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Kirche Kończewice

Die Kirche von Kończewice ist vielleicht die Apotheose der Sakralarchitektur der Żuławy und gewiß ein Bauwerk, dem alle Zeiten ihr Bestes gaben.

Der rückwärtige Giebel, größte Zier so vieler żuławischer Kirchen, ist bei ihr eher schlicht. Er verändert die Dreiecksform des Satteldachs nicht und hat bloß zwei flache und niedrige und drei schmale und hohe Spitzbögen sowie an den Ecken kleine quadratische Pfeiler. Aber schon hier ist eine aufwendige Bearbeitung des Backsteins zu erkennen. Die Ränder der hohen Bögen sind filigran abgerundet und verdoppelt und ähnlich ist es bei den Pfeilern, was an ihren Seiten vertiefte Felder entstehen und sie weniger plump wirken läßt. Am unteren Rand des Giebels ist eine Bordüre in stilisierten Blattformen, die anderswo neogotisch wirken würde, hier aber paßt. Die Rückwand darunter ist von vier dreistufigen Strebepfeilern, von denen zwei schräg in den Ecken stehen, gestützt, und hat drei breite spitzbögige Flächen, einstige Fenster, deren mittlere etwas höher ist, während der Bogen der linken abwechselnd mit den roten schwarze Backsteine hat.

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Die Haupt-, Süd- und Straßenseite der Kirche von Kończewice schließt links an und beginnt mit zwei spitzbögigen Fenstern, zwischen denen ein vertikales Band aus auf der spitze stehenden Quadraten aus schwarzem Backstein verläuft. Was für manche Kirchen bereits genug wäre, ist hier kaum eine Nebensache, denn nun folgt ein quer- und etwas vorgesetzter Teil mit dem eigentlichen Schaugiebel der Kirche. Wieder sind nicht die Ränder seiner dreieckigen Fläche, aus denen hier kurze Pfeiler ragen, sondern die Fläche selbst wichtig, die hier über und über mit kleinen spitzgiebeligen und runden Formen bedeckt ist. Sie setzen sich auch im oberen Teil der Wand fort, wo sie zwei schmale und tief in der Wand sitzende spitzbögige Fenster beinahe verschwinden lassen.

Neben der Fülle dennoch vertrauter Formen sind im mittleren Teil der Wand auch mehrere rechteckig gerahmte Nischen, bei denen der abgerundete Backstein wieder besonders auffällt, und in regelmäßigen Abständen in einer horizontalen Linie quer vorstehende Backsteine mit abgerundeten Unterseiten – beides sonst nicht zu findende Elemente.

Im unteren Teil der Wand sind mehrere schon lange zugemauerte Öffnungen. Die Seite endet mit einem weit nach unten gezogenen hohen Dach, das bereits zum Sockel des Turms gehört.

Der Turm bildet die ganze Eingangsseite der Kirche und fast nichts an ihm ist, wie man es erwarten würde. Beidseits des eher kleinen Eingangs mit flachem Rundbogen sind je zwei hohe Strebepfeiler und zu beiden Seiten des so gebildeten Mittelteils führen die Dachschrägen, die mit herausragenden Pfeilern als Giebel gestaltet sind, bis weit nach unten, während die Wände durch weitere niedrige Strebepfeiler, auch in den Ecken, verstärkt sind. Auf diesem backsteinernen Sockel sitzt der hölzerne Turm, der quadratisch mit fast bis zum First des dahinterliegenden Dachs aufragenden, aber nach oben schmaler werdenden Wänden beginnt. Darauf folgt ein achteckiger Teil, dessen Ecken auf schrägen Balken über die drei sichtbaren Wände überstehen, und aus ihm erwächst bald übergangslos die hohe holzgeschindelte Spitze.

Auf der anderen Seite der Kirche reicht das Dach grundsätzlich bis weit nach unten und man merkt erst von hier völlig, daß der linke Teil der Eingangsseite nicht gerade, sondern leicht schräg nach vorne verläuft, was ihn von hier noch stärker als Sockel des Turms wirken läßt. Direkt neben dem Turm ist auch hier ein quer ins Dach gesetzter Teil mit angefügtem Eingangsbau, der dem Giebelteil auf der anderen Seite entspricht und der Kirche mit ihm einen für die Żuławy untypischen kreuzförmigen Grundriß gibt, aber ansonsten völlig andersartig ist. In seinen Außenmauern, die die höchsten der gesamten Kirche sind, hat er zwei große rundbögige Fenster und unter seiner an das übrige Dach anschließenden Schräge einfaches backsteingefülltes Fachwerk. Der Rest dieser Seite, die tatsächlich eine Rückseite genannt werden muß, ist öffnungslos, aber die abgerundeten Randsteine eines kleinen Spitzbogenfensters erinnern sogar hier noch an die filigranen Details des Giebels.

