Der erste der Olsztyner Höhepunkte ist das Planetarium, das seinerseits zum wichtigsten Platzensemble aus der sozialistischen Zeit gehört. Links nach der Kreuzung der von der Altstadt kommenden Aleja Zwycięstwa (Allee des Siegs, heute Aleja Piłsudskiego, Piłsudski-Allee) und der vom Bahnhof kommenden Kościuszki (Kościuszko-Straße) steht quer ein achtgeschossiges Bürogebäude mit großem Sockelbau und Terrassen unter aufgestützten Leisten an den Seiten des Dachs, heute wie zur Erbauungszeit Sitz einer Bank.
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Davor öffnet sich nach einer Querstraße links der großen Straße ein Platz, der von einem langgestreckten viergeschossigen Verwaltungsbau, hinter dem es bereits in neuere Wohngebiete geht, abgeschlossen ist, heute Sitz der Stadtverwaltung, früher der PZPR (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei).
Heute ist der Platz als Plac Solidarności (Solidarnośc-Platz) vor allem ein Parkplatz, in den erst im oberen Teil am ansteigenden Hang ein kahler Bereich mit Bänken und Denkmal gesetzt ist, das mit weißem Adler und „Bóg, honor, ojczyzna“ (Gott, Ehre, Vaterland) ein denkbar uninspirierter Ausdruck des polnischen Nationalismus ist.
Rechts der Straße war früher ein Park, während gegenwärtig ein Einkaufszentrum gebaut wird. Besonders gelungen war der Platz leider wohl nie, immer war er zu sehr von der großen Straße zerrissen.
Höher am Hang auf der rechten Seite, oberhalb des Parks und nur etwas unterhalb der Hügelkuppe, steht das Planetarium, das bei der Eröffnung 1973 den schönen Namen Planetarium Lotów Kosmicznych (Raumflugplanetarium) trug. Breite Treppenanlagen führen entlang der Straße zwischen Nadelsträuchern zu ihm hin.
Es ist einfaches zweigeschossiges Gebäude mit steinverkleidetem Erdgeschoß und leicht überstehendem Obergeschoß, aus dem oben die große Kuppel ragt, Rundes auf Eckigem. Neben dem breiten Eingang steigt eine Treppe nach rechts zu einer Terrassenebene höher am Hang an, wo nunmehr flache Anbauten des Planetariums sind. Zwischen dem eigentlichen Planetarium links und einem verglasten Teil rechts, wo heute eine Bibliotheksfiliale ist, führt ein Durchgang unter schmalen Betonlamellen in einen Innenhof. Und auf einmal sind da nur noch Farben und Formen.
Die ganze gegenüberliegende Wand ist eingenommen von einem großen Kunstwerk aus unterschiedlich großen quadratischen weißen Emailleplatten mit größeren und kleineren halbrunden Vorwölbungen oder flachen Flächen, die mit konzentrischen Kreisen in verschiedenen Farben bemalt sind.
Es sind diese Farben, die so erstaunen, Farben, die auch an den grauesten Tagen leuchten, Farben oft, die man aus der Natur nicht kennt, aber auch aus Photographien nicht, Neonfarben, wie man sie in Ermangelung einer besseren Alternative nennen will. Rechts ist dieses unregelmäßige abstrakte Muster auf etwa zwei Dritteln der Länge von einer Szene auf glatten Platten unterbrochen: Oben eine grüne und unten eine blaue rechteckige Fläche, die zueinander hin dunkler werden, und darin im rechten Drittel zwei übereinandergesetzte rosa Kreisflächen, die an der Grenze der eckigen Flächen so aufeinandertreffen, daß ihnen jeweils ein Stück fehlt. Darauf zeigen von links oben ein kleiner roter und von mittig unten ein größerer grüner Pfeil, unter dem ein rosa vertikaler Streifen und ein nach rechts abfallendes vielfarbiges Wellenmuster bis zum unteren Rand verlaufen.
