Zu sagen, daß in Italien die Architektur der sogenannten Postmoderne ununterscheidbar von der Architektur des Faschismus ist, mag erst einmal wie eine Beleidigung klingen. Doch es ist etwas komplizierter, da zum einen in der Zeit des Faschismus auch gute, fortschrittliche Architektur entstand und zum anderen jemand es als etwas Positives auffassen könnte, daß die Architektur der Postmoderne überhaupt irgendetwas anderem ähnelt.
Als kurze Begriffsklärung: Mit Postmoderne ist hier eine kurzlebige, aber folgenreiche reaktionäre Architekturmode der Achtziger gemeint, die sich dadurch auszeichnete, in ironisch zitierender Weise überkommene architektonische Elemente wie Säulen oder Tempelgiebel aufzugreifen. Mit Architektur des Faschismus ist die Gesamtheit des Bauschaffens in der Zeit des italienischen Faschismus (1922-1943/45) gemeint, was von der faschistischen Architektur im engeren Sinne zu unterscheiden ist. Das Beispiel für die eingangs getane Aussage stammt aus dem Zentrum der nordostitalienischen Hafenstadt Trieste (Triest).
Während der große, zum Meer geöffnete Piazza Unità d’Italia (Platz der Einheit Italiens) ein sehr österreichischer Ort ist, ein Ensemble monumentaler historistischer Bauten, eine Ringstraße am Mittelmeer wie Liberec gerne eine Ringstraße in den Bergen gehabt hätte, bemühte sich der Faschismus, nachdem Triest 1919 an Italien gekommen war, in den angrenzenden Straßen umso entschiedener, seine Vorstellungen von spezifisch italienischer Architektur zu verwirklichen, wozu 1938 sogar ein römisches Amphitheater teilweise wieder aufgebaut wurde.
Für das wirkliche Italien, die verwinkelten engen Gassen am Hang, interessierte er sich dabei wenig, im Gegenteil riß er alte Gebäude großflächig ab, um seine Vision zu verwirklichen. Meist ist das ein kahler Neoklassizismus mit viel glattem hellen Stein und einschüchternden Kolonnaden, der statt Ornamenten nur noch Monumentalität hat.
Manchmal gibt es jedoch auch fortschrittliche Elemente wie die in zwei Stufen zurückgesetzten und mit einer Art Penthouse endenden Dachterrassen des Generali-Gebäudes oder sogar insgesamt fortschrittliche Gebäude wie das zwölfgeschossige Wohnhochhaus neben dem Amphitheater. Auf einem einfachen steinverkleideten Sockel mit zwei Geschossen hat es eine rote Backsteinverkleidung mit horizontaler Riffellung und als Abschluß einen weißen Aufbau aus dünnen Stützen und Streben.
Links ist eine Ecke abgerundet, rechts, nun eckig, was den dort jeweils folgenden siebengeschossigen Bauteilen, mit denen es an die Nebengebäude anschließt, entspricht.
Hier ist diese Architektur von der gleichzeitigen in der Tschechoslowakei, Polen, Österreich oder Jugoslawien kaum zu unterscheiden. Daß es sich jeweils um Blockrandbebauung handelt, muß vielleicht gar nicht betont werden, neue Ideen von Stadt hatte der italienische Faschismus weder in den reaktionären noch den fortschrittlichen Ausprägungen seiner Architektur.
Insofern ist die Fassade an einer kleinen Straße direkt hinter dem Platz, der Via Punta del Forno, erst einmal wenig überraschend: fensterlos und hoch, im unteren Teil grauer Stein mit horizontalen Rillen, darüber ockerfarbener Putz. In der Mitte unten ein hoher Eingang mit zwei ebenfalls horizontal gerillten Säulen, die sich oben in Pilastern fortsetzen. Auch die Ecken sind bis oben durch Steinverkleidung besonders betont. Oben sind dann rechteckige Öffnungen und ein geschwungen überstehender Abschlußstreifen. Wiewohl jegliche explizit historistischen Formen fehlen, ist in dieser Fassade die ganze imaginierte Gewalt und Monumentalität eines römischen Tempels evoziert, alles, wie es dem Faschismus gefällt.
