Butzbacher Kontrast

Direkt hinter dem Bahnhofsvorplatz mit den Bushaltestellen, sichtbar schon vom Bahnsteig oder aus dem vorbeifahrenden Zug, ist ein Kontrast, wie er für Butzbach jedoch, wie sich später zeigt, nicht charakteristisch ist: das hohe Dach und der spitze Turm einer kleinen Kirche neben, fast vor dem fünfgeschossigen Waschbetongebäude der Volksbank, Schieferschwarz neben einem beinahe weißen Hellgrau, Wetterauer Sakralarchitektur neben westdeutschem Kleinstadtbrutalismus. Vielleicht ist es sogar der Abstand und die Bewegung des Zugs, der die beiden Gebäude zum Symbol von Butzbach verbindet, denn von Nahem werden ihre individuellen Qualitäten wichtiger als ihr Kontrast.

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Die Kirche ist links schlichtweg ein zweigeschossiges Wohnhaus und die schmucklosen rechteckigen Fenster des zu den Gleisen zeigenden Teils ihres querstehenden Saals zeugen von kargstem protestantischem Barock, doch der zur Straße zeigende Teil, ein trapezförmiger Chor, ist nicht nur eine Fachwerkkonstruktion, was für hiesige Sakralbauten bereits selten ist, sondern hat noch dazu schmale und hohe Doppelfenster, die in Spitzbögen mit einfachem hölzernem Maßwerk enden, was fast einmalig ist.

Anders als es aus der Ferne scheinen mußte, ist diese Wendelinskapelle, die ursprünglich Teil des Hospitals vor der Stadt war, nämlich nicht barocken, sondern gotischen Ursprungs und in ihrer heutigen Form Ergebnis einer Rekonstruktion in den achtziger Jahren. Während die gerade und schräg zerschnittenen großen V-Formen des Fachwerks auf der Kirchenwand mehr Platz haben, sonst aber den typischen Fachwerkhäusern gleichen, sind die zierlichen Holzfenster, zwischen deren Maßwerk sich in der Mitte sogar eine kleine Rosette schiebt, Ausdruck einer Butzbacher Nachgotik, die vielleicht von der äußerst komplizierten und äußerst gotischen Markuskirche im Stadtkern beeinflußt ist.

Das Volksbankgebäude auf der anderen Seite der Straße hat in der linken Hälfte einen schmalen vertikalen Fensterstreifen, wo das Treppenhaus sein dürfte, und Wandflächen mit dem Volksbanklogo, hinter denen der Aufzug fahren dürfte, und nach einem leicht vorgesetzten und höhergeführten Streifen in der rechten Hälfte, wo die Büros sind, Fensterbänder mit grauen Aluminiumrahmen, die auch die dortige Ecke umlaufen.

Diese rechte Hälfte fällt nach hinten in eingeschossigen Stufen bis zum zweiten Geschoß ab, wo der Sockel beginnt, dessen im Erdgeschoß großflächig verglasten Wände zur rechts verlaufenden Einfahrt gerade sind und zur links verlaufenden Ausfahrt ein Zickzack bilden. Vor dem Gebäude und vor Ein- wie Ausfahrt erstreckt sich ein Vordach mit einem Rand aus demselben hellgrauen Waschbeton, das beidseits des Eingangs rechteckige Öffnungen hat und in der Mitte auf zwei blauen V-Stützen, an den Seiten aber auf zwei weißen Wänden mit V-förmigen Lücken ruht. Diese unterschiedlichen Vs sind die einzige kleine Extravaganz, die sich das Gebäude erlaubt, und man könnte in ihnen sowohl eine Anspielung auf seine Funktion als Sitz der Volksbank als auch einen Bezug auf die Fachwerkmuster der jenseits der Straße stehenden Kirche sehen, wenn diese nicht zur Entstehungszeit verputzt gewesen wäre.

Auf je eigene Weise, und weit mehr als das der Blick aus dem Zug erwarten ließe, sind es makellose Gebäude und Ausdruck ihrer jeweiligen Zeiten. Charakteristisch für Butzbach ist ihr kontrastreiches Beieinander wie gesagt nicht.