Die größten Teile des Kunstwerks sind im besten Sinne abstrakt. Die bunten Kreisformen sind äußerst dekorativ und man findet in ihnen durch die Anbringung im Planetarium dennoch sofort Astronomisches, sieht Ringplaneten und ferne Sonnen. In der zentralen Szene wird es dann beinahe gegenständlich, denn in ihr muß man geradezu einen Sonnenunter- oder -aufgang über dem Meer sehen. Das Kunstwerk hat etwas vage Psychedelisches, Poppiges, das man so in Polen nicht erwartet. Der gut lesbare Name unten im rosa Streifen lautet Stefan Knapp und eine Tafel daneben erläutert, daß er ein in England arbeitender polnischer Künstler war. Das paßt, das Kunstwerk kann man sich leicht im Swinging London vorstellen.
Knapp war nach dem Krieg aus antikommunistischer Überzeugung in England geblieben, hatte sich dort zum Künstler ausgebildet und in den Fünfzigern eine Technik entwickelt, Emaille auf Stahlplatten aufzutragen. Er war auch ein dezidiert westlicher, bürgerlicher, kapitalistischer Künstler. Seine bekanntesten Werke dienten zur Dekoration von Alexander’s-Kaufhäusern in New Jersey und New York. Hatte er in den Fünfzigern noch im damals populären Stil des abstrakten Expressionismus gearbeitet, so fand er in den frühen Sechzigern zu den auch in Olsztyn zu beobachtenden Formen, die der damals populären Op Art zugeordnet wurden. Das Kunstwerk im Planetarium schenkte Knapp, der seiner alten Heimat offenbar verbunden blieb, der Stadt Olsztyn zum fünfhundertsten Geburtstag von Kopernikus im Jahre 1973. So konnte man damals in New York und Olsztyn ganz ähnliche öffentliche Kunstwerke betrachten.
Die Stadt zeigte sich des Geschenks würdig. Nachdem man den Schock der Farben überwunden hat, kann man feststellen, daß der ganze Innenhof die Vorgaben des Kunstwerks aufgreift.
In der Mitte ist eine runde Pflasterfläche, in der drei verschieden große glatte Steinkugeln stehen und im Sommer einen Springbrunnen offenbaren, alle Beete haben abgerundete und gewellte Formen und sogar das schmiedeeiserne Tor des Hofs besteht aus einem Quadratraster mit runden Formen.
Dazu ragt links die Kuppel des Planetariums auf.
Was von außen eine ganz sachliche Verbindung war, wird hier zum umfassenden künstlerischen Programm: das Runde im Eckigen.
Man kann den oberen Teil des Planetariums auch als Tempel begreifen, der dem Kunstwerk als einer aus der Fremde gekommenen und nur halb verstandenen Reliquie gebaut wurde. Er verbindet das beste beider Welten und beiden tut es gut, der kapitalistischen Kunst die sozialistische Architektur und andersherum. Stefan Knapps Werk erging es in dieser Umgebung auch besser als an den New Yorker Kaufhausfassaden, denn die betreffenden Gebäude wurden nach dem Konkurs der Kette in den Neunzigern abgerissen und die einzelnen Emailleplatten bestenfalls in private Sammlerhände zerstreut. Es ist geradezu ironisch: Knapps Technik erlaubte es, beinahe unzerstörbare Kunst zu schaffen, doch der Kapitalismus zerstört alles vor seiner Zeit. Die Kunst braucht den Sozialismus.
Das Olsztyner Planetarium ist ein Höhepunkt der Stadt, aber sie endet mit ihm noch nicht. Wenn man nämlich auf der Terrassenebene um seine oberen Teile weitergeht, sieht man jenseits einer als Park gestalteten Senke auf dem nächsten Hügel die ersten Gebäude eines fortschrittlichen Wohngebiets. Es ließe sich sagen, daß das neue Olsztyn mit dem Planetarium erst beginnt und so sollte es ja mit jedem Höhepunkt sein.
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