Archiv für den Monat Juli 2020

Turiner Einzelheiten: Gelb, Blau und Rot

Fast hätte man dergleichen in Turin nicht mehr erwartet: drei lange zehngeschossige Wohngebäude, im Erdgeschoß durchweg aufgestützt, zu dem Beton der Balkone, Schmalseiten und vorgesetzten eckigen Aufzugstrakte, die in kubischen Aufbauten enden, einmal gelber, einmal blauer, einmal roter Putz. Es sind Gebäude wie man sie in anderen Teilen Europas kaum bemerken würde, die hier aber fast vollständig fehlen.

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Blau und Rot stehen parallel zueinander, Gelb quer zu ihnen, so daß es mit Rot etwa eine T-Form bildet. Zwischen und um die Gebäude ist tatsächlich etwas öffentlicher Raum, doch er macht nur einen Bruchteil der Gesamtfläche aus.

Zwischen den Stützen, unter den Gebäuden, sind nie öffentliche Wege. An Gelb vorbei kommt man in eine langgestreckte schmale Grünanlage zwischen Blau und Rot, die sich zur Via Giovanni Pacini (Giovanni-Pacini-Straße) öffnet. Doch vor Rot ist ein weit größerer und üppigerer umzäunter Garten, während vor Blau hinter einer niedrigen Betonmauer ein kahler betongepflasterter Bereich ohne klaren Nutzen ist.

Sogar hier also, wo die Gebäude aussehen wie anderswo, wo sogar Beton zu sehen ist, wo auch keine Blockrandbebauung mehr ist, war das italienisch-kapitalistische Bedürfnis nach abgeschotteten privaten Stadträumen und nach nutzlosen kahlen Hinterhöfen stärker als die Architektur, die etwas ganz anderes verlangt.


Die übrigen Turiner Einzelheiten:

Erkundungen auf Friedhöfen: Jüdischer Friedhof Osoblaha

Der jüdische Friedhof ist nicht bloß die größte, sondern tatsächlich die einzige Sehenswürdigkeit in Osoblaha, weil der zweite Weltkrieg von dem alten Städtchen sonst nichts übrig ließ. Das soll nicht heißen, daß es im dezidiert tschechoslowakisch-sozialistisch wiederaufgebauten Osoblaha nicht noch vieles weitere, was des Sehens würdig ist, gibt, aber das ist eben nicht die geläufige Bedeutung von Sehenswürdigkeit.

Wie fast alles andere in dem Ort liegt auch der jüdische Friedhof in der Achse der einzigen Straße in seinem Zentrum, allerdings hinter einem diese abschließenden Wohngebäude, hinter einer parkartigen Grünfläche und inmitten von Kleingärten am Rande, teils schon am Hang des Hügelkamms, auf dem sich das Zentrum befindet.

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Im Sommer ist der Friedhof so ein überaus schöner und angenehmer Ort, der ferne Tod inmitten des Lebens. Ungewöhnlicherweise ist es auch ein jüdischer Ort, der keine direkten Bezüge zur deutschen Judenvernichtung hat, da die Osoblahaer Gemeinde bereits ausgestorben war, bevor ihre Mitglieder ermordet werden konnten, und die Synagoge schon 1933 abgerissen war, bevor der Krieg sie erreichte.

Umso besser ist der Friedhof gepflegt, viele der Grabsteine wurden erst vor kurzer Zeit mit EU-Förderung restauriert und erstrahlen in Weiß. So hat man einerseits Bilder, die vom Alter des Friedhofs zeugen – halb in der Erde versunkene Grabsteine, halb von einem Baum aufgefressene Grabsteine – kann aber andererseits die Inschriften gut lesen.

Oder könnte es bei guten Hebräischkenntnissen, denn wie auf allen älteren jüdischen Friedhöfen sind die meisten Inschriften auf dieser Sprache.

Auch so aber kann man sofort formale Gemeinsamkeiten zwischen den Grabsteinen feststellen. Typisch ist für Osoblaha ein aufrechter rechteckiger Teil, der von einem mehr oder weniger regelmäßig halbrunden abgeschlossen ist. Der hauptsächliche Text ist im rechteckigen Teil, aber auch im Bogen des halbrunden sind jeweils noch ein oder zwei Zeilen. Im so umrahmten oberen Feld findet man eine Fülle von Symbolen, die den Friedhofsbesuch auch ganz ohne Sprachkenntnisse lohnenswert machen. Manchmal ist da nur das פנ oder פט der Trauerformel, manchmal wird es von Löwen oder Hirschen gehalten, manchmal ist es bekrönt.

Manchmal sind da die Hände der Kohanim oder der Krug der Leviten, mal hält eine Hand einen Krug.

Alle Symbole kommen mehrfach vor, oft miteinander kombiniert, wodurch erst das Sechseck mit zur Mitte zeigenden Strichen auffällt.

Trotz Bilderverbots ist es eine Fülle von Bildern, die dieser Friedhof darbietet.

Einige neuere Gräber brechen scheinbar mit den formalen Vorgaben der älteren. Die beiden auffälligsten, weil größten gehören Israel und Amalie Reik.

Sie haben Halbsäulen an den Seiten und abgestufte spitze Giebel, denen oben noch  kleinen stilisierte Nachbildungen der Tafeln mit den zehn Geboten – ein vertikales Rechteck mit zwei Rundbögen, mittiger Trennlinie und den Nummern I bis X – aufgesetzt sind. Aber vielleicht ist das den alten Grabsteinen doch verwandter, als es das weiß und sein will, denn Pilaster in zarteren, eher vom Barock kommenden Variationen findet man auch bei diesen.

