger wichtigerer Verwaltungsangestellter der Fabrik. Ob hier auch derjenige wohnte, der das Logo für eine gute Idee hielt und die Firma damit einzigartig machte?

Eines der faszinierendsten Dokumente zum Logo der Kostelecké uzeniny ist ein leider unkommentiertes Bild auf der Firmenseite, das einen feierlich mit Blumen und Zweigen geschmückten Lastwagen zeigt. Auf der Ladefläche steht ein altarartiger Tisch mit einem Beil in einem Fleischstück, an einer Wand vor dem Fahrerhaus hängen rechts viele Würste, während links eine Variante des Logos und die Worte „Kostelec záruka jakosti“ (Kostelec Qualitätsgarantie) sind. An der Seite der Ladefläche steht „Rolníci nám – my národu“ (Die Bauern uns – wir dem Volk) und hinten „Národní správa“ (Nationale Verwaltung).

In Nationale Verwaltung wurden 1945 durch die Beneš-Dekrete Firmen deutscher, ungarischer oder sonstwie der Republik feindlich gesinnter Eigentümer überführt. Da die Kostelecké uzeniny 1948 verstaatlicht und Teil eines größeren Kombinats wurden, könnte der Wagen von einem 1.-Mai-Umzug 1946 oder 1947 stammen. Detailliertere Informationen zur Geschichte des Logos sind leider nicht zu finden, obwohl (oder weil?) es sogar auf internationale Listen zweideutiger oder kontroverser Logos gelangte. Insbesondere ist unklar, ob es auch in der sozialistischen Zeit gebraucht wurde, oder ob das aus der Zwischenkriegszeit stammende Design nach der Privatisierung in den neunziger Jahren wieder aufgegriffen wurde.

Sympathisch jedenfalls, daß die Firma heute weiß, was sie an ihrem markanten Logo hat. Bei einem Besuch der Fleischfabrik in Kostelec u Jihlavy sollte man nicht versäumen, etwas Poličan-Salami oder ein anderes Produkt als Souvenir zu kaufen.

Tschechoslowakische Bahnhöfe: Kostelec u Jihlavy

In Kostelec u Jihlavy (Kostelec bei Jihlava) stehen zwei Bahnhöfe nebeneinander: ein alter österreichischer und ein neuer tschechoslowakischer. Das ist ungewöhnlich, denn üblicherweise baute die sozialistische Tschechoslowakei alte Bahnhöfe um, erweiterte sie oder ersetze sie gleich ganz. Hier aber steht der eine Bahnhof einfach neben dem anderen und wenn man sie einzeln auf Bildern sähe, würde man sicher nicht ahnen, daß sie irgendeinen Bezug zueinander haben.

 

Wenn man den Namen bemerkte, könnte man annehmen, daß das eine den alten Bahnhof zeigt und das andere den neuen, der an seine Stelle getreten ist. Betrachtet man die Bahnhöfe so nebeneinander, wird zuerst deutlich, daß beide typisch für die Architektur ihrer Zeit sind.

(Bilder zum Vergrößern anklicken)

Der alte Bahnhof ist ein Standardtyp der Strecke von Jihlava Richtung České Budějovice. Ein zweigeschossiger Bau mit hohem Mansarddach, in das in der Mitte quer ein zweites gesetzt ist, und unten einem Vordach zwischen zwei seitlichen Flachbauten. Auch die üblichen tschechoslowakischen Ergänzungen, ein blaues Bahnhofsschild, eine Gedenktafel für den von den Deutschen ermordeten Eisenbahner Václav Frantál und eine große quadratische Uhr, die auf der einen Seite sogar richtig geht, fehlen nicht.

Der neue Bahnhof hat den typischen Aufbau vieler tschechoslowakischer Bahnhöfe. Links ein zweigeschossiges Gebäude und rechts ein Flachbau, der hier recht hoch ist. Beide Teile haben unten einen Streifen mit rotbraunen Kacheln und darüber grauen Putz. Um das Dach des Flachbaus läuft außerdem ein Streifen mit vertikal geriffelter silberner Metallverkleidung und zum Bahnsteig hin steht ein Wellblechdach auf vier dünnen gelben Stahlträgern hervor.

