Archiv für den Monat Dezember 2021

Von den Wundern der Wallanlagen: Ein Platz

(Die Hamburger Wallanlagen, dieser grüne Park inmitten der backsteinernen Enge der Stadt, sind voller Wunder. Um die soll es in dieser Reihe  gehen.)

Ein kleiner quadratischer Platz in der Wiese seitlich des Wegs durch den Park, aber deutlich abgehoben von ihr, im grauen Waschbeton des Bodens schwarzes Steinmuster, das eckige Spiralen bildet, bei den Ecken quadratische Steine, die durch eine unsichtbare Stütze in der Mitte wirken, als ob sie niedrig über dem Boden schwebten und tatsächlich teilweise über die Platzfläche hinausragen. Vom Weg führen links wenige dünne Betonstufen, die ebenfalls zu schweben scheinen, auf den Platz.

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In der Mitte der ihn rechts neben dem höheren Teil der Wiese begrenzenden Bruchsteinwand ist ein kleiner Brunnen mit Becken, während sich links nach ihm eine schmale Rinne durch die abfallende Wiese schlängelt. Rechts am Ende der rückwärtigen Betonwand, die links eine horizontale Lücke hat, ist eine weitere Treppe aus dünnen Betonstufen und eine entsprechende Plattform, deren Schweben das Spektakulärste des ganzen Platzes sind, obwohl oder weil zu sehen ist, wie sie nur an der Wand befestigt sind und unwahrscheinlich weit vorragen. An den drei von Weg, Steinmauer und Betonmauer umgrenzten Seiten sind um die Platzfläche schmale Beete mit schwarzem Schotter, aus dem Farne und niedrige Sträucher und ein einziger von Schlingpflanzen umschlossener Baum wachsen.

Dieser Platz hat eigentlich keinerlei Zweck, er ist ein abstraktes Kunstwerk in geometrischen eckigen Formen, das betreten werden kann, aber niemals muß, und dessen altarartige Steine wohl zum Sitzen genutzt werden können, aber dafür ungleich weniger geeignet sind als all die anderen Bänke des Parks. Aber er ist schön und als entschieden unnatürlicher Ort inmitten  der Natur und verbunden mit ihr ein guter Stellvertreter des gesamten Parks.

Dąbrówka Malborska

Daß die außergewöhnliche, aus Beton mit eingefügten Trinkgläsern und Blumentöpfen gestaltete Friedhofskapelle in Dąbrówka Malborska nichts Neues, sondern Teil einer langen Tradition ist, zeigt direkt neben dem Friedhof die neogotische Backsteinstele, mit der südlich von Malbork gelegene Ort erst wirklich beginnt. Sie besteht aus einem unteren quadratischen Teil mit abschließenden giebelartigen Dreiecksformen, einem auf diesem sitzenden fast identischen schmaleren Teil, der so versetzt ist, daß seine Ecken zu den Spitzen der Giebel zeigen, und einem abschließenden Betonkruzifix. Mit abgerundeten Steinen, die die Ecken säulenartig auflösen, schwarzen Klinkern, die Kreuze und andere Muster bilden, und blumenähnlichen Tonkreuzen auf den Giebeln ist sie ein industrielles Produkt ihrer Zeit und gehört in einen preußischen Katholizismus, der letztlich immer auch polnisch war.

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Unten steht in Keramikkacheln, die sich nicht übermalen lassen und die anders zu zerstören offenkundig nie jemand ein Interesse hatte: „Gekreuzigter Herr Jesu/Erbarme dich unser!/1902.“

Denn ob nun Deutsch oder Polnisch die offizielle Sprache war, Dąbrówka war vor allem katholisch.

So führt die gerade Hauptstraße zwischen den Höfen des Orts sanft hinab und zur Kirche wieder etwas hinauf, um rechts einen Bogen um sie zu machen.

Sie steht in der Mitte des Orts und an seinem höchsten Punkt, aber sie thront nicht über ihm oder dominiert ihn, da sie dazu gar keinen Grund hat. Sie ist ein einfacher Bau mit großen Fenstern und Satteldach, aber auch mit großen, erst geschwungenen, dann dreieckigen Giebeln. Der gelbe Putz ist durch Rillen in verschiedene Felder unterteilt und am auffälligsten sind darin Reihen kleiner Dreiecke, die links und rechts im Giebel die dortigen Felder zu tragen scheinen.