Manche sind sogar vollständig wie die Gebotstafeln gestaltet, was überzeugender und radikaler wirkt als das Aufpfropfen.

Und innerhalb des großen neuen Grabsteins sind letztlich auch die Umrisse der alten kleinen mit halbrundem Abschluß zu erkennen. Selbst der große Davidstern im oberen Teil, der vorher fast nie vorkommt, ist vielleicht in dem genannten Sechseck vorweggenommen.

Bei einigen anderen Gräbern stehen, wie das ab dem späteren 19. Jahrhundert so üblich ist, Hebräisch und Deutsch mehr oder weniger gleichranging nebeneinander. Fast ironisch wird dieser Wechseln von der Religions- zur Staatssprache dadurch, daß die Jahreszahlen, nicht aber die Monate, oft noch nach dem hebräischen Kalender angegeben sind.

Gestorben 1869

Nur das Grab des „k.k. Steueramts-Praktikanten“ Rudolf Reik hat weder in Sprache noch Symbolik oder Datum jüdische Bezüge und könnte genau so auch auf einem katholischen Friedhof stehen.

Die ungewöhnlichsten Gräber des Friedhofs sind auch die kleinsten und unauffälligsten, die sogar im wenig hohen Gras der gepflegten Anlage fast versinken. Sie sind kleine Obelisken, wie sie auch als Wegweiser an Straßenecken stehen könnten.

Hier dienen sie dazu, auf elegante Weise zwei Sprachfassungen unterzubringen: vorne die deutsche,

rechts die hebräische.

Sie sind so nicht auf derselben Fläche, aber auch nicht auf Vorder- und Rückseite, wie es sich auf anderen Friedhöfen oft findet, sondern über Eck, so daß sie sich je nach Vorliebe zusammen oder getrennt betrachten lassen.

Gestorben 1869

Nach der Textmenge zu urteilen sind sie auch tatsächlich identisch.

Gestorben 1863

Von diesen bescheidenen Obeliskgrabsteinen, die der Ansatz einer neuen formalen Konvention sein könnten, gibt es auf dem jüdischen Friedhof nur drei, wobei einer durch was auch immer gespalten ist.

Es gibt dafür zwei weitere auf dem katholischen Friedhof am Rande des Orts, wo sie jeweils für Kindergräber, was zur geringen Größe paßt, dienen.

Auf indirekte Weise erzählen diese Steine von den Beziehungen zwischen der jüdischen und christlichen Bevölkerung des Orts, da offenbar entweder ein jüdischer Steinmetz auch für den katholischen oder andersherum ein katholischer auch für den jüdischen Friedhof arbeitete, falls es nicht ohnehin nur einen gab. Mit dem Ende der 1860er Jahre endete die kurze Osoblahaer Obeliskmode wieder.

Gestorben 1870

Schließlich gibt es auf Osoblahas jüdischem Friedhof noch ein Grab, das allein seinen Besuch lohnenswert macht und selbst verdient, vielgerühmte Sehenswürdigkeit zu sein. Im Kern ist es wie die typischen Grabsteine des Friedhofs: rechteckiger Teil mit viel Text, halbrunder Teil mit Text im Bogen, alles hebräisch. Doch der runde Teil, zu dem an den Seiten Pilaster führen, ist nur im tatsächlich völlig rechteckigen unteren Teil des Steins stilisiert, auf den oben stattdessen ein großer dreieckiger Giebel und zwei kleinere viertelrund und mit Faltenstruktur nach außen zeigende Elementen folgen.

Im Giebelfeld  sind hier andere Symbole: rechts eine Sanduhr, in der Mitte eine abgebrochene Kerze, links ein aufgeschlagenes Buch. Das sind Memento Mori, wie sie insbesondere der Barock so liebte, aber sie haben nichts spezifisch Jüdisches, weshalb sie auf anderen Steinen auch nicht vorkommen.

Und auf der der linken Seite des Buchs steht klein, aber leserlich in lateinischen Buchstaben: „Alexander Bergmann gest. 13.11.5612“.

Das ist es, das macht aus dem Grabstein ein großes Kunstwerk. Historisch und künstlerisch interessant sind alle, aber bei diesem will man mehr wissen. Man will wissen, wer dieser Alexander Bergmann war und was ihn, oder seine Familie, im Jahre 1851 bewog, nicht nur diese ungewöhnlichen, gleichsam säkularen Symbole zu benutzen, sondern noch dazu die deutsche Inschrift auf so wunderbar subtile Weise in den hebräischen Grabstein einzuschmuggeln. Gewiß ist es nicht viel, was hier anders ist, aber das macht einen großen Unterschied und wie immer muß man sich fragen: wenn es so einfach ist, wieso macht es dann keiner sonst? Man spürt geradezu die Freude des, jüdischen oder christlichen, Steinmetzes, hier einmal etwas anderes zu schaffen und die Möglichkeiten einer formalen Konvention erweitert zu haben.

Vielleicht ist es schade, daß Osoblaha keine anderen Sehenswürdigkeiten blieben, aber ein Ort, der diesen Friedhof und das Grab des Alexander Bergmann hat, der hat viel.

Bartók in Brüssel

Ein Denkmal für Béla Bartók: Die hagere vorschreitende Gestalt in einen langen Mantel gehüllt, die in die Taschen gesteckten Arme mit diesem verschmelzend, die Schultern hochgezogen und das Gesicht zwischen dem hochgeschlagenen Kragen gesenkt, ebenso die Augenlider. Ein ernstes, nachdenkliches Künstlerbildnis.

