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Wasser in Michelstadt

Vielleicht liegt es nur an mir, deshalb will ich auf das „man“ verzichten, mit dem – und mit jedem „man“ – es sicher ohnedies ist wie mit dem „man“ von Prousts Professor Brichot, der gefragt wird, ob er in seinen Artikeln über den Krieg nicht etwas zu oft „ich“ schreibe, worauf er zum „man“ wechselt und nur noch von sich schreibt. Vielleicht ist es also nur meine persönliche Vorliebe, daß ich mir wenig Schöneres vorstellen kann als die gewellte Betonfläche, über die das Wasser neben der Brücke in Steinbach bei Michelstadt vom Mühlkanal in die Mümling läuft.

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Wenn ich sie sehe, sehe ich vollendete Harmonie. Die stille Fläche des Wassers im Kanal, die wie fließend in die daneben verlaufende lange Betonfläche übergeht, über der das Wasser immer nur in einer ganz dünnen Schicht fließt, während sie in einer sanften Welle nach unten führt und noch etwas gerade weiterläuft, bevor etwas tiefer das nur etwas bewegtere Wasser der Mümling folgt. Für mich ist das schön und ich könnte lange nur dort stehen und dem Wasser auf dem Beton zuschauen.

Diese Überlauffläche ist aber nur ein Teil der gesamten Anlage zwischen Kanal und Fluß und vielleicht wäre sie nicht so schön, wenn sie alleine wäre. Auf der einen Seite ist die Brücke mit ihrem niedrigen roten Sandsteingeländer, unter deren ersten von drei Bögen der Kanal hindurchfließt, auf der anderen aber bald eine Schleuse mit Stahlschrauben, Holztoren und Betonfassung, durch die bei höherem Wasserstand viel mehr Wasser als über die Betonfläche fließt.

Dazwischen ist ein schräges Landstück, das eigentlich bloß Teil des Ufers zwischen Mühlkanal und Mümling ist, aber wie eine Insel zwischen zwei verschiedenartigen Wasserflächen wirkt, auf der unten ein Baum wächst und die oben nur über den Betonsteg der Schleuse und den schmalen Holzsteg zu einer Tür des am Kanal stehenden Gebäudes zu erreichen ist.

Auf kleinem Raum entsteht eine ganz vom Wasser geprägte menschengemachte Landschaft, ein Odenwaldvenedig, dessen Brücken wie das leicht geschwungene Gebäude mit seinem gelben Putz und den rotgerahmten Fenstern und der einen Tür von dem Stahlgeländer, das nur aus einem runden Handlauf aus so weit wie möglich auseinanderstehenden Pfosten besteht, zu einer unwahrscheinlichen Einheit zusammengefaßt werden. Ist hier noch Bewegung, Kontrast und Konflikt, so ist in der durch eine gestufte steinerne Mauer von der Insel separierten Betonwelle nur noch Harmonie, in der alles aufgehoben ist und schön wird.

Doch auf der anderen Seite der Brücke ist noch mehr. Der Kanal fließt an einem Gebäude mit großem Voluten- und Obeliskgiebel, der noch viel von der Renaissance hat, aber von 1735 ist, entlang und verschwindet bald durch ein schräges Gitter unter einer rechteckigen Betonfläche, in der eine weitere Schleuße ist, und einem vorgesetzten Trakt – es ist eine Mühle – während rechts eine schräge Schleuße mit Betonsteg eine weitere Verbindung zum Fluß schafft.

Wieder ist es das Geländer, das die Betonlandschaft vor der alten Mühle zu einer Einheit formt. Erst nach ihr wird der Kanal in langen Stufen niedriger und verbindet sich wieder mit der Mümling.

Es hängt im übrigen völlig von der Jahreszeit und der Wettersituation ab, wie man all das erlebt. Bei niedrigerem Wasserstand im Kanal wachsen in den Ritzen der Betonfläche Gras und ihre Form wirkt ohne das Wasser eher leblos und unscheinbar. Im Herbst sammelt sich auch durch das im Sommer gewachsene Gras auf der Betonfläche zuviel Laub, was ihre Form wiederum beeinträchtigt. Bei Dürre wird das steinerne, offenbar kopfsteingepflasterte Flußbett der Mümling vor der Brücke und unterhalb des Kanals, über das die Enten gehen müssen, zur größeren Attraktion.

