Bar

Es ist nicht schwer, Bar als trostlose Touristenstadt zu beschreiben, gelegen an der Adriaküste im lächerlichen postjugoslawischen Kleinstaat Montenegro, wo man mit Euro zahlt, ohne zur Eurozone zu gehören, billiger als Kroatien und beliebt bei russischen und serbischen Familien. Als einfaches Symbol fände man die Jahrmarktattraktionen, die am Ende der Strandpromenade vor der wilden Bergkulisse herumstehen, oder die riesige neue orthodoxe Kirche etwas dahinter.

BarJahrmarkt

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Doch Bar ist zugleich auch eine jugoslawische Planstadt, eine Hafenstadt, die nicht besonders auf Tourismus und in ihrer Stadtstruktur nicht einmal besonders auf das Meer ausgerichtet ist. Das Herz und, wieso nicht, das Symbol dieses anderen Bar ist die Robna kuća, das Warenhaus.

RobnaKućaBar

Es besteht aus drei verbundenen Bauteilen, die jeweils rund sind und von erst steil ansteigenden, dann fast waagerechten, schließlich noch einmal steilen Betonstreben getragen werden, so daß vor den Bergen hutartige Formen entstehen. Alle drei Bauteile haben zwischen diesen Streben schmalere Streifen und vertikale sechseckige Fenster sowie weit zurückgesetzte Erdgeschosse, doch das linke hat nur ein, das rechte zwei, das mittlere gleich drei Geschosse, bevor die Streben abflachen. Auf dem Platz an der Straßenecke, dem sich das Warenhaus zuwendet, steht außerdem eine weiße Stele mit einem Logo, das ebensogut das der Stadt wie das des Warenhauses sein könnte,

BarLogo

und eine große Sonnenuhr aus einer schrägen Betonnadel und einem Ziffernfeld im Boden. Entlang der rechts vorbeiführenden Straße schließt sich ein zweigeschossiger Bau mit Cafés und Restaurants an, der die mäandernde Struktur und die von den schrägen Streben gebildeten Kolonnaden aufnimmt und mit Fensterbändern verbindet.

BarRestaurants

Um dieses Herz breitet sich die Stadt Bar aus.

WohngebäudeBar2

Südlich und östlich steht bis zu zehn-, zwölfgeschossige Wohnbebauung, nach Westen, zum Meer hin, niedriger, weißgetünscht, an den Straßen ausgerichtet, aber offene Hofbereiche bildend.

WohngebäudeBar

Hinter einem großen Bulevar im Osten, bei dem das vorher leicht nach Westen geschwenkte Straßenraster eine strenge Nord-Süd-Ausrichtung bekommt, schließt sich verstreute Einfamilienhausbebauung und ein weiteres Wohngebiet an.

Nördlich und westlich hingegen sind die öffentlichen Einrichtungen angeordnet. Im Norden das Dom Zdravlja (Haus der Gesundheit) und die Post, die einen flachen Rundbau in dem Warenhaus verwandten Formen hat.

BarPošta

Dahinter, wo freie Flächen für eine planvolle Erweiterung der Stadt gewesen wären, stehen die orthodoxe Kirche und eine große Sporthalle. Um alle Gebäude ist viel Platz und bei einer Schule aus über Eck gesetzten geraden Trakten sorgt ein parkartiger Bereich mit runden Sitzanlagen für zusätzliche Offenheit, weshalb das Straßenraster gar nicht so wichtig ist.

BarKleinerPark

Im Westen geht es zwischen niedrigerer Wohnbebauung, vorbei an der Polizei und dem Dom Revolucije (Haus der Revolution),

DomRevolucijeBar

das mit einer vorgesetzten Wand mit rundbögiger Öffnung als einziges ein historistisches Motiv hat, zum Hafen. Dort sind markante schmale Einzelgebäude, deren schräge Dächer noch über den freischwebenden Betonlamellen der Terrasse im zweiten Geschoß aufragen, in den verglasten Erdgeschossen und mit Brüstungsbändern zu größeren Komplexen verbunden.

BarLadenzeilen

Mit den so entstehenden geschwungegenen Ladenzeilen, in denen die Büros staatlicher Reisefirmen und Cafés untergebracht sind, öffnet sich die Stadt zu weiten platzartigen Bereichen mit Palmen in runden Beeten und zum Wasser.

BarBeimHafen

Auf einer Mole zwischen Sport- und Militärhafen steht der langestreckte zweigeschossige Bau des Putnički Terminal (Reiseterminal), der mal offen seine schrägen Stützen, mal blaue Verkleidung und größere oder kleinere Fensterflächen zeigt und mit einem runden, teils verglasten Türmchen endet.