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Die etwas mehr als lebensgroße Bronzeplastik steht auf einer niedrigen Fläche mit silberner Edelstahlverkleidung. Die Verkleidung strebt in schmalen Streifen von seinen Füßen nach außen und die Fläche endet abgeschrägt in zerklüfteten Spitzen. Unter seinen Füßen und ursprünglich verteilt auf die gesamte Fläche liegen Blätter.

Sofort ist klar, daß es sich um ein Werk des ungarischen Bildhauers Imre Varga handelt, wie es die Signatur auf der Bodenfläche auch bestätigt.

Er war der erste, der im Bereich der realistischen Plastik solche Materialverbindungen machte und keiner machte es besser. An ihn wird vielleicht als an den wichtigsten sozialistisch-realistischen Bildhauer des späteren 20. Jahrhunderts zu erinnern sein, woran im übrigen nichts ändert, daß er auch Staatskünstler des nachsozialistischen Ungarns blieb und dieses Brüsseler Denkmal von 1995 stammt.

Bartók steht zentral und zugleich abseits in Brüssel. Hinter ihm der gotische Rathausturm, beidseits von ihm neohistoristische Backsteinklötze aus den Neunzigern, vor ihm der öde Place d’Espagne (Spanienplatz).

Wie um die Banalität dieses Orts zu unterstreichen, stehen in der Treppe am anderen Ende des Platzes auf einer dicken runden Betonstütze und einer quadratischen, heute mit Unkraut bewachsenen Plattform billig realistische Plastiken von Don Quichotte und Sancho Pansa.

Vargas Bartók hat vor all dem die Augen niedergeschlagen, wie unsere Kunst vor der ihrigen.

„Mława jest piękna“ – Kaufhaus

Mława hat, auch wenn das seine Kritiker bestreiten mögen, einige Gebäude, die um den Titel seines schönsten Gebäudes streiten können, doch der Sieger ist eindeutig: das Kaufhaus der Konsumgenossenschaft Społem.

Es steht jenseits der Straße zwischen Stary Rynek (Altem Platz) und Park an einem Bereich, der entweder Platz oder Ansatz einer Fußgängerzone zu nennen ist. Beschrieben ist es scheinbar zureichend als Bau aus sozialistischer Zeit, langgestreckt, dreigeschossig, im Erdgeschoß große Schaufenster zwischen runden Stützen mit braunschwarzer Kachelverkleidung, im überstehenden zweiten und im dritten Geschoß zwischen roten Boden- und Dachbändern Glasflächen, die durch regelmäßig vorgesetzte schwarze Streben strukturiert sind.

Doch es sind die Schmalseiten, die das Gebäude zu dem machen, was es ist. Entlang von ihnen führen jeweils zwei parallele Treppen in den Formen und somit als Teile der Obergeschosse, in die sie übergehen, nach oben. An beiden Seiten verlaufen diese schrägen und einmal abgestuften Elemente von rechts nach links, also jeweils in die andere Richtung, von vorne betrachtet links von vorne nach hinten und rechts von hinten nach vorne.

Es ist geradezu, als handele es sich nicht einfach um zwei aufeinanderfolgende Geschosse, sondern als sei eines der der Bänder aus zwei roten Streifen, Glas und vielen schwarzen Querstreifen von links und das andere von rechts um den Gebäudekern gewickelt und als bildeten sie zusammen eine langgezogene Spirale.

So einfach wie das Gebäude schien, so kompliziert ist es eigentlich, ohne das diese Kompliziertheit zu Lasten der Funktionalität ginge oder auch nur besonders zur ästhetischen Wirkung herausgekehrt werde. Das bereits 1962 unter anderem Namen errichtete Społem-Kaufhaus von Mława ist schlichtweg, wie es sein muß, ruht gänzlich in sich und ist ganz der Stadt zugewandt. Seine Funktion teilt es stolz und bescheiden in roten Leuchtbuchstaben mit: PSS an der linken Schmalseite im unteren roten Streifen des überstehenden zweiten Geschosses, das vertraute Społem-Logo ganz rechts an der Vorderseite im nämlichen Band und auf dem Dach an der rechten Schmalseite. Bis vor kurzen Stand auf Dach an der Breitseite auch noch „dom handlowy“ (kaufhaus).

Das Gebäude steht zentral, aber unauffällig, gleichsam versteckt. Vom Park sieht man es nicht, vom Rynek kaum. Umgekehrt aber sieht man, wenn sich ihm von links nähert, direkt neben ihm die beiden Kirchtürme, ein Bild so perfekt, daß man die Postkarte vor Augen hat noch bevor sie gedruckt wurde.

Es hat zwar ein Hinten und Vorne, da an der einen Breitseite der Anlieferbereich ist, doch Teil der Blockrandbebauung ist es nicht, wodurch es auch ein Vorläufer der offenen fortschrittlichen Wohnanlagen abseits des Rynek ist. Seine nähere Umgebung ist ein Chaos kleiner Läden in Buden, besseren Buden und Schlimmerem aus den Neunzigern, gerade so, als drängten sich die kleinen Firmen des Kapitalismus um das große Genossenschaftskaufhaus des Sozialismus, wie kleine Boote um einen Wal.

