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Drei Türme in Rodheim

Rodheim ist mit einigem Recht stolz auf seine zwei Türme, da es dadurch etwas Besonderes ist in einer Gegend, wo nicht nur Dörfer, sondern auch Kleinstädte zumeist nur den einen Turm ihrer evangelischen oder katholischen Kirche haben (die an den Rändern angeordneten neuen Kirchtürme der jeweils anderen Konfession aus der Nachkriegszeit nicht mitgezählt).

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Dicht beieinander ragen aus Rodheims Mitte ein hoher Turm mit gleich drei achteckigen Stufen, die abgerundet aneinander anschließen, und ein kleinerer quadratischer Turm mit abgeflachten Ecken auf. Ihre kuppelartigen Abschlüsse und goldenen Wetterfahnen ähneln einander, wie sie ohnedies durch die ihnen gemeinsame Schieferverkleidung stärker verbunden als durch die Form getrennt sind.

Von der Hauptstraße in Rodheim sieht man dann, daß der höheren Turm in der Tat ungewöhnlich hoch ist, ihm allerdings eine entsprechende Kirche fehlt; er steht frei oberhalb der Straße an einem kleinen Platz mit Grünanlage. Dieser Turm hat bei quadratischem Grundriß unten spitzböge Eingänge und ist weiterhin öffnungslos mit weißem Putz, bevor weit oben kleine spitzbögige Doppelfenster in einem größeren Spitzbogen, in deren Mitte in einem Fall nur ein eckiger Holzpfeiler ist, und schließlich die schieferverkleideten Stufen folgen.

Ist dieser Turm nicht nur, weil er heute kein Kirchturm mehr ist, ein ungewöhnliches Gebäude, so ist beim kleineren Turm die dazugehörige Kirche das ungewöhnlichere.

Sie steht beinahe gegenüber direkt an der Straße, wendet ihr große rundbögige Fenster zu und schließt, obwohl sie an den Seiten schmaler wird, links an einen Hof und rechts sogar an ein Nachbargebäude an. Der Turm erwächst aus der Mitte der Straßenseite und besteht aus einem größeren steinernen Teil und dem schieferverkleideten kleineren.

Das Gebäude ist von 1735, könnte aber auch hundert Jahre jünger sein, so schlicht sind seine Formen. Wäre nicht der Turm, man könnte es für das Gotteshaus einer Minderheitsreligion halten und fast ist dem auch so, denn es war eine lutherische Kirche, während die Hauptrichtung des Protestantismus in Rodheim die reformierte war, der die größere Kirche mit dem hohen Turm gehörte.

Das Nebeneinander der Konfessionen endete 1817, als sie in der sogenannten Hanauer Union zur Unierten Kirche zwangsvereinigt wurden. Eine Weile, hundert Jahre, noch benutzte die Gemeinde beide Kirchen, bis 1956 die Ruine der ehemals reformierten Kirche abgerissen wurde und nurmehr der Turm blieb, neben den ein einfaches Dorfgemeinschaftshaus mit steinverkleidetem Sockel und Satteldach gebaut wurde.

Beide Rodheimer Türme sind somit noch mehr und anderes, als die Silhouette des Orts verraten würde.

Der dritte Turm in Rodheim ist nur von Nahem zu sehen und er ist auch eigentlich kein Turm, sondern eine Skulptur. Er steht in der Grünfläche vor der Erich-Kästner-Schule ganz am Stadtrand. Auf einer unregelmäßig fünfeckigen Betonplatte sind drei eckige Betonstelen, die oben unterschiedlich stark abgeschrägt sind, und zwischen ihnen werden in einiger Höhe sieben weitere, nun auch unten abgeschrägte Stelen gehalten, die sich unregelmäßig auftürmen und in einer beinahe spitzen Stele enden. Während die tragenden Stelen grau sind, sind von den schwebenden drei blau, drei gelb und nur eine grau. In ihrer Form erinnert die Skulptur ein wenig an Basaltfelsen, doch zudem ist da, vielleicht wegen der Nähe der Schule, vielleicht wegen der ausgeblichenen Farben, die starke Assoziation mit Kreide, die statt auf einer grünen Tafel zu schreiben auf einer grünen Wiese zu abstrakter Kunst wird.

Ein Turm ist diese Skulptur deshalb, weil sie in Rodheim steht und zu dessen beiden Türmen eine direkte Sichtbeziehung hat. Der kleinere Turm ist hinter Bäumen bloß zu erahnen, doch der große steht unübersehbar in einer Linie mit der Skulptur.

Man sieht die Betonformen und den Schiefer, das Grau, Blau und Gelb und das Weiß und Schwarz nebeneinander oder man sieht den Turm zwischen zwei der tragenden Stelen und unter den schwebenden hindurch, wodurch die Skulptur auch zum Tor wird. Gerade letztere Perspektive muß man suchen, aber es ist kaum denkbar, daß der Künstler sie nicht kannte.

Dieser Künstler verewigte sich in der Skulptur sogar: in der flachen Unterseite der mittleren und zweithöchsten Stele steht in tiefem Relief die Zahl 1966 und in gerade lesbarer Schreibschrift der Name Knudsen. Man kann das vor der Skulptur stehend lesen, aber die Situierung regt dazu an, in sie hineinzutreten und in ihr nach oben zu schauen.

Wie viele der besten abstrakten Skulpturen ist auch diese gleichsam interaktiv und regt den Betrachter an, durch sie alles neu zu betrachten. Überraschen mag, daß die Signatur offenbar dem populären Bildhauer Knud Knudsen gehört, der eher für realistische Porträtbüsten und -reliefs sowie für leicht abstrahierte symbolische Plastiken wie die zweier Kinder im Schulhof – für diesen Zweck „Pünktchen und Anton“ getauft – bekannt war. Hier schuf er stattdessen ein abstraktes Kunstwerk, das gerade durch die Verwendung von Beton vollkommen zeitgemäß war, und setzte es in geschickten Bezug zur Umgebung.

Rodheim ist auf seinen dritten Turm vielleicht nicht stolz, da es ihn selbst kaum kennt, aber er ist deshalb nicht weniger wichtig und es wäre ärmer, wenn es nur zwei Türme hätte.