Kunstlotterie

Das Gebäude der Lotería de Medellín (Lotterie von Medellín) nutzt die glückliche Situation, daß es, wiewohl nicht besonders breit und Teil der Blockrandbebauung, zwei Ecken und drei Seiten hat, für die Präsentation seiner Kunstwerke.

An der linken und der rechten Seite sind das grausteinerne Reliefbänder in der oberen Hälfte des Sockels, die so konventionell wirken wie sie vom Gehsteig schwer zu betrachten sind. An der Vorderseite, beidseits des Eingang hingegen sind es die gesamte Sockelhöhe einnehmende Werke, die kaum in eine Gattung einzuordnen und schwer mit etwas anderem zu vergleichen sind. In zurückgewölbten weißen Flächen, die mit Furchen und vulkanartig vorstehenden Öffnungen wie eine Mondlandschaft oder aber das Innere eines Organs wirken, sind schwarze Bronzeplastiken angeordnet: links eine stehende männliche Figur, die zur Mitte zu einer erhöht liegenden weiblichen Figur zeigt, rechts eine stehende weibliche Figur, die zur Mitte zu einer erhöht liegenden männlichen Figur zeigt.

(Bilder zum Vergrößern anklicken)

Die Figuren sind menschlich, realistisch sogar vielleicht, aber ihre Körper sind wie aufgeplatzt, ausgehöhlt, die stehende Frau hat ein Kind im Bauch, aus dem liegenden Mann schlagen Flammen, die liegende Frau hat einen Maiskolben zwischen den Schenkeln.

Insbesondere letzteres zeigt, daß hier indianische Mythen, Weltentstehung, Männliches, Weibliches, dargestellt sind, aber die Art der Darstellung hat etwas geradezu Ekelerregendes, wie der eingefrorene Blick in ein Schlachthaus, so daß man schwerlich mehr über irgendetwas davon wissen will.

Die Kunstgattung ist denn am ehesten die eines Dioramas und wie solche in der katholischen Kunst manchmal in unangenehmer Anschaulichkeit etwa den Kreuzweg darstellen, stellt diese eben indianische Mythen dar. Immerhin, auffällig anders ist dieses Werk des in Medellín oft vertretenen Bildhauers Rodrigo Arenas Betancur und daß öffentliche Kunst eine solche geradezu körperliche Abscheu auslöst, ist ebenfalls selten. Auch an seinen Ort paßt es gut, da oberhalb davon und eines überstehenden Dachbands mit dem Gebäudenamen die betongerahmten Geschosse folgend, während oberhalb des Eingangs ein deutlicher Rücksprung ist, den erst das ohnehin überstehende oberste Geschoß verbindet.

Im Foyer der Lotería de Medellín ist weitere Kunst und es kann gut passieren, daß man von der Rezeptionistin nicht nur in Paisa-Freundlichkeit hineingewunken wird, sondern gleich auch ein Prospekt mit Informationen über die Werke in die Hand gedrückt bekommt. In diesem angenehm proportionierten Raum, der den obligatorischen glatten Stein für Böden und Stützen hat, sieht man zuerst links oben an der gegenüberliegenden Wand ein breites Wandbild des Malers Ramón Vásquez, das in fast grellen Farben und comicartigen Formen einen sitzenden Landarbeiter und im kürzeren Teil an der linken Wand einen Jungen und eine Frau zeigt. Rechts über dem Sitzenden ist wieder Mais, aber wieviel lieber will man diese realistische Szenen kennenlernen und die von Parabelformen durchzogene Landschaft vor den Augen der Figuren sehen.

Wiederum ganz anders, aber verwandt, ist das wandhohe Relief aus grauem Stein an der linken Seite neben der Wand. Man kann es leicht für eine Pietà halten, vielleicht ist es eine, aber die sitzende Frau mit zur Seite geneigtem Kopf ist ausgemergelt mit schlaffen Brüsten und das vielleicht tote Kind in ihrem Schoß hat einen vom Hunger aufgeblähtem Bauch.

Der Realismus des Wandbilds wird in diesem „Amerindia“ genannten Werk schockierend, ohne seine unmittelbare Menschlichkeit zu verlieren. Da dieses Relief offensichtlich vom selben Künstler, Jorge Marín Vieco, stammt wie die seitlichen außen, kann man es zum Anlaß nehmen, auch diese noch einmal zu betrachten. Das rechte zeigt Fabrikarbeit um eine maulartige Form, das linke indianische Szenen um eine zu drei Selten blickende Figur. So stark wie die Hungerpietà ist das nicht, aber viel wäre gewonnen, wenn es in der unteren Sockelhälfte auf Höhe der Betrachter wäre.

Gerade durch ihre Vielfalt und variierende Qualität bietet kein anderes Gebäude der Stadt einen kompakteren Überblick über die öffentliche kolumbianische Kunst der sechziger Jahre als die Lotería de Medellin. So großzügig seine Erbauer seine Lage für deren Präsentation nutzen, so großzügig erzählt es heute davon.

2 Gedanken zu „Kunstlotterie

  1. Pingback: Erkundungen auf Friedhöfen: Campos de Paz | In alten und neuen Städten

  2. Pingback: Cuenca in Rosa | In alten und neuen Städten

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.