In den zersiedelten Weiten von Perchtoldsdorf, zwischen unzähligen Einfamilienhäusern, fernab des alten Dorfs am Hang des Wienerwalds, steht die Kirche Maria Königin.
Eine einfache Halle mit Satteldach, das aber von außenliegenden Pfeilern und Streben getragen wird, so daß der Eingang weit zurückgesetzt sein kann. Im vorderen Teil eine flache Verbindung zum Turm rechts.
Die Seiten des Turms bestehen aus glatten Betonplatten, neben denen an den Breitseiten noch Öffnungen ins Treppenhaus sind. Oben schließt ihn ein leicht überstehender Glockenraum mit dünnen horizontalen Holzlamellen und ein mittiges kupfernes Kreuz ab.
Man kann in den äußeren Pfeilern Bezüge auf die Gotik und im abgesetzten Turm Bezüge auf die Campanile der italienischen Renaissance sehen.
Man kann die den schachbrettartig angeordneten Fensterschlitzen der rechten Wand und anderen Öffnungen zu verdankenden Lichteffekte im Inneren bewundern.
Aber es genügt auch, festzustellen, daß es ein typischer katholischer Kirchenbau aus den Sechzigern ist. Inmitten des damals neuen Einfamilienhausgebiets gelegen, wollte die Kirche sicher gerne sein Zentrum sein. Der Turm war geradezu ein Ausgleich dafür, daß das alte Perchtoldsdorf von einem säkularen Wehrturm bestimmt ist. Hoch ist er deshalb, was besonders an der Schmalseite zu spüren ist.
Nicht nur architektonisch sprechen Turm und Kirche zur Umgebung. Unter dem Glockenraum sind an allen Seiten Uhren und dazu an den Breitseiten die in den Beton vertieften Worte: „Es ist später als du denkst“.
Übertragen verstanden ist das recht bedrohlich, konkret verstanden weckt es Zweifel daran, ob die Turmuhren denn richtig gehen, und das unwillkürliche Bedürfnis, sich mit einem Blick aufs Handy zu vergewissern.
Außerdem ist links über dem Eingang ein großes steinernes Schild über die Geschichte der Pfarre Perchtoldsdorf.
In seiner Relieffläche oben links eine medaillenartige Darstellung des Bischofs Ulrich II. von Passau, der die Pfarre gründete, unten rechts das Wappen des Erzbischofs von Wien, der die neue Kirche weihte, und auf zwei hervorgehobenen Linien die Namen der damaligen Kirche, Unserer lieben Frau, und der der neuen Kirche, Maria Königin. Dazwischen die Aussage, daß Perchtoldsdorf 750 Jahre nach der Gründung seiner Pfarre, im Jahre 1967, „neuerlich unter den Schutz der Muttergottes gestellt“ werde. Dieses Gefühl der Kontinuität über die Jahrhunderte hinweg, dieses Denken in enorm langen Zeiträumen, das in diesen Worten behauptet wird, beeindruckt und paßt gut zu dem, was die katholische Kirche sein will.
Geradezu unglaublich jedoch ist, daß der Wiener Erzbischof, der die Kirche damals Maria Königin weihte, Franz König hieß. Man müßte schon sehr naiv oder gläubig sein, um das für einen Zufall zu halten. Franz König genoß es sicher, eine Kirche indirekt nach sich selbst zu benennen und sich mit Maria, die seinen Nachnamen mit dem archaischen weiblichen Suffix bekommt, verheiratet zu fühlen. Ein solches Selbstbewußtsein eines Kirchenfürsten paßt auch gut zum Katholizismus. Denn was, wenn nicht strenge Hierarchien, in der sich ausreichend Hochgestellte jeden Spaß und auch sonst alles erlauben können, macht ihn aus?
Heute, da sich die mit dem zweiten vatikanischen Konzil begonnene Protestantisierung der katholischen Kirche fortgesetzt hat, wäre das wohl nicht mehr möglich. Und auch damals schon war es egal. Die Kirche will zwar ein Zentrum sein, aber sie ist es nicht, da an ihrem kleinen Platz bloß noch eine Schule und ein Kiosk sind. Die einzigen Zentren, die Suburbia kennt, sind Einkaufszentren. Maria Königin und Franz König sind in ihrer Kirche so verloren wie all ihre Nachbarn in den Einfamilienhäusern. Es ist später, als sie denken.