Eremitage Waghäusel

Wenn man zwischen den Torhäusern und entlang der Allee zur Eingangsseite des Schlosses Eremitage in Waghäusel schaut, sieht man ein nicht weiter ungewöhnliches Barockschloß. Blaßorangener Putz, grüne Fensterläden, zwei Geschosse. Im vorgesetzten Eingangstrakt von zwei dorischen Säulen, die einen Balkon tragen, flankiert ein Portal, im Mansarddach eine Uhr, auf ihm ein kleines quadratisches Türmchen, dahinter ein höherer runder Teil mit umlaufenden Fenstern und Kuppel, seitlich leicht nach hinten geschwungene Teile, deren rechter mittig statt der rechteckigen Fenster auf zwei Geschossen nur eines zwischen ihnen und darüber wie darunter runde Fenster hat.

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Doch es ist gar nicht sehr wahrscheinlich, daß man zuerst von dieser Seite auf das Schloß schaut. Von den drei anderen Seiten erkennt man noch schneller, daß es sich um ein höchst ungewöhnliches Barockschloß handelt. Die Mitte ist in der Tat rund, aber der Eingangstrakt ist nur einer von vier identischen achteckigen (oder bei abgeflachten Ecken quadratischen) Trakten, die diesem zentralen Rund vorgesetzt und durch die geschwungenen (oder vielmehr flach trapezförmigen) Teile verbunden sind. Einziger Fassadenschmuck sind auf der Spitze stehende Quadrate in der Fläche zwischen den beiden Geschossen.

Wäre nicht das Portal und das Türmchen, es gäbe zwischen den Seiten keine Hierarchie, ein Hinten und Vorne gibt es auch so nicht: das Schloß Eremitage ist allansichtig.

Es ist wie ein Stern, der zu allen Seiten ausstrahlt.

Während Wege und Alleen von den achteckigen Trakten ausgehen, stehen schräg zu den geschwungenen Teilen lange zweigeschossige Bauten mit Mansarddächern, deren Schmalseiten zum locker umgrenzten Hofbereich um das Schloß zeigen.

Bloß einer dieser Nebenbauten existiert heute nicht mehr.

Ein allansichtiges rundes, oder mindestens achtseitiges Schloß wie dieses ist gewissermaßen die konsequente nächste Stufe des Barock nach einem normalen, nur zweiseitigen Schloß, da es als Mittelpunkt einer ganz ihm untergeordneten Landschaft viel besser geeignet ist. Kein passenderer Ort für ein solches Schloß daher als die scheinbar unendliche Ebene rechts des Rheins, irgendwo zwischen Mannheim und Karlsruhe. Allerdings erlaubt die Allansichtigkeit keine Repräsentation und Machtdemonstration mehr, weshalb sie durch einen hervorgehobenen Eingangstrakt gebrochen werden muß. Das konsequenteste Barockschloß ist nicht mehr als Schloß geeignet.

Ironischerweise steht das Schloß Eremitage, das so sehr Mittelpunkt sein will, heute recht verloren in der weiten flachen Landschaft, die von Bahnstrecken und Straßen zerschnitten und von großen Industrieanlagen geprägt ist. Auch das ist nur passend, denn auch der radikalste Barock gehörte in den Feudalismus und mußte im Lauf der Geschichte dem Kapitalismus Platz machen. Bevor wieder geordnete Orte mit allansichtigen Gebäuden entstehen konnten, nun für alle, mußten chaotische Orte mit dunklen Hinterhöfen entstehen. Das Schloß mußte in der nordbadischen Industrielandschaft wie eine Fata Morgana wirken, es wirkt noch immer kaum anders, doch nach und nach deindustrialisiert sich die Landschaft. Zu den verbliebenen Hallen, Anlagen eines MCs, einem McDonald’s kamen Brachflächen.

Erst in jüngster Zeit wurde das Schloß hergerichtet, was außer neuen Dächern und neugepflanzten Alleen auch die üblichen Betonbänke, Stahlrahmen und allerlei abstrakte und gegenständliche Skulpturen mit sich brachte. Vom Bahnhof Waghäusel ist das Schloß so gut ausgeschildert wie nur möglich, aber ob es je wieder ein Ort wird, der Mittelpunkt irgendeiner Art ist, bleibt abzusehen.