Maisbarock in La Paz

Santo Domingo, die Dominikuskirche, liegt verloren in den engen und dicht bebauten Straßen von La Paz, kein Platz vor ihr, keine städtebaulichen Bezüge irgendwo, obwohl der größte Platz der Altstadt nicht weit entfernt ist. Vielleicht war das anders, als die umliegende Bebauung niedriger war, doch auch auf weitem Feld freistehend wäre sie ein zwar stattlicher, aber schlichter Bau.

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In den braunen Sandsteinmauern sind wenige Fenster, über zwei Nebenportalen und um den in der Eche befindlichen, nicht hohen Turm laufen Reliefbänder mit Blattmotiven und um die Turmkuppel und beidseits des vorstehenden Bogens, der das Portal schützt, ragen kegelförmige Spitzen auf. Aber dieses Portal!

Die Säulen sind mit amerikanischen Maismotiven geschmückt, die in der unteren Hälfte noch als europäische Weintrauben interpretiert werden könnten, aber in der oberen Hälfte – links und rechts unterschiedlich – eindeutig von Blättern umhüllte Kolben sind. Neben den äußeren unteren Säulen wachsen Ranken mit großen Blüten aus den Mündern maskenartiger Gesichter.

In den Ecken des Gesimses über den oberen Säulen sind andere, eckigere Gesichtern, Fratzen schon. Um das Fenster in der Fassadenmitte, vor dem ein neueres Holzkreuz steht, sitzen Vögel mit großen Schnäbeln, eindeutig Papageien, über denen wiederum Maispflanzen emporwachsen.

Ringsherum, in allen Bögen und freien Flächen, sind verschiedene Blumen- und Pflanzenmuster.

All das, in großen, geradezu plakativen Reliefformen gezeigt, wäre auch am Eingang des Tempels einer lokalen Indianerreligion denkbar.

Vier seitliche Nischen sind leer und so bleiben als christliche Elemente dessen, was schließlich ein Kirchenportal sein soll, nur der halbplastische Engel über dem Tor, der um seine wie die Flügel ausgestreckten Arme ein Tuch drapiert hat, und das Relief im Giebelbogen, das Gott mit bärtigem Gesicht vor einem Dreieck und mit weit über unklare Formen, vielleicht Berge oder Wolken, ausgebreiteten Armen zeigt.

Wie gegenübergestellt sind sich Christliches und Indianisches, Europäisches und Amerikanisches, in den kleinen Quadern über den Säulen des unteren Teils, die links Gesichter mit Engelsflügeln

und rechts andere Gesichter inmitten von halben Federkränzen zeigen.

Nun sind in den Barockkirchen der Andenstädte Bezüge auf die örtliche Flora und Fauna wie auf die Bildtraditionen der Inkas und anderer Völker nicht selten, auch San Francisco, die zentraler gelegene Franziskuskirche von La Paz, hat sie, aber selten sind sie so stark, so fast schon exklusiv wie in Santo Domingo. Es läßt sich kaum mehr sagen, daß hier indigene Formen in europäische eingefügt sind, denn ebensogut könnte es andersherum sein. An diesem von der schlichten Kirche in der Enge der Stadt wie ein Juwel geborgenem Portal kann man beinahe eine alternative Geschichte, in der die Inkas Europa kolonialisierten, erahnen.