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Iserlohn im Weltall

Über Anime weiß ich ebensowenig wie über Iserlohn. Jenes ist irgendwie Zeichentrick aus Japan, dieses liegt irgendwo in Westdeutschland – mehr hätte ich bis vor einiger Zeit nicht zu sagen gewußt. Doch seit es sich ergab, daß ich mir alle 110 Folgen der Animeserie mit dem englisch übersetzten Titel „Legend of the Galactic Heroes“ (oder, wie es im Vorspann noch größer als der japanische Originaltitel in zweifelhaftem Deutsch heißt: „Heldensagen vom Kosmosinsel“) ansah, kann ich Anime und Iserlohn nur noch zusammen denken, denn einer der wichtigsten Orte dort ist eine Raumstation namens Festung Iserlohn.

Der deutsche Name ist kein Zufall, da eine der beiden Weltraummächte der Serie, das Galaktische Reich, ein Feudalstaat voller deutscher Titel und Namen ist, dem die englischsprachige, aber multiethnische demokratische Allianz Freier Planeten gegenübersteht. Was in dieser Zusammenfassung etwas lächerlich klingen mag, ist die vielleicht beste und realistischste Meditation über Krieg und Politik, die je im Fernsehen zu sehen war. Das Großartige an ihr sind nicht die großen Schlachten, sondern die vordergründig langweiligen Szenen, in denen unzählige Charaktere in Gesprächen das Geschehen kommentieren, oft in einem Café oder einer Bar. So entsteht ein Mosaik verschiedener Sichtweisen, in dem auch die Helden immer hinterfragt werden und klare Grenzen zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch sich bald als illusorisch herausstellen.

Ein Raumschiff im Landeanflug auf die Festung Iserlohn

Das mehr oder weniger schlechte Deutsch wirkt bald ganz natürlich, denn das Galaktische Reich ist keine ins Weltall versetzte Version irgendeines konkreten deutschen Feudalstaats, sondern etwas völlig Eigenes. Genausowenig sind seine Paläste und Fachwerkhäuser einfach wie ihre realen Vorbilder. All die Photos, die japanische Touristen seit den sechziger Jahren in den idyllischsten westdeutschen Städtchen und anderswo in Europa gemacht haben, sie kamen im Anime zurück, aber verändert. Daß die europäische Architektur im Anime, ähnlich wie die Japanmoden des Barock, wenig mit ihren wirklichen Vorbildern gemein hat, verringert ihren Wert nicht, sondern vergrößert ihn. Ein Zerrspiegel zeigt neue Aspekte der Wirklichkeit.

Für die Qualität der Serie ist all das im übrigen belanglos, sie würde auch in japanischem, aztekischem oder irgendeinem anderen Dekor funktionieren, ihr Realismus geht über solche Dinge hinaus. Aber solange ich die wirkliche Stadt dieses Namens nicht kennenlerne, wird Iserlohn für mich im Weltall liegen.