Straßenbahn Vélez-Málaga

Vélez-Málaga hat eine Straßenbahn. Das überrascht, paßt aber zu dieser Stadt östlich von Málaga, die mit Alcazaba (arabischer Burg), mehreren alten Kirchen, Altstadt am Hang und angrenzender neuerer nichttouristischer Wohnbebauung weit mehr Stadt ist, als der nach einem Anhängsel klingenden Name erwarten ließe.

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Direkt neben dem alten Bahnhofsgebäude der einst nach Málaga führenden Schmalspurbahn ist die erste der einfachen Haltestellen, die immer einen Unterstand mit gläserner Rückwand und vorgeschwungenem Glasdach und eine digitale Abfahrtsanzeige haben.

Hier beginnen die t-förmigen Masten der Oberleitung. Meist in die Straße eingelassen, aber neben dem Parque María Zambrano (María-Zambrano-Park) mit separiertem Kunstrasenbeet, führt die zweigleisige Strecke um das Stadtzentrum, so daß meist auf der einen Seite Gebäude aus der Zeit seit den Sechzigern und auf der anderen neuere sind.

Eingleisig biegt sie ab und schlängelt sich durch kleinere Straßen und vorbei am kleinen Parque Juan Jurado Lorca (Juan-Jurado-Lorca-Park), bevor sie von Neuem auf die breite Avenida Vivar Telléz/Avenida Juan Carlos I (Vivar-Telléz-Allee/Juan-Carlos-I-Allee) abbiegt und mit ihr leicht hügelab Richtung Meer führt.

Etwa dort, wo die Wohnbebauung endet, wird die Strecke wieder zweigleisig und verläuft beidseits der begrünten grün-gelben Betonbarriere in der Straßenmitte durch das Gewerbegebiet, wo an der linken Seite unter Ficusbäumen zudem breite Fuß- und Fahrradwege sind.

Nach dem Gewerbegebiet, wo offene Felder und Autobahnauffahrten folgen, rückt die Straßenbahn links neben die Straße und hat nun ein geschottertes Gleisbett mit Betonschwellen, wie es jede Bahnstrecke haben könnte.

Die beiden Brücken der Autobahn, unter der die Straße und die Straßenbahnstrecke hindurchführen, haben abgerundete Seiten und ruhen auf mächtigen Pfeilen, die mit einem kleineren Kegel beginnen und in einen umgedrehten Kegel übergehen, der aber in der Mitte offen ist, so daß nur vier abgerundete schräge Stützen den Brückenboden berühren. So sehr wie ein Zweckbau ist die Autobahnbrüche damit ein Tor in die Stadt aus elegant geschwungenem Beton.

Bald darauf, neben dem Einkaufszentrum El Ingenio zweigt die Straßenbahnstrecke ein weiteres Mal ab und führt am Betriebshof vorbei einen Hang hinauf, was sich sogleich dadurch erklärt, daß dort das Krankenhaus ist.

Bei diesem macht die Strecke einen weiteren Bogen und führt zwischen letzten Feldern und ersten neuen Wohnbauten hinab gen Meer. Nun wieder mit einem einzelnen in die Straße eingelassenen Gleis biegt die Strecke zum letzten Mal ab, und folgt der parallel zum Meer verlaufenden Hauptstraße von Torre del Mar, das weniger ein Stadtteil von Vélez-Málaga als eine eigene Stadt ganz anderer, touristischer Art ist,

und erreicht bei einem Platz ihre Endhaltestelle.

Die Straßenbahn von Vélez-Málaga ist ein Musterbeispiel der gegenwärtigen zweiten Hochzeit des Straßenbahnbaus. Wie sie zwei Stadtkerne und auf dem Weg alle für diese wichtigen Einrichtungen verbindet, ist makellos und eine Verlängerung des Netzes zu den nahen touristischen Teilen von Torrox und Nerja im Osten oder gar nach Rincón de la Victoria und Málaga im Westen ist gut vorstellbar.

Das einzige Problem ist, daß auf der beschriebenen Straßenbahnstrecke keine Straßenbahnen fahren. Der Satz vom Anfang müßte richtig lauten: Vélez-Málaga hatte eine Straußenbahn. Von 2006 bis 2012 verkehrten Züge zwischen Torre del Mar und Parque Juan Jurado Lorca, während der Bogen um die Innenstadt zwar 2008 fertiggestellt war, aber nie in Betrieb genommen wurde. Die üblichen Gründe – Kostenüberschreitungen, geringer als erwartete Fahrgastzahlen, politische Ränke – führten zur Stillegung.  Also gilt auch: Vélez-Málaga hätte eine Straßenbahn, wenn alles nur etwas anders wäre.

Fast kann man noch heute unsicher sein, ob die Strecke in Betrieb ist oder nicht. Viele der Haltestellen sind kaum beschädigt, auch wenn die Anzeigen dunkel bleiben. Aber aus den Fugen des Kunstrasens wächst echtes Gras.

An den Haltestellen und überall in den kleineren Straßen parken Autos auf den Gleisen.

Am Anfang das Schotterbetts wachsen Sträucher quer über die Strecke, als wollten sie ein auch nur theoretisches Fortkommen der Straßenbahn verhindern.

Erst hier sind auch die Oberleitungen sichtbar beschädigt. Auf dem Betriebshof steht eine einzelne Niederflurstraßenbahn mit grau-grün-blauer Farbgebung, aber bei den Ausfahrten wächst hohes Gras.

Die Straßenbahn von Vélez-Málaga ist eine noch kaum verfallene Ruine, Zeugnis der gescheiterten Ambitionen einer kleinen Stadt. Nun wird es immer die geben, die solche Infrastrukturprojekte als Größenwahn bezeichnen. Warum braucht Vélez-Málaga eine Straßenbahn, warum brauchen Charleroi oder Bratislava eine U-Bahn? Die einfache Antwort ist immer: Warum nicht? Warum sollten immer nur die Städte, die eh immer alles hatten, Straßenbahnen und U-Bahnen haben dürfen? Wenn solche Projekte Größenwahn sind, dann nur einer, in dem sich auf die schönste Weise die Größe des Menschen ausdrückt. Es scheint, als habe sich Vélez-Málaga von den selbstgerechten Kritikern jedes Fortschritts auch noch nicht eines Besseren belehren lassen, denn Anfang 2023 zeigten Plakate in einer ziemlich schlechten Photomontage am Rande, aber immerhin, auch die Straßenbahn.

Es gibt Pläne, sie noch dieses Jahr wieder in Betrieb zu nehmen. Vielleicht muß es heißen: Vélez-Málaga wird eine Straßenbahn haben.