Archiv der Kategorie: Antwerpen

Ein Saal in Antwerpen

Ein freistehender kleiner Saal in seiner konsequentesten Form: die niedrigere Schmalseite, in der ein Muster aus quadratischen Glasbausteinen ist, nach innen gewölbt, das Dach sanft ansteigend, die Breitseiten leicht nach außen geschwungen, was nur wenig durch tatsächlich geschwungene helle Backsteinwände in Fortsetzung der Schmalseite und ansonsten durch ein Zickzack von Glasflächen, in dem schräg gesetzte Betonwände als Stützen dienen, erreicht ist, die höhere Schmalseite nach außen gewölbt. Der Eingang ist neben der niedrigeren Schmalseite und hat eine vorgesetzte und leicht vorgewölbte Wand mit Sandsteinverkleidung, aus der oberhalb der Mitte in mehreren unregelmäßigen Reihen kleine Quader ragen.

(Bilder zum Vergrößern anklicken)

Der Saal ist einerseits ganz auf seine Funktion ausgerichtet, die gläsernen Wände geben den Blick auf die Bestuhlung frei, aber bemüht sich andererseits sehr deutlich um eine markante Gestalt, was ihm mehr durch das Spiel mit den runden Elementen seiner Konstruktion als durch die wenigen Ornamente gelingt.

Nur das kleine Kreuz an der Spitze der höheren Seite zeigt die religiöse Funktion des Saals, doch er steht auf dem Gelände der Baden-Powell Zeescouts (Meerespfadfinder) am linken Scheldeufer in Antwerpen und es ist anzunehmen, daß die ihn auch für andere Veranstaltungen nutzen. Ohne das Kreuz würde die Religion in der Gestalt des Turms der Kathedrale, der von anderswo über das weitläufige Gelände zu sehen ist, vom anderen Ufer hereinzeigen. Ob mit oder ohne Kreuz ist der Saal ein hübsches Kleinod und der architektonische Höhepunkt der Antwerpener Zeescouts.

Das Jugendstilschiff

Durch die Straßen von Antwerpen schwebt ein Schiff. Es ragt über dem zweiten Geschoß aus der Ecke des Gebäudes Schildersstraat/Plaatsnijdersstraat (Malerstraße/Graveurstraße) hervor, direkt hinter dem riesigen freistehenden Klotz des Kunstmuseums.

(Bilder zum Vergrößern anklicken)

Es ist wirklich ein kleiner Schiffsbug aus weißgestrichenem Holz, mit nach vorne ragendem Balken und goldenem PR-Monogramm in einem schildartigen roten Feld statt eines Namens, doch auf ihm ist der Eckbalkon des dritten Geschosses, um dessen halbrunde Fläche schräge türkise Holzstreben nach oben führen, wo sie ein halbrundes Glasdach tragen, das wie ein Kranz aus dem Boden des winzigen Balkons im vierten Geschoß übersteht.

Man kann das als Jugendstilverrücktheit, die es unzweifelhaft auch ist, abtun, doch interessant ist, daß etwas ganz ähnliches auf der anderen Straßenseite zu finden ist, wo aus der grauen Steinfassade eines monumentalen historistischen Schulgebäudes ebenfalls zwei Schiffsbuge ragen.

Ihrerseits sind sie wohl von den Schiffsbugen des Schelde-Denkmals inspiriert, die in eine bizarre Denkmalmode des 19. Jahrhunderts mit älteren Vorbildern gehören.

Da sind die Schiffteile jeweils aus Stein, aber der Jugendstil ging einen Schritt weiter und entlarvte die Anbringung von dort gänzlich fremden und sinnlosen Elementen an Fassaden, indem er gleich ein wirkliches oder wirklichen sehr ähnliches, Schiff an die Ecke hängte. Was hier auf Wunsch des Schiffbauunternehmers Petrus Roeis im Jahre 1901 geschah, war allerdings gewiß nicht als Entlarvung gedacht, und es hinderte andere Bauherren nicht, noch 1925 an die Herbosch Buildings ein Steinschiff anzubringen.

