Während Głuchołazy nur zu gerne an die imaginierten Glanzzeiten als preußischer Kurort Bad Ziegenhals anknüpfen würde, was schon allein deshalb nie funktionieren wird, weil kaiserzeitliche Hotels verfallen, während die wenigen neuen Hotels nach rein gar nichts aussehen, möchte es die sozialistische Epoche am liebsten vergessen machen. Das wiederum gelingt beinahe, denn allzuviel für den Kurbetrieb Bedeutsames wurde in ihr nicht gebaut.
Wenn man durch den Kurpark geht, der in den lichten Laubwald des Góra Parkowa (Parkbergs) übergeht, stößt man bloß auf einen für Blicke undurchlässigen Zaun, und wenn man in weitem Bogen herumgeführt wird, erahnt man hinter Rhododendronbüschen und der überwucherten Talsohle bloß ein weißes Gebäude.
Nur von der Straße, die der imaginierte Kurgast aber nie gehen müßte, sieht man es in seiner ganzen Schönheit. Außer der weißen Farbe hat es hölzerne Rahmen, die jeweils mehrere Fenster zusammenfassen. Mit breiten vorgesetzten Holzelementen, die von den Wänden zu den Glasflächen geschwungen vorragen, ähneln sie eher Bilder- als Fensterrahmen und lassen die gerahmten Teile transparenter wirken als es die Öffnungen tatsächlich wären.
Links ist ein zweigeschossiger Bauteil, der im Obergeschoß einen horizontalen Rahmen hat, rechts weiter vorgesetzt ist ein dreigeschossiger Bauteil, der im obersten Geschoß nach hinten, zum Park hin, eine überdachte Terrasse hat. Bei ihm ist ein vertikaler Rahmen an der linken Seite, ein großer quadratischer Rahmen an der Vorderseite und ein horizontaler Rahmen im Obergeschoß an der rechten Seite.
Auch das rechteckige Vordach über dem Eingang ist mit Holz verkleidet. Ein repräsentatives Hotelgebäude seiner Zeit, könnte man denken, das mit den Holzrahmen ein ungewöhnliches und markantes Dekorationselement hat, heute eine Ruine.
Doch das Wichtigste sieht man weder vom Park noch von der Straße, es liegt versteckt im Tal. Das Gebäude hat zu dieser Seite noch zwei niedrigere Geschosse, die in wuchernder Vegetation verschwinden.
An der linken Seite führt eine breite Treppe den recht steilen Hang hinab.
Unten dann ist ein dichter Wald mit lauter jungen Bäumen, die in teils sumpfigem Grasboden wachsen. Aber zwischen dem Grün und Braun ist ein dezidiert unnatürliches Hellblau: horizontal gesetzte Kacheln.
Unter all der Natur sieht man noch immer das Schwimmbad.
Es war auch kein konventionelles, sondern bestand aus mehreren über niedrige Treppen miteinander verbundenen vieleckigen Becken, die anscheinend selbst nicht sehr tief waren.
Wo sich einst Kurgäste erholten, ist jetzt ein, zugegebenermaßen sehr reizvolles Biotop, ein verwunschenes Schwimmbad mitten im Park von Głuchołazy.
Von den weiteren Teilen des Parks sieht man, daß das Schwimmbad offenbar mit dem Wasser des aus den Bergen kommenden Bachs, der vor dem Gelände in einer hohen Betonwand verschwindet, betrieben wurde.
Das, wenn auch sonst nichts, kann darauf hinweisen, daß die Geschichte des Schwimmbads und seines Gebäudes eine etwas andere ist, als der heutige Archäologe ohne Studium von Sekundärquellen denken könnte. Nicht aus der sozialistischen Zeit nämlich stammt es, sondern aus den dreißiger Jahren, als, wie schon im ersten Jahrzehnt der Zwischenkriegszeit, mit ungeheiztem Wasser aus Bächen und Quellen betriebene Freibäder häufig gebaut wurden. Ein Gebäude wie das einstige Hotel Waldbad hatten indessen nur wenige von ihnen. Wie die glücklicherweise reichhaltig zur Verfügung stehenden Bilder zeigen, war es ein stattlicher und sachlicher Bau, dessen Bezüge zur Naziarchitektur höchstens in den Leuchten des Umkleidetrakts erkennbar sind. Das Schwimmbad war den ganzen Krieg über und, da dieser Głuchołazy nicht behelligte, auch im Sommer 1945 in Betrieb, so daß der Sohn eines der ersten polnischen Bürger später erzählte, wie er von deutschen Jugendlichen, die später mit ihren Familien ausgesiedelt wurden, schwimmen lernte. Auch in der sozialistischen Zeit war es ein beliebter und wichtiger Teil des nunmehr polnischen Kurortlebens. Irgendwann, wohl in den späten Siebzigern, wurde es Zeit, das Gebäude wie das Schwimmbad zu renovieren und zugleich dem Zeitgeschmack anzupassen, doch gerade darüber gibt es leider keine einfach zugänglichen Aufzeichnungen. Weder die charakteristischen Holzrahmen noch die vieleckigen Becken sind auf den erhaltenen Bildern wiederzufinden. Einzig die lange, unten aus unregelmäßigen Natursteinen und darüber aus einem Betonbeet bestehende Mauer am Ende der Becken bestätigt, daß es sich tatsächlich um denselbem Ort handelt.
Indem es das Wasser des Bachs aufnahm, hatte das Hotel nicht nur eine hübsche Fassade und eine überraschende Geschichte, sondern verband sich auf ungewöhnliche Art mit der Landschaft, die Głuchołazy zum Kurort gemacht hatte. Kurpark wie Bach flossen durch das Hotelareal und wurden dort in rhododendrongerahmten Wiesen und vieleckigen blauen Becken verändert. Während ältere Hotels bloß nah an der Natur waren, war die Natur hier Teil des Hotels.
Der Kapitalismus bedeutete das Ende des Hotels wie des Schwimmbads, die Natur hat seine Reste für sich, aber immerhin ergibt gute Architektur auch schöne Ruinen. Noch auf diese könnte Głuchołazy stolz sein.