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Stausee Orlík

Riesige Staumauern inmitten der Wildnis, riesige Seen, wo vorher Täler waren, reißende Flüsse, die gezähmt sind und deren Kraft zur Erzeugung von Elektrizität eingesetzt wird – es gibt kaum stärkere Bilder für den Sieg des Menschen über die Natur. Seit den ersten großen Projekten in der Sowjetunion während des ersten Fünfjahresplans sind Staudämme und Wasserkraftwerke feste Bestandteile der Ikonographie des Sozialismus. Wie wenig anderes symbolisieren sie den Heroismus des sozialistischen Aufbaus. Sie sind nicht nur unbestreitbar nützlich für die Energieerzeugung, sie sehen auch danach aus. Atomkraftwerke etwa bleiben im Vergleich dazu abstrakt, man kann sich nicht wirklich vorstellen, was in ihnen geschieht. Staudämme aber verändern die umliegende Natur so stark und deutlich, daß sie weiterer Erklärung kaum mehr bedürfen.

Zu einem der wichtigsten Projekte der sozialistischen Tschechoslowakei gehörte daher die Regulierung der Vltava (Moldau). Pläne dazu gab es schon vorher, aber erst der Sozialismus konnte sie umsetzen. So entstand in den Fünfzigern und Sechzigern die Vltavská kaskáda (Moldau-Kaskade), eine Folge größerer und kleinerer Stauseen, die sich von südlich von Prag durch ganz Südböhmen bis in den Böhmerwald (Šumava), wo der Fluß nahe der Grenze zu Westdeutschland entspringt, erstreckt. Im Vordergrund standen selbstverständlich praktische Erwägungen wie die Energieerzeugung, der Hochwasserschutz und die Verbesserung der Schiffbarkeit von Vltava und Elbe. Doch das bildstarke Ergebnis war die Veränderung der Natur.

Das zeigt etwa der Stausee Orlík im nördlichen Südböhmen. Wenn man heute die breite Wasserfläche zwischen mal sanft abfallenden und bewaldeten, mal steileren felsigen Uferhängen sieht, kann man sich das tiefe Tal der alten Vltava gar nicht mehr vorstellen. Wenn man heute das neogotisch umgebaute Schloß Orlík

Aus Pechar, Josef: Československá architektura, Praha 1979

Aus Pechar, Josef: Československá architektura, Praha 1979

oder die frühgotische Burg Zvíkov mit ihrem hohen Bergfried auf kleinen Halbinseln im Wasser sieht,

Aus Pechar, Josef: Československá architektura, Praha 1979

Aus Pechar, Josef: Československá architektura, Praha 1979

kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie sie gewirkt haben müssen, als sie noch auf hohen Felsen über dem Tal thronten. Die alten Bauwerke des Feudalismus sind inmitten des sozialistischen Stausees wie verwandelt. In dieser neuen, menschengemachten Umgebung sind sie selbst neu und menschlich. Sie sind nun auf Augenhöhe des Betrachters, der an den Ufern oder auf einem der Segelboote auf dem See steht, und haben alles Drohende und Herrschaftliche verloren. Nicht anders als die Segelboote spiegeln sie sich im Wasser und dienen nur der Freude des Betrachters.

Fährt man mit einem Ausflugsschiff von Orlík nach Zvíkov, durchquert man etwa auf halber Strecke die Žďákovský most (Brücke von Žďákov).

Aus Pechar, Josef: Československá architektura, Praha 1979

Aus Pechar, Josef: Československá architektura, Praha 1979

Sie hat an beiden Seiten starke Betonpfeiler, dazwischen einen weiten stählernen Bogen und an diesem ganz schlanke stiftartige Stahlstreben, die die Fahrbahn tragen.

Zeichnung von Ruth und Rudolf Peschel aus Henselmann, Irene u. Hermann: Das große Buch vom Bauen, Berlin 1976

Zeichnung von Ruth und Rudolf Peschel aus Henselmann, Irene u. Hermann: Das große Buch vom Bauen, Berlin 1976

Mithin ist sie also ein ganz simpler, völlig funktionaler Bau, der seinen Zweck, die beiden Ufer des Stausees miteinander zu verbinden, perfekt erfüllt, aber im Zusammenspiel mit dem Stausee wird sie noch zu etwas anderem: zu einem Triumphbogen des Sozialismus.

Aus Maleček, František: Jižní Čechy, Praha 1986

Aus Maleček, František: Jižní Čechy, Praha 1986