Es gibt keinen Grund, den Stil der Kirche nicht barock zu nennen, auch wenn die erste Zahl ganz oben im straßenseitigen Giebel, 1803, das Baujahr und die folgenden, 1929 und 1959, wichtige Renovierungen anzeigen mögen. Kleiner in einer Fensternische steht noch 1988 und seitdem ist das Gebäude unverändert.

An der einen Breitseite der Kirche entlang geht der Weg zum neueren backsteinernen Pfarrhaus, vorbei an den Gräbern einiger Pfarrer, und zum hölzernen Glockenturm. Unter den Gräbern ist auch das des 1940 verstorbenen Pfarrers Franz Biernath und seiner 1931 verstorbenen Mutter Elisabeth, der wohl der vorletzte Deutsche in dieser Rolle war.

Der Turm ist mit schräg ansteigenden Wänden und verzierten Balken unter dem offenen überstehenden Dach ein aufwendigeres Beispiel dieses Gebäudetyps, der immer etwas von einem Provisorium hat.

Auf der anderen Seite der Kirche ist ein Grünbereich mit hohen Bäumen und nur wenigen Gräbern am Rande. Darunter ist das des 1979 verstorbenen Pfarrers Klemens Majewski, das auf der rechten Platte die Daten, auf der linken aber auf Polnisch und Latein das Zitat „Nie umrę lecz będę żył“/„Non moriar sed vivam“ (Ich werde nicht sterben, sondern leben) und in der Mitte ein Kreuz hat.

Vielleicht war er es, der die Friedhofskapelle schuf oder anregte. Neben dieser ist der nahe Marienschrein aus zusammengeklebten Steinen konventionell, da so etwas nicht nur in Polen oft gebaut wurde.

Die halbabstrakten Glasbilder in den Fenstern stammen wohl aus den Siebzigern und fügen sich gut in das zurückhaltende Gebäude ein.

Denn in Dąbrówka Malborska war der Katholizismus eben stärker als die Brüche der Zeiten und wo Kontraste sein könnten, ist eine harmonische Einheit, sanft und idyllisch wie die umliegenden Hügel. Das heißt nicht, daß das Dorf nicht auch alles für ein säkulares Leben hat. Es gibt einige ältere Backsteinhäuser, neuere verputzte, eine Feuerwache mit betongefaßtem Teich, sogar direkt nach der Kirche einen kleinen Betrieb mit eckigem weißem Schornstein und zur Not ist die Bahnhaltestelle nicht weit.

Aber am Ende des Orts, wo die Straße zwischen zwei Hügeln wie durch ein Tor in Richtung der flachen Żuławy hinausführt, steht wieder eine neogotische Backsteinstele aus ähnlichen Teilen wie die beim Friedhof. Mit einem schmaleren quadratischen Schaft und einem überstehenden Oberteil mit seitlichen Türmchen, hinter dessen Spitzbögen vorne durchs Glas eine Marienfigur zu sehen ist, während an den anderen wohl Inschriften waren, wirkt sie etwas schwerfälliger.

Jesus und Maria rahmen Dąbrówka Malborska und es ist im Katholizismus so eingebettet wie in der Landschaft.

Jesus vor Dąbrówka Malborska

In Dąbrówka Malborska ist der Katholizismus ganz heil und idyllisch.

Die Idylle beginnt mit der Lage in den sanften Hügeln südlich von Malbork. Der Bahnstrecke und dem neugestalteten Haltepunkt verbirgt sich der Ort dadurch, während auf der anderen Seite ein recht langweiliger See umso deutlicher zu sehen ist. Doch es ist auch nicht weit vom Bahnsteig hinein nach Dąbrówka, bloß einige Minuten auf der gewundenen Straße, die die Wellen der Landschaft erleben lassen und den Ort erahnen.

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Der Katholizismus beginnt mit dem Friedhof, der in der letzten Wegbiegung noch außerhalb des Orts liegt, eine aus dem Feld herausgeschnittene rechteckige Fläche unter hohen Bäumen.

Die Gräber stehen dicht an dich und sind interessant besonders, wenn sie Kontinuitäten von Nachnamen von deutsch- zu polnischsprachigen Steinen zeigen wie bei der Familie Starost.

Am Ende der kurzen Allee, bevor sich der Blick auf die zurückliegende Landschaft mit der Bahnstrecke öffnet, steht eine kleine offene Kapelle.

