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Der Heilige in der Kiste

Eine beschädigte Skulptur ist traurig, aber eine mit einer Holzkiste ummantelte Skulptur ist noch etwas trauriger. Zwar verspricht die Verhüllung Schutz vor dem Winterwetter oder eine baldige Restauration, aber man kann sie eben nicht sehen, ja, nicht einmal wissen, was sie darstellt.

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Eine solche Kiste steht am Beginn des Wegs hinauf zur Burg Pernštejn im Örtchen Nedvědice nordwestlich von Brno. Es ist ein quälendes Rätsel, was für ein offenbar recht stattliches Kunstwerk sich dort verbirgt. Mähren ist eine von der Gegenreformation geprägte Gegend, also muß es aller Wahrscheinlichkeit nach barock sein und einen Heiligen zeigen, aber ganz sicher kann man nicht sein. Welcher Heilige ist es? Oder vielleicht doch ein antikisierendes Motiv? Die Skulptur aus „L’année dernière à Marienbad“? Die Plastik aus „The Breakfast Club“ gar?

Vor Pernštejn läßt sich das Rätsel glücklicherweise halbwegs befriedigend lösen, da die vorderen Bretter der Kiste etwas verschoben sind und man durch einen Spalt hineinsehen kann. Überraschend ist die Lösung ganz und gar nicht. Man erkennt den verzierten Saum eines Rocks und ein kleines Kruzifix auf Brusthöhe – es ist Johannes von Nepomuk. Aber mehr läßt sich nicht sagen. Wie genau der Johannes von Nepomuk am Fuße von Pernštejn aussieht und wie die Inschrift auf dem großen Sockel lautet, weiß man nicht.

Oben, aber noch im weiten Vorhof unterhalb der eigentlichen Burg, wartet ein weiterer Johannes von Nepomuk.

Die Skulptur ist sehr einfach, aber daß sie in der Mitte eines Brunnens steht, paßt gut, weil Nepomuk in der Vltava ertränkt wurde. Von seinem Platz vor einem abgeflachten Fels mit nach außen zeigendem halben Turm blickt er in Richtung der Burg, ohne sie je wirklich gut sehen zu können.

Für das, was unten das Holz verdeckt, ist der obere Johannes von Nepomuk aber nur eine kleine Entschädigung. Bestimmt, so denkt man, ist diese Skulptur viel besser und interessanter. Ist also auch die größte Qual des Nichtwissens gelindert, bleibt der Heilige in seiner Kiste doch ein trauriger Anblick. Daß auf das Holz schon das gelbe Symbol eines Wanderwegs gemalt wurde, spricht dafür, daß dieser Johannes von Nepomuk noch eine Weile so eingesperrt bleiben wird.