Der zweigeschossige Teil ist vor allem die Wohnstätte des Stationsvorstehers, dessen Diensträume mit vorgesetztem Teil vorne im Flachbau sind. An der rechten Seite ist ein offener Bereich mit zwei eckigen Stützen, der sich um die Gebäudeecke, wo die Toiletten sind, bis zum verglasten Eingang des Warteraums zieht. Dieser ist nicht besonders groß, hat aber eine große Fensterfläche zur bahnsteigabgewandten Seite.

Auf dem Boden sind wie schon im offenen Bereich rote Fließen mit je zwei abgerundeten Formen aus mehreren parallelen Linien, die zwischen zwei der Seiten verlaufen und einander in der Mitte fast berühren. Für sich genommen ist das einfach ein Ornament, aber zusammengefügt ergeben sie lange und vielfältige geschwungene Muster, die ob des Orts sogleich an Eisenbahnstrecken denken lassen.

Ungewöhnlich für einen Bahnhof dieser Größe ist der Tunnel, der von einer Treppe unter dem Vordach bis zum zweiten Bahnsteig führt. Sowohl die Umrandung der Treppenöffnungen als auch die Tunnelwände sind mit kleinen quadratischen Kacheln in einem gelblichen Grün verkleidet. Über der Treppen und einen weiteren Teil des zweiten Bahnsteigs legt sich ein Dach aus roten stählernen T-Stützen und gelbem Wellblech.

So wirkt der Bahnhof, als sei er für viel größeren Betrieb, als dort je herrscht, für die nie eingetretene Zukunft, bereit.

Wie in tschechoslowakischen Bahnhöfen traditionell üblich gibt es reichlich Blumen und Pflanzen.

Sie sind zwischen den geschlossenen Schaltern, wo deren steinernes Pult zur spitz in den Raum ragenden Fläche wird, unter der hinter silberner Verkleidung eine Heizung ist, in runden Bottichen in Metallständern auf den Bahnsteigen und auf dem Dach des Flachbaus vor den Fenstern der Wohnung, wo somit eine begrünte Dachterrasse entsteht.

Eine Grünanlage ist selbstverständlich auch zwischen den beiden Bahnhöfen.

Vielleicht ist es nur Zufall, daß die beiden Bahnhöfe hier Seite an Seite stehen, vielleicht gehören solche Nebeneinander aber auch zum Genius Loci von Kostelec u Jihlavy. So besteht die namensgebende Kirche (kostel heißt Kirche, das –ec könnte ein alter Diminutiv sein) ebenfalls aus einem älteren und einem neueren Teil. Der ältere ist gotisch, niedrig, aber recht lang, hat tief in den dicken Wänden liegende spitzbögige Fenster und ein zierliches Portal mit aus dem Stein gehauenen Säulen.

Der neue ist barock und auf beinahe quadratischem Grundriß deutlich höher.

Fast ist er vor allem ein Turm, der seinen Giebel und den eigentlichen hölzernen Turmaufsatz mit fließend aufsteigenden Wölbungen der Umgebung entgegenstreckt, wobei ersterer heute von einem Baum verdeckt ist. Anders als die Bahnhöfe sind die Kirchen jedoch baulich und durch ihren weißen Putz verbunden. Ein weiteres Nebeneinander ist das des Orts und seines bekanntesten, größten und einzigen Betriebs, der Fleischhersteller Kostelecké uzeniny, der deutlich abseits liegt.

Links der Ort, rechts der Betrieb

Bei den Bahnhöfen jedenfalls ist es gut, daß sie nebeneinander stehen, denn im direkten Vergleich sieht man schön, wie viel freier und schöner die fortschrittliche Architektur des tschechoslowakischen Sozialismus ist als die der k.u.k Monarchie.