Für sich genommen ist das Gebäude eben typischer belgischer Jugendstil mit einer gelben Klinkerfassade, durch die sich schwarze und blaue horizontale Streifen ziehen, und Ornamenten aus hellem Stein. Die türkisgerahmten Fenster sind recht konventionell bis auf ein riesiges rundes im zweiten Geschoß neben dem Schiff zur Schildersstraat hin. Wichtiger ist, daß zu dem Eckhaus noch zwei weitere Gebäude an beiden Straßen gehören, die jeweils durch einen eingeschossigen Teil mit großer glasüberdachter Dachterrasse abgesetzt sind, wobei der rechte später durch ein Gebäude mit grauer Klinkerfassade und großen horizontalen Fensterbändern aufgefüllt wurde.

Während das schwebende Schiff, lokal und touristisch als „Het Bootje“ (das Bötchen) bekannt, eben ein gebauter Witz und die Formen eben Jugendstil sind, ist das eine Öffnung der Blockrandbebauung, mit der das De Vijf Werelddeelen (Die Fünf Weltteile) genannte Ensemble einen vorsichtigen Ansatz des Neuen darstellt.

Antwerpener Stufen

Gute Architektur ist einfach und selbstverständlich, wie man an den folgenden Beispielen aus Antwerpen sieht.

Der Stadsfeestzaal (Stadtfestsaal) an der Einkaufsstraße Meir, ein schwindelerregender historistischer Klotz, ist heute Teil eines Einkaufszentrums und über dem monumentalen Eingang wurde vielleicht eine mißliebige Statue entfernt, so daß nur noch Tauben vor dem goldenen Mosaik der Nische sitzen.

(Bilder zum Vergrößern)

Der riesige Saal ist jedoch für ein Einkaufszentrum ganz ungeeignet, zumal keine zusätzlichen Stockwerke eingezogen wurden, und so ist er reduziert auf einen Durchgangsbereich mit vielen Ständen, während die eigentliche Geschäfte davor und vor allem dahinter sind.

An der halbrunden Seite des Saals, wo unter einer Kuppel einst die Bühne war, richtete sich ein Café ein und es fand eine architektonische Lösung, indem es in Stufen angelegt wurde. In der Mitte der weißen Holzkonstruktion ist eine ovale ebenerdige Fläche für den Barbereich und zu beiden Seiten führen Treppen, die die einzelnen Terrassenstufen mit den Tischen erschließen, nach oben, wo noch einmal eine größere Fläche mit konventioneller Tischordnung ist.

Inmitten des historistischen Saals, offen zu ihm und verbunden mit ihm, entsteht so ein ganz neuer Raum. Diese Terrassenkonstruktion ist schön sowohl für die Betrachter als auch für die Cafébesucher an den Tischen, doch vor allem ist sie eine Lösung des Problems, wie man auf dem beschränkten Platz mehr Tische unterbringen kann. Sie braucht daher auch keinen Schmuck, das  glatte weiße Holz der Wände, das Parkett der Böden und einige große Topfpalmen genügen, und für Farbakzente sorgen die Gäste selbst.

Ein anderes, aber ähnliches Platzproblem stellte sich einem Restaurant in der Restaurantstraße Oude Koornmarkt (Alter Getreidemarkt), wo ein Restaurant ohnedies nie groß genug sein kann, um Touristen und andere zu bewirten. Der ganz konventionelle Erdgeschoßraum wurde daher an der Ecke zur rechts folgenden Einfahrt um einen schmalen, völlig verglasten Bereich erweitert, in dem Terrassenstufen nur durch einzige Holztreppen verbunden nach hinten führen. Außen sind die Stufen im Glas durch den rostfreien Stahl ihrer Konstruktion nachgezeichnet und unter ihnen befindet sich der Raum einer kleinen Galerie.

Im Inneren ist heute (im Sommer 2021) ein indisches Restaurant und auf den Stufen stehen viele Pflanzen, so daß man wie in einem Wintergarten sitzt.

Ganz wie im Stadsfeestzaal steht die Terrassenkonstruktion im völligen Kontrast zur Umgebung, einer typischen Altstadtstraße mit Restaurants, und ist ihr doch genau eingepaßt, wieder braucht die architektonische Lösung nichts außer der Architektur.