Jede Zeit gab der Kończewicer Kirche das Beste, was sie zu geben hatte. Am Anfang stand die Gotik, die statt hoher Langhauswände und eines massiven quadratischen Turms diesen unvergleichlich reichen und zierlichen Quergiebel, aber auch die Turmbasis beisteuerte.

Schon bei letzterer ist nicht völlig klar, ob sich nicht vielmehr spätere Zeiten gotischer Methoden bedienten, denn der Turm ist, wie der rückwärtige Querteil, augenscheinlich weit neuer, aus der Blütezeit der Żuławy im 17. und 18. Jahrhundert. Vergleichbare Türme, die wohl vom Windmühlenbau inspiriert sind, gibt es nicht selten, ob in klein im nahen Lisewo oder in groß bei den Zwillingskirchen von Trutnowy und Cedry Wielkie, doch bei keinem ist die Spitze so schlank und wohlproportioniert wie bei diesem. Sie muß so sein, um zu dieser Kirche zu passen.

Vielleicht ist es auch andersherum die Kirche, die Turm und Turmspitze so unvergleichbar anders wirken lassen. Andere solcher Türme sitzen auf quadratischen Sockeln irgendwo oben, hier aber ist der Sockel beinahe eine Pyramide, die ihn mit dem Boden verbindet. Es scheint geradezu unwahrscheinlich, daß sich all die disparaten Teile so harmonisch verbinden, aber sie tun es. Sogar die Backsteinkreuze auf den Pfeilern der Giebel, die aus einer Renovierung im Jahre 1908, auf die ein dezenter Backstein in einem kleinen Strebepfeiler rechts des Eingangs hinweist, stammen müssen, stören nicht, zumal sie bereits wieder zerbröckeln.

Jedes alte Gebäude ist ein Werk vieler Zeiten, aber nicht jedes hatte so viel Glück wie die Kirche von Kończewice. Sie ist dabei auch durchaus lebendig und der sie umgebende Friedhof ist voller typischer polnischer Gräber. Einzig zwei große rechteckige Grabplatten an den Wänden neben den Strebepfeilern des Eingangs erzählen noch mehr aus ihrer Geschichte. Die linke hat eine schwer lesbare Inschrift, war in der unteren Hälfte zerbrochen und stammt wohl aus dem 16. oder frühen 17. Jahrhundert, die rechte aber dürfte so alt wie die Kirche selbst sein. In der Mitte der großen freien Fläche ist ein Kreuz, an das unten schräg zwei weitere Kreuze anschließen, was ein ungewöhnliches Symbol wohl für die Dreifaltigkeit oder für die drei Gekreuzigten ergibt.

In den Ecken sind in Kreisen die Evangelistensymbole als ganz einfache, aber nicht naive oder primitive Reliefs. Der Adler links oben, der eher wie ein alltäglicherer Vogel wirkt, der Stier links unten und der geflügelte Löwe rechts unten stehen mit einem Bein auf einem Schriftband und halten es mit dem anderen, während der Engel rechts oben es in den Händen hält.

Ist der minimalistische Stil geradezu zeitlos, so zeigen die gotischen Buchstaben der Inschrift, die nur am Rand zwischen den Kreisen verläuft, umso deutlicher die Zeit. Wenigstens die Jahreszahl MCCCCIII und den Namen Johan Schultz kann man ihr auch noch leicht entnehmen. 1403! Damit dürfte dieses der älteste im öffentlichen Raum zugängliche Grabstein in den Żuławy sein. Und wohin könnte es besser passen als zu dieser Kirche?

Ob die Kirche von Kończewice nun die Apotheose der Sakralarchitektur der Żuławy darstellt, ist letztlich unwichtig; eines der großartigsten Bauwerke dieser Region ist sie allemal.