In einem guten Zustand ist das Kaufhaus nicht, die Erdgeschoßfenster sind teils zerbrochen, nur um weiße Mauern freizugeben, es ist über und über mit Reklame bedeckt und bloß einige kleinere Betriebe und oben ein Restaurant sind in ihm verblieben. Aber, und das ist das Schöne und Unerwartete, Mława scheint zu wissen, was es an seinem Kaufhaus hat. Es ist der Fußgängerbereich neben und vor ihm, der in jüngster Zeit aus EU-Mitteln ein neues graues Steinpflaster, Bänke und einen Brunnen erhielt.

Auf einer Stadtwerbeplane am Parkanfang ist das Gebäude groß in der Mitte als Photo und zudem noch als eine der siegreichen Zeichnungen eines Schülerwettbewerbs abgebildet.

„Mława – Moje miasto“ (Mława – Meine Stadt) lautet der nicht übermäßig originelle Slogan.

Grundschule Nr. 7, Klasse 5d

Das Społem-Kaufhaus wäre die Zier auch der ignorantesten Stadt, aber daß es hier mit so viel Stolz präsentiert und als Teil seiner Zukunft eingeplant ist, das spricht für Mława.

Was also ist das schönste Gebäude in Mława? Das Kaufhaus. Aber letztlich ist die Frage hinfällig, da eine Stadt die Summe, manchmal mehr als die Summe all ihrer Gebäude ist und auch das schönste Einzelbauwerk ohne Wert wäre, wenn es alleine bliebe.

(Mehr Informationen auf Polnisch und viele alte Bilder auf der Facebook-Seite und im Wikipedia-Eintrag des Gebäudes)

hotel strážnice oder Zu Hause im Hotel

Als ich über den Weinkellern von Plzě saß, zu denen mich der großartige tschechoslowakische Bahnhof Petrov u Strážnice gebracht hatte, und eine Unterkunft suchte, erwartete ich nicht viel von diesem Hotel Strážnice, da Booking.com nur ein unförmiges gelbes Ding mit schrägen Dächern zeigte, doch immerhin reservierte ich durch Anruf ein Zimmer für die Hälfte des dort gezeigten Preises. Was für ein Glücksmoment, in Strážnice um eine Ecke zu kommen und das wirkliche Hotel zu sehen: ein fünfgeschossiger Bau aus Beton mit durchgehenden Balkonen, auf dem Dach in Leuchtbuchstaben grün „hotel“, gelb „strážnice“ und über dem Vordach des Eingangs rechts noch einmal blau „hotel“.

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Was das Bild gezeigt hatte, war nur der vulgäre Umbau des rechts anschließenden Restaurantflachbaus, aber da achtete ich schon mehr auf den straßendurchkreuzten dreieckigen Platz mit Mariensäule.

Mein Zimmer 208 ist vollends eine Zeitreise in die Siebziger. Hinter der braungepolsterten Tür dunkelgrüner Teppichboden, der unten an den Wänden noch einen Streifen bildet, und dunkelgelbe Tapete. Direkt links die braune Tür mit milchigem Fenster ins irgendwann zwischen 1995 und 2015 erneuerte Bad. Nach einem kurzen Flur wird alles dunkelbraune Holzverkleidung.

Die ganze Wand mit Tür ins Zimmer und die ganze links abzweigende Garderobe mit Spiegel, Schrank und mehr Ablagen, als ich je in einer Wohnung hatte, alles braunes Holz.

Im Zimmer rahmt die Holzverkleidung die Tür bis zur Decke und verläuft viertelhoch mit einer abschließenden Fläche an drei Seiten. Mittelpunkt ist selbstverständlich das große Doppelbett mit beigen Matratzen auf teppichverkleideten Sockeln, aber es ist nicht alles, denn es ist ein großes Zimmer.

Im linken hinteren Teil ist eine Sitzecke aus zwei tiefen Sesseln um einen quadratischen Tisch. Sie bestehen jeweils aus rechteckigen, leicht abgerundeten dunkelbraunen Holzteilen, eckig und fließend zugleich, und die Polster sind braun-beige schraffiert. Wie eine Überleitung vom Bett zur Sitzecke ragt aus der Holzverkleidung ein schmales Pult, das vom Bett als Ablage, vom Sessel aber zum Hochlegen der Füße genutzt werden kann.

Auf der rechten Seite beim Fenster ist höher an der Verkleidung ein größeres Pult mit Schublade befestigt, vor dem ein brauner Polsterstuhl mit braun-grünlich-rosa Blumenmuster steht.

Er kann dank dem Telefon als Schreibtisch und dank dem weder ganz runden, noch ganz ovalen weißgefaßten Spiegel an der Wand als Schminktisch genutzt werden. Auf einem kleinen Tisch daneben, also gegenüber dem Bett, steht der Fernseher, der im Laufe der Jahre flacher wurde.

Die Fensterseite besteht aus einem breiten Fenster, unter dem eine Heizung ist, und einer Balkontür. Man könnte sie mit weißen Gardinen und braunorangen Vorhängen verschließen, aber warum sollte man? Draußen um den dreieckigen Platz stehen nur niedrige Häuser, im Hintergrund sind ein Getreidesilo und die südostmährische Hügellandschaft zu sehen.

Den Blick zur Altstadt haben die teureren Zimmer auf der anderen Seite.

Insgesamt ist überraschend, wie gut sich das Zimmer den veränderten Bedürfnissen seiner heutigen Nutzer anpaßt. Beim Schreib-/Schminktisch und hinter dem Bett ist die Holzverkleidung dicker und in der entsprechend größeren Fläche auf ihr sind Steckdosen, die für Lampen gedacht waren, aber perfekt auch für Ladegeräte geeignet sind.

