Lenin im Kloster

Schon das ehemalige Franziskanerkloster liegt im westböhmischen Cheb eher abseits des Touristenrummels, der sich auf den Marktplatz und die nahe bei diesem stehenden beiden Hauptkirchen konzentriert. Es bildet einen eigenständigen Komplex innerhalb der Stadt, dessen Zentrum der schmale Františkánské náměstí (Franziskanerplatz) mit der gotischen Kostel  Zvěstování Panny Marie (Kirche Mariä Verkündigung), der barocken Kostel Sv. Kláry (Kirche der heiligen Klara) und vielen weiteren meist einfachen barocken Gebäuden darstellt.

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Vertikale gotische Strebepfeiler und weißer barocker Giebel mit zwei Heiligenstatuen stehen sich gegenüber, aber nicht feindlich, nur rat- und bezuglos, beide vollständig Gebäude ihrer Zeit.

Daß der Barock es sich nicht nehmen ließ, die gotische Kirche seinen Vorstellungen anzupassen, kann man im Inneren des heute eher notdürftig, aber sympathisch museal genutzten Baus am Umriß eines hohen barocken Altars über einer gotischen Nische oder an einem Wandbild, das eine hohe Altararchitektur imitiert, erkennen.

Er beließ aber den gotischen Kreuzgang mit Kreuzrippengewölbe und spitzbögigen Fenstern, deren Maßwerk vielfach variiert, nur annähernd regelmäßig abgewechselt und an der ersten Seite sogar fast nicht wiederholt ist.

Um das Franziskanerkloster ganz zu verstehen, muß man auch seinen Garten, der direkt hinter der Kirche liegt, aber nur auf Umwegen zu erreichen ist, sehen. Und sogar dieser Garten besteht noch aus mehreren Teilen, die teils leicht zu übersehen sind. Der erste und größte Teil ist eine geometrische rechteckige Anlage mit Beeten, Wiesen, Bäumen, Spalieren und in der Mitte im Brunnen der banalen Skulptur eines wasserholenden Mädchens.

Zur Stadt hin bildet seine Breitseite ein langer Speicherbau mit hohem Satteldach, zur anderen ein weißgetünchter Rest der Stadtmauer mit hölzernem und rotgeziegeltem Wehrgang, über dem schon eine Villa des anschließenden großbürgerlichen Viertels aufragt. Jenseits der niedrigeren Mauern an der Schmalseite des Eingangs steht ein k.k. Schulgebäude und an der gegenüberliegenden ein schlichter zweigeschossiger Barockbau mit Walmdach.

Doch zwischen diesem Bau und der Stadtmauer, wo man schon die Rückseite der Verkündigungskirche sieht, geht es weiter in den zweiten Teil des Klostergartens.

Schmaler als der erste verläuft er etwa quer zu ihm und ist vom genannten Barockbau und einem zweiten mit rundbögigen Arkaden gerahmt. An der Grundseite steht ein barockes Torgebäude, das sich mit nun drei Geschossen am Anfang der anderen Seite fortsetzt, während sich im folgenden die gotischen Strebepfeiler und Spitzbögen der Kirche auftürmen. In diesem Teil ist es noch stiller und im Sommer duftet alles nach Rosen.

Hier erst, wo man die vom Platz her wenig einladende gotische Kirche über das Grün des Gartens hinweg sieht, kann man begreifen, was für einen Luxus es bedeutete, in einem Kloster zu leben. Mitten in der engen Stadt, direkt hinter ihren engen Gassen und meist kaum größeren Plätzen hatte das Kloster diesen großzügigen Garten und es hatte ihn für sich. Um zu erklären, wieso jemand Mönch sein wollte, genügt dieser Kontrast zwischen steinernen Gassen und grünem Garten völlig.

Es bleibt noch der dritte Teil des Klostergartens, in den man gelangt, wenn man an der Stadtmauer weitergeht. Im Winkel zwischen dieser, der Kirche und noch einem Barockbau, hinter einer niedrigen Mauer mit verschlossenem Tor, steht dort Lenin. Er hat das linke Bein vorgesetzt, die rechte Hand in der Hosentasche und den Oberkörper leicht zurückgelehnt, so daß sein Mantel locker hinter seinen Beinen hängt. Auf dem Kopf trägt er eine Schiebermütze und sein spitzbärtiges Gesicht ist auch ohne viele Details sofort zu erkennen. Eine klassische ikonische Darstellung inspiriert von Photos aus der Zeit der Revolution, hier überlebensgroß und aus Bronze.

Lenin ist nicht allein in seiner Ecke beim Kloster. Etwas rechts hinter ihm, ebenfalls aus Bronze und etwa lebensgroß, steht Julius Fučík, was ob des Größenunterschieds einen reichlich komischen Eindruck macht.

Rechts gegenüber steht weiterhin ein sandsteinerner Grenzsoldat mit Maschinenpistole und Schäferhund.

Es sind Denkmäler der sozialistischen Tschechoslowakei, die von ihren öffentlichen Plätzen entfernt und hierher ausgelagert wurden. Lenin, Führer der Oktoberrevolution und des ersten sozialistischen Staats, stand dargestellt von Vladimír Relich seit 1979 vorm Bahnhof. Fučík, Schriftsteller und Märtyrer der kommunistischen Bewegung der Tschechoslowakei, stand geschaffen von Miloslav Soňka seit 1960 in der nahen Stadt Františkovy Lázně. Der Soldat, der „Na stráži míru“ (Auf Friedenswacht), wie die Skulptur von Jan Hána heißt, die Grenze zum nahen Westdeutschland schützte, stand seit 1955 im Gottwaldovy Sady (Gottwald-Park) von Cheb, der inzwischen auch anders heißt.

Hier aber stehen sie zusammen, immerhin noch sichtbar. Es erinnert daran, wie besiegte oder in Ungnade gefallene Herrscher einst gezwungen wurden, ins Kloster einzutreten, um auf harmlose Weise ihre letzten Tage zu verleben. Hier ist das wiederholt mit den Denkmälern beim Klostergebäude. Sie stehen dort und die, die sie dorthin gestellt haben, mögen denken, daß sie dort ihre letzten Tage verleben und noch dem Spott der Betrachter ausgesetzt sind. Aber sie warten, bis ihre Zeit kommt, sie haben Zeit, sie sind Kommunisten. Und ganz unpassend ist auch dieser Ort für sie nicht, denn ihnen ist es zu verdanken, daß der Klostergarten für alle zugänglich ist und Mönche weit und breit nicht zu sehen sind.