Wie vor allem der Beton zeigt, ist dies eine recht neue, sicher nicht vor 1900 entstandene wassertechnische Anlage, wobei die Geländer eher auf die zwanziger oder dreißiger Jahre schließen lassen. Ihre Formen sind gänzlich funktional und kontrastieren völlig mit ihrer Umgebung, wo neben den genannten Gebäuden auch am anderen Ufer an der Brücke das hinreißende barocke Gärtnerhaus,

nach dem Kanalende die gräfliche Privatbrücke in den Fürstenauer Park und im Hintergrund Schloß Fürstenau selbst sind.

Schön ist sie auf ihre ganz eigene Art und am schönsten ist die gewellte Betonfläche. Aber das liegt vielleicht nur an mir.

Schloß Fürstenau

Wie Steinbach ein gänzlich banaler Dutzendname für ein Dorf ist, so ist Fürstenau ein kaum weniger banaler Name für ein Schloß. Betrachtet man nur den Hof von Schloß Fürstenau in Steinbach bei Michelstadt, ist es auch eine recht banale Renaissanceanlage.

Ein enger Bereich dreiseitig umschlossen von hohen, vier-, fünfgeschossigen Flügeln. In der linken Ecke ein Treppenturm und ein Eingang mit Tempelgiebel und Obelisken. In der Mitte ein niedrig hängender Erker.

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An der rechten Seite eine Treppe zu einem überdachten Gang und einem weiteren Eingang.

Alles eher dunkel von gelbbraunem und rötlichem Stein. Ganz oben an der linken Seite Spuren von Wandmalereien mit falscher Steinstruktur wie sie die nördliche Renaissance so liebte. Und auch im Kontrast zu allem Übrigen überraschende Feinheit in den Fensterrahmen an der linken Seite, die an den Seiten mit zierlichen eingeschnittenen Karozylindern beginnen und unter der Zahl 1528 mit Symbolen eines berechtigterweise stolzen Steinmetzes gezeichnet sind.

Wie es sich für ein Renaissanceschloß gehört, hat Fürstenau außen in allen vier Ecken runde Türme, also zwei beidseits der Öffnung zum Hof. Es ist diese vierte Hofseite, mit der Fürstenau zu mehr als einem typischen Renaissanceschloß wird. Von den beiden Türmen fallen die Dächer zur Mitte hin ab, in den beiden Geschossen darunter ist jeweils oben ein breites und unten näher zur Mitte ein schmaleres Fenster. Und dann spannt sich hoch oben zwischen beiden Seiten ein weiter steinerner Bogen.

In der Mitte hängen Wappen, das Steingeländer bildet große verschlungene Muster und auf zwei Sockeln auf halbem Weg zur Mitte stehen Engelsskulpturen mit Fanfaren.

Der so typische Renaissancehof wird von diesem Bogen gerahmt und geöffnet. Der Bogen ist kein Tor, er will und kann nichts verschließen, nein, er ist eine Brücke, die die beiden Seiten verbindet und das Renaissanceschloß zu etwas vollendet, was in die Renaissance paßt, aber über sie hinausgeht. Die Brücke von Fürstenau ist reine und großartige Konstruktion von einer Kühnheit, die noch heute staunen macht. Eine allzuwichtige Funktion erfüllt sie nicht, sie erlaubt eben, sich zwischen den Obergeschossen zu bewegen, ohne je den Boden zu betreten oder umkehren zu müssen.

Zuvörderst dient sie der Repräsentation, ohne aber monumental sein zu können, da sie zu leicht und losgelöst über dem Hofeingang schwebt.

Vielleicht gab es eine Zeit, als ein Weg den Hügel herab direkt auf diese Seite von Schloß Fürstenau zuführte und der Odenwaldreisende seinen Augen nicht trauend schon von Weitem die durch das Schloß gespannte Brücke sah. Heute kommt man nur von der Seite auf sie zu, da das Renaissanceschloß nurmehr Teil einer größeren Anlage ist. Die eine Seite des Hofs fortsetzend steht mit etwas Abstand ein barockes Gebäude, das im Vergleich zu einem außerhalb des Schlosses recht konvetionell ist.

Quer an dieses anschließend, also direkt parallel zum Hofeingang, folgt ein klassizistisches Gebäude, das außer teils nach oben, teils nach unten zeigenden goldenen Pfeilen in den Geländern der hohen Fenster und Reliefs unter dem auf Kranzgesims leicht überstehenden Dach keinerlei Schmuck hat.