Ein Glück für das Zimmer ist, daß nicht versucht wurde, gegen seine ursprüngliche, schon lange unmodische Gestaltung anzukämpfen. So steht der silberne Teller mit zwei umgedrehten Gläsern und einem vielgenutzten Aluminiumflaschenöffner auf einer karoförmig ausgebreiteten orangenen Serviette, die gut zu den übrigen Farben paßt.

Und nicht zuletzt ist da die Kunst. Zwei Bilder hängen an der Wand, Werke eines Künstlers, dessen Name anhand seiner Signatur leider nicht festzustellen ist. Das eine, das ich zwangsläufig öfter betrachtete, hängt als Abschluß einer Dreifaltigkeit mit Spiegel und Fernseher gegenüber dem Bett, aber nicht zu direkt, sondern dezent nach rechts versetzt.

Es zeigt in grünen, schwarzen und selten weißen und grauen Schraffierungen eine Landschaft, die in Bewegung scheint, wie aus dem Zug gesehen. In ihren Wellen, zwischen Büschen und kahlen Bäumen, sind einige Häuschen, aber auch die Silhouetten von Hochspannungsmasten einer Leitung, die sich von rechts oben nach links in die Ferne hinzieht.

Im Wortsinne impressionistisch, einen Eindruck zeigend, ist diese Landschaft ganz eine der Gegenwart des Künstlers, wie auch die ursprünglichen Impressionisten ja nicht nur zeitlose Seerosen darstellten.

Das zweite Bild zeigt in ähnlichen, aber helleren Farben eine unbewegte Frühlingslandschaft mit einem großen dunklen Baum rechts im Vordergrund, einem Dorf links im Hintergrund und dahinter mittig die Umrisse von etwas, das eine Felsformation oder eine Burg sein könnte. Ein Stück Landstraße mit weißen Leitpfosten und diesmal hölzernen Strommasten ordnen die Landschaft wieder zeitlich ein und brechen jede Idylle, die trotz den gedeckten Farben noch aufkommen könnte.

Dieses Bild sieht man beim Betreten des Zimmers zuerst, aber beim Aufenthalt darin beachtete ich es weniger. Nicht zufällig ist es im Spiegel über dem Schmink-/Schreibtisch zu sehen.

Bewegung und Ruhe, diese beiden Aspekte des Hotellebens symbolisieren diese wohlgewählten Landschaften und vervollständigen damit die Einrichtung.

Für mich könnte es kein besseres Hotelzimmer geben als gerade Zimmer 208 im hotel strážnice und es schadet nicht, daß es zu den günstigsten dieser tschechoslowakischen Reise, auf der ich zuvor durch überflogene booking.com-Einträge bereits in einem überteuerten Wohnheimzimmer und einem fensterlosen Zimmer in einem immerhin guten Hotel und immerhin im teuren Znojmo gelandet war, gehört. Ich merkte sogleich, was für einen guten Einfluß die tschechoslowakische Innenarchitektur der Siebziger auf mich hat, denn das schiere Vorhandensein der Garderobe beendete meine Neigung, Kleidungsstücke überall im Zimmer zu verteilen, während es, wenn Ablageflächen überall dort sind, wo man sie braucht, einfach keinen Grund mehr gibt, alles auf dem Bett liegen zu haben. Auch diesen Text tippe ich gerade am Schreibtisch sitzend ab.

Begeistert verlängerte ich meinen Aufenthalt erst um eine Nacht und gestern, da in der Vornacht Dauerregen, der bis gegen 15 Uhr nicht mehr enden würde, eingesetzt hatte, um eine weitere. Es fehlen bloß Bücherregale im Flur, dessen Länge und Großzügigkeit mich bei jedem Gang ins Bad aufs Neue überrascht, und ich könnte hier wohnen, ach, ich könnte es schon so. Denn wie wundervoll wäre es, keine Küche in der Wohnung zu haben und das Frühstücksbuffet zur Hauptmahlzeit werden lassen zu können!

Das hotel strážnice zeigt wieder einmal, daß die besten Reisen Zeitreisen sind, in die Zukunft wohlgemerkt. Aber heute muß ich weiter, denn es gibt immer noch andere schöne Orte zu finden.

„Mława jest piękna“ –Jugendstil

Was ist das schönste Gebäude in Mława? Denen, die entgegen den Beteuerungen (Stadtwerbung: „Mława jest piękna“ [Mława ist schön]) der irgendwo in der nördlichen Mitte Polens gelegenen Stadt meinen, Mława sei häßlich, mag die Frage lachhaft erscheinen. Die meisten anderen würden wohl die Kirche nennen, die mit ihren beiden Türmen den Stary Rynek (Alten Markt) dominiert und sich, obzwar gotischen Ursprungs, heute ganz in einem sterilen Neobarock zeigt, wie ihn der polnische Katholizismus hier in den 1880er und anderswo noch in den 1930er Jahren für sich angemessen fand. Vielleicht fiele noch jemandem das Rathaus ein, das hinter der Kirche und durch seinen reizlosen Klassizismus mit Walmdach und mittigem Uhrtürmchen architektonisch noch in ihrem Schatten steht.

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Oder er könnte die barocke Friedhofskirche, die immerhin der älteste Sakralbau der Stadt und Mittelpunkt ihrer kleinen Hügelnekropole ist, nennen. Ein mit der Stadtgeschichte vertrauter Troll oder Witzbold könnte auch an die orthodoxe Kirche erinnern, die zwischen 1879 und 1925 als Symbol der russischen Herrschaft in dem, was heute der Stadtpark ist, und am Ende einer kurzen vom Friedhof dorthin geführten Straße stand.

