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Erkundungen auf Friedhöfen: Der Tod in Ciudad Real

Der Friedhof von Ciudad Real ist einer der angenehmsten Orte der Stadt, weil er fast der einige ist, von dem man ihr Umland erlebt, das gar nicht so flach und langweilig, wie man in ihren flachen und langweiligen Straßen erwarten könnte, ist.

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Es hilft, daß es sich um einen Friedhof traditioneller Art, ein Park mit schlanken Nadelbäumen und großen steinernen Grabkästen auf der Erde, wie er auch in Polen sein könnte, handelt, während viele spanische Friedhöfe insbesondere in kleineren Städten aus engen Gassen zwischen Bauten mit übereinander angeordneten Grabfächern bestehen, die keinen Bezug zur Erde mehr haben. So geht man über diesen Friedhof wie über einen normalen europäischen Friedhof und nur zwei Wände mit Grabfächern erinnern an den spanischen Normalzustand.

Ein Meer aus Stein, unzählige Kreuze mit unzähligen Jesusfiguren, die ältesten Gräber von Anfang des 20. Jahrhunderts, schon die von 1950 nicht von denen von 2020 zu unterscheiden, wenige Gruften, Katzen zwischen rostenden Gitterzäunen vergessener Gräber wie ausgebrochene Raubtiere in einem Zoo.

Wie jeder Friedhof ist auch der von Ciudad Real eine Freiluftgalerie der Bildhauerkunst verschiedener Zelten und damit zumeist deren völliger Banalität und Nichtigkeit. Kaum ein Grab, das man zweimal betrachten will, zumal auch die Inschriften sich auf Namen und Lebensdaten beschränken, aber man tut es eben doch.

Dort ein Vogel, der vielleicht eine Taube sein soll, mit ausgebreiteten Flügeln am Ende einer Grabplatte, eine unglückliche Idee in unglücklicherer Ausführung.

Das Grab von Vicente Almagro vom Kreuzigungsrelief über ein Eulenrelief zur Figur eines antik gekleideten Mannes mit erhobenem Finger schmaler werdend, eine auffällige, fast schon antireligiöse Betonung der Bildung, aber in so verschlafenen klassizistischen Formen.

Interessanter schon, wie beim Grab der Familie Montero das Gewand des etwa lebensgroßen stehenden Jesus aus dem graugemaserten Stein erwächst, während sein Kopf, halber Oberkörper und rechter Arm sowie beide Hände und linker Fuß aus einem glatten weißen Stein gefertigt sind, aber am Gesicht scheitert der Bildhauer eher.

Es braucht das Grab des Eduardo Martín López-Salazar und seiner Familie, um dem Friedhof seinen absoluten und recht einsamen künstlerischen Höhepunkt zu geben. Gefaßt in grauen Stein hat es eine breite rechteckige Relieffläche aus weißem Stein, deren inneren Ecken abgerundet sind, was die tiefer in ihr stehenden Figuren auch als die Grenzen des ihnen zur Verfügung stehenden Raums begreifen.

Alle Figuren sind nackt, halbnackt, und muskulös, aber schlank, ihre Frisuren sollen wohl antik sein, wirken aber kompliziert toupiert, ihre Gestik und Mimik sollen wohl Trauer ausdrücken, aber fast zu spürbar ist die Freude des Künstlers an der Darstellung vor allem männlicher Körper. Links ist ein stehender Mann mit ob der oberen Ecke nach rechts geneigtem Kopf, der ein an einer halb vor ihm sitzenden Frau herabfallendes Tuch hält. Rechts ist beinahe spiegelbildlich eine stehende Frau, die sich auf die Zehenspitzen stellt, um bis zur oberen Ecke zu reichen, und ein verrenkt sitzender Mann, der den Arm emporstreckt, um ihre Hand zu halten. Weiter links davon ist eine sitzende Frau mit in den Händen verborgenem gesenktem Gesicht. In der Mitte ist ein mit dem Kopf nach rechts liegender Mann. Links ist ein hockender Mann mit abgewandtem Gesicht, der seinen Oberkörper über die seinen Bauch treffende Sense weit nach links beugt. Denn in der Mitte, über dem liegenden Mann, steht der Tod, aus dessen Gewand nur der leicht nach links blickende Totenschädel und zwei schräg zu den Seiten ausgestreckte Skeletthände, in deren linken er die offenbar schwerelose Sense hält, hinausschauen.

Das Gewand ist von den Ärmeln bis zur Kapuze in regelmäßige vertikale Falten gelegt, die so keine Falten mehr sind, sondern die vertikalen Streben eines aufgetürmten expressionistischen, Art-Déco-Hochhauses, zu der das Gewand wird.

So viel eingefrorene Bewegung in den menschlichen Figuren ist, so architektonisch starr ist das Gewand des Todes. Die Regeln, die für sie gelten, betreffen ihn nicht, er steht so schrecklich und gleichgültig wie ein monumentales Gebäude in der Mitte und die Sense auszustrecken, um einen zweiten von ihnen zu holen, kostet ihn so wenig Mühe wie der bereits zu seinen Füßen liegende ihn interessiert. Der Tod ist hier als unausweichliche Tatsache gezeigt. Der Kontrast zwischen seiner architektonischen Starrheit und der muskulösen Körperlichkeit der übrigen Figuren gibt dem Relief seine Wirkung, die auch nicht kleiner wäre, wenn es auf dem Friedhof irgendetwas Vergleichbares gäbe.

Der Künstler Jerónimo López-Salazar, der rechts unten signierte, schuf das Relief im Jahre 1924 vermutlich nicht für ein Grab, denn sein hier begrabener Verwandter, vielleicht Vater oder Bruder, starb erst über dreißig Jahre später, wie es in der linken der beiden von einem Kreuz geteilten Flächen auf der Grabplatte, deren rechte älteren weiblichen Verwandten gehört, zu lesen ist. Durch dieses Werk, wenn vielleicht durch nichts sonst, lebt er, der hier nicht begraben ist, weiter.

Als einer der angenehmsten Orte von Ciudad Real hat der Friedhof diesen erstaunlichen Höhepunkt, dessen künstlerische Qualität den schrecklichen Inhalt vergessen macht, allemal verdient.