Vor ihm ist eine dezent repräsentative Auffahrt mit begrenzenden roten Steinpfosten und es endet gegenüber dem Renaissanceturm mit einem eigenen in die Ecke gesetzten runden Turm, der aber ein Geschoß weniger als der restliche Teil und eine Dachterrasse hat. Der von diesen drei Gebäuden – Renaissanceschloß, Barockbau, klassizistischer Bau – umschriebene Bereich wird zusammengehalten durch die genau in der Mitte stehende rotsteinerne achteckige Brunnenschale auf einem runden spindelförmigen Sockel, die in ihrer Schlichtheit zu jedem der Stile paßt, ja, aus jedem von ihnen stammen könnte.

Es spricht für die gräfliche Familie zu Erbach-Fürstenau, in deren Besitz das Schloß seit seiner Erbauung ist, in den Brunnen irgendwann eine kleine Nilpferdfigur gesetzt zu haben.

An den Bereich herrschaftlicher Wohn- und Repräsentationsgebäude schließt der Wirtschaftsbereich an, ein großer länglicher Hof mit Bäumen und einer Tränke, der von einem Stall aus roten Stein und einem U-förmigen Bogen aus zweigeschossigen Barockbauten mit Mansarddach und rundbögigen Zugängen zu Ställen und zur Straße begrenzt ist, während er sich neben dem Schloß zur Mümling und zum mit einer Brücke verbundenen Park öffnet.

Das Renaissanceschloß zeigt zu diesem weiteren Hof, und ein wenig nach Steinbach, mit dem um eine Uhr und ein Glockengehäuse erhöhten Turm rechts des Hofs und einem dickeren roten Turm in der hinteren rechten Ecke am Fluß, dessen abschließendes Kuppelgeschoß vermutlich prachtvoll, aber zumeist hinter Bäumen versteckt sind.

Dieses weitere, im Laufe der Jahrhunderte gewachsene und alle Brüche und Kontraste zeigende Hofensemble ist durchaus nicht schlecht, wie auch der Renaissancehof für sich genommen nicht schlecht ist, doch es ist erst die Brücke, durch die Fürstenau zu dem wird, was es ist. Alles andere findet man vielerorts, die Brücke nur hier. Selten bezeichneten so banale Namen einen so besonderen Ort.

Synagoge in Michelstadt

Michelstadt hat eine Synagoge wie aus dem Bilderbuch, wenn es denn viele Bilderbücher mit Synagogen und noch dazu solchen gäbe.

Die Vorderseite zeigt zu einer der typischen kleinen Straßen von Michelstadt,

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die Rückseite zur Stadtmauer,

die linke Seite zu einer winzigen Gasse,

die rechte Seite zu einem schmalen Hof, über den man zu einem Turm der Mauer blickt.

Da das Gebäude beinahe quadratisch ist, sind alle Seiten identisch aufgebaut: zwei hohe rundbögige Fenster, dazwischen oben ein horizontales ovales, alle mit schmucklosen gelben Steinrahmen zum weißen Putz. An der rechten Seite ist weiterhin unter dem mittleren Fenster ein flacher öffnungsloser Erker und in den Ecken sind eckig dorische Pilaster, die das Dach tatsächlich zu tragen scheinen. Dieses Krüppelwalmdach zeigt zur Straße und läßt in der Giebelfläche viel Raum für ein kleines rechteckiges Fenster. Daß hier die Vorderseite ist, ergibt sich so selbstverständlich, daß unter dem mittleren Fenster nur ein Steinschild mit hebräischer Inschrift und ein einfacher rechteckiger Eingang mit weiteren hebräischen Worten im Schlußstein hinzukommen müssen.

Unten links neben der Ecke steht weiterhin die Zahl 1791, das Jahr der Erbauung angebend und die einzige Information für die des Hebräischen nicht mächtige Umwelt.

Heute sind beinahe störend über dem Eingang ein Schild des dort untergebrachten Museums und, entsprechend dem unsympathischen Michelstädter Brauch, historische Gebäude mit schwarzen Metallbuchstaben zu beschriften wie Modelleisenbahnhäuser, das Wort „Synagoge“.