Ganz verwegene Geister würden die Jugendstilgebäude der Stadt nennen. Der Stil ist für Mława wichtig, da fast alle höheren Mietsgebäude in ihm, und nicht etwa im Historismus, errichtet sind, was auch darauf hinweist, daß in der russischen Provinz erst nach der Jahrhundertwende Geld für solche Bauvorhaben vorhanden war, während damals sogar am Rynek teils noch Holzhäuser standen, von denen bis heute an den Stadträndern einige verblieben.

Viele Jugendstilbauten sind es dennoch nicht. Eines an der parkseitigen Ecke der vom Rynek kommenden Straße hat noch gotisierende Streben und Fialen.

Ein anderes nahe der Markthalle gehört mit nach unten geschwungenen Brüstungen bei den Balkonnischen links und rechts im oberen Geschoß, die nach oben geschwungen wieder von den darüberliegenden Dachstücken wieder aufgegriffen werden, hingegen in die Spätzeit des Stils.

Bei vielen anderen, ansonsten schlichten Gebäuden, findet sich der Jugendstil in den Balkongittern und das noch bis in die Zwanziger.

Die zwei markantesten Jugendstilgebäude von Mława jedoch sind markant auch dadurch, daß sie Ruinen sind. Das erste steht am Rynek nahe seiner Ecke, ist aber kein Eckbau, da diese von einem kleinen Haus mit Walmdach, das wohl von der früheren Bebauung übrigblieb, eingenommen wird. Es schmückt sich mit Jugendstil der verrücktesten Spielart. Rechts ein Erker mit achteckiger Haube und Frauengesicht, mittig zwischen amphorenartigen Aufbauten ein gewellt ansteigender Giebel mit Blattornamentik, der im darunterliegenden Fassadenteil zum Baum mit Stamm und Wurzeln vervollständigt wird, links ein etwa dreieckiger Giebel, der aber aus einer Frauengestalt mit ausgebreiteten Armen in weiteren Blättern besteht.

Im linken Teil baumartige Pilaster und über den Fenstern rechts im zweiten Geschoß etwas zu wörtlich verstandene Fledermausbögen: tatsächliche Fledermausreliefs mit ausgebreiteten Flügeln und unheimlichen Fratzen.

Seit 2013 steht das Gebäude leer, was bereits reichte, um dem mittig bei einem defekten Fallrohr herunterlaufenden Wasser zu erlauben, einiges der Stuckornamentik abzuwaschen. Eher besser erging es einem schmuckloseren Gebäude aus den 1920ern, das an der Querstraße an das kleine Eckhaus angrenzt. Beide waren vielleicht Projekte eines örtlichen Kaufmanns, der sein Geschäft von diesem Häuschen ausgehend erweiterte.

Das zweite ruinierte Jugendstilgebäude steht an der Ecke des bald hinter dieser Platzseite gelegenen kleinen Plac 1. Maja (Platzes des 1. Mai) und der zum Friedhof weiterführenden Straße. Es ist das mit Abstand größte Gebäude seiner Umgebung, Teil einer Blockrandbebauung, die nie entstand. Seine Formen sind weniger karikaturhaft jugendstilig, statt Flora und Fauna hat es Bögen und geschwungene Ornamentik.

Zum Platz hin zeigt es zwei Giebel, die ebensogut auch durch die Dachgauben neben ihnen ersetzt werden könnten, aber zur Straße rechts entspricht der breite, leicht geschwungene Giebel dem Abschluß des Satteldachs und läßt ausweichlich der Fenster und des eisernen Balkons eine ungewöhnliche Dachwohnung, ein Atelier vielleicht, erahnen.

Die vielfach beschädigte Fassade wird zu einer Art Lehrbuch der Bautechnik seiner Zeit, wenn etwa vor vier Fenstern im zweiten Geschoß die im Stuck aufgeklebten Schlußsteine in je unterschiedlichem Maße abgefallen sind.

Oben am ersten kleinen Giebel neben der Ecke, wo der einen Steinkranz imitierende Putz halb abgefallen ist und einen ganz einfachen Rundbogen aus rotem Backstein freigibt, verwandelt sich der Jugendstil beinahe in die bauklötzchenhafte Nachahmung historischer Stile, wie sie der sogenannten Postmoderne lieb war. Wie lange das Gebäude leersteht, sieht man daran, daß auf einem der blauen Emailleschilder neben den Eingängen in Weiß nicht nur, wie früher in Polen häufig, der Besitzer, sondern auch ein alter Straßenname steht.

Krzynowłodzka (Krzynowłogaer Straße) statt heute 18 Stycznia (Straße des 18. Januar) nach der Befreiung der Stadt durch die sowjetische Armee im Jahre 1945

Zudem sind die Blechschilder, die vor Einsturzgefahr warnen, ihrerseits bis zur Unleserlichkeit verwittert.

Das spricht für die Hartnäckigkeit des Gebäudes und man könnte ihm wünschen wollen, es möge mit ihm doch ein gutes Ende, also kein Ende, eine Fortsetzung nehmen.

Das schönste Gebäude von Mława aber ist keines der genannten, sondern eines deutlich anderer Art: das Kaufhaus der Konsumgenossenschaft Społem.

