Nekropole bedeutet Totenstadt. Gemeinhin versteht man darunter einen großen Friedhof. Und ein Friedhof, das ist eben eine große Fläche mit Gräbern in der Erde. Der Cimitero Monumentale del Verano (Monumentalfriedhof Verano) in Rom zeigt aber, daß Gräber keineswegs unbedingt in der Erde sein müssen und das die Bezeichnung Nekropole keineswegs unbedingt übertragen gemeint sein muß. Dieser Friedhof nämlich ist eine wirkliche Stadt für Tote, in der sie die verschiedensten Gebäude zur Verfügung haben.
Am Anfang der Entwicklung des Friedhofs zur Totenstadt standen terrassierte und von Gängen durchzogene Hügel.
Die billigsten Gräber sind versteckt in den Gängen, die normalen Gräber sind auf den Terrassen und die teuersten Gräber, oft Gruften, Penthäuser des Todes, sind oben auf den Hügelplateaus. Die ersten wirklichen Gebäude ahmen diese Hügel lediglich mit architektonischen Mitteln nach. Ob sie sich nun mit den Formen von Renaissancekirchen schmücken
oder fast schmucklose langgestreckte Backsteinkonstruktionen sind,
immer steigen sie in mehreren Terrassenstufen an und haben Gänge im Inneren. Schon werden die Gänge aber zu Räumen. Der logische nächste Schritt waren daher Gebäude, die nicht mehr verschämt tun, als seien sie etwas anderes, und die die Gräber, die ohnehin schon den Bezug zur Erde verloren hatten, ganz in die Innenräume verlegen.
So entstand auf dem Friedhof ein ganzes Viertel mit vier-, fünfgeschossigen Gebäuden. An schattigen Alleen stehen sie auf umlaufenden Terrassen.
Manche der Gebäude haben schlichte graue Steinverkleidung mit horizontalen Streifen auf der Höhe der Geschoßdecken, andere zeigen die typischen Formen faschistischer Architektur und verbergen ihre Geschoßstruktur hinter Backsteinverkleidung und monumentalen steinernen Stützenportalen.
Im Inneren sind offene Treppenhäuser und Höfe,
es gibt Müllschlucker und Aufzüge.
Manchmal sind es offene Räume mit unerwartetem Grün, manchmal spürt man deutlich, wie die faschistische Architektur als Architektur des Todes zu sich selbst findet.
Die Toten sind in mit Grabplatten verschlossenen Wandfächern untergebracht, die unzählige hohe Gänge und Räume füllen.
Bei den bis zu sechs so übereinander angeordneten Gräbern denkt man unweigerlich an die aufziehbaren Fächer der Obduktionsräume, die man aus Filmen kennt. Es sind auch wirklich immer Särge in diesen Gräbern; der enorme Platzbedarf, den die Totengebäude befriedigen, resultiert auch aus der abergläubischen katholischen Abneigung gegen Feuerbestattung. In einem der Gebäude ist die Dachterrasse kleineren Fächern mit Urnen vorbehalten. Das ist denn auch das einzige von anderen Friedhöfen bekannten Element – bloß eben im fünften Geschoß.
Städtebaulich sind die Gebäude der Totenstadt konservativ angeordnet. Trotz vielen Öffnungen haben sie wenige Eingänge und wo Verbindungen zum Nachbargebäude sein könnten, sind oft Sackgassen. Aber Tote flanieren nicht und auch die lebenden Anverwandten, denen die Gebäude eigentlich dienen, werden, wenn sie zu Fuß oder mit dem Auto kommen, immer bestimmte Gräber zum Ziel haben.
Neben diesem Massenwohnungsbau des Todes gibt es auf dem Friedhof einen andernorts seltenen Gebäudetyp: die moderne Gruft. Aus ihnen bestehen die Vororte der Totenstadt. Während bei den Hügeln die besten Lagen oben waren, besteht der Luxus hier darin, unten, nah an der Erde zu sein. Die Gruften haben standardisierte quadratische Grundrisse und Größen, aber sehr abwechslungsreiche Formen. Zwar findet man auch den erwartbaren billigen Historismus, besonders bei den neusten Gruften,
aber häufiger sind skulpturale Formen aus vielfach vertikal versetzter Steinverkleidung.
Gleich fremdartigen Felsformationen ragen diese Gruften aus dem Boden. Diese Formen, die Steinverkleidung, die metallgerahmten Türen, die Fenster, die kleinen Hochbeete, sind zugleich eigentümlich vertraut, man kennt sie von Bürogebäuden aus den Siebzigern.
Doch während sie dort Details waren, werden sie hier zur Hauptsache. Jede Gruft wirkt, als sei ein Stück aus einer Firmenlobby herausgenommen und im freien Gelände abgestellt worden. Die architektonische Phantasie konnte sich hier freier ausleben, da keinerlei Rücksicht auf Funktionalität genommen werden mußte. So sind die Gruften mehr abstrakte Kunstwerke, die architektonische Elemente zitieren, als wirkliche Gebäude. Zum Abstrakten kommen Skulpturen, Plastiken, Mosaike, Glasbilder mit sakralen Motiven, oft durchaus geschmackvoll und gut mit der Gruftarchitektur verbunden. Manchmal entstehen Kleinodien wie diese Gruft, bei der die Steinverkleidung zum subtilen Kreuz für eine Jesusplastik wird,
oder Bizarres wie diese völlig gläserne Gruft.
Alles am Cimitero Monumentale del Verano widerlegt die beliebte Behauptung, daß der Tod nivelliere. Er zeigt im Gegenteil, daß der Tod nichts ändert. Alle Widersprüche und sozialen Abstufungen der Stadt sind hier fortgesetzt, auch im Tod gibt es für die Einwohner Roms keine Gleichheit, die Totenstadt ist eine kapitalistische Totenstadt.
In Rom erlebt man, was eine wirkliche Nekropole ist. Es ist, als hätte man nach einem Leben in Dörfern zum ersten Mal staunend eine Großstadt gesehen. Normale Friedhöfe erscheinen danach erst einmal langweilig.
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