Sie besteht bloß aus einer hufeisenförmigen Mauer und einer hölzernen Dachkonstruktion mit gewellten Eternitplatten, doch was für eine Mauer das ist!

In ihren Beton wurden zur Dekoration auf der Innenseite Blumentöpfe aus Ton und auf der Außenseite Gläser und andere Glasgefäße eingefügt, so daß sie von unzähligen runden Vertiefungen übersät ist.

Es ist keinerlei Regelmäßigkeit in der Anordnung der eingefügten ehemaligen Behältnisse zu erkennen, sie bilden keine Muster, bloß vage Schwerpunkte wie mehr grüne Gläser auf der linken Außenseite und mehr kleinere, oft Schnapsgläser, auf der rechten.

Ebenfalls ohne erkenntlichen Grund sind an das schmale Wandende links Spiegelstücke und an der rechten Innenseite unten einige grünliche Kachelscherben angebracht. Die rechte Wand ist halbhoch nach außen verlängert und in ihr ist oben ein Streifen quadratischer Glasbausteine mit Kreuzrelief, die damit das einzige speziell für religiöse Bauaufgaben gedachte Element der ansonsten völlig aus den profansten Materialien improvisierten Kapelle sind.

Im  abschließenden Halbrund hat die Kapelle schließlich genau das Kunstwerk, das zu ihrer Architektur paßt. Auf einem dunkelblauen und goldenen, im Putz gleichsam in Falten gelegten Hintergrund ist aus Stuck (?) eine große Jesusfigur mit ausgebreiteten Armen und weitem weißem Gewand dargestellt. Die segnend erhobenen Hände sind flache vorstehende Flächen, der Kopf ist ikonenartig von einem goldenen Kreis umgeben, die Haare und der Bart sind aufgeklebtes faseriges Material und nur das Gesicht ist gemalt.

Doch da ist noch mehr. Auf den Hintergrund geklebt und von der blauen Farbe überdeckt sind links ein größeres Kruzifix und rechts ein kleineres, was den Jesus verdreifacht. Auf schmalen Sockeln stehen links zwei puppenartige schwarze Engel und rechts eine Maria.

Es ist sehr leicht, dieses Kunstwerk als dilettantisch und geschmacklos abzutun, sogar das Gesicht erinnert an das spanische Jesusgesicht, das vor Jahren als verpfuschte Restaurierung durch die Medien ging. Doch wie bei dem spanischen Beispiel übersehen wurde, daß die neue Version immerhin besser war als die belanglose akademistische Malerei des 19. Jahrhunderts, die es ersetzte, ist auch bei dem Jesus von Dąbrówka das einfache Urteil das falsche. Vielmehr handelt es sich um volkstümliche Kunst oder aber um Outsider Art. Daß sich jemand – man sagt, der damalige Priester – die Mühe machte, diesen Jesus zu schaffen, statt einfach eine Figur zu kaufen, zeugt von der Lebendigkeit des Katholizismus in diesem Ort.

Genauso ist es mit der gesamten Kapelle. Während der Jesus klare Bezüge zur gängigen katholischen Ikonographie hat, ist sie ein gänzlich originelles Gebäude, auch wenn es eine Nähe zur in Polen nicht seltenen Verwendung von Bruchkeramik zur Fassadengestaltung oder Mosaikbildung aufweist. Von hinten betrachtet erinnert die in runde Vertiefungen aufgelöste Betonrundung gar diffus an afrikanische Lehmhütten.

Diese improvisierte Architektur, die mit einfachen Mitteln einen dekorativen Effekt erzielt, konnte nur in einer Zeit entstehen, als weder Polen noch seine Kirchengemeinden reich waren. Not macht erfinderisch, besagt die wahre Platitüde, und jeder Religion tut es gut, keine unbeschränkten Möglichkeiten zu haben. Der heutigen katholischen Kirche in Polen, die auf ganzer Linie siegreich war, würden Werke wie diese Kapelle nicht mehr gelingen. Es gibt zwar noch das Bedürfnis, all dem Katholischen noch mehr hinzuzufügen, aber das Ergebnis wird immer zu groß, zu protzend sein, wie das bei Siegern oft so ist. Es käme zudem von anderswo, während diese Kapelle auf den Hügeln von Dąbrówka selbst erwuchs.

Straße aus der Vergangenheit

Mitten in einem Feld abseits des Damms der Motława, kurz vor Wróblewo, an einem betongepflasterten Weg, steht ein kleiner Schuppen aus Blech.