Nach dem Ende unserer Zeit

Vor dem Museum im ehemaligen Karmeliterkloster in Neubrandenburg war im Herbst 2019 eine Baustelle, damit der Straßenraum bald weniger nach DDR aussehe, aber hinter ihm, wo für diese Zeit die Spaziergänger auf dem Rundweg entlang der Stadtmauer gehen mußten, war die DDR noch ganz unberührt.

Auf dem Boden sind rötlich-braune quadratische Platten mit Mustern, die zusammengefügt ineinandergreifende größere und kleinere Kreise und Ovale ergeben, was entfernt an Rosettenfenster der Backsteingotik erinnert.

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In der Mitte des nur schmalen Wegbereichs zwischen der Museumsrückseite und dem Zaun eines Kindergartengeländes ist eine Anlage aus drei unterschiedliche hohen Hochbeeten und einer dreiseitigen Bank aus zum Boden passenden Backstein. Nur im mittleren und zugleich höchsten der quadratischen Beete wachsen Pflanzen, während in den übrigen in Kieselflächen bereits Ausstellungsstücke des Museums sind. Im mittelhohen Beet stehen zwei simple Meilensteine und ein großer abgerundeter Stein mit unklaren Mustern, das sogenannte Brohmer Ei.

Nach der Öffnung der Bank, vor der das mittlere Beet nach rechts versetzt steht, folgt das niedrigste Beet. Darin liegen einige Trogmühlen aus der Bronzezeit und, in starkem zeitlichem Kontrast, ein Mühlstein aus dem 19. Jahrhundert.

Die DDR zeigt sich nur in dem Kanaldeckel „Made in GDR“ zwischen den Bodenplatten und auf den kleinen Metallplättchen auf dem Backstein der Beete, die die Exponate erklären.

Die Fundorte liegen im „Kreis Nbdbg.“ (Kreis Neubrandenburg, heute Landkreis Mecklenburgische Seenplatte),

es ist eine F 96 (heute B 96) erwähnt

und die Trogmühlen wurden „600 v.u.Z.“ (vor unserer Zeit, heute vor Christus, „v.Chr.“) benutzt.

Es sind solche Details, die darauf hinweisen, daß die Gestaltung des Bereichs hinter dem Museum nicht nur aus einer anderen Zeit, sondern aus einem anderen Land mit eigenen Verwaltungstraditionen, eigenen Namen und eigener Sprache stammt. Die Ausstellung archäologischer Fundstücke wurde selbst zum archäologischen Fundstück.

Sherlock Holmes in Málaga

Das Comisaría de Policía (Polizeikommissariat) im Osten von Málaga hat einen dreieckigen Grundriß und jede der drei Seiten ist so unterschiedlich gestaltet, daß man sie auch drei verschiedenen Gebäuden zuordnen könnte.

Die Hauptseite, die zur Ecke zweier großer Straßen zeigt, ist mit grauem Stein verkleidet, während die Fenster- und Türrahmen einen dunklen Gelbton haben. Alles an ihr ist monumental. Eine Folge einschüchternd hoher runder Stützen, die in der Mitte über dem Eingang durch hohe vertikale Streben im oberen Teil des Gebäudes unterstützt wird, löst sich an den Seiten in leichtem Schwung vom eigentlichen Baukörper, was auch der einzige Hinweis darauf ist, daß es sich nicht um faschistische Architektur, sondern um deren postmoderne Fortführung handelt (das Gebäude wurde zwischen 1986 und 1991 errichtet).

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Das einzig Gute, was sich zu dieser Seite sagen läßt, ist, daß sie hinter der Grünfläche, die den restlichen Raum zur Straßenecke einnimmt, kaum zu sehen ist. Auch ist das Schild aus runden und eckigen unregelmäßige gestapelten Betonplatten mit eingelassenen gelben quadratischen Kacheln besser und menschlicher als alles an der Fassade.

Die Seite zu einer kleinen Nebenstraße ist einfach eine Rückseite, die mit derselben Steinverkleidung und denselben Fensterrahmen nach rein gar nichts aussieht.

Die dritte Seite zeigt ebenfalls zu einer Nebenstraße, ist aber auch über die große Avenida Juan XXIII (Johannes-XXIII.-Allee) hinweg gut zu sehen. An ihr durfte sich die sogenannte Postmoderne austoben. Es beginnt mit einem freistehenden roten Backsteingebilde aus über Eck gesetzten eckigen Stützen und einem sie oben verbindenden Balken, das von der Hauptseite überleitet. Daß solche völlig nutzlosen, nicht einmal wirkungsvoll monumentalen Elemente, die wohl an Säulen erinnern sollen, so typisch für diese Architekturmode sind, sagt bereits genug über sie. Es folgt eine dicke Betonwalze mit gläsernem Zeltdach, eine Art Bauklotzturm, wie ihn die Postmoderne ebenfalls liebte.

Ähnliche Dächer ragen auch aus dem Dach des Hauptteils. Damit die Walzenform besser zur Geltung kommt, ist der bis auf Lüftungslamellen öffnungslose, aber dennoch vertikal strukturierte folgende backsteinerne Teil  nur mit Streifen oben und unten angeschlossen, während vor dem ausgesparten Bereich weitere Stützen sind. Hier ist ein Parkhaus, dem der Walzenteil die Auffahrt birgt, weil Málaga oberirdische Parkhäuser so mag.

