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Über Denkmalpflege

Die Aufgabe der Denkmalpflege scheint eindeutig: alte Gebäude in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Aber was heißt alt, was ursprünglich? Ein mehrere hunderte Jahre altes Gebäude ist doch Ergebnis eines Prozesses stetiger Veränderung. Der Zustand, in dem das alte Gebäude erhalten werden soll, ist doch nur der, den es zufällig gerade hatte, als beschlossen wurde, es unter Denkmalschutz zu stellen und der Veränderungsprozeß angehalten wurde. Das scheint unvermeidbar und ebenso unvermeidbar scheint, daß die so erhaltenen Gebäude dem nostalgischen Bedürfnis dann zur kitschigen Kulisse des heilen und schönen Alten werden, das der Gegenwart verklärt gegenübergestellt wird.

Die Altstadt des westungarischen Sopron zeigt, daß es auch anders geht. Auch hier sind die Gebäude so restauriert, daß sie ihren letzten Zustand, den barocken, zeigen. Aber nicht nur. Während der Blick an der Barockfassade entlanggeht, stört ihn plötzlich etwas. Mittendrin ist ein Rechteck ausgespart, daß ältere Schichten des Gebäudes, Bögen oder Fenster aus Gotik oder Renaissance etwa, offenlegt.

Aus Szerencsés, János: Sopron, Budapest 1980

Aus Szerencsés, János: Sopron, Budapest 1980

Es kann passieren, daß direkt neben oder über dem heutigen Fenster die ganz anders gearteten aus früherer Zeit zu sehen sind oder daß sich über einem runden Renaissancetor ein spitzes gotisches wölbt oder daß im Putz Stellen ausgespart sind, wo älterer Putz oder bloßer Stein zum Vorschein kommt.

Aus Szerencsés, János: Sopron, Budapest 1980

Aus Szerencsés, János: Sopron, Budapest 1980

Der ganze Veränderungsprozeß, den das Gebäude bis zu seiner heutigen Form durchlief, wird so sichtbar. Die Idylle des schönen Alten ist gebrochen, da es als Ergebnis eines langen Prozesses von Umbauten, Zerstörungen, Neubauten erkennbar wird. Nichts Heiles bleibt der Vergangenheit mehr. Gewiß weiß der kundige Besucher und hört der unkundige bei Führungen sowieso, daß das Gebäude vor seinen heutigen Formen andere hatte, aber das bleibt theoretisch. Hier sieht und erlebt man es unmittelbar, man kann ihm nicht entgehen. Denkmalpflege, die sonst oft auch politisch so konservativ ist, wird hier zum Akt der Aufklärung. Es steht außer Zweifel, daß dem Beispiel, das die Soproner Denkmalpfleger seit den Sechzigern geben, zu folgen ist.