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Er hat durch das Material und die Einwirkungen von Zeit und Wetter (die nicht zufällig in manchen Sprachen mit ähnlichen Worten bezeichnet werden) eine vage rostig graue Farbe, doch im oberen Teil der Rückwand steht auf teils grünem Grund groß und deutlich in Weiß Świbno mit einem Pfeil nach oben, Gdańsk mit einem Pfeil nach links und Elbląg mit einem Pfeil nach rechts, dazu bei beiden letzeren E81 in einem eckigen Rahmen.

Ein Verkehrsschild also und eines aus der Umgebung, aber nicht ganz von hier, eher aus Cedry Wielkie oder Kiezmark. Es muß aus der Zeit vor 1985 stammen, da in diesem Jahr die von der Trójmiasto über Warschau an die sowjetische Grenze führende E81 neue Namen bekam. Daß es zum Teil dieses Schuppens wurde, ist Recycling, das dieses Wort nicht brauchte, da es in einem nicht reichen Land normal war. Daß es aber an dieser Stelle so gut sichtbar und lesbar angebracht wurde, das war eine gleichsam künstlerische Entscheidung. Jemand ahnte offenbar, was für eine eigenartige Wirkung es haben würde, hier inmitten der ländlichsten Żuławy die Namen der sie im Westen und Osten rahmenden Großstädte und des Touristen- und Fischerorts am Meer bei der Mündung der Wisła (Weichsel) zu lesen und an einem kleinen, bald endenden Weg die Nummer der wichtigen Fernstraße.

Daß er sich damit nur an die Felder bestellenden Bauern, wie er vermutlich selbst einer war, und seltene Spaziergänger auf dem linken Damm der Motława richtete, macht die künstlerische Geste nur noch wertvoller.

Vítkovice nad Vislou

Eigentlich liegt Vítkovice nicht an der Wisła (tschechisch Visla, deutsch Weichsel), sondern ist ein Stadtteil von Ostrava, das an der Odra (polnisch Odra, deutsch Oder) liegt. Aber Stadtteil ist in Bezug auf Ostrava ein nur halb zutreffender Begriff, denn was heute Ostrava ist, war bis etwa 1920 viele Städte und Ortschaften und ist noch heute keine Stadt im klassischen Sinne, darin etwa dem zur selben Zeit entstandenen Berlin vergleichbar.

Vielleicht vor allem ist Vítkovice aber kein Stadtteil und keine Stadt, sondern ein Stahlwerk, eines der ältesten und wichtigsten Tschechiens, Zentrum der Arbeiterbewegung und Stolz des sozialistischen Staats, heute noch immer teilweise in Betrieb. Vítkovice das Stahlwerk hat ein markantes Logo in Form eines über einen Kreis gesetzten Dreiecks, in dem ein V zwischen gekreuzten Hämmern oben und der Zahl 1828 halb links und halt rechts ist. Wie der in Großbuchstaben geschriebene Name, der meist darunter steht, ist es weiß auf dunkelblauem Grund.

Man sieht dieses Logo überall in der Tschechoslowakei und paradoxerweise gerade in ländlichen Gegenden, da es auf dem blauen Stahlblech der dort aufragenden walzenförmigen Getreidespeicher prangt.

In Smrečany vor der Hohen Tatra (Bilder zum Vergrößern anklicken)

Ein solcher Getreidespeicher ist es auch, der Vítkovice an die Wisła bringt, ganz in den Norden, ganz nah an ihre Mündung in die Ostsee. Er ist das mit Abstand höchste Bauwerk in der flachen żuławischen Landschaft, höher als der Damm der Wisła, fast so hoch wohl die bewaldeten Dünen am Meer. Egal, ob sich die Landschaft in sommerlichem Grün oder in winterlichem Gelbgrau und Weiß zeigt, das Blau der Silos hebt sich von ihr und von allen Blautönen von Fluß und Himmel ab.

Bereits vom Damm am linken, westlichen Ufer der Wisła sind sie nicht zu übersehen, weil es eben so wenig anderes zu sehen gibt.

Entsprechend besser sind sie vom Damm am rechten, östlichen Ufer über die Felder und neben einigen verstreut darin liegenden Höfen mit roten Backsteingebäuden und hohen Bäumen zu sehen.