Der auffälligste, letztlich der einzig auffällige Teil des Gebäudes gehört jedoch eigentlich zu keiner der drei Seiten, sondern ragt in der Ecke der Nebenstraßen stehend über allen auf. Viel höher als das eigentliche Gebäude erhebt sich ein achteckiger Treppen- und Aufzugstrakt aus Beton und vor ihm erstreckt sich eine ebenfalls eckige Betonplattform, die an den Seiten mit gelben Metallgittern erweitert ist. Sie ruht auf dünnen achteckigen Betonstützen, die an sie mit breiteren Teilen anschließen und untereinander mit X-förmigen gelben Stahlträgern verbunden sind.

Dieser Hubschrauberlandeplatz ist ein zweifelsohne sehr expressiver Bau und farblich ist er entschieden in das Gesamtkonzept des Polizeikommissariats eingepaßt, aber er kann dennoch nicht verhehlen, daß er zuerst funktional ist. Was ihn nach postmodernen Maßstäben scheitern läßt, ist ein Glück für ihn, das Gebäude, die Stadt. Es handelt sich um eines der eher seltenen Beispiele guter Architektur wieder Willen.

Ein letztes Detail ist, daß die erstgenannte Querstraße Calle de Conan Doyle (Conan-Doyle-Straße) heißt.

Erst einmal mag man denken, daß das ja paßt: Conan Doyle, Sherlock Holmes, Detektiv, Polizei. Doch bei auch nur oberflächlicher Kenntnis der betreffenden Geschichten weiß man, daß gerade die Dummheit und Unfähigkeit der Polizei dort ein durchgehendes Thema ist. Dachte jemand in der Stadtverwaltung nicht weit genug oder machte sich jemand über die Polizei lustig? Man weiß es nicht. Und letztlich ist es mit der postmodernen Architektur nicht anders: man weiß nicht, ob sie ein Witz oder ein Mißverständnis ist. Leider ist sie, anders als der lustige Málagaer Straßenname, etwas Schlimmeres und Folgenschwereres.

Dworzec PKS Gdańsk

Gdańsk hat keine U-Bahn, aber es hat etwas, das architektonisch einer U-Bahnstation sehr nahe kommt: den Busbahnhof und dessen Verbindung zu Bahnhof und Innenstadt.

Sein Gebäude, Eingang der Station, befindet sich im Bereich oberhalb der Bahnstrecke, wo der Hügel dann zu ausgedehnten Festungsresten ansteigt, eine gute Lage, da nah an der Innenstadt, aber keine wertvollen Flächen beanspruchend. Es hat ein dickes, nach vorne ansteigendes und weit überstehendes Dach, auf dem rechts in gelben Leuchtbuchstaben „Dworzec PKS“ (PKS-Bahnhof, wobei PKS das staatliche Busunternehmen ist) steht, und ist ansonsten verglast. Vorne sind links ein Laden, rechts ein Imbiß und in der Mitte der Eingang.

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Tritt man ein, so ist man nur auf einer Galerie, während der eigentliche Raum ein Geschoß tiefer liegt. Es gibt hier Schalter, weitere Läden, Anzeigetafeln und eine Karte des Busnetzes der Województwa (Wojewodschaften) Gdańsk und Elbląg sowie ein altes Panorama von Gdańsk.

Aus dem hohen Raum gelangt man unter dem Eingang in einen niedrigeren Bereich unterhalb der Straße, der sich aber sogleich wieder öffnet, diesmal nach unten.

Eine Rolltreppe flankiert von zwei breiten Treppen führt hinab. Die seitlichen Wände sind mit glattem graugemaserten Stein verkleidet, nach vorne läßt eine Glasfläche mit horizontalen Lamellen die Bahnanlagen erahnen und der links auf gleicher Ebene verlaufende Weg wird zur Galerie, die weniger zum Straßenbahnzugang als zu einem hoch in der Wand über der Treppenanlage befindlichen Kontrollraum zu führen scheint. Es sind die kugelförmigen Lampen, die an den Seiten an stählernen Stangen schräg über die Treppe hängen, die den Eindruck einer U-Bahnstation vervollkommnen, irgendeine unklare Ahnung von Moskau ist in ihnen.

Statt zu einem U-Bahnsteig kommt man unten in einen breiten Gang, von dem Treppen hinauf zu den Bahnsteigen des Bahnhofs führen. Die abzweigenden Treppenaufgänge sind subtil durch längliche schwarze Streifen im graugesprenkelten Stein des Bodens und den unregelmäßig grau und weiß gemaserten glatten Steinplatten der Wände betont.

Am Ende dieses Gangs führt eine Treppe nach oben an die große Straße oder ein Quergang rechtszu einem weiteren Gang unter dieser hindurch in die Innenstadt. Dieser Gang ist nunmehr von Geschäften und Schaltern gesäumt und hat Aufgänge zur Straßenbahn. So viel wie diese Gänge verbinden, es würde wirklich nicht überraschen, wenn auch irgendwo eine U-Bahnstation wäre.

Heute ist der Busbahnhof, wiewohl viel genutzt, in einem recht desolaten Zustand, der Bahnsteiggang wurde vor kurzem umgebaut, wobei an die Stelle der Steinverkleidung graue Böden und Wände traten, aber immerhin Rolltreppen zu den Bahnsteigen eingebaut wurden, und der Gang unter der Straße wird vielleicht irgendwann geschlossen und durch eine banale Ampel ersetzt werden. Die großartige funktionale Verbindung von Busbahnhof, Bahnhof und Innenstadt wird aber bleiben, auch wenn die Ahnungen von U-Bahnen und damit einer Zukunft nach und nach verschwinden.