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Kaplice

Kaplice ist eine Bandstadt. Der alte Teil des Städtchens im südlichsten Südböhmen, nahe der österreichischen Grenze, ist nur klein, einige Straße um einen rechteckigen Platz etwas oberhalb eines Bogens des Flusses Malše.

KaplicePlatz

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Den Platz bestimmt das Rathaus, das sich wenig von den übrigen zweigeschossigen Häusern unterschiede, wenn nicht aus seinem Dach ein noch einmal doppelt so hoher Turm ragte. Seine heutige Gestalt ist barock, ionische Pilaster, oben zu allen Seiten Uhren, die von höher ragenden Bögen und entsprechenden Bögen im Putz darunter gerahmt sind, und als Abschluß eine Haube mit offener Laterne. Daß ganz genauso auch ein Kirchturm aussehen könnte und der Turm der rechts etwas abseits des Platzes stehenden Kirche auch nicht viel anders aussieht, kann man als Ausdruck bürgerlichen Selbstbewußtseins oder einen Ansatz davon verstehen.

Die Kirche ist ein barockisierter gotischer Bau, wie das in vielen katholischen Gegenden eben so üblich ist. Doch direkt daneben steht eine weitere, weit kleinere und schlichtere, Kirche.

KapliceKirche

Ihr, ebenfalls ursprünglich gotisch, sieht man die stetigen Erweiterungen stärker an. Schon von vorne fallen die beidseitig angefügten halbrund endenden Teile auf und von der Seite sieht man ihr Wachsen umso deutlicher.

KapliceKirchenSeite

Die Erklärung für das Nebeneinander der Kirchen ist einfach: sie dienten verschiedenen Nationalitäten, die große den Deutschen, die kleine den Tschechen, ein architektonischer Ausdruck der komplizierten Geschichte Böhmens.

Lange vergrößerte sich Kaplice bescheiden und auf die üblichen Weisen. Es wuchs als Nové Domky (Neue Häuschen) einen Bach entlang oder entlang der Linecká (Linzer Straße) den Hügel hinauf, wo in einer Straßengabelung ein Platz entstand.

KapliceLinecká

Dort steht heute ein sowjetisches Ehrenmal, das schon am 7.11.1945 auf Betreiben einer sowjetischen Einheit und der örtlichen KSČ (Komunistická Strana Československa – Kommunistische Partei der Tschechoslowakei) eingeweiht wurde.

KapliceSowjetischesEhrenmal

Die Jahre 1945 und 1948 brachten die Veränderungen, die Kaplice seinen heutigen Bandstadtcharakter gaben.

Von der Altstadt gelangt man schnell in einem Park am Ufer der Malše, der sich einen weiteren ihrer Bögen entlangzieht und den Zugang zu den höher am Hang gelegenen Wohngebieten bildet. Das erste, Na Výhlidce (Zur Aussicht), beginnt mit einem zwölfgeschossigen Punkthochhaus, dem höchsten der Stadt.

KapliceNaVýhlidce

Das Wohngebiet selbst besteht aus fünfgeschossigen Gebäuden entlang zweier dann aufeinanderstoßender Straßen. An das Punkthochhaus schließt ein L-förmiger Ladenbau an und es gibt ein weiteres Dienstleistungsgebäude. Jenseits einer Wiese, näher zur Linecká, gibt es außerdem einen großen Schulkomplex.

Größer und gelungener ist die Sídliště 1. Máje (Wohngebiet des 1. Mai). Sie ist eigentlich nur eine gerade Straße, von der rechts eine zweite Straße als Halbkreis durch höher am Hang gelegene Bereiche führt. An beiden stehen fünf- und sechsgeschossige längere Gebäude. Am Ende der geraden Straße ist links ein neungeschossiges Gebäude, während rechts höher am Hang das Wohngebietszentrum angeordnet ist.

KapliceSídliště1.MájeZentrum

Es besteht aus einem Kaufhallengebäude mit Kolonnaden und einem Terrassenbereich mit Hochbeeten aus dunklem Backstein, auf dem eine Y-förmige Stele Sandsteinreliefs mit tschechischen Löwen zeigt.

KapliceSídliště1.MájeLöwenKunstwerk

Doch die Hangbereiche zwischen den Straßen sind von sechsgeschossigen Punkthäusern umspielt und um das Zentrum, oberhalb des Parks, bilden Punkthäuser einen lockeren Abschluß. In die offenen Grünbereiche wurden einzelne Felsformationen als Gestaltungselemente integriert, die daran erinnern, daß sich das Wohngebiet auf einem Felsen über der Malše, demokratische Version einer Ritterburg, erstreckt.

KapliceSídliště1.MájeFelsen

Mit ganz einfachen Mitteln entsteht so ein unverwechselbarer Ort, selbständig, aber gut verbunden mit der Stadt.

Für den Autoverkehr erschlossen werden die Wohngebiete über eine große Straße, die Schnellstraße von České Budějovice nach Linz, die auf ihrer anderen Seite verläuft. Auch wenn sicher einiges noch besser sein könnte – die Wege vom Park nach oben noch besser ausgebaut, der Park noch stärker in die Altstadt ausgreifend – zeigt Kaplice gut, wie unter Ausnutzung der landschaftlichen Gegebenheiten und bei strenger Trennung von Fußgänger- und Autoverkehr die bandartige Erweiterung einer Kleinstadt aussehen kann. Entscheidend dafür ist ein Plan, der die Stadt als Ganzes und das Alte und das Neue als gleichwertige, einander ergänzende Teile dieses Ganzen betrachtet.

Bittere Ironie, daß Kaplice, eine Stadt, in der öffentlicher Nahverkehr sinnlos wäre, weil alle Entfernungen mit Leichtigkeit zu Fuß zurückzulegen sind, auf Busse als Verbindung zum fünf Kilometer entfernten Bahnhof, der wie zum Hohn seinen Namen trägt, angewiesen ist.