Zwei etwa parallel zueinander stehende Reihen dunkelblauer Silos, die eine aus vier höheren und fünf etwas niedrigeren bestehend, die andere aus acht gleich hohen.

Vom flachen Land im Osten sind sie wenig gut sichtbar, da Bäume sie bald verdecken. Auch von der Landstraße durch das Dorf Przemysław fallen sie hinter den neuen Einfamilienhäusern kaum auf.

Die Silos verbindet nichts mit Przemysław, auf dessen Gebiet sie stehen, wie auch die an der unangenehmen Landstraße verstreuten Häuser kaum einen Ort ergeben. Ganz am Ende zweigt eine Betonstraße ab, die zu dem Getreidespeicher führt.

Je näher man kommt, desto mehr Details erkennt man: das offene Stahlgerüst links der Siloreihen, die sie oben verbindenden Brücken, die trichterförmigen Abschlüsse und leicht schrägen V-Stützen unten. Zudem gehören zu dem Komplex noch viele niedrigere Bauten, ein niedriger Backsteinschornstein und einige kleinere weiße Silos, wie sie manchmal bei Höfen anderswo in den Żuławy zu finden sind. Die Straße biegt vor das Gelände und parallel zu dem Getreidespeicher ab und endet mit ihm. Es gibt einige Tore, deren Flügel mit von der äußeren oberen Ecke abfallenden, dann gerade verlaufenden, schließlich zur Mitte wieder leicht ansteigenden Blechfeldern und ansonsten vertikalem Gitter gestaltet sind.

In der Mitte ist der Haupteingang, hinter dem eine Erschließungsstraße rechts an einem niedrigen Pförtnerhäuschen, einem Verwaltungsgebäude und den niedrigeren Silos und rechts an einem langgestreckten Bau mit Pultdach und den beiden hohen Siloreihen vorbeiführt.

Sympathischerweise haben alle drei Getreidespeicher weibliche Namen, die in großen Buchstaben auf ihnen stehen: Danka und Renia die hohen, Baśka der niedrigere. Es sind Diminutive, was mit der Größe der Anlagen kontrastiert, und fast ist schade, daß sie polnisch und nicht tschechisch sind. Denn über allem steht der Name Vítkovice mit seinem Logo, über allem ist die Tschechoslowakei. Beides ist nun nicht mehr nur an der Form und Farbe der Silos zu erahnen, sondern direkt zu lesen.

Weitere Worte gibt es nicht mehr, keine Schilder; alles steht leer.

In den Achtzigern wurde die Anlage mit Hilfe tschechoslowakischer Arbeiter errichtet und hätte ein PGR (Państwowe Gospodarstwo Rolne, etwa einem Volkseigenen Gut in der DDR entsprechend) werden sollen. Während der Getreidespeicher noch lange genutzt wurde, wurden die bereits gebauten Rinderställe nie in Betrieb genommen und wer weiß, wie viel Geplantes nie auch nur errichtet wurde. Was eine durch brüderliche Hilfe der Tschechoslowakei geschaffene Perle des polnischen Sozialismus hätte werden können, Symbol ganz anderer, in die Zukunft strebender Żuławy, verfällt im polnischen Sozialismus.

Aber zu sehen sind die dunkelblauen Silos noch immer und dank ihnen liegt Vítkovice auch ein wenig an der Wisła.

Erkundungen auf Friedhöfen: Bei der Kirche von Büdesheim

Um alle Dorfkirchen waren jahrhundertelang auch die Friedhöfe und obwohl sie es zumeist nicht mehr sind, verblieben doch zumeist einige Grabsteine, zumeist aus dem Barock. Das ist auch bei der Kirche von Büdesheim in der Wetterau nicht anders, obwohl an sie, die ungewöhnlicherweise außerhalb des Dorfs stand, noch immer der Friedhof anschließt.

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Genauer gesagt sind es sogar zwei Friedhöfe, da am anderen Ende des normalen, öffentlichen Friedhofs unter hohen Bäumen noch der Privatfriedhof der preußischen Adelsfamilie von Oriola, der ab dem späten 19. Jahrhundert das örtliche Schloß gehörte, mit einer riesigen runden Gruft in neoromanischen Formen liegt.