PutničkiTerminalBar

Hier gelangt man zur Fähre nach Bari in Italien, das recht direkt jenseits der Adria liegt und von dem Bar seinen Namen hat.

Im Nordwesten bildet ein Park mit dem darin eingebetteten Dom Kulture (Kulturhaus) Vladimir Popović Španac die Verbindung zu Promenade und Strand.

DomKultureBar2

Die Gebäude des Kulturhauses sind bestimmt von vertikal geriffelten weißen Betonwänden, die oft geschwungen und oft, in der Luft oder am Boden, über die Gebäude hinaus fortgeführt sind, eine skulpturale Architektur.

KinoDomKultureBar

Im Schatten von Bäumen steht eine Büste des Namensgebers, des aus der Umgebung stammenden jugoslawischen Kommunisten Vladimir Popović, der wegen seiner Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg den Beinamen Španac, Spanier, trug.

VladimirPopovićŠpanacBar

Zwischen dem Hauptgebäude und der Freilichtbühne mit Kinoleinwand führt ein Weg hindurch zu einer gläsernen Orangerie.

DomKultureOrangerieBar

Sie gehört schon zum Garten eines Palasts, den sich der montenegrinische Fürst, später gar König, Nikola bauen ließ. Der Palast, eher eine recht bescheidene Villa aus dem späten 19. Jahrhundert, steht direkt an der Strandpromenade und beherbergt heute ein Museum.

PalastNikolaBar

Direkt am Ufer steht auch die Galerie des Kulturhauses mit ihren großen hellen Räumen, aber sie schaut nur zurückhaltend neben einem weiteren alten Gebäude hervor.

GalerijaBar

So gelingt es Bar sogar, daß einzige Alte, das es hat, aufzuheben.

Die Promenade führt zwischen Palmen und mediterranen Sträuchern vom Hafen hierher und noch weiter, wo aber nichts mehr kommt.

StrandpromenadeBar

Wenn man dann am Kieselstrand steht und nicht nur aufs Meer

StrandBar2

hinaussieht, spürt man aufs Neue, daß Bar eben nicht als Touristenstadt geplant war. Große Hotels am Ufer, deren Kennzeichen, sucht man vergeblich. Die von den Bergen gerahmte Bucht, an der die Stadt liegt, endet im Süden hinter dem Hafen mit einer Halbinsel voller runder Tanks,

StrandBar1

während im Norden eine andere Halbinsel den Blick auf den bei einem markanten Bergkegel gelegenen Ferienort Sutomore  versteckt.

StrandBar3

In den nördlichen Hängen sind außer Einfamilienhäusern auch einige höhere Wohnhäuser, die nicht selten Pensionen oder Appartments für Touristen sind, aber alle sind erst in jüngerer Zeit entstanden. Denn Bar war etwas anderes: eine Stadt des sozialistischen Jugoslawien. Der Hafen wurde in den Siebzigern ausgebaut und mit einer Bahnlinie durch die Berge Montenegros mit der Hauptstadt Belgrad verbunden. Bar selbst entstand als neue und geplante Stadt für die Arbeiter des Hafens.

Es ist eine Planung, die nichts herausragend Fortschrittliches hat, aber heute nach wie vor funktioniert. Ihr größter Mangel ist, daß sie zu sehr auf das Auto ausgerichtet war. Der Bulevar ist zu Fuß nur an wenigen Stellen zu überqueren. Viele der freien Flächen, die nun nach und nach zugebaut werden, waren einfach Parkplätze. Dazu paßt leider die marginale Lage des Bahnhofs. Weit abseits im Südwesten, von der eigentlichen Stadt durch Gewerbeanlagen und Einfamilienhäuser getrennt, wie in einer anderen Welt, liegt er. Zuerst der Busbahnhof, still zwischen Palmen, zwei Dächer aus dünnen Stahlstreben nur, ein niedrigeres für die Halle, ein höheres, bei dem die Stahlstreben filigrane umgedrehte Pyramiden bilden, für die Bahnsteige.

BusbahnhofBar

Dann der Bahnhof selbst, mehrere recht banale Gebäude und eine weite Schienenlandschaft, die aber schon allein einen Kontrapunkt zum Bergpanorama bildet und ein wenig vom Heroismus dieses jugoslawischen Infrastrukturprojekts behält.

BahnhofBar

Nach wie vor kann man mit dem Zug bis nach Belgrad fahren, langsamer natürlich als in der Entstehungszeit. So verdankt Bar alles, was es ist, dem jugoslawischen Staat und seine schiere Existenz ist ein Beispiel dafür, wieso dieser Staat gut war. Wenn Bar heute so leicht so trostlos wirken kann, liegt das auch daran, daß Jugoslawien fehlt.

Ein Gedanke zu „Bar

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