Die Michelstädter Synagoge ist damit ein elegantes und schlichtes Gotteshaus, wie es sich Minderheitenreligionen oft errichteten. Es ist genau diese Eleganz und Schlichtheit, mit der sie zwischen den Fachwerkhäusern der Stadt unweigerlich hinaussticht und wie nur wenige Gebäude sonst über den Odenwald hinausweist.

Ob durch glückliche Umstände oder durch die kluge Wahl der jüdischen Gemeinde hat die Synagoge auch eine sehr gute städtebauliche Einordnung, was in einer so engen alten Stadt fast unmöglich ist. Direkt vor ihr zweigt von der geschwungen um dem Kirchhügel verlaufenden Mauersraße eine Quergasse zur nächsten Straße ab, in ihrer Folge ist eine Lücke zwischen den höher stehenden Gebäuden und dann folgt bereits der große, aber nicht sehr hohe rote gotische Bau der Stadtkirche.

Es herrscht also eine Sichtbeziehung zwischen beiden Sakralbauten, die sich in fast allem unterscheiden außer darin, daß sie gelungene Beispiele der Architektur ihrer Zeit sind.

Während die Gotik Jahrhunderte hatte, solche Kirchen zu bauen, hatte die jüdische Sakralarchitektur zwischen den Anfängen der Emanzipation, die es an den meisten Orten erst erlaubte, repräsentative Synagogen zu errichten, und dem Sieg des Historismus, der vorschrieb, daß Synagogen orientalisierende Formen haben müssen, nur wenig Zeit. Tragischerweise wurden die meisten Synagogen gebaut, als die Architektur am schlimmsten war. Deshalb sehen viele Bilderbuchkirchen aus wie die Michelstädter Stadtkirche, aber Bilderbuchsynagogen, sogar wenn es sie gäbe, leider nicht wie die Michelstädter Synagoge. Umso wertvoller ist es, daß man eine solch schöne Synagoge direkt in Michelstadt betrachten kann, aber bessere Bilderbücher wären trotzdem gut.

Barock in Michelstadt

Auf dem Marktplatz von Michelstadt ist das Haus „Zum goldenen Löwen“ der Vertreter von Modernität und Internationalität allein schon dadurch, daß es keinerlei Fachwerk hat. Stattdessen ist es ein großer zweigeschossiger Barockbau mit heute lachsfarbenem Putz und regelmäßigen rechteckigen Fenstern.

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Aller Schmuck konzentriert sich auf das Portal. Beidseits des breiten rundbögigen Tors sind schräge Pilaster in ungewöhnlicher Wellenform und davor korinthische Säulen, die ergänzt durch eine aus dem Schlußstein hervorwachsende nach vorne geschwungene Stütze einen Balkon mit floral ornamentiertem und vergoldetem Metallgeländer tragen.

Um das Fenster des Obergeschosses sind wiederum gewellte Pilaster und vor dem Mansarddach ist ein schmaler Giebel, der gewellt beginnt, zwischen Vorhangformen ein verschlungenes goldenes Monogramm, eine Krone und die Jahreszahl 1755 zeigt und über einem nach oben gewölbten Gesims mit einer spitzen Form endet. So steht das Haus „Zum goldenen Löwen“ als völliger Kontrast mitten zwischen den Fachwerkhäusern von Michelstadt und daß es auch überall sonst und am liebsten allansichtig frei stehen würde, zeigt es durch die in keiner Weise betonte Ecke links.

Frei und potentiell allansichtig steht ein kleines Haus am Schloßpark im nahen Steinbach, weshalb etwaige Kontraste zu den Gebäuden jenseits der folgenden Brücke oder zu den im Hintergrund entlang der Mümling zu sehenden Türmen des Schlosses Fürstenau unwichtig sind.

Weiß mit roten Details scheint es nur ein einziges Geschoß mit hohen Fenstern, vor denen unten ornamentale vergoldete Metallgitter sind, und zierliche ionische Eckpilastern unter einem niedrigen Mansarddach zu haben, doch was dessen Sockel schien, ist beinahe ein vollwertiges Geschoß unterhalb des Straßenniveaus. An der rechten Seite, wo auch der Park niedriger beginnt, ist ein großer Rundbogen und an der linken Seite, die direkt in den Stein der Uferbefestigung übergeht, ist zwischen zwei normalen Fenstern ein horizontales ovales.

