Philips

Eindhoven ist die Stadt von Philips. Man merkt das sehr bald, auch wenn man es vorher nicht wußte. Eine Statue von Anton Philips, der die Firma nicht gründete, aber aufbaute, steht vor dem Bahnhof, eine seines langjährigen Nachfolgers Frits Philips auf dem Markt. Im ältesten Fabrikgebäude ist das Philips Museum. Ein Stadtteil heißt Philipsdorp (Philipsdorf). Daß die Spielstätte des Fußballvereins PSV Eindhoven Philips Stadion heißt und eine Mischung aus dem Philips-Stern und einem Fußball als Logo hat, ist hier kein traditionsfernes Sponsoring à la Commerzbank Arena, sondern selbstverständlich, schließt steht PSV für: Philips Sport Vereniging (Philips Sportvereinigung).

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Auch mit fast jedem anderen Gebäude der Stadt hat Philips auf die eine oder andere Weise zu tun.

Das markanteste Philips-Gebäude im Zentrum ist der Lichttoren (Lichtturm), ein mächtiger sechsgeschossiger Eckbau aus weißgetünchtem Beton. Die Ecke ist durch drei schräge Flächen deutlich abgerundet und auf ihrem Dach sind zurückgesetzt vier weitere Geschosse, die die Form eines spitzen Vielecks haben, der eigentliche Lichttoren. Krönend darauf ist heute der langweilige und doch einprägsame blaue Philips-Schriftzug.

Der Lichttoren ist in weiten Teilen einfach ein funktionales Fabrikgebäude, das auf fünf Geschossen große rechteckige Fensterflächen zwischen den horizontalen und vertikalen Betonstreben und im niedrigeren fünften Geschoß regelmäßige kleinere Fenster zwischen schmalen vertikalen Streben hat. Während dort Fertigungsräume waren, saßen im Aufbau an der Ecke Testlabors, weshalb dort ständig Licht brannte. Doch zu dieser schmucklosen Funktionalität kommen beidseits der Eckrundung und in regelmäßigen Abständen an den Seiten weit vorgesetzte Pfeiler mit vertikal eingefurchten Linien. Unterhalb des Dachs verläuft ein Band aus mehreren erhabenen horizontalen Streifen, das um die Abschlüsse der Pfeiler weit vorsteht.

Das ist eine expressive Art-Déco-Ornamentik, die dem Gebäude eine Monumentalität zu geben versucht, die es als das höchste und größte Umgebung der Umgebung, ja, des gesamten Stadtzentrums, gar nicht gebraucht hätte. Am Abschluß der rechten Gebäudeseite ist der Pfeiler noch anders ausgeführt. Hier endet er in einer Art Türmchen mit spitzem Dach.

Auch die Fenster der hier angrenzenden Gebäudeteile sind kleiner und vertikaler und das Dach steht mit historisierendem Kranzgesims über. Offenkundig ist dies noch eine ältere Planung, die in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, also recht eigentlich ins 19. Jahrhundert, gehört.

Sich von ihr zu lösen und stattdessen in einem minimalistischen Art Déco weiterzubauen, war die vielleicht wichtigste architektonische Entscheidung, die Philips je traf. Statt einem biederen historistischen Bau bekam Eindhoven ein modernes Hochhaus. Denn der Lichttoren ist für seine Zeit und seinen Ort nicht weniger als ein Hochhaus und dadurch für die Stadt weit wichtiger als all die neobacksteingotischen Kirchen.

Ansonsten war Philips selten an erster Stelle, wenn es darum ging, architektonische Neuerungen aufzugreifen. Das ist ein Unterschied etwa zum tschechoslowakischen Baťa, das Zlín so sehr prägte, ja, schuf, wie Philips Eindhoven, aber moderne Architektur geradezu zum Teil seiner Corporate Identity machte. Der Stadtteil Philipsdorp etwa, der sich bald hinter dem innenstädtischen Fabrikgelände bis zu den weiteren Philipsanlagen in Strijp-S erstreckt, besteht ganz aus zweigeschossigen backsteinernen Reihenhäusern in unaufwendigen historistischen Formen, wie sie das Bild aller niederländischen  Städte prägen. Was vor, was nach dem ersten Weltkrieg entstand, ist hier nicht zu erkennen und unwichtig.

Strijp-S ist dann eine wahre Fabrikstadt und das eigentliche Herz von Philips. Es war damit auch eine Stadt in der Stadt, die nur den Arbeitern und Angestellten von Philips zugänglich war. Heute werden seine hohen weißen Fabrikgebäude, Varianten der Gebäude des Lichttoren, zu Wohnungen und Ateliers umgebaut.

Abseits von Strijp-S, jenseits der Bahnstrecke, ragt das einzige noch immer von Philips genutzte Gebäude auf, ein kompliziert aufgestütztes und aufgehängtes Hochhaus von 1964. Heute steht es allein und recht verloren, aber früher war es nur ein Teil weiterer ausgedehnter Philips-Büroanlagen aus derselben Zeit, von denen keine Spur mehr zu finden ist.

Anderswo am Stadtrand steht das evoluon. Als riesige Diskusform, die freischwebend auf einem runden Sockel aus V-Stützen und Glas ruht, war es als neues Symbol der Stadt bestimmt und ist es in gewissem Maße noch heute, obwohl andere Gebäude darauf ebensoviel Anspruch erheben könnte.

Erbauer war im Jahre 1966 selbstverständlich die Firma Philips, die damit zu ihrem 75-jährigen Bestehen ihre Modernität und ihren weltumspannenden Anspruch symbolisieren wollte. Rechts ist der große Eingangsbau, teils mit einem Dach, dessen quadratischen Teile mal höher, mal niedriger gesetzt sind, und von ihm führt ein verglaster Gang zur ufoförmigen Halle. Links ist ein zweiter Eingangsbau, auch aus Beton und in kubischen Formen, aber neuer und deutlich banaler wirkend. Daneben steht ein eigentümlicher Schornstein oder Turm, der durch beidseits horizontal herausragende Elemente an maritime Denkmale wie das für Tegetthoff in Wien oder aber indianische Totempfähle erinnert.

Insgesamt ist das evoluon-Gelände heute eigenartig isoliert, abgesperrt, zwar zugänglich, aber nicht einladend.

Und so geht es weiter. Wohin man auch blickt in Eindhoven, da ist auf die eine oder andere Weise Philips. Das Denkmal für das erste Telefongespräch mit Niederländisch-Ostindien in den Dreißigern – mehr Philips als der damaligen Königin gewidmet. Die Sternwarte – benannt nach Anton Philips. Es reicht bis zu der allgegenwärtigen Glühbirnensymbolik.

Wenn im Kneipenviertel am Stratumseind irgendwo eine Leuchtreklame mit dem vertrauten blau-weißen Philipslogo hängt, weiß man nicht genau, ob das noch Überbleibsel eines alten Elektronikgeschäfts oder schon hippes Zitat ist.

Denn vielleicht stimmt es nicht ganz, daß Eindhoven die Stadt von Philips ist, vielleicht muß man eher sagen: Eindhoven war die Stadt von Philips. Produziert wird anderswo, geplant, verwaltet, entworfen größtenteils auch. Philips ist, damit wieder Baťa in Zlín verwandt, in Eindhoven eher Folklore, Erinnerung an eine gar nicht ferne industrielle Vergangenheit, als realer wirtschaftlicher Faktor. Doch wie dem auch sei, übersehen kann man Philips in Eindhoven nicht, auch wenn man an niederländischer Industriegeschichte keinerlei Interesse hat.

Ein Gedanke zu „Philips

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