Doch vor der Kirche sind bloß das Kriegerdenkmal an ihrer Wand und einige alte Grabsteine an der Umgebungsmauer. Sie sind wie üblich aus rotem Sandstein, der zwar sehr hübsch, aber auch sehr porös ist, so daß oftmals insbesondere der untere Teil der Grabinschrift fast weggewaschen ist. Oft wären solche Steine durch eine kundige Restaurierung zu retten, oft wurden sie wohl auch wie die Kirchen irgendwann restauriert, dann aber wieder ihrem Schicksal überlassen. In dieser Hinsicht ist Büdesheim vorbildlich: jeder der 1992 restaurierten Steine hat ein kleines Blechdach und ist dadurch noch immer lesbar.

Diese äußerst naheliegende Maßnahme ist leider durchaus nicht die Regel. Es paßt, daß sich der Bildhauer Lukas samt der Jahreszahl in einer eigenen roten Platte in der Wand verewigte, denn er kann stolz auf sein Werk und dessen Schutz sein.

Der schönste der Grabsteine ist der letzte in der Reihe und eigentlich nur ein Fragment, der in kleinen Voluten beginnende und ein etwas rundes Feld umrandende Abschluß nämlich, dem der Hauptteil mit der Inschrift fehlt. Sein ungewöhnlich tiefes Relief zeigt oben einen Baum mit mittigem Stiel, dessen aus Halbkugeln stilisiertes Blätterdach den oberen Teil des Bogens füllt, und darunter einen kindlich dicken Engel. Er liegt mit von sich gestreckten Beinen beinahe wie ein echtes Baby, hat in der Hand über dem Körper eine Sanduhr, die er auf das Knie stützt, und um die andere Hand, in die er seinen Kopf stützt, einen Reif, der fast in die Kette mit +-förmigen und in der Mitte rundem Anhänger, die er um den Hals trägt, übergeht. Und auf seinem Gesicht mit den geschlossenen Augen ist ein ungemein glücklicher, seliger Ausdruck, der als Lächeln nur ungenügend beschrieben ist.

Wie viel davon dem Bildhauer aus dem 18. Jahrhundert, wie viel dem Bildhauer Lukas von 1992 zu verdanken ist, wer weiß das zu sagen, aber das Ergebnis ist wunderbar.

Die Verspieltheit und Detailfreude des älteren Künstlers, die der jüngere gewiß so sehr schätzte wie es heute der Betrachter tut, zeigt sich an einem unter dem Po des Engels vorragenden Gänsehals und -kopf und einem kleinen Frosch links vor ihm.

Dank solcher Details ist auch das Fragment des Grabsteins ein vollwertiges Kunstwerk, obwohl es schade ist, nicht zu wissen, zu was für einem Grab es gehörte. Daß die Szene vorgeblich ein Memento Mori ist, das ist heute zum Glück gänzlich unwichtig und war es dem Künstler vielleicht schon damals. Kommende Generationen mögen über den Büdesheimer Engel wieder etwas anderes denken; die gelungene Restaurierung und ihr vorbildlicher Schutz werden jedenfalls helfen, ihn ihnen zu erhalten und mit ihm die Erinnerung an die alten Friedhöfe um die Dorfkirchen.

Turmbau zu Nowy Staw

Nowy Staw die Metropole der südlichen Żuławy zu nennen, ist vielleicht übertrieben, aber es ist neben dem nördlicher an der Autobahn gelegenen Nowy Dwór zumindest die einzige Stadt dieser ländlichen Region und wirkt im Gegensatz zu diesem auch wenigstens kleinstädtisch. Das verdankt es vor allem seinen Türmen, die es schon weither über die flache Landschaft sehen lassen.

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Es sind Kirchtürme, Wassertürme und eine Fabrik, aber das ist von Weitem noch nicht genau zu erkennen. Nach Stunden in den Dörfern und Alleen, zwischen den Kanälen und Feldern der Żuławy würde schon weniger genügen, um Nowy Staw als Stadt auszuweisen.

Aus der Frühzeit der Stadt blieb die riesige backsteingotische Kościół Świętego Mateusza Apostoła (Matthäuskirche) übrig, die deshalb auch schräg und gleichsam verbindungslos zum gesamten späteren Straßennetz steht. Schon ihr Langhaus ist groß, doch vorne sind beidseits von einem eher kleinen Treppengiebel die Ansätze zu zwei noch weit größeren Türmen. Beide haben oben in den Mauern viele Reihen geschlossener Spitzbögen und unten schwarze karoförmige Linienmuster im roten Stein.