In der Mitte der Straßenseite aber ist ein fast verstecktes rotes Portal. Nur wenig oberhalb der Straße ist vor dem Obergeschoß ein Balkon mit floral ornamentiertem und vergoldetem Metallgeländer, der auf spiralförmigen Säulen vor schräg angeordneten korinthischen Pilastern und einer aus dem Schlußstein hervorwachsenden volutenartig geschwungenen Stütze ruht.

Um den Eingang zu erreichen, muß man von links oder rechts schmale geschwungene Treppen zu einem winzigen Vorbereich, den rote Steinwände der Straße geradezu abtrotzen, nehmen.

Das Haus scheint in die Erde gesackt und es ist wohl möglich, daß die Straße wie die Brücke zum Hochwasserschutz irgendwann nach seiner Erbauung erhöht worden waren. Doch es scheint sich dort, halb unterhalb der Erde, wohlzufühlen und es hat nichts Improvisiertes oder notdürftig den Umständen Angepaßtes. Im Gegenteil, diese leichte Barockarchitektur gewinnt durch diese Lage. Das obere Geschoß schwebt gläsern, hell und funktional, der Schmuck des Portals ist ein halbverstecktes Geschenk. Zu ihm  muß man nun hinabschauen, was eine völlig Umkehr der üblichen Situation ist. Monumentale Wirkung, die bei einem so kleinen Gebäude ohnedies schwer wäre, ist völlig ausgeschlossen.

Die Gestaltung des Portals zeigt überdeutlich, daß hier im Jahre 1756, wie es beidseits der mittigen Stütze unter dem Balkon steht, derselbe Architekt baute wie ein Jahr zuvor am Michelstädter Marktplatz. Doch das Haus „Zum goldenen Löwen“ ist eingesperrt in der alten Stadt, dieses steht frei am Rande des Parks. Der Architekt selbst schien zu wissen, daß er hier das größere Werk schuf, da er ihm die spektakulären Spiralsäulen, die er dort in den gewellten Pilastern nur andeutete, gab. Zugleich ist es, als sei das Haus etwas schüchtern und zeige seine Schönheit nur unsicher, während sein großer Bruder am Marktplatz mit großem Selbstbewußtsein dasteht, obwohl er weniger zu bieten hat.

Das Steinbacher Haus hingegen offenbart, je länger man es betrachtet, immer mehr: hinter, nein, auf der straßenabgewandten Seite, der Parkseite, führen von der Mitte des Obergeschosses Treppen entlang der Wände des Untergeschosses nach links und rechts hinab.

Fast ist dieser Abgang in den Park wichtiger als das Portal an der Straße, denn für den Park wurde das Haus errichtet. Ein kurzer Steg über der rechten Treppe verbindet das Obergeschoß mit einem zweiten kleineren Bauteil in denselben Formen, der auf einem mit Rundbögen zu drei Seiten, und über die Treppe auch zur vierten Seite, geöffneten Sockelgeschoß nur einem einzigen Raum mit einem niedrigeren, aber spitzeren Dach hat.

Das Haus schien bereits fertig, doch durch die parkseitige Treppe und den kleinen Anbau wurde es vollendet.

Von der Zierlichkeit der Ornamentik über die Anordnung zwischen Fluß und Park und das versenkte Portal bis zum Anbau ist dieses Haus ein Beispiel eines radikalen Barock. Was der Barock in der Stadt wollte, gelang ihm außerhalb von ihr. Barockarchitektur ist immer Parkarchitektur.

Hakenkreuz in Michelstadt

„Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ heißt ein Gemälde des westdeutschen Künstlers Martin Kippenberger, das vor allem für seinen Titel bekannt ist. Besser kann man die – wohlbegründete und berechtigte – deutsche Obsession mit dem Nationalsozialismus und dessen Symbol auch nicht in einem Satz zusammenfassen. Bei hinreichendem Willen wird man um sich herum überraschend viele Hakenkreuze entdecken und sich mit Kippenbergers Satz fragen, ob sie dort aus einer wie auch immer gearteten Absicht angebracht wurden oder dem Zufall geschuldet nur durch die erhöhte deutsche Sensibilität sichtbar werden. Denn das Hakenkreuz ist nun keine besonders komplizierte Form und entsteht in der rechtwinkligen Verbindung von Linien leicht. Man braucht nur vier Quadrate zu einem größeren zusammenzufügen und schon ist da, wenn man will, auch ein Hakenkreuz.

