Erkundungen auf Friedhöfen: Weiße Russen in Moravská Třebová

Der Friedhof des Städtchens Moravská Třebová liegt hoch oben auf dem Křížový vrch (Kreuzhügel). Um hinaufzugelangen, tritt man durch einen Torbogen

EingangFriedhofMoravskáTřebová

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und geht dann eine lange überdachte Treppe,

TreppeFriedhofMoravskáTřebová

die wie ein Tunnel aus dem städtischen Leben unten zur andachtsvollen Ruhe oben führt.

AlleeFriedhofMoravskáTřebová

Fast scheint so architektonisch ein Aufstieg von der Erde in den Himmel nachvollzogen.

Dort oben, zwischen all den tschechischen und deutschen Gräbern, irgendwo vor der großen gotischen Kapelle, findet man etwas, was man hier kaum erwartet: orthodoxe Kreuze, russische Inschriften.

RussischeGräberMoravskáTřebová

Sie sind die einzige Erinnerung an ein russisches Gymnasium, das von 1921 bis 1935 bestand. Seine Existenz hat mit einem kleinen Kapitel der russisch-tschechoslowakischen Beziehungen zu tun. Die Schule wurde für russische Immigranten, sogenannte weiße Russen, Angehörige der zaristischen Eliten, die vor der Revolution geflohen waren, eingerichtet. Vielleicht fühlte sich die tschechoslowakische Regierung zu dieser humanitären Tat verpflichtet, hatten doch die Weißen und die tschechoslowakischen Legionen, zur russischen Seite übergelaufene österreichisch-ungarische Soldaten tschechischer und slowakischer Nationalität, in Sibirien gemeinsam gegen die Revolution gekämpft. Sie waren der roten Armee letztlich selbstverständlich unterlegen. Während die Tschechoslowakei aber dank ihres antirevolutionären Engagements das Wohlwollen der Westmächte hatte und die zurückgekehrten Legionäre einen kampferprobten Grundstock für ihre Armee bildeten, blieb den Weißen überhaupt nichts mehr. Alles, was sie gehabt hatten, ihr gesamter Lebensstil, all ihre Traditionen, wurden restlos ausgelöscht und ihr Besitz verstaatlicht – eine der schönsten Episoden des 20. Jahrhunderts.

Eine Schule in der mährischen Provinz war da kaum ein kleiner Trost. Und selbst von der bleiben heute bloß eine Handvoll Grabsteine. Manche sind nur russisch beschriftet, andere zweisprachig. Es gibt ein Gemeinschaftsgrab für Schüler und das Grab eines zaristischen Offiziers. Am bezeichnendsten jedoch ist das Grab von Fedor Kaplowitsch Frolow.

GrabFedorKaplowitschFrolowMoravskáTřebová

Unter einem orthodoxen Kreuz ist sein Porträt in Bronze und darunter die Inschrift. Er, oder besser seine Familie, entschloß sich, die jeweiligen Phasen seines Lebens in den jeweiligen Sprachen aufzuführen. So steht dort zuerst russisch in alter, die bolschewistische Rechtschreibreform von 1918 selbstverständlich ignorierender kyrillische Schrift: „Donkosake, Direktor des Gymnasiums von Nowotscherkassk“. Dann verliert er den Vatersnamen, wird auf tschechisch in lateinischer Schrift zu Theodor Frolov und „Lehrer am russischen Gymnasium in Moravská Třebová“. Das ist zweifelsohne ein Abstieg, aber auch kein so großer. Keiner jedenfalls hatte so etwas mehr verdient als ein reaktionärer russischer Intellektueller, oder nein, viele hätten das und weit Schlimmeres verdient, doch es ist schön, daß es wenigstens Frolow und seinesgleichen auch wirklich zu erleben hatten.