Ein drittes, größeres und markanteres Bauwerk hat eine Terrassenstruktur wiederum anderer Art: das stadtgeschichtliche Museum aan de Stroom (Museum am Strom), das auf einer rechteckigen Insel im zentrumsnächsten Hafenbecken als kleines Hochhaus in einer nicht in Geschossen auszudrückenden Höhe errichtet wurde. Bei quadratischem Grundriß und roter Steinverkleidung zieht sich ein breites, mal horizontales, mal vertikales Band aus gewelltem Glas gleich einer eckigen Spirale um seine Seiten hinauf. Hinter dem Glas sind jeweils größere und kleinere Terrassenebenen, von denen die Räume erschlossen werden, die oberste schließlich im Freien und mit weitem Blick über die Stadt.

Anders als bei den beiden anderen Beispielen genügt nicht schon der erste Blick, um einzuschätzen, ob hier gelang, was versucht wurde, daher sei es nur nebenbei erwähnt.

Daß sich solche Bauten im Zentrum von Antwerpen gleich zweimal, zweieinhalbmal finden, könnte auf einen Genius Loci hindeuten, doch eher noch zeigt es, daß sie keineswegs originell sind, sondern die naheliegende Lösung eines Problems. Das ist gut so, genau so sollte Architektur sein, und es ist eher schade, daß man Vergleichbares nicht noch viel öfter sieht.

Ein Haus in Rosa

Manche Einfamilienhausgegenden haben ihren Star, ein Haus, das einfach durch irgendetwas zwischen den anderen heraussticht. In Antwerpen, im Stadtteil Linkeroever, am namensgebenden linken, anderen Ufer der Schelde, in der Gloriantlaan (Gloriantallee) ist ganz eindeutig, welches Haus dieser Star ist.

(Bilder zum Vergrößern anklicken)

Es hat ein überstehendes Satteldach wie seine Nachbarn, doch dieses ist aus Beton, führt nach hinten weiter nach unten, steigt nach vorne, zur Straße, hin noch einmal an, um die Fassade abzuschließen und die blaue Farbe seiner Unterseite ist markanter als die dunklen Dachziegeln seiner Oberseite. In die Backsteinwand der linken Seite sind die Treppenhausfenster in drei beide Geschosse überspannenden Betonrahmen, die bis in die Giebelfläche ragen, eingefügt. Vorne ist in der rechten Hälfte ein großes Fenster im Erdgeschoß und im Obergeschoß vor einem ebensogroßen Fenster ein leicht vorragender Balkon mit schwarzem Eisengitter. Seitlich sind um diese Hälfte Backsteinstreifen, zwischen den Fenstern und über dem oberen aber horizontale Streifen aus roströtlich schimmerndem Schiefer. In der linken Hälfte ist unten der gläserne Eingang in einem Betonrahmen und oben eine schräg nach links oben breiter werdende Fläche mit kleinen rosa Kacheln, in die manchmal einzelne goldene gemischt sind. An ihr hängt ein Kunstwerk aus eisernen Umrissen, das eine Meerjungfrau mit einer Schriftrolle und zwei kleine Fische zeigt.

Rechts ragt quer aus der Dachschräge eine breite weiße Schornsteinwand auf, deren Verlauf an der rechten Seite wieder mit den rosa Kacheln verkleidet ist, während der übrige Teil der Wand aus Backstein ist.

Das ist das Haus, gar nichts Besonderes in der grundlegenden Form, aber mit wohlgewählten Materialien verkleidet und von dem Kunstwerk gekrönt.

Sowohl der rötliche Schiefer als auch die rosa Kacheln mit den goldenen Akzenten finden sich in der Ladenarchitektur der Innenstadt, fern am anderen Ufer, wieder und es ist möglich, daß für sie derselbe Architekt verantwortlich war, der hier, am Rande, dieses Haus errichtete, vielleicht für sich selbst.

So ist es der Star der Straße, einer wenig befahrenen Allee, an der gegenüber ein Platz mit Blockrandbebauung ist und zur einen Seite schon die Wohnhochhäuser des Sozialbaus und zur anderen die der Wohlhabenden zu sehen sind.