Doch an der rechten Seite merkt man, daß hinter der Fassade kein, oder jedenfalls nur ein sehr schmales Gebäude ist, das hinter ihrer Ecke ein abgerundetes Treppenhaus hat. Erst ein deutliches Stück zurückgesetzt in der abzweigenden Gasse, der Androna del Pozzo, beginnt das eigentliche Gebäude, vor dem zwei Teile stehen, die im Aufbau, insbesondere dem geschwungen überstehenden Abschluß, der beschriebenen Fassade entsprechen, aber etwas niedriger sind.
Vor dem ersten ist bis ins dritte Geschoß eine völlig andere Fassade mit Steinstruktur im dunkelgrauem Putz und regelmäßigen vertikalen Fenstern. Von ihr führen zwei quergesetzte Wände schräg hinab zum vorgesetzten Erdgeschoß, das bei entsprechender Gestaltung zwei große Fensterflächen mit flach rundbögigen Abschlüssen hat. Sie öffnen sich zu einem niedriger gelegenen Wiesenstück, das zur Gasse hin durch eine L-förmige niedrige Mauer mit grauer Steinverkleidung abgetrennt ist. Da auch die graue Fassade kaum merklich schräg zum ersten Teil steht, ragt sie im zweiten Geschoß rechts in ihn hinein und er legt sich mit vertikalen Öffnungen in angedeuteten Kolonnaden über sie.
Es ist dieser Teil, der so enorm an die Postmoderne erinnert. Genau so, in groben Zügen historische Formen zitierend und dann irgendwie schräg ineinanderschiebend, sind viele andere von dessen Gebäuden. Auch der kleine, völlig nutzlose Grünbereich, selbst nur ein schlechtes Zitat, paßt.
Daß der zweiteTeil vor den konventionellen Fenstern des eigentlichen Gebäudes wieder sehr schmal mit einem abgerundeten Treppenhaus endet, überrascht da kaum mehr.
Doch was ist in diesem Fall das eigentliche Gebäude? Wenn man von der anderen, der Eingangsfassade entgegengesetzten Seite schaut, sieht man auf dem schmalen Grundstück zwischen der schmalen Androna del Pozzo und der noch schmaleren Parallelstraße, der Via della Procureria, bloß einen wenig auffälligen historistischen Bau, der klar in die österreichische Zeit gehört, über einem Portal steht die Jahreszahl 1804.
All die faschistischen/postmodernen Anbauten wirken nunmehr gleichsam potemkinsch. Zugleich wird auch das alte Gebäude zur Kulisse reduziert, wenn links der Eingangsfassade fast alle Fenster zugemauert sind.
Wieso wurde beim Umbau des Gebäudes nicht einfach die Fassade vereinheitlicht? Oder wieso sind nicht wenigstens die Anbauten in sich einheitlich und entschieden vom Älteren abgesetzt? Und was hat es mit der eingeschobenen dreiigeschossigen Fassade, die doch augenscheinlich nicht alt ist, auf sich? Der Postmoderne kann man solche Fragen nicht stellen, da sie alles zum bedeutungslosen oder bedeutungsgeladenen Zitatenspiel erklärt hat. Sie setzt weder das Alte fort, noch ist sie etwas wirklich eigenes, sie ist weder respektvoll, noch selbstbewußt, sie ist bloß mit voller Absicht vage und unentschlossen. Wäre dies nicht Italien, so wäre völlig klar, daß es sich um postmoderne Architektur handeln muß. Hier aber kann die in Materialien und Formen fast ununterscheidbare faschistische Architektur ringsum einen zweifeln lassen und es braucht Recherche, um schließlich festzustellen: das Gebäude wurde unter Benutzung von Älterem als Archivio Generale del Comune di Trieste (Hauptarchiv der Gemeinde Triest) erbaut und zwar im Jahre 2003. Wie jede Architekturmode lebte auch die Postmoderne lange nach ihrem angeblichen Tod weiter.
Ob beleidigend oder nicht, die eingangs genannte Ununterscheidbarkeit ist eine Tatsache. Aber schlimm ist nicht, daß die Postmoderne so nah an der Architektur des Faschismus ist, sondern, daß sie so nah an deren reaktionären oder schlichtweg lächerlichen Aspekten ist. Reaktionär wäre die Postmoderne auch ohne den Vergleich und daß jede Beleidigung zutrifft, das zeigt jedes ihrer Gebäude.