Der linke, höhere Turm hat zudem mächtige vielfach abgestufte Strebepfeiler. Wäre er fertiggestellt worden, hätte er eine enorme Höhe erreicht, doch dieser Turmbau zu Nowy Staw blieb Ansatz und beide Türme enden in recht unscheinbaren Holzkonstruktionen, die auch von der spätmittelalterlichen Baustelle übriggeblieben sein könnten.

Da sie nicht in die Höhe wachsen konnte, gab sich die Kirche an der linken, zur Ecke des Platzes geöffneten Seite zumindest ein Portal mit Treppengiebel und setzte auch auf die untere Stufe der Strebepfeiler des Turms giebel- oder zinnenartige Blenden.

Der Platz ist ungewöhnlich lang und schmal, was auf einen Ursprung in einer Straße hindeutet, doch man merkt das nicht sogleich, da in seiner Mitte eine zweite Kirche steht und ihn in zwei Hälften teilt. Sie, einst evangelisch gegenüber der älteren katholischen Kirche, ist ein neogotischer Backsteinbau, deren falsche Gotik allerdings nichts mit der echten nebenan zu tun hat.

Vorne steht ein hoher und schlanker achteckiger Turm aus hellem Backstein, dahinter ist angeschlossen durch einen flachen Verbindungstrakt ein Saal mit hohen, aber schmalen spitzbögigen Fenstern und Satteldach, auf dessen Giebelseiten an den Ecken und oben Kreuze und unklar blumenartige Tongebilde stehen.

Statt in dieser englisch angehauchten Neogotik könnte der Bau auch in beliebigen anderen Formen geschmückt sein, da er nichts grundsätzlich Gotisches hat. Wie er gänzlich frei mitten auf dem Platz steht, ihn zustellt, zeugt von einer beinahe kolonialen Dreistigkeit.

Die Stadt um diese zwei Kirchen ist nicht groß. Am Platz haben die Häuser selten mehr als zwei Geschosse, in der einen neben der alten Kirche auf den Platz führenden und in den beiden an seinem anderen Ende wieder wegführenden Straßen sind sogar oft nur eingeschossige und teils winzige Häuser.

Links neben dem Platz verlaufen zwei Parallelstraßen und in der äußeren stehen auf der einen Seite einige Villen, unter anderem eine in für die Region erstaunlich reinem Jugendstil, und auf der anderen bereits Bauernhöfe, hinter denen unmittelbar die offene żuławische Landschaft beginnt. Rechts abseits des Platzes in die Stadtstruktur durch Ausfallstraßen und den früheren Bahnhof weniger klar, hier stehen auch zwei backsteinerne Wassertürmen, die vorgeben, zu gotischen Stadtmauern zu gehören.

Ein weiterer stadtprägender Bau steht noch vor der zum Platz führenden Straße, wo an einem Bogen des Flüßchens Święta ein kleiner Park und jenseits von ihm Fabrikanlagen sind. Es ist ein Industriebau, eine Mälzerei, aber sein hoher backsteinerner Körper ist, obwohl unverkennbar ein eckiger Klotz, mit großen Spitzbögen gestaltet, als sei er ebenfalls eine gotische Kirche. Der mittige Schornstein ist kaum höher als das Gebäude selbst und hat eine große geschwungene Dunsthaube aus Eisen, die in diesem Kontext wie die Fratze eines gotischen Wasserspeiers wirkt. Neogotisch ist auch die Mauer um das Gelände gestaltet und angesichts all der spitzbögigen Tore und Nischen würde wirklich nicht erstaunen, wenn sich hinter ihr ein Friedhof und keine Fabrik befände.

In der sozialistischen Zeit wurde hinter einem Tor mit neuem rechteckig gemustertem Gitter ein verglaster Vorraum zugefügt, jetzt steht das Areal lange leer, wie das aus der Frühzeit des restaurierten Kapitalismus stammende Blechschild einer „Elbrewery Company Ltd“  zeigt.

Eigene Dominanten fügte der Sozialismus dem Panorama von Nowy Staw nicht hinzu und auch das, was er am Platz baute, ist zumeist unauffällig. Eine Ausnahme ist das Kaufhaus Sokół direkt in der bei der alten Kirche liegenden Ecke des Platzes. Von einer niedrigen Terrasse umgeben, hat es im Erdgeschoß Schaufenster und im Obergeschoß vorgesetzte vertikale Streben mit silberner Metallverkleidung, die es monolithisch wirken und in der Sonne glänzen lassen.