In Klein-Steinheim (Bilder zum Vergrößern anklicken)

Daß diese einfache Form nicht so verbreitet und omnipräsent ist, daß es die Assoziation mit dem Hitlerfaschismus verwässerte, liegt daran, daß zumindest die in Deutschland vorherrschenden Architekturstile eher geschwungene als eckige Ornamente verwendeten. In gewellten Hakenkreuzformen, wie sie sich manchmal im Maßwerk gotischer Kirchenfenster finden, läßt sich nur noch schwer das Nazisymbol entdecken.

Nieuwe Kerk in Amsterdam

Einzig im Klassizismus waren Mäanderornamente, die teils Hakenkreuze bilden, häufiger, aber dessen Zeit dauerte nur kurz. So war es völkisch-esoterischen Gruppen und in ihrem Gefolge den Nationalsozialisten ein Leichtes, das Hakenkreuz als frisches und äußerst einprägsames Symbol, ebenbürtig dem Kreuz des Christentums und dem fünfzackigen Stern der Arbeiterbewegung, zu verwenden. Mit dem Nationalsozialismus wird es auch verbunden bleiben und Versuche, es zum normalen Ornament zu machen, werden scheitern.

Wie es anders hätte sein können, läßt eine klassizistische Tür an der Kellerei, dem ehemaligen Verwaltungssitz der Erbacher Grafen, in Michelstadt erahnen.

Dieser Gebäudekomplex besteht aus einer dreigeschossigen Fachwerkhauszeile, die nach außen hin Teil der Stadtmauer ist, einer zweiten zweigeschossigen Zeile, die in der Höhe an die Bebauung der Stadt anschließt, und einem Hof, der sich zwischen ihnen zu einem hohen Renaissancebau mit von Treppengiebeln abgeschlossenem hohen Satteldach leicht verbreitert. Mit weißen Wänden, unregelmäßigen roten Fenstern, dem rechts angefügten Turm und dem mittig vorgesetzten Eingang mit von beiden Seiten hinaufführender Treppe, deren Vordach auf zwei hölzernen Säulen ruht, bestimmt dieser Bau den Hof völlig und vielleicht ist es deshalb so leicht, die Hakenkreuztür nicht zu entdecken.

Sie findet sich im Obergeschoß eines der Häuser der niedrigeren Fachwerkzeile, wo heute die Stadtbibliothek ist, und wird über eine schmucklose einmal gewendelte Treppe aus rotem Stein erschlossen.

Die insgesamt sechs Hakenkreuze sind im untersten und in den beiden oberen Vierteln der türkisblauen Türflügel und sobald man sie entdeckt hat, kann man sie beim besten Willen nicht mehr übersehen, obwohl sie nur der Mittelpunkt von Reliefs rechtwinklig verbundener Linien, riesig vergrößerten vertikalen Mäandern, sind.

Doch in dieser Tür ist mehr. Im zweituntersten Viertel sind um die kupfernen Knäufe im Gegenteil runde Formen, die sich wie Blütenblätter zu einer Blüte zusammenfügen, aber auf regelmäßig geometrische Art und als seien sie in Bewegung. Zwei ähnliche, kleinere Formen, die noch stärker an Schiffsschrauben in Bewegung erinnern, sind in Quadraten, Würfeln fast, schräg über den Ecken der Tür. Sie gehören zu einem Gesims über dem inneren Rahmen und sind auch extrem stilisierte Säulenkapitelle, da von ihnen jeweils kurze vertikale Leisten mit zwei vertieften Linien und wie angehängten kleinen Dreiecken auf das Holz des äußeren Rahmens hinabführen.

Sogar die Klinke beginnt als eckige Spirale, bevor sie geschwungen nach rechts unten abknickt, sich spaltet und in einem aufrechten hammerförmigen Hebel endet.

Diese Tür ist so hinreißend schön gearbeitet, so sympathisch gleichgültig gegenüber dem Fachwerk ringsum, ein solches Kleinod des Klassizismus, daß die Hakenkreuze wirklich fast nur Ornamente unter anderen sind. Fast, denn letztlich bleibt auch hier, wo sie Teil des zierlichen Höhepunkts des Hofs der Kellerei sind, die Assoziation mit dem nationalsozialistischen Schreckenssymbol stärker. Auch die klassizistische Tür in Michelstadt wurde Opfer des Faschismus.