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„Nürnberg muß zerstört werden“

Nürnberg ist eine Stadt, die ich unmöglich unvoreingenommen betrachten kann, denn es ist eine Blasterstadt und die Stadt der Höflichkeitsliga. Wie sehr der Assoziations-Blaster mich auch geographisch beeinflußte, kann man daran sehen, daß ich lange dachte, Bad Radongasenbaden sei ein wirklicher Ort. Wie sehr Höflich mich beeinflußte, ist kaum in Worte zu fassen. Er, nennen wir ihn Michael, war die Stimme meiner Generation. Und seine grundlegende Forderung war: Nürnberg muß zerstört werden. Ich erinnere mich nicht an genauere Argumente, bloß noch an die Information, daß Nürnberg in den Fünfzigern seine Stadtmauer wiederaufgebaut habe, aber bei der Höflichkeitsliga ging es immer mehr um die schiere Kraft seiner Sprache; wer ihn las, war überzeugt, daß Nürnberg zerstört werden muß.

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Keine Bahnfahrt durch Nürnberg, kein Umstieg im dortigen Bahnhof, bei denen ich nicht die bombastische Forderung der Höflichkeitsliga im Hinterkopf hatte. Sie wird dort immer bleiben, auch während ich Nürnberg besser kennenlerne und es mir selbstverständlich gefällt, denn so sehr ich den Wert von Heimathaß und Antilokalpatriotismus verstehe, gefallen mir eigentlich alle Orte („academic inspiration, you gave me none, but you were Michael the lover, the fighter that won“). Unkritische Heldenverehrung würde auch nicht zu meiner Generation, von der ich nur wenige andere Mitglieder kenne, passen und die Höflichkeitsliga wäre leicht abzutun, wenn mir Moral nicht so fremd wäre. Extremer Alkoholismus gehörte einfach dazu, das Abgleiten in den Rechtsextremismus nach 2015 war überraschender, hätte dies aber, wenn antideutsch sich so schnell auf antimuslimisch reduziert, vielleicht nicht sein sollen. Es war eben der Weg Morrisseys, den Höflich Anfang des Jahrtausends kongenial übersetzt hatte. So wie ich keine „Leeds side streets“ werde hinunterrutschen können, ohne Morrissey im Kopf zu haben, ist in Nürnberg für immer die Höflichkeitsliga bei mir.

Aber die Wirklichkeit ist stärker als die stärksten Worte.