Es ist nur ein konventioneller Bau, Teil der Blockrandbebauung, wie er es auch in einem bürgerlichen Staat wäre, aber für eine so kleine Stadt wie Nowy Staw ist er viel und dank seiner Lage ist er unübersehbares Symbol des Neuen zwischen den beiden Kirchen.

Wertvoller für die Stadt sind jedoch die unauffälligeren Veränderungen rechts des Platzes. Die Hinterhöfe wurden hier weigehend durch querstehende dreigeschossige Gebäude und große Grünflächen ersetzt. Zum Einsatz kam ein ungewöhnlicher Gebäudetyp, der abwechselnd drei Geschosse mit Flachdach und zwei Geschosse mit Satteldach hat.

Falls das irgendwie historistisch gemeint gewesen sein sollte, wird es sogleich durch die wabenartig vorgesetzten Balkone mit Seitenwänden, Decken und Geländern halb aus Gittern und halb aus Beton, die gänzlich modern wirken, ausgeglichen.

Diese Gebäude leiten vom Platz zu frei in den Grünflächen stehenden fünfgeschossigen Würfelhäusern über, so daß viel von der besten neuen Wohnbebauung direkt neben dem alten Stadtzentrum ist.

Hier könnte der Ansatz zu einer wahrhaftigen Metropole der südlichen Żuławy sein, der Turmbau zu Nowy Staw, den die alte Kirche begann, könnte in einiger Entfernung von einem Wohnhochhaus vollendet werden. Dazu kam es nie, der Sozialismus ging vorbei, der neue Kapitalismus fügte Nowy Staw wenig hinzu, aber eine hübsche kleine Stadt ist es allemal.

Ein Haus in Rosa

Manche Einfamilienhausgegenden haben ihren Star, ein Haus, das einfach durch irgendetwas zwischen den anderen heraussticht. In Antwerpen, im Stadtteil Linkeroever, am namensgebenden linken, anderen Ufer der Schelde, in der Gloriantlaan (Gloriantallee) ist ganz eindeutig, welches Haus dieser Star ist.

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Es hat ein überstehendes Satteldach wie seine Nachbarn, doch dieses ist aus Beton, führt nach hinten weiter nach unten, steigt nach vorne, zur Straße, hin noch einmal an, um die Fassade abzuschließen und die blaue Farbe seiner Unterseite ist markanter als die dunklen Dachziegeln seiner Oberseite. In die Backsteinwand der linken Seite sind die Treppenhausfenster in drei beide Geschosse überspannenden Betonrahmen, die bis in die Giebelfläche ragen, eingefügt. Vorne ist in der rechten Hälfte ein großes Fenster im Erdgeschoß und im Obergeschoß vor einem ebensogroßen Fenster ein leicht vorragender Balkon mit schwarzem Eisengitter. Seitlich sind um diese Hälfte Backsteinstreifen, zwischen den Fenstern und über dem oberen aber horizontale Streifen aus roströtlich schimmerndem Schiefer. In der linken Hälfte ist unten der gläserne Eingang in einem Betonrahmen und oben eine schräg nach links oben breiter werdende Fläche mit kleinen rosa Kacheln, in die manchmal einzelne goldene gemischt sind. An ihr hängt ein Kunstwerk aus eisernen Umrissen, das eine Meerjungfrau mit einer Schriftrolle und zwei kleine Fische zeigt.

Rechts ragt quer aus der Dachschräge eine breite weiße Schornsteinwand auf, deren Verlauf an der rechten Seite wieder mit den rosa Kacheln verkleidet ist, während der übrige Teil der Wand aus Backstein ist.

Das ist das Haus, gar nichts Besonderes in der grundlegenden Form, aber mit wohlgewählten Materialien verkleidet und von dem Kunstwerk gekrönt.

Sowohl der rötliche Schiefer als auch die rosa Kacheln mit den goldenen Akzenten finden sich in der Ladenarchitektur der Innenstadt, fern am anderen Ufer, wieder und es ist möglich, daß für sie derselbe Architekt verantwortlich war, der hier, am Rande, dieses Haus errichtete, vielleicht für sich selbst.

So ist es der Star der Straße, einer wenig befahrenen Allee, an der gegenüber ein Platz mit Blockrandbebauung ist und zur einen Seite schon die Wohnhochhäuser des Sozialbaus und zur anderen die der Wohlhabenden zu sehen sind.